Sachsen hat in den letzten 16 Jahren – Martin Dulig, das weißt du auch – gerade in der Haushalts- und Finanzpolitik vieles anders gemacht als seine Nachbarländer. Ich denke schon, dass das hier solider war und dass sich die Zahlen auch sehen lassen können. Wir haben Qualitätsstandards vorgegeben, die für unsere Nachbarländer eben leider nicht zum Standard gehört haben.
Ja, ich respektiere auch die Leistung von anderen, Herr Dr. Hahn, auch wenn Sie das nicht zugeben können. Es gibt auch andere, die gute Arbeit machen, und es ist in Sachsen so gewesen.
Wir stehen, was die Pro-Kopf-Verschuldung betrifft, auf Platz 2 in Deutschland, Thüringen ist auf dem 8. Platz, Sachsen-Anhalt ist sogar Letzter. Wenn wir die drei Länder zusammenwürfeln, kommen wir auf eine ProKopf-Verschuldung von 5 100 Euro. Das sind 81 % mehr; als wir heute haben. Wer heute, zum jetzigen Zeitpunkt, unter diesen Voraussetzungen über Länderfusion spricht, handelt extrem unverantwortlich, meine Damen und Herren.
Um das Bild von Herrn Schiemann mit den Läufern aufzugreifen: Wenn man drei Läufer hat und einer von den drei vielleicht noch relativ schwachen Läufern aber im letzten Jahr etwas besser als die anderen trainiert hat, ein bisschen schneller geworden ist, dann wird er gewiss nicht noch schneller, wenn man ihm einen schweren Rucksack aufbürdet und am Ende noch eine riesengroße Handtasche in die Hand gibt. Das kann nicht der richtige Weg für unser Land sein, meine Damen und Herren.
Wir müssen uns natürlich noch eine andere Frage stellen, denn wir haben ja einen kleinen Testlauf in Sachen Mitteldeutschland mit der „Initiative Mitteldeutschland“ vor uns. Wir hatten im Dezember eine große Diskussion dazu. Ich glaube, es ist nicht falsch, wenn ich sage, die „Initiative Mitteldeutschland“ ist gescheitert.
Wir hatten viele Ziele, und vieles von dem 17-PunktePlan, der im Mai 2003 festgelegt worden ist, ist richtig. Wir sollten da auch dranbleiben. Ich glaube auch, dass wir in Sachsen zu zeitig bei einigen Projekten aufgegeben haben. Doch wie die Realität Mitteldeutschlands aussieht, sehen wir bei dem hochgelobten mitteldeutschen Luftverkehrskonzept.
Da möchte ich hier mit zwei Zitaten aus der letzten Plenarsitzung glänzen. Zum einen Staatsminister Winkler.
Hermann, du hast etwas ganz Tolles gesagt – ich zitiere: „Ich möchte noch einmal“ – am 09.12.2005 – „das Luftverkehrskonzept ansprechen. Es ist ein zukunftsweisendes Konzept. Die drei Verkehrsminister haben es inzwischen abschließend bearbeitet. Es gibt eine Kabinettsbefassung sofort zu Beginn des neuen Jahres.“ – Dieses Jahres! – „Wir haben hier dokumentiert und bewiesen, dass wir bei ganz konkreten Projekten zusammenarbeiten.“ So hast du es gesagt.
Am 16.02.2006, zweieinhalb Monate später, sagt Staatsminister Jurk in der „Morgenpost“ Folgendes zum selben Thema: „Jedes Bundesland verfolgt seine eigenen Ziele und Vorstellungen.“
Nach zweieinhalb Monaten wurde dieses Luftverkehrskonzept bereits beerdigt; nicht, weil es an Sachsen lag – das ist mir völlig klar –, sondern weil Magdeburg das eigene Großflughafenprojekt Cochstedt für wichtiger als den Interkontinentalflughafen für Mitteldeutschland, Leipzig/Halle, hält. Das ist die Realität. Wie soll eine Länderfusion funktionieren, wenn wir nicht einmal das auf die Reihe bekommen, meine Damen und Herren?
