Protocol of the Session on December 8, 2005

Dieser ganze Reformzinnober ist von der Sache her schlicht überflüssig, weil die bisherige deutsche Universitätslandschaft auch ohne „Bologna-Prozess“ qualifiziert sein könnte, um im internationalen Vergleich mithalten und Jungakademikern hinreichende Zukunftsperspektiven bieten zu können. Wenn das in der Praxis häufig nicht so ist und das bundesdeutsche Bildungswesen – sowohl die Schule als auch die Hochschule – immer mehr Mittelmaß produziert, dann hat das andere Ursachen, die in der etablierten Politik begründet liegen. Aber deswegen muss man nicht gleich das bisherige Hochschulwesen zu Tode reformieren.

Die angestrebte Reform wird nicht zu den behaupteten Qualitätssteigerungen führen, weil dies mit einer europaweiten Vereinheitlichung der Studiengänge, die in der Praxis vor allem durch eine immer noch nebulöse „Modularisierung“ der Studienangebote geschehen soll, schlicht nicht zu erreichen ist. In der Praxis wird die Fragmentierung der Studiengänge in kleine, leicht verdauliche Häppchen – und auf nichts anderes läuft das Sammeln der so genannten Module hinaus – zu einem Qualitätsverlust führen. Die Studierenden werden sich auf eine halb- oder pseudowissenschaftliche „Schnipseljagd“ begeben müssen, die mit dem klassischen Studium, seinen

Regularien und seinem bewährtem Wissenskanon nichts mehr gemein hat.

Die NPD-Fraktion hatte zur Expertenanhörung im Wissenschaftsausschuss, die sich im September mit dem Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Sächsischen Hochschulgesetzes auseinander zu setzen hatte, Herrn Prof. Bernd Rabehl als Sachverständigen benannt. Ich möchte bei dieser Gelegenheit aus dem Protokoll Prof. Rabehls Äußerungen zum eben genannten Aspekt in Erinnerung rufen. Er sagte:

„Die europäische Universität wird dem bürokratischen Aufwand erliegen, Bausteine von Wissen zu benennen, Methoden vorzustellen, um Wissen zu reduzieren bzw. zu nivellieren, um einen Grad oder Titel zu geben. Die Massenausbildung wird jede Qualität zerstören. Die Studenten werden zu Schülern gemacht, die einem Prüfungspensum folgen müssen, und die Dozenten sind mit ihrem Spezialwissen eher Lehrer und haben mit den Professoren der Universität kaum etwas gemein.“

Diese Entwicklung wird niemand ernsthaft befördern wollen. Die Befürworter der Hochschulreform heben ständig den Aspekt der Qualitätssteigerung hervor, obwohl es genügend berechtigte Einwände gegen diese kühne These gibt. Aber faktisch werden Sie mit der hier zur Diskussion stehenden Reform gerade das Gegenteil erreichen. Sie werden europaweit nach unten nivellierte Schmalspur-Studiengänge bekommen und Studienabgänger, die der gegenwärtigen Wirtschaftswelt noch weniger als bisher gewachsen sind.

Da es sich aber bei der Hochschulreform für die anderen Fraktionen um ein ideologisches Großprojekt zur Abwicklung der bisherigen deutschen Universitätslandschaft handelt, darf Sachargumenten und kritischen Einwänden aus dieser Perspektive einfach keine Beachtung geschenkt werden. Die Hochschulreform soll – wie so vieles andere, was aus Brüssel vorgegeben wird – durchgepeitscht werden, koste es, was es wolle, ohne Rücksicht auf die Betroffenen, ohne Rücksicht auf die Belange des Bildungsstandortes Sachsen und ohne Rücksicht auf die Lebens- und Berufsperspektiven der jungen ins Studium drängenden Generation.

Ich unterstreiche an dieser Stelle nochmals: Für uns als Nationaldemokraten besteht überhaupt keine Notwendigkeit, die deutsche Hochschullandschaft im Zuge des „Bologna-Prozesses“ zu reformieren, auf europäische Einheitsstandards zu entwerten, dabei gravierende Einbußen an Qualität hinzunehmen und die deutschen Hochschulen nicht zuletzt auch noch aus ihrer historischen Tradition herauszureißen und zu geschichts- und gesichtslosen No-name-Bildungsfabriken in der „Unschönen Neuen Welt“ umzumodeln.

