Protocol of the Session on November 10, 2005

Ich schlage Ihnen vor, dass wir an dieser Stelle unsere Mittagspause einlegen. Wir treffen uns 14:50 Uhr wieder.

(Unterbrechung von 13.51 Uhr bis 14:50 Uhr)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir setzen unsere Beratung fort.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 4

2. und 3. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Änderung des Sächsischen Verwaltungsvorschriftengesetzes

Drucksache 4/2508, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Drucksache 4/3276, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses

Es ist keine Aussprache vorgesehen. Wünscht dennoch ein Abgeordneter das Wort zu nehmen?

(Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS: Ja, ich!)

Herr Abg. Bartl, Linksfraktion.PDS, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir hatten im bisherigen Gang der Behandlung tatsächlich nicht die Absicht, zu dieser Verwaltungsvorschrift respektive zu dem Gesetz zur Änderung des Sächsischen Verwaltungsvorschriftengesetzes eine große Debatte zu führen.

Wir hatten am vergangenen Montag im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss eine durchaus interessante Debatte, die sich im Wesentlichen über die Fraktionen hinweg auf ein Problem konzentrierte, und zwar auf die Frage, ob Verwaltungsvorschriften – das sind Vorschriften, die nicht den Charakter von Rechtsnormen haben, sondern die innerhalb der unmittelbaren Tätigkeit der Behörden und Ministerien erlassen werden, also Vorschriften, die im Prinzip darauf gerichtet sind, funktionelle Aufgaben zwischen den verschiedenen Behördenebenen und Ähnliches mehr zu lösen – auch veröffentlicht werden sollten bzw. ob wir, wenn wir diesen Gesetzentwurf so einstellen, zum Ausdruck bringen, unter welchen Voraussetzungen die entsprechenden Verwaltungsvorschriften erscheinen sollten.

Ich beziehe mich auf § 3. Hier steht: „Jeder Staatsminister macht die geltenden Verwaltungsvorschriften seines Staatsministeriums mit Titel und im Falle der Veröffentlichung auch mit Fundstellen durch eine gesonderte Verwaltungsvorschrift bekannt.“

Im dritten Satz des § 3 heißt es: „Eine Änderung der Verwaltungsvorschrift wird nicht gesondert bekannt gemacht. Stattdessen ist bei der Stamm-Verwaltungsvorschrift ein Hinweis auf die Änderungen aufzunehmen.“

Bereits in der Debatte im Ausschuss gab es Hinweise, dass diese Regelung jetzt mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kollidieren würde. Es ist Verwaltungspraxis, dass wir durchaus eine ganze

Reihe von Verwaltungsvorschriften im Freistaat Sachsen haben, die nicht veröffentlicht werden, das heißt, die über die Behörden hinaus, die mit der Vorschrift arbeiten, niemandem bekannt gemacht sind, im Konkreten zum Beispiel im ausländerrechtlichen Bereich, im Sozialhilfebereich und auch im Bereich der Straffälligenhilfe des Strafvollzugs.

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 25. November 2004 eine Entscheidung getroffen, in der gesagt wird, dass die Tatsache, dass eine Verwaltungsvorschrift als solche noch keine Rechtsnorm ist, nicht bedeutet, dass die Verwaltungsvorschrift auch nicht veröffentlicht werden muss. Es wird hier im Konkreten gesagt, dass immer dann verwaltungsintern bindende, steuernde Verwaltungsvorschriften, die keine Rechtsvorschriften sind, veröffentlicht werden müssen, wenn sie eine rechtliche Außenwirkung gegenüber Bürgern entfalten, ganz gleich in welcher Form, und auf diese Weise subjektiv öffentliches Recht unmittelbar berühren.

Es wird damit mehr oder weniger gesagt, dass es nicht geht, irgendeine Verwaltungsvorschrift, die unmittelbare Außenwirkung gegenüber Bürgern, gegenüber Dritten hat, unveröffentlicht zu lassen.

Ich verweise auf eine Vorschrift, und zwar die Problematik im Bereich des Ausländerrechts, unter anderem die Sicherheitsüberprüfung von Ausländern. Die Verwaltungsvorschrift ist in vielen Ländern veröffentlicht und in das Internet eingestellt, aber im Freistaat Sachsen ist sie unveröffentlicht.

Es gibt weitere Vorschriften, zum Beispiel jetzt auch in Vorbereitung die Vorschrift über die Anwendung oder die Auslegung des Aufenthaltsgesetzes im Freistaat Sachsen; nicht veröffentlicht, in Größenordnungen Drittbezug und Außenwirkung.

