Protocol of the Session on March 16, 2006

(Interne Gespräche zwischen Abgeordneten der FDP, der SPD und der GRÜNEN)

Das ist eine schöne Debatte dort hinten. Aber vielleicht hören Sie mir zu. Ich gebe Ihnen bestimmt noch die Chance für die eine oder andere Zwischenfrage, Herr Lichdi.

Wir konzentrieren uns am besten auf die positive Seite der Reform, besser gesagt: des Reförmchens. Für uns als FDP ist ganz klar, dass ein erster Schritt – das ist es für uns – immer noch besser ist, als gar nicht zu laufen. Für die FDP ist die Föderalismusreform der Beginn, nicht der Schluss der Debatte. Das Anliegen der Reform ist völlig richtig. Wir müssen dringend über die Effizienz unseres Staatswesens diskutieren. Wir müssen dafür sorgen, dass der Staat für die Bürger wieder erkennbar und vor allem durchschaubar wird. Unsere Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen sind an die neuen finanziellen, wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Gegebenheiten in unserem Land anzupassen. Uns geht es schlichtweg darum, den Staat für unsere Bürger besser zu machen. Dazu gehört, dass wir Strukturen entflechten und klare Zuständigkeiten schaffen. Wir brauchen in unserem Land eindeutige Verantwortlichkeiten und klare Aufgabentrennungen. Es geht uns um Subsidiarität, Wettbewerbsföderalismus und größere Gestaltungsspielräume für die Länder. Wir müssen endlich davon wegkommen, dass alle alles machen und jeder sich mit jedem beschäftigt.

(Beifall bei der FDP)

Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel verwendete in ihrer Regierungserklärung eine uralte liberale Weisheit. Sie sprach davon, dass dieses Land mehr Freiheit wagen müsse.

(Zuruf von der FDP: Hört, hört!)

Sie hat völlig Recht. Das gilt für alle Gesellschaftsbereiche, aber auch für die Ausgestaltung der Föderalismusreform.

Es war klar, dass sich angesichts solcher Ziele sämtliche Bundesbedenkenträger gleich wieder zu Wort melden mussten. Man sprach von „Rückfall in die Kleinstaaterei“ oder „Zersplitterung der Bildungslandschaft“. Es ist sicherlich richtig, dass man genau hinsehen muss; denn gerade was die Schaffung einheitlicher Grundstandards und die Anerkennung von Bildungsabschlüssen betrifft, liegt in unserem Land noch viel im Argen. Dennoch bin ich froh, dass besonders der Freistaat Sachsen seine föderalen Freiräume, die er schon ein paar Jahre hat, ganz

gut genutzt hat. Ich denke beispielsweise an die sieben Sächsischen Berufsakademien, ein Modell, das es außer in Sachsen nur noch in sehr wenigen anderen Bundesländern gibt – die meisten haben es nicht eingeführt –, das unsere Bildungslandschaft hervorragend ergänzt und für einen sehr guten Wettbewerb gesorgt hat.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Sachsen ist damit vor allem für die Wirtschaft als Bildungsstandort und als Fachkräftemarkt interessant geworden. Die Entwicklung bei uns zeigt beispielhaft, was man durch Ausnutzung föderaler Regeln in der Praxis bewirken kann.

Andere orakeln jetzt, es werde einen Wettlauf um den härtesten Strafvollzug geben, weil die Länder künftig dafür zuständig seien. Manche befürchten, alle 16 Bundesländer würden 16 verschiedene Regelungen zu Hochwasserschutz erlassen, weil die Länder beim Umweltrecht künftig von Bundesrecht abweichen dürften. Auch da muss man sehr genau hinsehen. Es gibt – auch in unseren Nachbarländern – Entwicklungen, die mich schon nachdenklich werden lassen. Wenn beispielsweise Brandenburg auf der rechten Seite der Elbe die Auen aus Gründen des Hochwasserschutzes aufforstet, aber auf der anderen Elbseite, in Niedersachsen, Sträucher und Bäume gerodet werden, weil auch das für den Hochwasserschutz gut sein soll, dann haut irgendetwas nicht hin. Man sieht sehr deutlich, welche Stilblüten falsch begriffener Föderalismus in unserem Land treiben kann.