Ich will noch einmal unseren Sachverständigen bei der Expertenanhörung, Prof. Rabehl, zu Wort kommen lassen. Er sagte: „Die Unterschiede zwischen den Universitäten, aber vor allem zu den Fachhochschulen oder Fachschulen, gehen verloren. Die nationalen und regionalen Differenzen werden ignoriert oder werden überspielt. Fehlausbil

dungen sind nicht zu vermeiden. Die europäische Universität wird die nationalen Sprachen mit den nationalen Traditionen zerstören und sich auf Pidgin-Sprachen, Techniksymbole, Stichworte einigen und sie wird die unteren Glieder von Teilzeitarbeit oder Gelegenheitsarbeit bedienen, weil es eine Abstimmung auf diesem Niveau mit dem Arbeitsmarkt gar nicht geben kann.“

Weil wir als NPD-Fraktion die aus Brüssel vorgegebene Bildungsvereinheitlichung und die damit einhergehenden Qualitätsverluste ablehnen, versagen wir auch der hier zur Diskussion stehenden Novelle des Sächsischen Hochschulgesetzes die Zustimmung.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort. Herr Dr. Schmalfuß, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der BolognaProzess wird mit der heutigen Abstimmung des Gesetzes zur Änderung des Sächsischen Hochschulgesetzes eine verbindliche rechtliche Grundlage erhalten. Das vorliegende Hochschulgesetz ist in seinem Grundgefüge weiterhin durch zahlreiche bürokratische Regelungen und eine augenscheinliche staatliche Lenkung der Fach- und Hochschulen ausgelegt.

In der Aktuellen Debatte vom 7. Dezember 2005 zum Thema „Position der Staatsregierung zur Hochschulreform und zur Einführung von Studiengebühren“ wurde durch die Staatsregierung ausgeführt, dass durch die große Novelle des Hochschulgesetzes, die im Frühjahr 2006 dem Sächsischen Landtag vorgelegt werden wird, der notwendige zukunftssichernde Handlungsrahmen für die Fach- und Hochschulen vorgegeben wird.

Vor dem Hintergrund der Ausführungen der Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst in der gestrigen Debatte wird die FDP-Fraktion dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen, da eine gesetzliche Regelung dringend erforderlich ist, um den Bologna-Prozess an den sächsischen Fach- und Hochschulen erfolgreich zu gestalten.

Die Notwendigkeit des vorliegenden Gesetzentwurfes wurde von den Sachverständigen trotz bestehender Bedenken in der öffentlichen Anhörung vom 29. September 2005 eindeutig hervorgehoben. Die Zielsetzung im Rahmen der Umsetzung des BolognaProzesses im Freistaat Sachsen ist die Entwicklung einer zukunftsfähigen sächsischen Forschungs- und Wissenschaftslandschaft. Internationaler Wettbewerb und die notwendige Vergleichbarkeit von Abschlüssen müssen die Qualität des Studiums und die Arbeitsmarktchancen der sächsischen Absolventen verbessern. Für eine effiziente und erfolgreiche Gestaltung des Bologna-Prozesses sind motivierte Studenten und Lehrkräfte an den Fach- und Hochschulen in Sachsen zwingende Voraussetzung.

Sehr geehrte Damen und Herren! An allen sächsischen Bildungseinrichtungen sind enorme Ressourcen in Form

von Arbeitsleistungen, die mit der Akkreditierung der neuen Studiengänge verbunden sind, sowie weitere finanzielle Aufwendungen erforderlich, um den BolognaProzess zu bewältigen. Die vorgenannte zusätzliche Ressourceninanspruchnahme neben der obligatorischen Forschung und Lehre ist es, die den Fach- und Hochschulen bei unverändertem Budget die Umsetzung des Bologna-Prozesses erschwert.

Wir als FDP-Fraktion haben mit einem Antrag – vergleiche Drucksache 4/0890 – einen umfassenden Bericht zur Einführung der neuen Studiengänge eingefordert. Die Antworten der Staatsregierung sind aufschlussreich, um die Umsetzung des Bologna-Prozesses aktiv zu begleiten. Das zentrale Augenmerk im Zusammenhang mit der Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse ist die Akzeptanz der neuen Abschlüsse in der Wirtschaft.

Die Sächsische Staatsregierung hat in ihrer Stellungnahme zum Antrag der FDP-Fraktion ausgeführt, dass die Wirtschaft zurückhaltend reagiert und eine Verbesserung vor allem durch wesentlich kürzere Studienzeiten erwartet wird.

