Auch der mörderische Luftangriff vom 4. Dezember 1943 konnte der Paulinerkirche nichts anhaben. Fast 700 Tonnen Spreng- und Brandbomben waren damals auf Leipzig niedergeregnet, hatten 1 800 Menschen getötet, Furchen der Verwüstung durch die Innenstadt gezogen und das Verlagsviertel samt 50 Millionen Büchern verbrannt. Auch die Universität wurde schwer getroffen, während die benachbarte Paulinerkirche fast unversehrt blieb.
So überlebte das Gotteshaus den Bombenterror, um dann Opfer der SED-Diktatur zu werden. Es versteht sich von selbst, dass die beabsichtigte Zerstörung eines solchen Kulturdenkmales von nationaler Bedeutung Wunden schlägt, die auch nach Jahrzehnten noch nicht verheilt sind.
Nach der Wende freilich häuften sich die Stimmen, die den Wunsch äußerten, dass die gesprengte Paulinerkirche nicht für immer eine offene Wunde bleiben möge, und einen Wiederaufbau anregten. Darunter waren so bekannte Fürsprecher wie der Medizin-Nobelpreisträger Prof. Günther Blobel, der Dresdner Trompeter Ludwig Güttler und der inzwischen verstorbene Künstler Wolfgang Mattheuer.
Dieses idealistische Wiederaufbaubegehren trifft, seitdem es formuliert wird, auf einen erbitterten Widerstand, dessen Motive nur schwer zu verstehen sind. Selbst die Journalistin Evelyn Finger, die sicher nicht im Ruf steht, eine Verschwörungstheoretikerin zu sein, spekuliert nach einem ganzseitigen Artikel, den sie am 29. Mai 2008 in der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ veröffentlichte, über den merkwürdigen Nachwende-Revisionismus in Leipzig und kommt zu dem Ergebnis, dass in Leipzig offenbar ein Bündnis zwischen alten Blockflöten und zugezogenen Besserwessis bestehe, deren erklärtes Ziel die Verewigung der SED-Barbarei sei. Finger kommt in ihrem Artikel zu der resignierenden Feststellung – und das zitiere ich wörtlich –: „Manchmal kommt einem die Wendestadt Leipzig vor, als sei die Wende ein Zwischenfall ohne Folgen gewesen.“
Das wirklich Traurige und Inakzeptable an der Entwicklung rund um die Neugestaltung des Universitätsgeländes ist der Umstand, dass gefundene Kompromisse von Betonköpfen in Stadt und Universitätsleitung im Nachhinein immer wieder unterlaufen werden.
Am 28. Januar 2003 fasste die Sächsische Staatsregierung unter der Leitung des damaligen Ministerpräsidenten Georg Milbradt einen Beschluss, in dem es heißt: „Das Kabinett beschließt seine Bereitschaft, eine Variante des Universitätsgebäudes Augustusplatz Leipzig zu unterstützen, die einen Wiederaufbau der Paulinerkirche ermöglicht. SMWK und SMF werden beauftragt, mit der Universität, den Interessenten für einen Wiederaufbau und der Stadt Leipzig die Voraussetzungen für einen Wiederaufbau abschließend zu klären.“
Zu dem in diesem Kabinettsbeschluss erwähnten Wiederaufbau kam es bekanntlich nie. Er war spätestens im Jahr 2004 vom Tisch, als der Rotterdamer Architekt Erick van Egeraat den Architekturwettbewerb mit dem Entwurf eines architektonisch modernen Baues gewann. Sicher war das für viele Befürworter eines originalgetreuen Wiederaufbaues eine große Enttäuschung. Dennoch ließ sich auch der Kreis um die umgangssprachlich als Paulinerverein bezeichnete Bürgerinitiative zum Wiederaufbau von Universitätskirche und Augusteum in Leipzig e. V. für den Egeraat-Entwurf gewinnen, da dieser zumindest einen annähernd originalgetreuen Wiederaufbau des Innenraumes der gesprengten Universitätskirche zu garantieren schien.