Das ist nach dem, was das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung feststellt, nicht rechtmäßig. Es heißt dann im letzten Entscheidungssatz: „Fehlt bei Verwaltungsvorschriften mit Außenwirkung gegenüber Dritten die rechtsstaatlich bzw. zum effektiven Rechtsschutz gebotene Bekanntgabe, ist sie nicht wirksam geworden.“

Damit geht der Satz 3 im § 3 Abs. 1 nicht auf: „Eine Änderungs-Verwaltungsvorschrift wird nicht gesondert bekannt gemacht; stattdessen ist bei der StammVerwaltungsvorschrift ein Hinweis auf die Änderung aufzunehmen.“ Das heißt, sie wird nur aller zwei Jahre mit genannt. Der Satz geht dann nicht auf. In den zwei Jahren, bis sie bekannt gemacht ist, würde dann mehr oder weniger die Vorschrift nicht wirksam sein. Das ist zunächst einmal das, was sich eindeutig aus dem Urteil ergibt.

Hinzu kommt – das war im Prinzip unser Begehr –, dass wir uns darauf einigen, dass der Grundsatz gelten muss, dass Verwaltungsvorschriften in aller Regel zu veröffentlichen sind. Wenn dagegen Sicherheitsinteressen des Staates oder Ähnliches stehen, kann man das sicherlich anders handhaben. Aber die Regel, der Grundsatz muss das sein.

In dem Moment, als wir im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss beraten haben, hatten wir dieses Urteil noch nicht bei der Hand – es ist ein relativ junges Urteil, ein frisches Urteil, erst vor Kurzem veröffentlicht –, sodass aus unserer Sicht mehr oder weniger die entsprechende Konstellation aus dieser Rechtsprechung mit gesehen werden muss. Es muss also nach unserer Auffassung der § 3 ergänzt werden. Wie wir das vorhaben, ist mit dem Änderungsantrag, den wir ausgereicht haben, vorgeschlagen.

Noch einmal vom Grundsatz her gesehen: Wir begrüßen diesen Gesetzentwurf sehr. Er hat ein durchaus positives Anliegen. Er will, dass die Behörden aller zwei Jahre veranlasst werden, diese Flut von Verwaltungsvorschriften, die existiert, zu evaluieren, durchzusehen, was man braucht, während für den Rest dann mehr oder weniger als nicht fortdauernd in einer Positivliste festgestellt wird: Diese und jene Verwaltungsvorschrift läuft aus, das wird bereinigt.

Das ist alles völlig okay. Das ist alles ordentlich gemeint, gut gemeint. Aber so, wie jetzt der Wortlaut ist, sind wir in der direkten Kollision mit der Rechtsprechung, dass Verwaltungsvorschriften, die nicht veröffentlicht werden, aber in irgendeiner Form Drittwirkung, Außenwirkung haben, jedenfalls für die Dauer der Nichtveröffentlichung unwirksam sind und demzufolge nicht angewandt werden dürfen.

Bundesverwaltungsgericht, Herr Kollege, ich kann Ihnen die Entscheidung gern geben; erst lesen, dann den Kopf schütteln.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Bitte, Herr Dr. Martens, FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kurz zu diesem Änderungsantrag der Linksfraktion.PDS. Grundsätzlich begrüßen wir das Anliegen, das hier von der Koalition mit dem Gesetz zur

Änderung des Verwaltungsvorschriftengesetzes verfolgt wird. Wir sehen ebenfalls das Problem, das hier genannt worden ist, dass Verwaltungsvorschriften, die Auswirkungen auf Entscheidungen gegenüber den Bürgern haben, auch von den Bürgern eingesehen werden müssen, sofern nicht zwingend aus bestimmten Gründen die Geheimhaltung von Verwaltungsvorschriften geboten ist. Insofern würde ich auch das Anliegen, das dahintersteht, dem Grunde nach unterstützen.

Aber der Antrag selbst ist – das muss man sagen – in gesetzgeberischer Hinsicht mangelhaft, weil hier eingefügt werden soll, dass Verwaltungsvorschriften mit unmittelbarer Auswirkung gegenüber Dritten veröffentlicht sein sollen. Verwaltungsvorschriften haben keine unmittelbare Auswirkung gegenüber Dritten, sondern sie erlangen erst im Rahmen ihrer Anwendung im Verwaltungsverfahren vor Erlass eines Verwaltungsbescheides, eines Verwaltungsaktes nach § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz, Wirkung. Sie haben aber keine unmittelbare Auswirkung auf Dritte, sodass dieser Vorschlag von der Wortwahl und von der Gesetzgebungstechnik her fehlgeht.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Dr. Martens?