Ein weiterer Aspekt, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die langfristige Auswirkung des BolognaProzesses auf die sächsische Bildungslandschaft. Durch die Bachelor- und Masterstudiengänge an den Fach- und Hochschulen werden ausschließlich die Qualität und der Inhalt des jeweiligen Studienganges zählen. Der beginnende Wettbewerb zwischen Fachhochschulen, Universitäten und der Berufsakademie Sachsen wird interessante Ergebnisse mit sich bringen.

Eine elementare Voraussetzung ist allerdings, dass alle auch die gleichen Startchancen haben und der Ausgang des Wettbewerbs nicht durch eine unterschiedliche Finanzierung durch den Freistaat Sachsen entschieden wird.

Der Bologna-Prozess wird die Hochschullandschaft in Sachsen grundlegend ändern, wissenschaftliche Kräfte bündeln und hoffentlich zu einem Erfolg werden. Der zu verabschiedende Gesetzentwurf regelt dabei das notwendige Verfahren; nicht mehr und nicht weniger.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU)

Ich erteile der Fraktion GRÜNE das Wort. Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Andreas Keller schreibt in seiner 2004 erschienenen Studie „Alma mater bolognese“: „Bologna-Prozess – Nicht nur viele Studierende, sondern auch Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer vermuten hinter diesem Begriff nach wie vor ein Gerichtsverfahren infolge eines Anschlags auf den Bahnhof der gleichnamigen oberitalienischen Stadt. Oder sie denken an die in derselben Stadt entwickelte Hackfleischsoße.“

Ich befürchte, dass diese Aussage ebenso auf die Politik und auf die Öffentlichkeit zutrifft, und ich hoffe, dass die heutige Debatte einen Beitrag zur weiteren Aufklärung leisten kann. Meine Vorredner haben ihren Teil dazu schon getan. Ich will es auch versuchen.

Der Bologna-Prozess wurde und wird immer noch sehr kontrovers diskutiert. Wir GRÜNEN im Sächsischen Landtag begrüßen die Verankerung des Prozesses im Sächsischen Hochschulgesetz ausdrücklich. Damit wird eine rechtliche Grundlage für das Streben der sächsischen Hochschulen nach größerer Internationalität und nach besseren Anschlussmöglichkeiten in die Berufswelt geschaffen.

Für unsere Fraktion ist die Umsetzung des BolognaProzesses im Zuge des geeinten Europas und eines gemeinsamen europäischen Wissensraumes unabdingbar und höchst unterstützenswert. Zum einen bietet er die Grundlage für größere Mobilität der Studierenden und damit auch für einen verstärkten Wissenstransfer über die nationalen Wissenschaftsgrenzen hinaus. Zum anderen kann die Internationalisierung eines Studiums ein Beitrag zum europäischen Zusammenwachsen sein, ja, einen Beitrag zur Bildung einer europäischen Identität leisten.

Die Grundzüge des Bologna-Prozesses sind mehr Offenheit, mehr Flexibilität, mehr Internationalität. Dieser Geist von Bologna findet sich nach unserer Einschätzung im Gesetzentwurf leider nur unzureichend wieder.

Bevor ich zur Kritik komme, möchte ich aber Dank sagen. Ich danke zum einen den Studierenden und ihren Vertreterinnen und Vertretern, die seit Jahren die öffentlichen Debatten in diesem Bereich befördert und ihre Ziele und Vorstellungen deutlich gemacht haben, nicht zuletzt bei der Arbeit an dieser Gesetzesnovelle. Ich danke selbstverständlich den Lehrenden, nicht nur für ihre Beiträge zur Debatte, sondern vor allem auch dafür, dass sie alle bürokratischen Hürden der Umstellung auf das modularisierte System bewältigt und ganze Berge von Modulbeschreibungen entwickelt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU und der Linksfraktion.PDS)

Wirklich gut sind die Ergebnisse dieses aufwändigen Umstellungsprozesses dann, wenn nicht einfach alte Inhalte in neue Formen gegossen werden. Da kann ich Kollegin Raatz nur Recht geben: Aufgeteilte Diplomstudiengänge sind der falsche Weg. Es kommt vielmehr darauf an, die Chancen zur Verbesserung der Studienqualität zu nutzen, die die Bachelor- und Masterstudiengänge in vielfacher Hinsicht bieten.

Lassen Sie mich nur einige davon schlagwortartig nennen:

Der Prozess zielt von Anfang an auf eine größere Vielfalt von Studienbestandteilen. Das heißt, es soll keine ausschließliche Orientierung auf Lehrveranstaltungen mehr geben, sondern auch Praktika und selbstständige Studienleistungen sollen einbezogen werden.