Ich erinnere weiterhin an das Mammographie-Screening. Das Thema ist in den letzten Wochen durch die Medien gegangen und betrifft auch uns. Nachdem wir vor anderthalb Monaten einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht hatten, hat gestern die Regierung nachgezogen. Ich frage Sie ernsthaft, wie es sein kann, dass ein Bundesland, zum Beispiel Baden-Württemberg, zu einer Bundesratsinitiative der Meinung ist, die Kassenärztliche Vereinigung sei die optimale Einrichtung, um die zentrale Stelle zu bilden, während der Sächsische Datenschützer einer völlig anderen Meinung ist.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist liberal!)

Nein, das finde ich eher verantwortungslos und halte es für eine Art Alibiföderalismus, weil es an dieser Stelle wirklich nur um eine Alibimitsprache geht. Durch die Unklarheit einer Bundesratsinitiative vergeuden wir Ressourcen, was am Ende den Menschen sogar schaden kann. Der Umgang mit der Vogelgrippe auf Rügen ist ein Beispiel dafür. Es wäre viel besser gewesen, wenn der Bund von vornherein das Zepter in der Hand gehabt hätte.

Wir sehen: Man kann und muss über die einzelnen Punkte der Föderalismusreform weiter diskutieren, um Fehlentwicklungen jetzt, bevor die Entscheidung in Berlin getroffen ist, zu stoppen. Föderalismus, wie wir ihn uns vorstellen, kennt klare Regeln und Verantwortlichkeiten. Er ist auch nicht, wie es etwa beim Mammographie

Screening der Fall ist, permanent durch Hinz und Kunz auslegbar.

Ich bin davon überzeugt, dass der Freistaat Sachsen vieles besser als andere Bundesländer kann. Wenn wir mehr Freiheiten bekommen und uns mutig dem Wettbewerb stellen, wird sich unser Bundesland noch schneller und besser entwickeln als andere Länder der Bundesrepublik. In diesem Sinne würde ich mich sehr freuen, wenn uns der Herr Ministerpräsident in diesen Hallen über das Reformpaket, das er für nicht mehr verhandelbar hält, unterrichten würde.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wo ist er denn?)

Herr Porsch, ich bin mir sehr sicher, dass er in seinem Geiste bei uns ist.

(Beifall des Abg. Tino Günther, FDP)

Er ist bei uns. Er hat den MDR auf Mittelwelle eingeschaltet und hört uns zu. Danach wird er zu einer Regierungserklärung motiviert sein.

Ich komme zum Schluss. Wenn Sie sich erinnern, dann hatten wir in Sachsen schon zwei Mal unsere eigenen kleinen Föderalismusreformen; zum Teil haben wir sie noch. Die erste nannte sich – ich glaube, sie nennt sich immer noch so – „Initiative Mitteldeutschland“.

(Dr. Michael Friedrich, Linksfraktion.PDS: Die ist aber geplatzt!)

Man muss sie eher als gescheitert ansehen. Aber dort haben wir uns in Sachsen auch einmal in Föderalismusreform geübt.

Heute ist die Entscheidung gefallen, dass der Großflughafen in Schönefeld gebaut wird. Wie der föderale Ansatz zwischen den drei Ländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt aussah, haben wir erlebt. Jeder versuchte, seine großen Träume vom Fliegen auf kleinen Plätzen in seinem eigenen Land umzusetzen. Es gab einmal die schöne Idee, sich mit dem Großflughafen Leipzig/Halle als Alternative zu Schönefeld zu bewerben, vielleicht – das werden Sie nicht gern hören, Herr Lichdi – mit einer flotten ICE- oder gar Transrapidverbindung von Leipzig nach Berlin. Die Verwirklichung dieses Projektes wäre gelebter Föderalismus gewesen. Wir als Sachsen haben insoweit unsere Hausaufgaben nicht gemacht.

