Protocol of the Session on June 19, 2008

In einem „Für unsere Kinder: Hartz IV kippen“ überschriebenen Faltblatt der NPD in NRW hieß es vollmundig: „Wir garantieren, dass es in Deutschland binnen zweier Jahre nicht einen Deutschen gibt, der arbeitslos ist, wenn in unserem Land endlich wieder Politik für das eigene Volk gemacht wird.“

In einer Ihrer Wahlausgaben der „Sachsenstimme“ schreiben Sie im beiliegenden Faltblatt, das großartig mit „Quittung für Hartz IV, jetzt NPD“ überschrieben ist: „Jeder beschäftigte Ausländer, der nach Hause geht, macht einen Arbeitsplatz für Deutsche frei. Jeder ausländische Sozialhilfeempfänger, der geht, liegt dem deutschen Sozialsystem nicht länger auf der Tasche.“

Der bayerische Rechtsextremist Gerd Bittner schrieb in einem Aufruf im Zusammenhang mit Hartz IV: „Jetzt heißt es für uns, diese einmalige Gelegenheit entschlossen und mit ganzer Kraft zu nutzen. Wir dürfen das Feld nicht dem Gegner, den Feinden und Totengräbern Deutschlands und des deutschen Volkes überlassen. Wir selbst müssen uns an die Spitze des beginnenden Volksaufstandes stellen.“

Was bieten Sie uns heute? Sollte beim letzten Mal Hartz IV noch weg – so lautete Ihr Antrag –, so wollen

Sie diese Regelungen jetzt einer Generalprävention unterziehen. So schreiben Sie es im Antrag. Sie wollen ein dreigliedriges Sicherungssystem, das ich für vollkommen daneben halte. Ganz dumm wird die Stufe III, die überhaupt nicht realisierbar ist. Wenn Sie es wirklich schaffen sollten – hier geht es um einen Prozentbegriff –, alle, die unter die Armutsdefinition fallen – das ist die 60Prozent-Grenze –, darüber heben würden, würde automatisch die Armutsgrenze ansteigen und Sie hätten wieder einige unter der Armutsgrenze. Sie sollten sich überlegen, was Sie hier aufschreiben.

Punkt 2 war Inhalt unseres Antrages vom Dezember 2007. Punkt 3 erfolgt jeweils am 01.07. eines Jahres. Der Neuigkeitswert Ihres Antrages hat den Ihrer vorhergehenden Hartz-IV-Anträge: Er ist veraltet. Wäre es ein Schulaufsatz, könnte man für die Rechtschreibung noch einen Bonus erteilen. Die Inhaltsnote bleibt aber bei den bisherigen Anträgen eine Sechs.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Mir liegt noch eine Wortmeldung der Linksfraktion vor; Herr Abg. Pellmann.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte schon mehrfach das zweifelhafte Vergnügen in diesem Hohen Haus, mich zu derartigen Anträgen äußern zu müssen. Herr Gerlach hat völlig recht: Nachdem am Anfang wenig oder kaum etwas diesbezüglich zu hören war, kann man sagen: Je näher wir den Wahlterminen kommen, desto mehr werden wir, fast im Monatstakt, mit derartigen Anträgen traktiert.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Jetzt werden die Faulen fleißig!)

Diese Anträge haben weder Neuwert, noch sind sie geeignet, irgendetwas – ich komme nachher noch auf die Umkehrung, die in der Gesellschaft deutlich wird, zurück – in dieser Gesellschaft zu ändern.

Mehr noch: Diese Platte, die fast allmonatlich aufgelegt wird, hat einen Sprung, ja einen Rechtsdrall.

(Widerspruch der Abg. Gitta Schüßler, NPD)

Deshalb will ich zumindest versuchen – obwohl ich weiß, dass es hoffnungslos ist, aber man soll die Versuche nie aufgeben –, ein wenig in dieses braune Dämmerlicht – – ein wenig Licht in dieses braune Dunkel zu bringen.

(René Despang, NPD: Na, schafft er es heute noch?)

Ja, ja, ich schaffe das noch.

Ich habe wenig Hoffnung, dass mir das gelingt. Aber eines will ich deutlich sagen, und hier grenze ich mich eindeutig von dem ab, was Sie uns erneut offerieren: Ja, meine Fraktion, meine Partei – wir waren von Anfang an

gegen Hartz IV. Wir haben uns im Unterschied zu Ihnen – –

(Widerspruch bei der NPD)

Wir haben Sie rausgeschmissen aus den Demonstrationszügen, und das zu Recht.

(René Despang, NPD: Haha, das ist ja wohl eine Lüge!)