Nun, ein Jahr vor Ende der Bauarbeiten, zeigt sich, dass all jene Wiederaufbaubefürworter, die sich guten Glaubens auf den Egeraat-Entwurf einschwören ließen, böse getäuscht wurden. Statt eines annähernd originalgetreuen Wiederaufbaues des Innenraumes entsteht nun eine durch eine Glaswand geteilte Mehrzweckhalle, deren Innenraumkonzept von zahlreichen Fachleuten als ahistorisch und architektonisch unbefriedigend empfunden wird.
Wer für diese Verhunzung des ursprünglichen Konzeptes verantwortlich ist, bleibt unklar, da sich Stadt, Universität und Architekt die Verantwortung hervorragend gegenseitig zuschieben können. Klar ist aber, dass der Kampf gegen eine auch nur in Teilen oder nur in bestimmten Raumaufteilungen wiederhergestellte Universitätskirche in Leipzig mit Methode und geradezu mit Fanatismus betrieben wird. Beispiele dafür gibt es genug.
Da bietet beispielsweise der Paulinerverein an, mit privaten Geldern die gerettete Barockkanzel aus dem Jahr 1783 und den prächtigen Flügelaltar aus dem 15. Jahrhundert wieder aufstellen zu lassen. Aber Bürgersinn, Großzügigkeit und privates Engagement sind in Leipzig offenbar unerwünscht. Die Universitätsleitung weigert sich aus unerfindlichen Gründen bis heute, auf dieses Angebot einzugehen – und das, obwohl die Zustimmung des Paulinervereins zum Egeraat-Entwurf insbesondere auf der Erwartung beruhte, dass sich nun endlich ein würdiger Raum für die geretteten Kirchenschätze von St. Pauli auftun würde.
Ebenso bezeichnend ist auch der Bruch der Zusage, den Innenraum des sogenannten Paulineums in Anlehnung an das Original der gotischen Paulinerkirche mit Pfeilern und Kreuzrippengewölbe zu gestalten. Im nun entstehenden Innenraum kommt keine einzige achteckige Säule vor,
weshalb Evelyn Finger in der „ZEIT“ mittlerweile von einer arglistigen Manipulation eines Siegerentwurfes spricht und Christoph Haufe vom Paulinerverein zitiert, für den der Innenraum erklärt, dass der „den Charme eines sowjetischen Standesamtes“ ausstrahlt.
Doch das alles wird noch getoppt von der Geschichte von Wieland Zumpe, der ein dreidimensionales Modell der zerstörten Universitätskirche programmierte, das man im Netz unter der Adresse www.paulinerkirche.org einsehen kann. Vor fünf Jahren bot er sein Computerprogramm auch den Teilnehmern des Architekturwettbewerbes an, denen keine genauen Pläne der Kirche zur Verfügung standen. Raten Sie mal, was passierte? – Abgelehnt, natürlich.
Vor fünf Jahren informierte Herr Zumpe die Hochschulrektorenkonferenz über die Geschichtsvergessenheit an der Leipziger Universität. Seither hat er Hausverbot an der Universität.
All diese Mosaiksteine fügen sich zu einem eindeutigen Gesamtbild zusammen, das in denkbar schärfstem Kontrast zu dem Übereifer steht, den Stadt und Universität bei der Wiederaufstellung des Marx-Reliefs, dem Symbol einer Politik, die unersetzbares Kulturgut vernichtete, an den Tag legten.
Von den Bürgern und der Öffentlichkeit wird nun verlangt, all diese Ungeheuerlichkeiten kritiklos zu schlucken. Zuletzt forderte der Unirektor, Franz Häuser, sogar im Befehlston ein Ende jeder Diskussion über die Umgestaltung des Universitätsgeländes. Diesen Gefallen werden wir Nationaldemokraten Herrn Häuser sicherlich nicht tun.
