Protocol of the Session on March 16, 2006

Kollege Dulig, stimmen Sie mir zu, dass mit der Bemerkung des Ministerpräsidenten, dass das Reformpaket nicht mehr aufgeschnürt werden darf, und zwar auch nicht während der Debatte des Bundestages, de facto für ihn die Reform abgeschlossen ist und er deshalb eine Regierungserklärung dazu abhalten könnte?

Hören Sie meiner Rede zu, dann werden Sie die Begründung dafür finden, warum die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sie hätten es jetzt aber einfacher gehabt!)

Die von der PDS aufgeworfene Frage, welche Auswirkungen eine zukünftige Föderalismusreform auf den Freistaat Sachsen haben wird, lässt sich derzeit nicht einmal im Ansatz beantworten. Denn hierzu müsste feststehen, wie die Reform am Ende des Gesetzgebungsverfahrens aussieht. Mit der Anlage zum Koalitionsvertrag in Berlin und den bisher eingebrachten Entwürfen liegt zwar unbestritten eine erste Beratungsgrundlage vor, gleichzeitig haben aber alle Seiten ausdrücklich klargestellt, dass mit der Einbringung des Reformwerks die fachliche Auseinandersetzung mit den Reformvorschlägen erst beginnt.

Es ist daher aus unserer Sicht völlig verfrüht, bevor auch nur eine Anhörung des Gesetzes im Deutschen Bundestag oder im Bundesrat stattgefunden hat, eine und dann auch noch abschließende Bewertung der künftigen Auswirkungen vorzunehmen. Sinn der nun in Berlin stattfindenden Anhörungen ist es gerade zu klären, ob mit dem Reformwerk tatsächlich ein Rückgang zustimmungspflichtiger Gesetze erzielt wird und sich die Kompetenzen von Bund und Ländern sinnvoller gestalten bzw. ein harmonischeres Miteinander der föderalen Strukturen in Deutschland erreicht wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer Pressemitteilung beklagt die PDS, dass die Föderalismusreform nicht zum Tauschbasar werden darf. Nun, meine Damen und Herren, die Diskussion jetzt aus dem Bundestag und Bundesrat in den Sächsischen Landtag verlegen zu wollen hieße, die Vorschläge auf einer nach den Vorschriften des Grundgesetzes nicht am Gesetzgebungsprozess beteiligten Ebene zu erörtern und die schwierigen Detailberatungen auf weitere Schauplätze oder – im Sprachgebrauch der PDS – auf weitere Basare auszudehnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Recht wird die Bedeutung des Reformwerks hervorgehoben. Wer aber ungeachtet aller noch zu klärenden und – das sage ich auch für meine Fraktion ganz offen – noch strittigen Einzelfragen eine falsche Herangehensweise wählt, gefährdet schon im Ansatz einen unbestritten notwendigen Konsens und zeigt, dass es nicht um die Reformfähigkeit, sondern um vordergründigen Populismus geht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Für die NPDFraktion – das ist geändert worden – spricht Herr Dr. Müller. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Auch wir denken, dass bei diesem wichtigen Thema eine Regie

rungserklärung des Ministerpräsidenten notwendig wäre, und zwar bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Ansonsten haben wir teilweise andere Kritikpunkte.

(Martin Dulig, SPD: Sie müssen den Antrag lesen, da steht alles drin!)

Herr Dulig, ich habe den Antrag gelesen. Das lassen Sie einmal unsere Sorge sein.

Ich denke, durch den am letzten Freitag im Deutschen Bundestag eingebrachten Gesetzesantrag der Berliner Koalitionsparteien – Bundestagsdrucksache 16/813 – wurden 25 von 146 Artikeln des Grundgesetzes geändert. Das sind über 17 % der Artikel. Nicht nur aus quantitativer Sicht, sondern auch in inhaltlicher Hinsicht ist es durchaus gerechtfertigt, von einer Staatsreform zu sprechen, von einer Reform, bei der es sich keineswegs um eine Reform zur Verbesserung der Regierbarkeit eines souveränen Nationalstaates handelt, etwa durch die viel zitierte Entflechtung von Kompetenzen. Diesen Eindruck versuchen zwar die herrschenden Parteien dauernd zu erwecken, und es wundert mich nicht, dass die große Masse der von den Medien des- oder uninformierten Bürger darauf hereinfällt.

Aber auch die Masse der im Politikbetrieb Beschäftigten verschließt die Augen vor der Tatsache, dass es in Wirklichkeit um einen weiteren Staats- und damit auch Demokratieabbau in Deutschland geht. Mit Unwissenheit allein ist dies sicherlich nicht erklärbar, denn so dumm kann man wirklich nicht sein, dass man nicht merkt, dass die vielen einschneidenden Grundgesetzänderungen seit dem Beitritt zum Beispiel zum Maastricht-Vertrag nicht der besseren Regierbarkeit Deutschlands durch Deutsche dienen, was durchaus im nationalen Interesse liegen würde, sondern vielmehr der Demontage der staatlichen Unabhängigkeit und damit den Abbau aller demokratischen Rechte aller Deutschen zur Folge haben.