Der Prozess lässt es zu, verschiedene Disziplinen interdisziplinär zu Modulen und neuen Studiengängen zu bündeln. Das heißt, wir sollten keine ausschließliche Orientierung der Studiengänge an Institutsstrukturen mehr haben.

Der Prozess erlaubt die Vergleichbarkeit von Studienleistungen auch international durch ein einheitliches Leistungspunktesystem.

Studienbegleitende Prüfungen – ich glaube, das ist unstrittig – sind auch leistungsadäquater als Abschlussprüfungen.

Nicht zuletzt in dieser kurzen Aufzählung: Auch der Bachelor, der von den Lehrenden wie von der Wirtschaft so oft kritisch gesehen wird – dies wurde hier dargelegt –, hat deutliche Vorteile. Er bietet einen kürzeren Weg zu einem ersten Hochschulabschluss und kann damit auch einen Beitrag zur Senkung der Studienabbruchquote leisten.

(Beifall bei den GRÜNEN, der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die Entflechtung von Bachelor und Master kann durch eine sinnvolle Praxispause neue Impulse für die persönliche Entwicklung des Einzelnen und für die wissenschaftliche Entwicklung insgesamt bringen.

Wenn wir von der Einführung der Bachelor- und Masterstruktur sprechen, müssen wir aber auch das Bewusstsein für den möglichen Missbrauch des Prozesses haben. Die Gefahr einer zu starken „Verschulung“ der Studiengänge gehört ebenso dazu wie die Gefahr der starken Bürokratisierung der aufwändigen Prüfungen. Vor allem aber müssen wir auf die Möglichkeit der Verwehrung des Zugangs zum Masterstudium durch Zulassungsbeschränkungen achten. Dadurch wäre eine Trennung in berufsqualifizierendes Schnellstudium für die breite Masse und ein darauf aufbauendes wissenschaftliches Studium für ausgewählte Eliten möglich.

Das vorliegende Ergebnis der parlamentarischen Beratung steht jetzt zur Diskussion. Zur Verabschiedung steht ein Gesetzentwurf an, der den im Jahr 2000 begonnenen Bologna-Prozess im Landesrecht nachvollzieht – und dies anerkennenswerterweise in Sachsen als einem der ersten Bundesländer. Zugleich ist es aber ein Gesetzentwurf, der aus unserer Sicht dem skizzierten Geist von Bologna in mindestens fünf wichtigen Punkten nicht gerecht wird und dadurch Chancen für die Verbesserung der Studienqualität ungenutzt lässt. – Welche Punkte sehen wir?

Das ist – erstens – die Neudefinition der Studienleistungen in Bezug auf Praktika und selbstständige Studienleistungen. In den Formulierungen des Gesetzestextes ist dies kaum wiederzufinden. Es findet eine Fixierung auf die bisherige Lehrveranstaltungspraxis statt.

Zweitens ist die ausreichende Flexibilität des Studiums nicht gewährleistet. Das Fehlen semesterübergreifender Module und einer Festschreibung des Teilzeitstudiums ist zu kritisieren. Meine Kollegin Werner hat dies bereits

ausführlich dargelegt. Auch aus unserer Sicht ist das Teilzeitstudium besonders geeignet, um Studienangebote an die Lebensrealität und an unterschiedliche Lebenslagen anzupassen und dadurch auch Studienabbrüche zu verhindern.

Drittens ist der Anspruch im Hinblick auf Internationalität nicht ausreichend erfüllt, und dies gleich in zweifacher Hinsicht. Die ausbleibende Verpflichtung zum europäischen ECTS-Leistungspunktesystem ist ein Punkt. Neben dem erprobten und an den europäischen Hochschulen etablierten ECTS-System bleiben in Sachsen weiterhin individuelle Leistungspunktesysteme möglich. Dadurch fehlt eine zentrale Voraussetzung für den Anschluss an den europäischen Hochschulraum.

Außerdem ist die bürokratische Anerkennungsprozedur für im Ausland erbrachte Studienleistungen durch die Prüfungsämter zu kritisieren. Damit wird ein unnötiger Hemmschuh für die Internationalität der sächsischen Hochschulen geschaffen. Nicht nur einheimische Studierende werden zu den höchst wünschenswerten und wichtigen Auslandsaufenthalten alles andere als ermutigt; auch die Attraktivität der sächsischen Hochschulen für ausländische Studierende sinkt deutlich, wenn die Anerkennung ihrer bisherigen Studienleistungen infrage steht.