Protocol of the Session on March 16, 2006

Sie waren nicht im Verhandlungsraum. Sie waren buchstäblich im Vorraum und damit ausgesperrt.

Weiterhin will – oder besser gesagt: muss – nach dem Kompromiss der Bund auf einige finanziell durchaus bedeutsame Investitionsprogramme verzichten, mit denen er faktisch in die Entscheidungshoheit der Länder eingegriffen hat, zum Beispiel die Gemeinschaftsaufgaben Hochschulbau, Bildungsplanung, aber auch beim Wohnungsbau und bei der Gemeindeverkehrsfinanzierung. Ob dies alles so vernünftig ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Aber das sind dann ausführlichere Fachdiskussionen. Denen will ich hier nicht vorgreifen.

Die Länder haben bekanntlich 14 Rechtsmaterien neu übertragen bekommen. Wir sehen vier Bereiche kritisch. Einer wurde bereits angesprochen: die Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Mit der weiteren Verlagerung der Kompetenzen an die Länder verschärft sich unseres Erachtens massiv der Widerspruch zwischen einer zunehmenden Kleinstaaterei in der Ausbildung und dem Anspruch an die Bürger, doch länderübergreifend oder gar europaweit mobil zu sein.

In der Hochschullandschaft würde ein solcher platter Wettbewerbsföderalismus, Kollege Zastrow, dazu führen, dass die bereits jetzt bestehenden massiven Asymmetrien zu finanzkräftigen Bundesländern im Süden und Westen verstärkt werden, auch leider für uns, die wir nicht dazugehören.

Wenn es dem Bund zukünftig untersagt sein soll, den Ländern finanzielle Hilfen für Schulen und Hochschulen zu gewähren, zum Beispiel für das Programm der Ganztagsschulen, dann muss man sich ernsthaft fragen, ob das die richtige Antwort auf „Pisa“ ist.

In der Umweltpolitik wird es besonders krud, denn dann soll es dem Bund gestattet sein, einerseits zwar die äußerst zersplitterten Rechtsgebiete in einem einheitlichen Umweltgesetzbuch bis 2009 zusammenzufassen. Zugleich, und das hat Kollegin Hermenau bereits gesagt, sollen die Länder umfangreiche Abweichungskompetenzen bekommen. Das ist nicht nur europarechtlich problematisch, sondern noch schlimmer – ich verweise auf den letzten „Spiegel“, der dieses Problem ausführlich beleuchtet hat –, wenn die Länder sich sogar mit Berufung auf das bekannte Urteil zur Juniorprofessur vor dem Bundesverfassungsgericht Rechtsmaterien zurückholen dürfen, die sich einstmals der Bund aus gutem Grund herangezogen hat. Ich verweise auf die so genannte Erfordernisklausel nach Artikel 72 Abs. 2 Grundgesetz, nämlich als mittelbares Staatsziel die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet. Wir akzeptieren diese Rechtsprechung zur Juniorprofessur, aber damit wurde dieses mittelbare Staatsziel massiv ausgehöhlt und relativiert.

Es ist zu befürchten, dass Rechtsmaterien eingeklagt werden und Stück für Stück an die Länder zurückgehen. Das würde einerseits ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte und Sachverständige bedeuten – damit könnte man zur Not noch leben –;

womit man nicht leben kann, ist der Kompetenzwirrwarr im Umwelt- und Planungsrecht. Das hatten wir im Jahr 2002 bei der Hochwasserkatastrophe leidvoll zu spüren bekommen. Dieser Wirrwarr wird nicht überwunden, sondern eher noch verstärkt.

Ich nenne ein konkretes Beispiel aus meiner Heimat. Das nächste Mulde-Hochwasser kommt ganz bestimmt, und es wird sich ganz gewiss nicht darum kümmern, dass in meinem Nachbarlandkreis Bitterfeld in Sachsen-Anhalt in provokativer Weise die Deichdämme zwar erneuert wurden, aber rund ein Meter höher sind als in meinem Landkreis Delitzsch. Natürlich würde bei einem neuen Hochwasser das sächsische Gebiet massiv „absaufen“, um es einmal so deutlich zu sagen, und das nur, damit Bitterfeld gerettet ist. Ich gönne Bitterfeld das, aber solch eine Kurzsichtigkeit ist, wenn es ernst wird, tödlich.