In der Antragsbegründung äußert der Verfasser, an sich durchaus berechtigt, die Befürchtung, dass „…die bisher im Grundgesetz angestrebte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse infrage gestellt ist und es zu Polarisierungen bzw. strukturellen Verwerfungen zwischen den wirtschaftlich armen und reichen Bundesländern kommen könnte.“ So berechtigt diese Befürchtung an sich auch sein mag, so zeigt doch die im Antrag angegebene Begründung deutlich, dass der Verfasser nicht wirklich verstehen will, was hier gespielt wird. Er scheint nämlich davon auszugehen, dass das indirekte Staatsziel, die Bewahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland, dadurch gefährdet sei, dass in Artikel 72 Grundgesetz die Erforderlichkeitsklausel in Bezug auf die konkurrierende Gesetzgebung zum Teil zurückgenommen werden soll. Das scheint mir eine beinahe Freud’sche Fehlleistung des Verfassers zu sein, die damit zu tun haben könnte, dass ihm die politische Korrektheit einfach nicht gestattet, den wahren Zweck der partiellen Aufhebung der Erforderlichkeitsklausel bewusst zur Kenntnis zu nehmen.

Die Bundesregierung bezweckt da nämlich einzig und allein die Erleichterung weiterer undemokratischer Übernahmen fremdbestimmten, so genannten EU-Rechts in Form von Bundesgesetzen, und zwar unter klarer Verletzung des Demokratiegebotes in Artikel 20 Grundgesetz. Dabei hat man sich einen Trick einfallen lassen. Die Gesetzgebungskompetenzen sollen in Artikel 72 Grundgesetz zum Schein ausgeweitet werden, damit die Umsetzung einer EU-Richtlinie als Bundesgesetz nicht daran scheitern kann, dass die Erforderlichkeit dieses Gesetzes zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der BRD oder zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit Deutschlands, wie es in Artikel 72 heißt, nicht nachweisbar ist. Das steht jetzt sogar schwarz auf weiß in der Drucksache 16/813 der Berliner Regierungsparteien zu lesen. Wie perfide dieser Trick ist, wird klar, wenn man bedenkt, dass erst 1993 die so genannte Bedürfnisklausel durch die Erforderlichkeitsklausel ersetzt wurde.

Damit sollte eine ausufernde, konkurrierende Gesetzgebung des Bundes verhindert werden, und zwar auf Gebieten, auf denen Bundesgesetze zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse als nicht erforderlich erachtet werden. Jetzt, gerade einmal 13 Jahre später, will man plötzlich in die entgegengesetzte Richtung marschieren, indem man nämlich bei 16 oder 17 alten und sieben neuen Gegenständen der konkurrierenden Gesetzgebung jegliche Bedingung für ein Bundesgesetz streichen möchte, sodass weder ein Bedürfnis noch gar eine Erforderlichkeit für ein Bundesgesetz im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nachgewiesen werden muss. Natürlich wird dadurch nicht das Regierungssystem der BRD im Sinne demokratischer Transparenz oder nationalstaatlicher Effizienz verbessert. Aber nicht allein dieser beschämende Trick mit Artikel 72 beweist das Vorhaben der Machthaber, die demokratische Einflussnahme des deutschen Volkes zu erschweren und die Einheit Deutschlands mit annähernd gleichen Lebensverhältnissen aufzugeben.

Ein weiteres Beispiel ist der Bildungsbereich, dem selbst die heutigen Machthaber nach eigenem Bekunden ausschlaggebende Bedeutung für die Zukunftsgestaltung beimessen, allerdings bezeichnenderweise nur in rein wirtschaftlicher Hinsicht. Durch die Übertragung aller Kompetenzen der Kultur- und Bildungspolitik auf die Länder wollen sie jetzt ausgerechnet in diesem Bereich jede gesamtdeutsche Prägung auslöschen. Bei der schwindenden Attraktivität der deutschen Bildungstradition soll ein Wettlauf der Länder um die Vollendung des Bologna-Prozesses, das heißt, um das Abstreifen aller gemeinsamen deutschen Bildungstraditionen, veranstaltet werden.

Dazu passt natürlich sehr gut, dass es auf Bundesebene kaum mehr eine Zuständigkeit für die Kultur- und Bildungspolitik geben soll, wenn man von Hochschulzulassungen und Hochschulabschlüssen absieht. Bei diesen soll dem Bund im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung zwar eine Zuständigkeit erhalten bleiben, die aber ausschließlich der demokratiewidrigen Umsetzung von EURecht dienen soll. Das beweist das im Artikel 72 Abs. 3

eingeführte so genannte Abweichungsrecht der Bundesländer. Auch hier handelt es sich im gewissen Sinne um eine Manipulation des Grundgesetzes zwecks Abbau der Demokratie und zur Verstärkung der EU-Fremdherrschaft.

Die Manipulation besteht wieder darin, dass das, was im Grundgesetz steht, in gar keiner Weise wiedergibt, was gemeint ist, nämlich die schamlose Aushebelung von demokratischen Selbstbestimmungsrechten und die Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf demokratisch nicht ausreichend legitimierte Organe im Ausland.

