Protocol of the Session on June 22, 2005

also ist das Patriotismus oder ist das einfach Ausdruck kleinkrimineller Energie?

(Beifall bei der CDU, der PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Holger Apfel, NPD: Wie viele Kriminelle sind in der SPD?)

Lieber Kollege Prof. Weiss! Ich hatte eigentlich von Ihnen erwartet, dass eine sachliche, sinnvolle Frage kommt.

(Uwe Leichsenring, NPD: Ich nicht, das wäre was Neues!)

Was die Dinge des Abg. Menzel betrifft, denke ich, so können Sie ihn auch selbst fragen. Ich denke, das Niveau sollten wir irgendwann einmal verlassen.

(Beifall bei der NPD)

Wird von der CDU das Wort gewünscht? – PDS? – SPD? – FDP? – GRÜNE? – Nicht mehr. Dann bitte noch einmal die Fraktion der NPD. Oder wird von der Staatsregierung das Wort gewünscht? –

(Zwei Abgeordnete der NPD-Fraktion halten den Abg. Klaus-Jürgen Menzel, NPD, davon ab, zu dem Vorwurf des Abg. Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD, Stellung zu nehmen. – Protest bei den Fraktionen – Uwe Leichsenring, NPD: Das geht doch euch nichts an, kümmert euch um euren eigenen Dreck!)

Jetzt habe ich das Wort der Staatsregierung erteilt. Wollen Sie von der NPD jetzt reden? – Dann bitte, Herr Leichsenring.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Debatte lautet ja nicht „Nein zu jeglicher EU“, Herr Prof. Porsch, sondern „Nein zu dieser EU“. Das haben Sie ja auch mit Ihrem Beitrag unterstützt. Sie haben ja auch einiges aufgezählt, was da schief läuft. Also sind Sie mit dieser EU auch nicht einverstanden. Ich denke, wir sind uns da einig, Herr Prof. Porsch.

(Protest bei der PDS)

Sie können ja speckern wie Sie wollen, wir erlauben uns immer noch den Luxus einer eigenen Meinung, und die haben wir mit unserer Aktuellen Debatte heute auch hier kundtun wollen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich gestatte sie nicht nur, ich freue mich direkt drauf.

Bitte, Herr Prof. Porsch.

Herr Leichsenring, wissen Sie zufällig, wie viele Menschen dazumal der Bewegung „Los von Rom“ folgten und die katholische Kirche verlassen haben?

Nein, das ist mir zahlenmäßig nicht bekannt, Sie werden mich sicherlich aufklären.

Ich kann es Ihnen sagen: Es sind 14 000 gewesen, und viel mehr Leute werden Sie hier auch nicht aktivieren mit Ihrem „Los von Brüssel“.

(Beifall bei der PDS)

Herr Prof. Porsch, das werden wir doch einmal der Geschichte überlassen, wohin die Entwicklung geht. Wir bieten hier einige Ansätze an; ob die Menschen dann folgen, werden diese schon selbst entscheiden können. Ich denke, so einfach, wie Sie es sich machen, hier wie die toten Fische im Strom mitzuschwimmen, das werden Sie von uns nicht erleben, denn Sie merken manchmal gar nicht, wenn Sie mit Ihrem EU-Strom mitschwimmen, wie tot Sie eigentlich schon sind.

(Protest bei der PDS)

Ich habe heute früh etwas getan, was ich sonst nie tue: Ich habe mir eine „Bild“-Zeitung gekauft.

(Prof. Peter Porsch, PDS: Sakrament! – Der Redner hält die Zeitung hoch.)

Das ist nicht gestattet!

Das ist nicht gestattet, schade, aber Sie können sie ja heute selbst noch erwerben: „So verschleudert die EU unser Geld!“ Das ist zum Beispiel ein Punkt, der von den Menschen so nicht mitgetragen wird, diese sinnlose Geldverschwendung, Steuermittelverschwendung in der EU. Wenn man der „Bild“-Zeitung auch nur zu 10 % glauben darf, aber selbst wenn die 10 % stimmen, wäre das schon schlimm genug. So wie Sie Europa verstehen, nämlich die Abtretung sämtlicher Kompetenzen nach Brüssel, das ist das, was wir kritisieren. Machen Sie sich doch einmal die Mühe, sehen Sie sich doch einmal sämtliche Anträge an, die in dieser Legislatur hier gestellt wurden, von allen Parteien zusammengenommen. Wie oft finden Sie die Formulierung: Der Staatsminister wird aufgefordert, sich in Brüssel dafür und dafür zu verwenden, er möge sich doch bitte dafür einsetzen, dass … Über 80 % unserer Politik werden nicht mehr hier gemacht. Das gefällt Ihnen, Sie wollen noch mehr Kompetenzen nach Brüssel entsorgen, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das ist es nämlich!