Schlichtweg aberwitzig ist das Vorhaben, den Strafvollzug voll und ganz den Ländern zu überlassen. In den deutschen Gefängnissen soll es künftig nicht mehr einigermaßen einheitlich zugehen – so wie gegenwärtig nach Bundesgesetz –, sondern so verschieden, wie es im Prinzip 16 Landtage nur wollen. Zwölf ehemalige Justizminister und die gesamte Fachwelt haben bisher vergeblich gegen diesen Unfug protestiert, der den Strafvollzug in der Tendenz zwar billiger machen würde, aber eben auch populistischer und – ich sage das so deutlich – gefahrvoller. Wohin die Reise gehen soll, das hat der bayerische Ministerpräsident Stoiber schon angekündigt: Der Strafcharakter soll wieder deutlich hervorgekehrt werden. Die Resozialisierung, das erklärte Ziel nach der Reform in der sozialliberalen Ära im Jahr 1977, wird dann in den Hintergrund treten.

Die Übertragung der Zuständigkeit für Besoldung und Versorgung der Beamten erscheint natürlich auf den ersten Blick logisch und nachvollziehbar, ist es doch einer der größten Posten in unserem Landeshaushalt. Allerdings diese Deregulierung zulasten der Betroffenen – sprechen wir es klar aus: Es wird eine Absenkung der Standards geben, siehe jetzt die Tarifauseinandersetzungen – als Erfolg zu verkaufen, wie es Finanzminister Dr. Metz unlängst getan hat, ist zumindest blauäugig. Sehr schnell wird sich auch Sachsen in einem knallharten Wettbewerb mit den wesentlich finanzkräftigeren Süd- und Westländern wiederfinden, einem Wettbewerb, den wir, anders als die FDP glaubt, mit Sicherheit nicht gewinnen können. Es wird sich der Bayern-München-Effekt einstellen: Nur die finanzkräftigsten Clubs können sich die stärksten Spieler leisten.

Natürlich ist es positiv, dass das Ende des machtpolitischen Missbrauchs des Bundesrates als ErsatzOppositionszentrum der Länderfürsten absehbar ist. Es wäre dennoch ein sehr, sehr großer Fehler, diese umfangreichste Novellierung des Grundgesetzes seit Jahrzehnten allein nach dem Motto eines mittelalterlichen Jahrmarktes „Gibst du mir eins, geb ich dir eins“ durchzuführen. Diese Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen. Es ist deshalb unverantwortlich, nach der Methode Schröder das

Gesetzespaket nicht mehr aufschnüren und ohne Änderungen im Ganzen mit einem Basta-Ruf durchstimmen zu wollen. Da ändern auch die leichten, mahnenden Worte Ihres SPD-Fraktionsvorsitzenden Struck, die dazu dienen, am Ende die Mehrheit zu sichern, herzlich wenig.