Die zweite kleine eigene Föderalismusreform erleben Sie gerade. Sie heißt Verwaltungs- und kleine Kreisgebietsreform. Ich bin sehr gespannt, was wir da machen. Seien wir im Bund laut, wenn es darum geht, in der Diskussion über die Föderalismusreform sächsische Interessen zu vertreten! Zeigen wir zuvor aber in Sachsen bei der Verwaltungs- und Kreisgebietsreform, wie man eine Reform vernünftig anpackt! Zeigen wir, dass man es hier zügig und besser machen kann als anderswo.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Jetzt eine Fraktionsvorsitzende; Frau Hermenau, für die GRÜNEN, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Kollege Dulig, die Detaildiskussion kann möglicherweise zu diesem Thema verfrüht sein. Aber generell ist es doch so, dass der Vorschlag der Ministerpräsidenten abgeschlossen ist, dass im Bundesrat eine Entscheidung getroffen und das Paket dem Bundestag übergeben wurde. Das muss doch auch logischerweise heißen – da gebe ich der Linksfraktion.PDS Recht –, dass ein Ministerpräsident, der ein solches Paket im Bundesrat mit verabschiedet hat, in der Lage sein muss, sich wenigstens in groben Zügen und prinzipiell über die Folgen seines Tuns im Klaren zu sein. Insofern könnte er auch hier problemlos Rede und Antwort stehen. Ich glaube, Sie zögern das nur hinaus, weil Sie der SPD-Fraktion im Bundestag die Gelegenheit geben wollen, über ein paar Gebiete noch einmal zu diskutieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Das ist an sich nicht schlimm, aber ich wollte noch einmal klarstellen: Für den Sächsischen Landtag muss das nicht relevant sein, aber es ist sehr wohl relevant, den Ministerpräsidenten zur Diskussion zu bitten, wenn es darum geht, die Folgen seines Tuns hier für das Land deutlich zu machen. Insofern ist der Antrag der Linksfraktion.PDS, der zwar wirklich sehr detailfreudig ist, trotzdem nicht verfehlt.

Ich glaube, dass mehr Macht für die Landesregierungen und Landesparlamente im Kern und prinzipiell in die richtige Richtung geht. Wir unterstützen das durchaus. Das ist natürlich auch mit der Frage der Föderalismusreform angepackt worden. Da kann man nun über die einzelnen Fachgebiete streiten – seien Sie sich gewiss, bei Bildung und Umwelt haben wir eine Menge Diskussionsbedarf –, aber im Kern werden natürlich Landtagswahlen wichtiger werden, wenn eine Föderalismusreform erfolgreich abgeschlossen wird. Wir haben dann wieder Landtagswahlen und nicht irgendwelche verkappten Bundestagswahlen. Ich kann damit sehr viel anfangen, ehrlich gesagt, denn dann werden mehr politische Ideen auf dem Markt sein. Das muss nicht schädlich sein, sondern im Gegenteil, das ist ein positiver politischer Wettbewerb.

Die Begründung des Antrages der Linksfraktion.PDS geht davon aus, dass das Gesetzgebungsverfahren zur Föderalismusreform noch vor der Sommerpause erledigt wird. Das schreiben Sie jedenfalls in Ihrer Begründung. Ich halte das inzwischen für eine außerordentlich kühne Behauptung. Ich gebe gern zu, Sie haben diesen Antrag im Januar geschrieben. Da hat man noch diese Perspektive gehabt. Im Prinzip muss man jetzt davon ausgehen, dass wir wahrscheinlich erst im Herbst wissen, was der Bundestag dazu entscheidet, wenn er auch im Mai eine

mehrtägige Anhörung zu diesem Thema durchführen möchte.

Was an der Föderalismusreform interessant ist, ist zum Beispiel, dass Verwaltungsverfahren nicht per se zustimmungspflichtig sein sollen. Das wird wirklich zur Entbürokratisierung beitragen. Sowohl Bund als auch Länder gewinnen mehr Handlungsfähigkeit.

Problematisch finde ich, dass Geld- und Sachdienstleistungsgesetze, zum Beispiel die Frage der Asylbewerber und der Kitas, weiter zustimmungspflichtig sein sollen. Das ist, glaube ich, verfehlt. Man wird es hinnehmen müssen, wenn man es so beschließt. Aber das ist, glaube ich, ein Diskussionspunkt im Bundestag in Berlin, wenn ich das richtig verstanden habe. Es ist nach meinem Geschmack immer noch viel zu viel konkurrierende Gesetzgebung zustimmungspflichtig.

Die Abweichungsgesetzgebung in den Bereichen Umwelt, Recht und Bildung widerspricht ganz erheblich europarechtlichen und europapolitischen Notwendigkeiten. Das ist das Grundproblem. Da brauchen Sie gar nicht so herummosern, Herr Herbst. Ihre Frau Pieper, die Sie einmal für die große FDP-Ostfrau gehalten haben – jedenfalls in der Vergangenheit –, hat deutlich gesagt – in dieser Frage stimme ich ihr auch zu –, dass es natürlich relevant ist, dass Deutschland in der Lage ist, europaweit und innerdeutsch vergleichbare Abschlüsse im Hochschulbereich zu haben. Dort gibt es eine Reihe von erheblichen Problemen. Da fahren die Deutschen mit angezogener Handbremse. Da kann man sich lange über eine so oder so gestaltete Wirtschaftsdynamik morgen unterhalten – wenn wir im Bildungsbereich mit angezogener Handbremse fahren, verfehlen wir eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation.