Die EU wird bei Beibehaltung der derzeitigen Entwicklung in naher Zukunft nicht europäisch im bisherigen Sinne sein, denn wir wissen ja, dass Sie mehr oder weniger offen zugeben, den EU-Beitritt der Türkei zu wollen – manche mehr, manche weniger. Da wird erst einmal rechts geblinkt und dann doch links überholt. Nicht

wahr, meine Damen und Herren von der CDU? Die EU hat das erklärte Ziel, die Dienstleistungsmärkte in Deutschland wie in anderen Nationalstaaten auch zu einem Tummelplatz von ausländischen Billigarbeitern einerseits und internationalen Konzernen andererseits zu machen. Auch das wird unserer Meinung nach dazu führen, dass die wenigsten Deutschen ihre Dienstleistung aufgrund des Lohnniveaus anbieten können. Es werden sehr viele arbeitslos werden, gerade bei uns in Sachsen. Gerade als jemand, der aus dem Grenzgebiet zur Tschechei kommt, sage ich, dass uns das noch ganz schwer auf die Füße fallen wird. Das mag in Hessen vielleicht anders sein, im Binnenland. Im Grenzland wird das noch viel mehr auf die Füße schlagen.

Aufgrund der Heterogenität der Volkswirtschaften und der Übermacht des Kapitals wird dies zwar nach langer Zeit zu einem ausgeglichenen Zustand führen, aber dann wird es die Gesellschaft, wie wir sie hier kennen, nicht mehr geben. Dann wird Hartz V, Hartz VI, Hartz VII kommen. Das wollen wir nicht, deswegen dieses „Los von Brüssel“!

Die EU-Integration bedeutet, dass praktisch alle wirklich wichtigen Entscheidungen in unserem Land außer Landes verlegt werden. Führende Politiker gehen davon aus, dass zum Beispiel die Verantwortung des Bundes für die Herstellung und Bewahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland in Kürze gänzlich nach Brüssel abwandern wird. Das ist auch ein Grund, warum wir sagen „Los von Brüssel – Nein zu dieser EU“. Wir sind ja da nicht alleine, wenn wir einmal ins Internet sehen und in der Presse nachschauen. Auch zum Beispiel der Verfassungsrechtler Karl-Albert Schachtschneider, der Herrn Gauweiler vertritt, sagt: „Die derzeitige Praxis zerstört die Grundlagen unseres Staates gleichsam durch einen Staatsstreich von oben.“ Das hat nun kein NPD-Abgeordneter gesagt, sondern immerhin Prof. Schachtschneider.

Noch einmal etwas zum Geld, weil Sie das immer außen vor lassen wollen:

Wie der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Franz Ulrich Willeke 2003 in einer Studie für die Universität Heidelberg nachgewiesen hat, hat die BRD in den Jahren 1958 bis 2002 nach Einrechnung aller volkswirtschaftlichen Faktoren Nettozahlungen von über einer halben Billion – also 500 Milliarden – D-Mark an die EU geleistet. Das sind die Leute nicht länger bereit hinzunehmen. Das ist ein Fass ohne Boden und Sie werden sich noch wundern, dass es nicht nur 14 000 sein werden, die unserer Forderung zustimmen.

In diesem Sinne danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann, bitte, Herr Staatsminister Winkler.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, wir haben eben alle ein Lehrstück gelebter Demokratie der NPD-Fraktion gesehen: Der eigene Mann wird fast mit Muskelkraft am

Reden gehindert, um sich hier zu verteidigen; ich glaube, das bedarf keiner weiteren Kommentierung.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich gebe zu, die Europäische Union hat zweifelsohne schon ruhigere Zeiten erlebt als in diesen Tagen. Es ist aber gerade jetzt notwendig zu verdeutlichen, welche Vorteile die Union uns allen bietet; diese sind allerdings mittlerweile so selbstverständlich, dass wir sie kaum mehr wahrnehmen. Gleichwohl steuert die EU nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und in den Niederlanden schwierigen Zeiten entgegen.