Abschließend: Die Linksfraktion.PDS unterstützt den Umbau des Staates mit dem Ziel eines kooperativen solidarischen Föderalismus. Das ist der zentrale Unterschied zur FDP-Fraktion. Bereits beim Lübecker Konvent haben wir gesagt, dass wir uns sehr wohl dem Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Solidarität stellen und mitnichten einer Nivellierung aller Lebensverhältnisse das Wort reden. Genau wie kommunale Selbstverwaltung Unterschiedlichkeit erzeugt, Wettbewerb voraussetzt und auf die Kraft der Vernunft vor Ort setzt, ist das eine Ebene höher auch so. Diese Unterschiedlichkeit – denken wir – darf aber nicht zu Wettbewerbsverzerrungen oder, noch schlimmer, zu einem Wettbewerbsföderalismus führen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass dieses mittelbare Staatsziel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet nicht aufgegeben wird. Wir bedauern zutiefst, dass die Reform bei Weitem nicht dem gerecht wird, was an Umbau des kooperativen solidarischen Föderalismus möglich und erforderlich gewesen wäre.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir sind in der zweiten Runde der Aussprache der Abgeordneten. Gibt es weiteren Aussprachebedarf? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich frage die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Winkler, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute mehrfach gehört, dass sich die Föderalismusreform in der entscheidenden Phase befindet. Es war im November 2005, als die Koalitionspartner auf Bundesebene auf Bundesparteitagen die Koalitionsvereinbarung beschlossen haben. Hierin waren die Regelungen zur Föderalismusreform enthalten. Bund und Länder haben seitdem die Reform in einen konkreten Gesetzgebungsvorschlag umgewandelt. Dieser ist am Freitag, dem 10. März, zeitgleich in Bundesrat und Bundestag eingebracht worden. Es ist geplant, bis zur Sommerpause das Gesetzgebungsverfahren abzuschließen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor wir uns mit Umsetzungsfragen dieser großen Verfassungsreform befassen, sollte nach unserer Auffassung das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein. Dabei gilt es zu bedenken, dass nach der Reform für Bund und Länder überhaupt kein Zeitdruck für Folgeänderungen besteht. Für die Schaffung eines modernen Dienstrechts etwa, das ich für einen ganz wesentlichen Eckpfeiler dieser Föderalismusreform halte, sollten wir uns wirklich gründlich Zeit nehmen, um die besten Lösungen zu bekommen. Es

soll mit dieser Reform ein Wettbewerb der Bundesländer entstehen. Um in diesem Wettbewerb bestehen zu können, brauchen wir gute Lösungen, die etwas Zeit beanspruchen. Wir haben keinen Zeitdruck, denn zum Beispiel für diesen Fall gilt das bisherige Besoldungs- und Versorgungsrecht des Bundes ohne Abstriche weiter. Das gilt auch für andere Regelungen, die durch die Reform von den Ländern geändert werden müssen.

Im Übrigen möchte ich Sie bei dieser Gelegenheit darin erinnern, dass ich am 20. Dezember 2005 über die Eckpunkte der Föderalismusreform und die Auswirkungen für den Freistaat Sachsen in einem Papier informiert habe. Ich habe das allen Fraktionen zugesandt. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es dem damaligen Stand eigentlich inhaltlich nichts hinzuzufügen. Ich möchte nur noch so viel sagen: Es wird immer gefragt, wer der eigentliche Gewinner oder Nutznießer dieser Reform ist. In meinen Augen sind das ganz klar die Landtage und die Bürger: die Landtage deshalb, weil sie mehr Gesetzgebungskompetenzen erhalten und damit ihre Bedeutung als gesetzgebendes Verfassungsorgan aufgewertet wird, und die Bürger profitieren von einer klaren Aufgabenteilung zwischen Bund und Land, die das System der politischen Verantwortung verständlicher macht.

Meine Damen und Herren, die Umsetzung der Föderalismusreform wird uns gemeinsam in dieser Legislaturperiode noch öfter beschäftigen, ob nun in Form von Regierungserklärungen oder Anträgen ist daher angesichts der inhaltlich zu klärenden Fragen für mich von zweitrangiger Bedeutung.

Wir sollten allerdings die Debatte, wie in diesem neu geordneten Kräftespiel der Sächsische Landtag eingebunden wird, dann führen, wenn diese neuen Zuständigkeiten ganz klar sind. Bis dahin kann ich nur an alle appellieren, mit dem Thema verantwortungsbewusst umzugehen.

Es handelt sich – das ist auch schon gesagt worden –, wirklich um die größte Verfassungsreform seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949. Es geht nicht nur um die Durchsetzung eines ideologischen Lieblingsprojektes wie etwa des Dosenpfandes. Vielmehr soll durch eine grundlegende Entflechtung der staatlichen Ebenen unsere föderale Ordnung wieder handlungsfähig und effektiv gemacht werden. Wir wollen Deutschland fit machen für das 21. Jahrhundert und für die damit im Zusammenhang stehenden Herausforderungen. Ich hoffe, dass uns das gemeinsam auch gelingt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Meine Damen und Herren! Ergibt sich daraus noch einmal der Wunsch zur Aussprache? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zum Schlusswort. Herr Prof. Porsch für die Linksfraktion.PDS.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein Kollege Dr. Pellmann hat heute früh seiner Verwunderung Ausdruck gegeben, dass eine Aktuelle Debatte mit einer Regierungserklärung begonnen hat. Kollege Heinz von der CDU-Fraktion hat das kritisch aufgegriffen und zurückgewiesen mit den Worten: Eine Regierungserklärung sieht anders aus.