Was noch interessant ist – zumindest für Ihren Bundestagsabgeordneten Herrn Burgbacher aus BadenWürttemberg –: Die FDP hat Skepsis im Bereich der Beamtenbesoldung angemeldet, was ja eigentlich nach geltendem Recht ein Flächentarifvertrag ist, wenn man so will. Ich finde das deshalb interessant, weil hier wahrscheinlich ein FDP-Klientelschutz greift. Wenn Sie das anders sehen, können Sie das noch einmal darstellen. Für mich ist die Frage der länderspezifischen Beamtenbesoldung durchaus eine der wichtigsten Regelungen, wenn auch eine sehr schwierige Frage. Es ist eben so, dass die Lebenshaltungskosten in München anders sind als in Panschwitz-Kuckau. Deswegen ist es auch normal, dass man überlegt, ob gleichwertige Lebensverhältnisse nicht auch mit unterschiedlichen Besoldungen erreichbar sind. Das ist keine verbotene Debatte.

Genau diese Fragen hätte ich heute furchtbar gern diskutiert. Wir können es auch noch im April, Mai oder Juni tun. Wir haben genügend Zeit. Die Linksfraktion.PDS hat in ihrem Antrag kein Datum genannt. Vor diesem Hintergrund kann man dem Antrag sowieso zustimmen. Wir können die Debatte gern, wenn es der Union oder der

SPD genehm ist, auch noch in einem späteren Plenum führen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Es ist schon avisiert worden, Herr Dr. Friedrich, Linksfraktion.PDS, dass noch Aussprachebedarf besteht. Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Nun kommt doch noch eine inhaltliche Debatte zustande, was ich begrüße. Auch der Herr Ministerpräsident wurde vor kurzer Zeit gesichtet. Er wird sich im näheren Umfeld aufhalten. Ich gehe davon aus, dass er sich jetzt auf eine Regierungserklärung vorbereitet.

Kurz und gut, Scherz beiseite: Wir müssen höllisch aufpassen, dass aus der Mutter aller Reformen nicht die Schwiegermutter oder gar die Rabenmutter wird. Ich will nicht schwarz malen und hier durchaus ein differenziertes Bild zeichnen.

Natürlich gibt es Licht und Schatten. Ich sehe es wie Kollegin Hermenau, dass diese Reduzierung der Zustimmungspflichtigkeit bei Bundesgesetzen und das Einschränken der Möglichkeit, dass der Bund direkt auf die Kommunen zugreift und Gesetze und Aufgaben, die kostenintensiv sind – Stichpunkt hier Hartz IV und KitaBetreuung –, für die Zukunft ausgeschlossen sind, ganz unzweifelhaft als einen Erfolg. Auch wenn ich mich schon wundere, dass man nicht klar auf die doch einfache Frage eine Antwort finden kann, welche zentralen Reformvorhaben der verblichenen rot-grünen Regierungskoalition eigentlich nicht mit diesem neuen Paket gestoppt worden wären. Da muss man erst den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages bemühen, um diese doch auf der Hand liegende Frage schlüssig beantworten zu können. Das ist schon etwas komisch.

Was wir bedauern, ist, dass das Konnexitätsprinzip, also die Finanzen folgen den Aufgaben, leider wiederum nicht in das Grundgesetz kommen soll, denn die eigentliche Not der Kommunen ist ja vor allem in dem so genannten Altaufgabenbestand zu sehen. Wenn bei Hartz IV oder bei den Kitas jetzt andere Standards gesetzt werden, nützt das, was jetzt für die Kommunen günstig in das Grundgesetz hineinkommen soll, herzlich wenig. Die Kommunen müssen zum Beispiel bei neuen Standards in der Grundsicherung oder Ähnlichem, die sicherlich angezeigt sind, am Ende draufzahlen.

Auch gibt es leider nicht so etwas, was zum Beispiel in Österreich oder einigen skandinavischen Ländern selbstverständlich ist, nämlich geregelte Anhörungsrechte der kommunalen Seite und geregelte Konsultationsmechanismen, insbesondere bei kostenpflichtigen Gesetzen. Das alles hat man verabsäumt. Kein Wunder; ich sagte es schon, die Kommunen waren wirklich nur vor der Tür.

Sie waren nicht im Verhandlungsraum. Sie waren buchstäblich im Vorraum und damit ausgesperrt.