Ich erinnere an meine Ausführungen vor einigen Monaten zu einem Brief von Peer Steinbrück an die Föderalismuskommission, an die damalige, dessen Inhalt Sie damals anzweifelten. Meine Damen und Herren! Inzwischen ist sich die Berliner Koalition einig, dass die Rahmengesetzgebung Artikel 65 Grundgesetz geopfert werden soll, genauso, wie Steinbrück es damals vorgeschlagen hat. Die konkurrierende Gesetzgebung soll zum großen Teil nur der Umsetzung von EU-Richtlinien dienen. Die Entwicklung scheint also durchaus in Steinbrücks Richtung zu gehen. Wenn dem aber so ist und die EU und nicht der Bund für gleichwertige Lebensverhältnisse zuständig ist, dann dürfen wir eines nicht vergessen: Die Brüsseler Bürokraten und Technokraten werden sich im Interesse der hinter ihnen stehenden Kapitalinteressen nicht für gleiche Lebensverhältnisse innerhalb Deutschlands, sondern vielmehr für die Angleichung der Lebensverhältnisse an Länder wie Polen, Tschechien oder demnächst vielleicht Rumänien und die Türkei einsetzen. Das ist ein gewaltiger Unterschied, meine Damen und Herren.

Ich möchte schließen, indem ich alle hier anwesenden Abgeordneten und die Staatsregierung eindringlich bitte, über diese schlichte Wahrheit noch einmal nachzudenken.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Für die FDPFraktion spricht der Fraktionsvorsitzende, Herr Zastrow.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Dr. Friedrich hat es schon gesagt: Edmund Stoiber hatte diesen genialen Begriff geprägt, dass die Föderalismusreform einmal die Mutter aller Reformen sein soll. Vielleicht ist es aus meiner Sicht die Rabenmutter oder die Stiefmutter, das würde vielleicht besser passen. Wenn ich sehe, wie mutlos, auch wie inkonsequent die Föderalismusreform bisher angepackt worden ist, dann würde ich persönlich dieser Mutter einfach das Sorgerecht entziehen. So sieht es aus meiner Sicht in der Realität aus. Aber das passt ganz gut zu all den anderen Aktionen, die in den letzten Jahren dem armen Begriff „Reformen“ angetan worden sind. Man sprach von der Hartz-IV-Reform, der Gesundheitsreform oder jetzt auch der Rechtschreibreform. Der arme Begriff „Reform“ ist ziemlich vergewaltigt worden.

Das erleben wir nun auch wieder bei der Föderalismusreform.

Wie auch immer: Eigentlich verdient eine Reform, eine Föderalismusreform, die die heißen und wichtigen Themen wie zum Beispiel das Thema Länderneugliederung, aber auch die Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern völlig ausklammert, den Begriff „Reform“ nicht.

(Beifall bei der FDP)

Die Reform der bundesdeutschen Finanzverfassung gehört jetzt – nicht erst ein paar Jahre später – auf die Tagesordnung, wenn wir nicht mit Auslaufen des Solidarpaktes im Jahr 2019 überrascht in die Röhre gucken wollen.

Herr Zastrow, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Lichdi wieder. Aber selbstverständlich.

Vielen Dank, Herr Kollege! Sie haben das Thema Länderneugliederung angesprochen. Darf ich Sie so verstehen, dass Sie für eine Zusammenlegung mit Thüringen und Sachsen-Anhalt plädieren?

Das war eine böse Frage. Ich traue mich nicht darauf zu antworten.

(Heiterkeit)

Nein, Herr Lichdi, das dürfen Sie so nicht verstehen. Ich bin für eine tabufreie Diskussion. Man muss auch darüber nachdenken, ob Länder oder bestimmte Bereiche von Ländern zusammengelegt werden. Es gehört dazu, hier darüber zu sprechen.

Herr Zastrow, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage?

Selbstverständlich.

Vielen Dank, Herr Kollege Zastrow. Können Sie mir mitteilen, ob die FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag schon zu Ergebnissen dieser Überlegungen gekommen ist?

(Heiterkeit – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Die arbeiten nur halbtags! Das dauert!)

Da wir nur halbtags arbeiten, ist bisher nur die Hälfte der Fraktion zu einem Ergebnis gekommen.

(Fortgesetzte Heiterkeit)

Zu dieser Hälfte gehöre ich. Ich bin der festen Überzeugung, dass Sachsen größer ist.

(Beifall bei der FDP – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist ja fast eine Mitteldeutsche Initiative!)

Darauf komme ich noch zu sprechen, Herr Porsch.

Eine weitere Marke in der bisherigen Diskussion ist aus meiner Sicht die Nichteinigung beim Thema „Steuerwettbewerb“. Warum gibt man den Ländern nicht die Möglichkeit, eigene Hebesätze auf eine zuvor natürlich gesenkte Einkommensteuer festzulegen? Leider ist es so, dass die Begriffe „Wettbewerb“ und „Leistung“ der Mehrheit der politischen Entscheidungsträger in Deutschland nach wie vor relativ suspekt erscheinen.

(Interne Gespräche zwischen Abgeordneten der FDP, der SPD und der GRÜNEN)