Ich stelle fest – Dr. Pellmann wird es mir nachsehen –: Herr Heinz hat Recht. Eine Regierungserklärung zumindest in Sachsen ist genau daran zu erkennen, dass sie gar nicht stattfindet.

(Beifall der Abg. Regina Schulz, Linksfraktion.PDS)

Das ist die Eigentümlichkeit. Obwohl wir uns eine Regierungsbank vorhalten, hat die Anwesenheit und die Besetzung dieser Regierungsbank am Anfang durchaus die Annahme aufkommen lassen, wir hätten gar keine Regierung. Woher soll dann auch eine Regierungserklärung kommen?

Ich muss sagen, offensichtlich waren auch viele Abgeordnete dieser Meinung: Wenn wir keine Regierung haben, können wir auch keine Regierungserklärung hören. Deshalb sind sie gar nicht erst hierher gekommen.

Es hat sich aber – und sie haben etwas verpasst – eine durchaus interessante Debatte entwickelt, nämlich aufgrund der Redebeiträge der Oppositionsparteien. Ich stelle fest: In Sachsen nimmt die Opposition in ihrer ganzen Vielfalt die Problematik der Föderalismusreform wesentlich ernster als die Regierung, und sie hat auch mehr dazu zu sagen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der FDP und der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Ich kann nicht glauben, dass der Ministerpräsident nur deshalb sagt, man darf das Reformpaket nicht aufschnüren, weil er Angst hat, dass es dann nicht gelingen könnte, sondern dazu muss es doch auch irgendwelche inhaltlichen Fragen geben, inhaltliche Begründungen. Die hätte ich hier gern gehört und argumentativ behandelt gewusst.

Wir haben nichts gehört. Damit bleibt unsere Forderung nach einer Regierungserklärung zur Föderalismusreform aktuell. Wir haben heute nur etwas gelernt: Wir haben gelernt, welche Rolle nach Ansicht der Staatsregierung und der CDU-Fraktion das Landesparlament in diesem Zusammenhang spielen soll.

Herr Schiemann hat uns gesagt, wir sind Beobachter. Herr Winkler hat uns gesagt, wir sollten uns Zeit nehmen, abwarten, Tee trinken. Herr Winkler und Herr Schiemann, Sie sollten auch etwas lernen: Uns ist das einfach zu wenig. Deshalb bleiben wir in der Frage am Ball und lästig.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der FDP und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Meine Damen und Herren, das war das Schlusswort. Wir kommen zur Abstimmung. Ich stelle die Drucksache 4/4119 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Die Stimmenthaltungen? – Bei keiner Stimmenthaltung und vielen Dafür-Stimmen ist das Ganze mehrheitlich abgelehnt worden. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt beendet.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 6

Bilanz und Entwicklungsperspektiven des sächsischen Weinbaus als Wirtschaftsfaktor und Kulturgut

Drucksache 4/4182, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung

(Allgemeine Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Die Reihenfolge: Die CDU beginnt und dann die gewohnte Folge. Für die CDU spricht Herr Abg. Dr. Rößler; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Deutscher Wein kommt in der Hymne vor!)

Kollege Zastrow, um gleich den Verdacht zu nehmen, dass hier wieder das Murmeltier grüßt, wenn es um den Weinbau geht,

(Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP)

muss ich einfach im Land der Reformation mit einem Luther-Zitat aus seinen Tischgesprächen einsteigen: „Der

Wein ist göttlich und hat in der Heiligen Schrift Zeugnis. Das Bier dagegen ist nur menschliche Überlieferung.“