Allerdings sage ich auch – und das haben wir auch gespürt: Für Extremisten ist dies natürlich eine willkommene Gelegenheit, auf die EU einzuprügeln. Sinnvolle Vorschläge gibt es dabei nicht – die haben wir auch heute nicht gehört –, allenfalls Phrasen waren wieder deutlich zu hören.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Ich sage ganz deutlich: Die Staatsregierung wird sich dem nicht anschließen. Für billigen Populismus sind wir nicht zu haben. Eine unserer Positionen war zum Beispiel: Der Verfassungsvertrag ist besser als der Vertrag von Nizza, er ist ein annehmbarer Kompromiss, auch wenn wir nicht mit allem einverstanden sind, was hier ausgehandelt wurde, und auch wenn einige Regelungen nicht unseren Interessen entsprechen. Aber das ist eben so bei einem Kompromiss, an dem viele beteiligt sind, und deshalb hat Sachsen im Bundesrat zugestimmt. Vor allem, weil der Vertrag zu mehr Transparenz und Demokratie in der EU beitragen würde, ist er wichtig. Ich nenne als Beispiele, dass die Ratssitzungen in Zukunft öffentlich sind, dass die doppelte Mehrheit Deutschland mehr Stimmengewicht im Rat verschafft und damit auch unsere Situation verbessern würde, und Europa bekäme mit einem Langzeitpräsidenten des Europäischen Rates wesentlich mehr Kontinuität. Der Bundesrat könnte jeden Gesetzentwurf der EU, und zwar unter Beteiligung der Landtage, also auch unseres Hauses, monieren, wenn er der Meinung ist, die Sache kann in Berlin oder in Dresden besser erledigt werden.

Unabhängig von den Einzelheiten des EU-Verfassungsvertrages braucht die Europäische Union aber eine Denkpause. Das Ziel Europa braucht jetzt keinen Rückwärtsgang, aber wir müssen schon die Abstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden ernst nehmen und dürfen nicht einfach so mit Vollgas weiterfahren, denn dann geschieht Folgendes: dass wir eben mit Vollgas an den Menschen vorbeifahren. Wir müssen jedoch im Schritttempo fahren und die Menschen dabei mitnehmen, denn die Sorgen und Nöte sind uns wichtig und die gibt es auch gerade in Sachsen; in unseren Grenzregionen sind sie täglich zu spüren.

Nach turbulenten Jahren seit dem Vertrag von Maastricht brauchen wir jetzt eine Atempause. Die EU muss sich nach der Erweiterungsrunde 2004 erst konsolidieren.

Wir können bei der Erweiterung nicht im gleichen Tempo weitermachen wie bisher.

(Einzelbeifall bei der CDU)

Problem ist: Europa mangelt es an Akzeptanz bei den Bürgern, und dem abzuhelfen ist auch unsere Aufgabe. Trotz bestimmter Fehlentwicklungen ist dies eine Aussage, die nicht immer Gültigkeit hat, aber wir müssen mehr zur Information und zur Motivation für dieses Projekt beitragen. Beispielsweise hätten wir die Ansiedlung großer Unternehmen in Sachsen wie BMW und AMD ohne die Hilfe aus Brüssel nicht optimal leisten können. Die EU hat diese Werke mitfinanziert und so wurden hier in Sachsen neue Arbeitsplätze geschaffen. Dafür setzt sich die Staatsregierung ein: für Arbeit und gegen plumpe Parolen. Wir sind jetzt europäischer Halbleiterstandort; wer hier nicht investiert, ist selbst schuld, sagt die Presse. Und ich füge hinzu: Das ist auch dank der EU geschehen. Wir müssen dennoch dazu beitragen, Europa besser zu vermitteln; das ist auch mir persönlich ein Anliegen. Wir diskutieren das derzeit in Sachsen in den beiden Grenzlandkonferenzen. Wir Europäer müssen uns zudem über unsere Ziele, aber auch über unsere Grenzen klar werden; das heißt über die Zuständigkeiten der europäischen Institutionen: Was muss zwingend zentral in Brüssel geregelt werden, was ist allein Aufgabe der Mitgliedsstaaten? Beantwortet werden muss auch die Frage nach den geografischen

Grenzen Europas und seiner kulturellen Identität: Wie groß soll Europa sein? Nur wenn wir diese entscheidenden Fragen beantworten, werden die Bürger wieder mehr Vertrauen in das Europäische Projekt entwickeln. Dabei gilt für mich: Europas Grenzen liegen in Europa und nicht in Kurdistan, und deshalb muss vor allem die bisherige Türkei-Politik überdacht werden.

Auch muss die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips noch stärker durchgesetzt werden. Europa braucht sich nicht um alles zu kümmern. Es muss sich vor allem darum kümmern, dass wir gegenüber den USA und auch gegenüber China und Indien nicht den Anschluss verlieren. Alles, was die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Europa behindert, muss auf den Prüfstand. Die Neuausrichtung der Lissabon-Strategie ist der richtige Weg hin zu mehr Wachstum und zu mehr Arbeitsplätzen. Deutschland muss wieder auf die Beine kommen – in Europa und mit Europa.

Herzlichen Dank.