Wenn man heute, hier und jetzt, liebe SPD, Fusionsvisionen hat, so hat dazu ein sehr geschätzter früherer Bundeskanzler, Herr Schmidt, etwas Ähnliches gesagt: „Dann hilft der schnelle Gang zum Arzt oder ein realistischer Blick auf die Fakten.“ Eine Länderfusion zum heutigen Zeitpunkt ist unrealistisch. Wenn sie denn in vielen Jahren in Sachsen kommt, sollten wir allerdings darauf vorbereitet sein, dass nicht der Langsamste in diesem Trio, Herr Bullerjahn, derjenige ist, der das Tempo vorgibt.
Deshalb möchte ich eine Botschaft in diesen Raum stellen: Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben eine lange gemeinsame Geschichte.
Die demografische Entwicklung geht an uns nicht vorbei, und es kann sein, dass uns in zehn oder 15 Jahren die Menschen – das ist das Entscheidende, nicht der Gesetzgeber – den Auftrag erteilen, über eine Länderfusion dieser drei Länder oder auch anderer Regionen – Sie wissen, die sächsische Geschichte ist ein wenig bunt – nachzudenken.
Deshalb sollten wir jetzt unsere Verwaltungsstrukturen straffen und Sachsen richtig stark machen, sodass wir
diejenigen sind, die in möglichen Verhandlungen das Tempo vorgeben; und wir sollten die länderübergreifende Zusammenarbeit wichtig nehmen. Wir sollten uns darauf vorbereiten, dass wir als Sachsen für den Fall des Falles diejenigen sind, die das, was zumindest in Teilen zusammengehört, auch zusammenführen, meine Damen und Herren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Langsam lichtet sich der Dschungel. Es ist nicht so, wie Sie, Herr Kollege Weiss, vor zwei oder drei Wochen – das ist die Antwort auf Ihre Frage, Herr Brangs, warum wir heute darüber sprechen: es stand in der Zeitung – sagten, dass Sie für eine Länderfusion seien, sondern es ist so, dass die SPD einmal darüber nachdenken sollte, was man in 15 Jahren alles machen könnte; und die Fusion ist eventuell eine Option dafür. So habe ich Sie, Herr Brangs, verstanden.
Ich bin der Meinung, das hat nichts damit zu tun, dass wir versuchen, Ihnen Denkverbote zu erteilen. Wir sprechen gleich über die konkreten Auswirkungen in diesem Raum. Aber Sie können auch den Fusionsgedanken nicht immer wie eine Monstranz vor sich hertragen.
Das sieht nach Flucht aus. Ich würde es sein lassen. Die Verflechtung im mitteldeutschen Raum, wie Sie es genannt haben, Herr Brangs, gibt es natürlich. Das weiß ich nur zu gut, ich bin in dieser Region aufgewachsen. Wenn man aber einmal genau hinschaut, besteht Sachsen aus West- und Ostsachsen, und ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass eine Länderfusion der drei Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vielleicht in 15 Jahren der Weisheit letzter Schluss ist.
Wenn Sie sich in der Lausitz umschauen, erkennen Sie, dass die Wirtschaftsbeziehungen der Lausitzer nach Polen, Tschechien und Dresden gehen, aber nicht nach Leipzig, Halle oder Jena. Das hat nicht sehr viel miteinander zu tun. Deshalb glaube ich, dass man auf die gewachsenen Regionen blicken muss. Im Moment ist dies die Aufgabe. Was in 15 Jahren dran ist, würde ich vielleicht nicht öffentlich in der Zeitung diskutieren. Es geht darum, dass man jetzt darauf achtet, was man in den Regionen entwickeln kann, und zwar mit den Fördergeldern, die uns noch 14 Jahre zur Verfügung stehen. Dies halte ich für den wesentlichen Ansatz, und ich glaube
nicht, dass Sie es in den nächsten Jahren kulturell hinbekommen, dass sich die Menschen aus der Altmark mit denen aus der Rhön und denen aus dem Erzgebirge verbrüdern und das alles toll finden. Das glaube ich überhaupt nicht.