Darf ich diesen Gedankengang noch ausführen?

Bitte.

Im Übrigen erfasst die Regelung, die hier vorgeschlagen ist, unterschiedslos sämtliche Verwaltungsvorschriften. Auch das ist nicht in sich konsequent, denn es gibt Verwaltungsvorschriften, die zwingend – etwa im Bereich des Verfassungsschutzes oder auf anderen sicherheitsrelevanten Gebieten – der Geheimhaltung bedürfen. Deswegen geht die unterschiedslose Veröffentlichung sämtlicher Verwaltungsvorschriften eindeutig zu weit und an der Sache vorbei.

Herr Kollege Dr. Hahn.

Wenn die Präsidentin gestattet? – Vielen Dank. Ich möchte Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass die Formulierung, die hier in dem Änderungsantrag verwendet wird, identisch ist mit der Formulierung, die das Bundesverwaltungsgericht gefunden hat, und dass damit eigentlich eine Rechtsnorm gesetzt ist.

Ich möchte Sie zweitens fragen, inwieweit betroffene Bürger reagieren und auch ihre Rechte wahrnehmen können, wenn diese Vorschriften wie gegenwärtig überhaupt nicht veröffentlicht werden und für niemanden zugänglich sind.

Erstens. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes selber ist mir in den Entscheidungsgründen im einzelnen Wortlaut nicht präsent.

Zweitens. Der Begriff der unmittelbaren Auswirkung selbst kann hier im materiellen Sinne gemeint sein, wenn das Bundesverwaltungsgericht davon spricht, welche Wirkungen im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens Verwaltungsvorschriften zukommen. Gesetzgebungstechnisch ist es allerdings – da wird mir auch der Kollege Bartl Recht geben – unzweideutig, sodass Verwaltungsvorschriften aufgrund ihres Normencharakters keine unmittelbare Rechtswirkung gegenüber Betroffenen zukommt. Das dürfte unstreitig sein. Sie erlangen erst mittelbar Wirkung bei Erlass von Verwaltungsakten.

Drittens. Das Grundanliegen, ich habe es bereits eingangs gesagt, wird von uns ausdrücklich unterstützt, dass Verwaltungsvorschriften, so ihre Geheimhaltung nicht zwingend aus überwiegenden Gründen geboten ist, von dem Normbetroffenen, besser gesagt vom Vorschriftsbetroffenen, vom Bürger, auch eingesehen werden. Selbstverständlich müssen solche Vorschriften bekannt gemacht werden. Aber das sollten wir dann gesetzgeberisch auf einem anderen Weg erledigen, als es hier vorgeschlagen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Änderungsantrag zum Änderungsantrag!)

Gibt es weiteren Redebedarf? – Herr Lichdi, bitte.

Herr Abg. Lichdi und danach Herr Abg. Schiemann. Bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch wir teilen das grundsätzliche Anliegen des Antrags der Linksfraktion.PDS. Herr Kollege Bartl hat zu Recht dargestellt, dass es im Ausschuss dazu eine längere Debatte gegeben hat. Für mich ist auch deutlich geworden, dass sich die Staatsregierung diesem Problemkreis nicht in ausreichendem Maße gewidmet hat, sondern die Antwort war dann: Na ja, das ist in der Ressortverantwortung des jeweiligen Ministeriums.

Mir schien auch, dass sozusagen die Brisanz, die eigentlich dahintersteckt, der Staatsregierung nicht richtig klar geworden ist. Von daher sollte sich dieses Haus mit diesem Thema durchaus weiter beschäftigen. Allerdings muss ich dann auch in der Ausführung Ihres Vorschlages, Herr Bartl, dem Kollegen Martens Recht geben: Der Begriff der unmittelbaren Außenwirkung ist hier, glaube ich, fehl am Platze.

Was Sie meinen, ist der Fall, wenn durch eine Verwaltungsvorschrift, die verwaltungsintern angewendet wird, also auch nach außen, dann über den Gleichheitssatz eine gewisse Wirkung gegenüber weiteren Dritten hervorgerufen wird. Das müsste man aber anders formulieren.