Protocol of the Session on May 20, 2005

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie es mich kurz machen, meine Damen und Herren: Wir wollen die Diskussion führen, wenn sie über Versäumnisse zu führen ist. Was in uns vorgeht, ist zunächst erst einmal die Aufklärung, und das, bitte schön, ohne Schaum vor dem Mund und ohne ideologische Verblendung.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Fraktion der GRÜNEN das Wort. Herr Weichert, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es ausdrücklich, Herr Müller, dass Sie an dieser Debatte als Leipziger Polizeichef teilnehmen. Ich finde das sehr in Ordnung. Wie Sie vielleicht gelesen und gehört haben, haben wir gemeinsam mit unseren Stadtratskollegen in Leipzig am letzten Dienstag eine Anhörung durchgeführt und die Betroffenen ins Rathaus gebeten, um uns berichten zu lassen, was die Demonstranten erlebt haben und was dabei augenscheinlich war.

Was zu dieser beantragten Debatte heute geführt hat, ist, dass vom Einsatz von Pfefferspray berichtet worden ist und von aggressiven Reitern, die im Park vor der Oper geritten sind. Es war nicht mehr möglich, wie zu anderen Zeiten bei früheren Demonstrationen, Gespräche mit den Beamten zu führen. Es gab Provokationen seitens der Polizeibeamten gegenüber friedlichen Demonstranten, und zwar tätlich und auch wörtlich. Wir haben das alles zusammengestellt, Herr Innenminister, und ich werde Ihnen das nächste Woche spätestens zur Verfügung stellen.

Zusammenfassend kann man zu diesen Eindrücken sagen, dass es einerseits Menschen waren, die schon oft zur Demonstration gegen Rechts in Leipzig und am 1. Mai oder am 3. Oktober waren, die sich alle gewundert und erregt haben, enttäuscht und auch bewegt waren, was es hier für eine neue Qualität gab.

Thema „Gespräche“ – nur um eines herauszugreifen –: Früher war es möglich, mit Polizeibeamten zu reden. An diesem 1. Mai nicht mehr. Man konnte sie erkennen. An diesem 1. Mai nicht mehr. Man konnte sie identifizieren.

An diesem 1. Mai nicht mehr. Das ist die neue Qualität. Das ist vor allen Dingen auch die Sorge der Leipziger. Deshalb bleibt die Frage, die geklärt werden muss, nach dem Schutz auch der anderen Demonstranten. Die Gegendemonstration war genau so angemeldet. Auch die DGB-Kundgebung auf dem Augustusplatz war angemeldet. Also, wo bleibt der Schutz für die zweite und die dritte Veranstaltung?

Wir haben am Mittwoch im Stadtrat versucht, auch eine Große Anfrage zu stellen. Der zuständige Bürgermeister Tschense hat zwar lange gesprochen, aber es ist alles offen geblieben. Deshalb müssen wir auch heute hier noch einmal nachfragen.

Herr Seidel, einmal ein Zitat von Pfarrer Wolff.

(Robert Clemen, CDU: Ach nein!)

Ich denke, das ist ein unverdächtiger Mann.

(Robert Clemen, CDU: Was ist der?)

Also, Entschuldigung, das ist in Leipzig ein bekannter Pfarrer, der einen guten Dienst macht. Er hat Strafanzeige gestellt. Ich lese auch nur einen Satz vor. Ich zitiere Pfarrer Wolff in seiner Anzeige: „Ich muss also feststellen, dass die Polizei die Gewaltanwendung aus der Nazidemonstration heraus geduldet hat, während sie im umgekehrten Fall sofort eingeschritten ist. Damit erstatte ich auch Anzeige gegen den Einsatzleiter des Polizeieinsatzes.“ – So viel zu diesem Zitat.

Meine Damen und Herren, ich denke, wir sollten froh sein, dass es die Bürger und vor allen Dingen die Leipziger selber in die Hand nehmen und sagen: Wir wollen in unserer Stadt keine rechten Demonstrationen haben, wir gehen hin und zeigen Gesicht. – Darüber sollten wir alle froh sein. Dieses Recht haben sich die Leipziger, die Dresdner, die Sachsen und überhaupt die Ostdeutschen 1989 bitter erkämpft. Sie haben sich nicht nur dieses Recht erkämpft, sondern sie haben sich auch erkämpft, dass dieses Recht geschützt wird.

Das ist das Problem seit dem 1. Mai und das ist die neue Qualität. Die Verantwortung muss geklärt werden. Ich denke, uns sollte es darum gehen, dass wir in Zukunft gemeinsam mit unseren Kollegen, gemeinsam mit dem Oberbürgermeister weiter die Leipziger auffordern können, Courage und Gesicht zu zeigen, damit sie auf die Demonstration kommen, ohne sich zu verletzen und ohne Pfefferspray ins Gesicht gesprüht zu bekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Wird das gewünscht? – Nein. Dann die Fraktion der PDS. – Frau Dr. Ernst.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leipzig hat deutlich gemacht, dass wir nicht nur über die Verhältnismäßigkeit eines Polizeieinsatzes sprechen müssen, sondern darüber, was die Demokraten in diesem Lande gemeinsam gegen das Erstarken rechts

extremistischer Kräfte tun müssen. Ich glaube, das ist das, was wir tun müssen.