Die Kraft des Menschen, wenn er schaffen soll und schaffen will, entspringt doch auch seiner regionalen Identität, das ist keine Frage. Dafür muss man doch keinen konservativen Popanz aufbauen. Die SPD regiert in diesem Lande jedenfalls mit. Wenn dem so ist, erwarte ich auch, dass Sie konkrete Schritte unternehmen. Dann entwickeln Sie diese Kernentwicklungszone Leipzig/ Halle/Jena endlich, und zwar nicht auf diese lächerliche Weise – wie es Herr Zastrow gerade richtig anführte –, indem Sie alle paar Monate einmal ändern müssen, wie Sie kommentieren, wie zum Beispiel gemeinsame Verkehrsprojekte entwickelt werden.
Es geht sowohl darum – deshalb spreche ich von einem Staatsvertrag in dieser Sache –, dass die Parlamente einbezogen werden, als auch darum, dass, unabhängig von den einzelnen Launen eines Ministerpräsidenten, trotzdem eine verlässliche und kalkulierbare Entwicklungsmöglichkeit für eine gemeinsame Region geschaffen wird. Das ist wichtig.
Zurzeit besteht ja nicht einmal Einigkeit über die Verwendung der Solidarpaktmittel zwischen den drei Bundesländern. Dies ist das Minimum, welches man erwarten müsste, und nicht einmal das gelingt. Herr Matschie wurde heute bereits angeführt; er führt die SPD in Thüringen und hat dem Fusionsgeschwätz eine sehr klare Absage erteilt, und das zu Recht. Das muss man in einem Staatsvertrag regeln. Man muss regeln, dass es mit den Fördermittelkonkurrenzen in dieser Region Leipzig/ Halle/Jena aufhört. Natürlich muss man dann gemeinsam etwas entwickeln, zum Beispiel Schwerpunktbranchen. Diese haben die Unternehmer in dieser Region schon längst mit viel Feingespür selbst vorangetrieben. Sie wissen, was in der Gegend funktioniert und was nicht.
Man muss natürlich die akademische Landschaft einbeziehen und Möglichkeiten schaffen zu schauen, wie sich die akademische Struktur entwickeln kann und wie dies mit den Schwerpunktbranchen zusammenpasst, die sich in der Region entwickeln. Natürlich muss man auch die Finanzpolitik der drei Bundesländer und die Verwaltungsstrukturen anpassen. Wenn Sachsen die eigene Verwaltungsstrukturreform nicht einmal so hinbekommt, dass man der Meinung sein könnte, es sind wirklich alle Einsparungen überprüft, und das ist man noch schuldig geblieben, das haben wir noch nicht auf dem Tisch, dann halte ich es für schwierig, dies alles hier so einfach zu postulieren; sondern Sie müssen es Schritt für Schritt abarbeiten.
Vielleicht ist es politisch nicht sehr sexy, wenn man in vielen kleinen Details arbeiten muss. Aber so ist das Leben. Man kann nicht immer eine Monstranz vor sich
hertragen und sagen, in 15 Jahren wird alles besser, sondern es ist entscheidend, dass man den täglichen Arbeitsanfall auch wirklich abarbeitet, mag er in der Politik noch so unerotisch daherkommen.
Deshalb glaube ich, dass die Zeit künftiger Großländer und staatlicher Kunstgebilde längst vorbei ist und ins 19. oder 20. Jahrhundert gehört. Schauen Sie sich Europa doch einmal an: Europa ist eigentlich ein Europa der Regionen, es ist nicht unbedingt ein Europa der Nationalstaaten. Blicken Sie mehrere Jahrhunderte zurück: Europa war immer ein Europa der Regionen – übrigens zum Teil auch mehrsprachig; dies hat es alles gegeben.
Das waren Entwicklungszusammenhänge, und man muss doch keine künstlichen Gebilde schaffen, nur weil man sich davon verspricht, dass man in der Debatte von den täglichen Arbeitsproblemen ablenken kann, die in der Politik anstehen.