Mit dem nun entstehenden Bau wird Leipzig auf lange Zeit leben müssen. Das ist natürlich auch der NPD klar. Aber gerade dieser lange Zeithorizont, für den nun geplant und gebaut wird, soll der Anreiz dafür sein, wenigstens so viel Paulinerkirche wie möglich im Rahmen des Egeraat-Entwurfes zu verwirklichen, anstatt den modernistischen und ahistorischen Unfug ausgerechnet an einem solchen Ort auf die Spitze zu treiben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte vorausschicken, dass ich hier als Koalitionsredner spreche.
„Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Wir müssen ihn erforschen, um zu wissen, was der morgige will.“ So hat es einst der große deutsche und europäische Dichter Heinrich Heine formuliert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist grotesk und perfide, dass gerade die NPD mit einem Antrag zum Wiederaufbau der Paulinerkirche das Wort ergreift,
die Synagogen niedergebrannt haben, Gebäude unliebsamer Zeitgenossen abfackeln und sprengen ließen und nach dem von ihr definierten Endsieg jede Art von Religion, außer ihre eigene, verbieten lassen wollten.
Herr Clemen, ich habe eine Frage. Sie haben uns indirekt für irgendwelche Gebäudezerstörungen und Kulturbarbareiakte verantwortlich gemacht
Meine Frage an Sie lautet: Ist Ihnen bekannt, dass die NPD im Jahre 1964 gegründet wurde und mit alledem, was Sie hier vielleicht gemeint haben, nicht das Geringste zu tun hat?
Herr Gansel, Sie haben auch schon bessere Scherze in diesem Haus gemacht! Sie brauchen sich nur Ihre eigenen Reden durchzulesen, um zu wissen, in welcher Tradition Sie hier stehen.
Dies, meine Damen und Herren, kann ich nur als einen unglaublichen Angriff auf unser demokratisches Selbstverständnis in diesem Haus werten. Dass Sie von der NPD durch nichts, aber auch gar nichts dazu legitimiert sind, sich den Wiederaufbau der Paulinerkirche auf Ihre Fahnen zu schreiben, liegt, denke ich, klar auf der Hand.
Meine Damen und Herren! Trotzdem will ich die Gelegenheit wahrnehmen, einige Ausführungen zu diesem Thema darzulegen. Kaum etwas in der Bewertung der Leipziger Stadtgeschichte und Architektur hat die Gemüter in den letzten Jahren so erhitzt wie der Streit um die Paulinerkirche.
Ich muss gestehen, dass ich jedes Mal, wenn ich aus dem Fenster meines Büros hier im Landtag auf die wiedererrichtete Frauenkirche blicke, etwas wehmütig an dieses Leipziger Szenario denken muss. Wie hätte doch eine wiedererrichtete oder zumindest in wesentlichen Teilen wieder aufgebaute Paulinerkirche das Bild unseres Leipziger Augustusplatzes mit prägen können! Doch dies, meine Damen und Herren, ist nun leider Geschichte.
Wir haben uns auf einen Kompromiss, auf den Entwurf von Erick van Egeraat, verständigt, und dieser soll nun so umgesetzt werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich mich ganz herzlich beim Paulinerverein für die engagierte Arbeit bedanken, aber auch bei meinen Landtagskollegen Christine Clauß, Jutta Schmidt, Hermann Winkler, Rolf Seidel, Gunther Hatzsch und Michael Weichert.
Gemeinsam ist es uns gelungen, die Universitätsleitung und den Oberbürgermeister zumindest teilweise zum Einlenken zu bewegen und wenigstens eine deutliche Erinnerung an die gesprengte Paulinerkirche zu erreichen. Die ursprünglich geplanten Klötze von Behet und Bondzio wären dazu denkbar ungeeignet gewesen.
Wenig hilfreich finde ich indessen die immer wieder auftauchenden Versuche, den mühevoll gefundenen Kompromiss zu unterwandern und jetzt wieder aufweichen zu wollen – einen Kompromiss, der in langwierigen, zähen und teilweise sehr ideologisch geführten Diskussionen schließlich mühevoll gefunden wurde und an dem wir jetzt alle gemeinsam festhalten sollten.