(Beifall bei der PDS)

Schon deshalb, Herr Innenminister, ist Ihr markiger Ruf nach der Fortsetzung einer Null-Toleranz-Politik gegenüber gewalttätigen Demonstranten eine politische Rolle rückwärts. Das stelle ich fest.

(Zuruf des Abg. Dr. Martin Gillo, CDU)

Diese Rolle rückwärts bringt uns so wenig voran wie die Behauptung Ihres Sekundanten Herrn Bandmann, mit diesem Polizeieinsatz habe sich der Freistaat wehrhaft gegen die Feinde der Demokratie gezeigt.

(Beifall bei der CDU – Volker Bandmann, CDU: Richtig!)

Herr Staatsminister, ich frage Sie, wen Sie mit den „gewalttätigen Demonstranten“ ganz konkret meinen, und ich frage Sie, Herr Bandmann, wer die „Feinde der Demokratie“ sind. Meinen Sie die ältere Dame, die in Leipzig vor der Pferdestaffel weglief, vor der Pferdestaffel, die in die Menschenmenge getrieben wurde, wobei von den Polizisten Blumenkübel in die Menschenmenge geworfen wurden?

(Zuruf von der CDU: Apokalypse! – Weitere Zurufe von der CDU)

Meinen Sie die junge Frau, die an ihren Haaren aus der friedlichen Sitzblockade herausgeschleift und von Polizeibeamten mit Reizgas besprüht wurde, von dem der Innenminister gar nichts weiß? Meinen Sie vielleicht den DGB-Chef Lucassen, der anderthalb Kilometer vor dem Aufzug der Nazis abgeräumt wurde? Anderthalb Kilometer! So viel zur Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes. Oder meinen Sie die Leute, die willkürlich und ohne Begründung acht bis neun Stunden in Gewahrsam gebracht wurden?

Also, ich finde, es wäre schon angebracht, über die Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes zu sprechen.

Frau Ernst, gestatten Sie eine Zwischenfrage.

Frau Kollegin, halten Sie die militante Antifa für wehrhafte Demokraten?

Ich glaube, dass alle, die zu einer solchen Demonstration kommen, erstens das Recht haben zu demonstrieren und zweitens dem Ausdruck geben wollen, gegen Nazis etwas zu tun. Das ist besser, als zu Hause zu bleiben.

(Uta Windisch, CDU: Das ist keine Antwort!)

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meine Frage beantworten würden.

Fakt ist, meine sehr geehrten Damen und Herren,

(Heinz Eggert, CDU: Aha, okay! – Weitere Zurufe von der CDU)

ein Deeskalationskonzept, das einen solchen Namen verdient, gab es zu keiner Zeit in Leipzig. Der 1. Mai geriet den Verantwortlichen aus dem Ruder und zu den schwersten Auseinandersetzungen in diesem Zusammenhang seit der Wende kam es in Leipzig.

Frau Ernst, es gibt noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Gut, Frau Weihnert.

Recht vielen Dank, Frau Dr. Ernst. – Sie haben angemahnt zu differenzieren. Das kann ich nachvollziehen. Glauben Sie aber, dass diejenigen, die Steine und Flaschen nicht nur gegen Polizisten, sondern auch gegen friedliche Demonstranten werfen, wehrhafte Demokraten sind?

(Beifall bei der SPD, der CDU und vereinzelt bei der NPD)

Ich bin der Meinung, dass Steinwürfe und Flaschenwürfe nicht auf Demonstrationen gehören. Da bin ich völlig Ihrer Ansicht, das ist keine Frage.

(Beifall bei der PDS, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Aber ich sage Ihnen auch: Verhältnismäßigkeit muss auf allen Seiten gewahrt sein, auch aufseiten der Polizei. Und darüber haben wir heute zu sprechen.

(Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der CDU)

Herr Innenminister, ich wollte Ihnen die Frage stellen: Wo bleibt eigentlich Ihre Kritik an der Nichtauflösung des Naziaufzugs am Hauptbahnhof, nachdem dort die Truppen um Worch den Durchbruch versucht hatten? Wo war Ihre Unterstützung wenigstens für das Anliegen der Gegendemonstration, der vielen friedlichen Demonstranten, die sich mit ihrem Gesicht gegen den Naziaufmarsch stellten? Auch Sie fordern immer wieder Zivilcourage. Ich sage Ihnen: Wer mit einer Politik der NullToleranz droht, schlägt die Tür zur Debatte um ein sinnvolles Vorgehen gegenüber Nazis zu, und das wollen wir nicht.