Da haben wir Sie vielleicht vergessen, aber beim nächsten Mal gelingt es.

Genau deshalb sage ich Ihnen: Wir haben bewirkt, dass die schlimmen Hartz-IV-Gesetze in einer ganzen Reihe von Positionen zumindest abgemildert werden konnten. Das war unser Widerstand, gemeinsam mit Gewerkschaften, Arbeitsloseninitiativen und aufrechten Bürgern dieses Landes. Es ist uns bisher nicht gelungen, diese Gesetze insgesamt zu beseitigen. Nötig wäre es. Aber es macht doch keinen Sinn, uns in diesem Hause ständig wieder in einer Generalrevision – oder was Sie auch immer hier fordern – zu offenbaren! Was Sie deutlich machen, sind ganz allgemeine Plätze ohne konkrete Vorschläge, was Sie wirklich ändern wollen. Herr Gerlach hat die sogenannte Dreigliedrigkeit beschrieben. Dem muss ich nichts hinzufügen.

Es ist die Frage zu stellen: Woher sollen neue Arbeitsplätze kommen? Kein Vorschlag von Ihnen. Wie wollen Sie vor allem Langzeitarbeitslosigkeit beseitigen? Außer Ihrer bekannten unsäglichen Parole „Arbeit zuerst für Deutsche“ lese ich nichts in Ihrem Antrag. Wie wollen Sie das alles finanzieren? Nichts. Das unterscheidet uns. Wir haben in der Vergangenheit eine Fülle von Vorschlägen unterbreitet, wie Arbeitsplätze geschaffen werden können, wie vor allem Langzeitarbeitslosigkeit beseitigt oder zumindest gemildert werden kann, und auch gesagt, wie es finanziert werden kann.

Folgendes will ich Ihnen deutlich ins Stammbuch schreiben, und das wundert mich allerdings sehr: Sie berufen sich auf das Grundgesetz und meinen, sich zum Hüter des Grundgesetzes aufschwingen zu können. Das ist verlogen. Wir haben hier Dutzende Reden ertragen müssen, in denen Sie das Grundgesetz aushöhlen und abschaffen wollen. Heute stellen Sie sich hin und beziehen sich auf das Grundgesetz und wollen es angeblich wieder geraderücken.

(Widerspruch bei der NPD)

Das ist verlogen und wir weisen es zurück. Das unterscheidet uns prinzipiell. Es ist also nicht in erster Linie eine ideologische Frage, warum wir Ihren Quatsch ablehnen, sondern wir haben ein prinzipiell anderes Verständnis von dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der Linksfraktion – Widerspruch des Abg. Holger Apfel, NPD)

Und auch das werde ich Ihnen nicht ersparen: Sie schaden dem Widerstand gegen Hartz IV, der bitter nötig wäre. Sie schaden ihm! Sie gefährden ihn, Sie diskreditieren ihn,

auch mit solchen Anträgen. Deshalb mögen Sie sich vielleicht subjektiv als Interessenvertreter der Benachteiligten fühlen, aber objektiv sind Sie kein Interessenvertreter, sondern Sie sind in letzter Instanz Interessenverräter. Das möchte ich Ihnen ins Stammbuch schreiben.

(Beifall bei der Linksfraktion – Protest von der NPD – Jürgen Gansel, NPD: Wer hat vor 50 Jahren noch auf Arbeiter schießen lassen, Herr Pellmann?)

Herr Dr. Müller, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Pellmann, was Sie von Herrn Gerlach unterscheidet, ist, dass Sie mitbekommen haben, dass wir uns etwa aller vier Wochen auf Antrag der NPDFraktion zu diesem Thema unterhalten. Was unsere beiden Parteien unterscheidet, ist, dass wir nie an der Macht geklebt und uns bei den Gesetzen im Bundesrat der Stimme enthalten haben; denn Ihre Partei hätte die Chance gehabt, aus der Regierungskoalition auszutreten und sich nicht einfach der Stimme zu enthalten.

(Beifall bei der NPD – Gitta Schüßler, NPD: Hört, hört! – Holger Apfel, NPD: Wer ist jetzt der Verräter?)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um zu klären, was das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt verfolgte und wie die tatsächliche Umsetzung bzw. die Praxis aussieht, müssen zuvorderst die Lebensumstände der Menschen berücksichtigt werden. Wenn man heute frohlockend sinkende Arbeitslosenzahlen präsentiert, die Zahl derer, die von ihrer Arbeit wirklich leben können, jedoch nicht rückläufig ist, dann stellt jeder Tag, an dem Hartz IV in Kraft ist, einen Tag zu viel dar. Tatsächlich fallen Millionen Menschen aus der Arbeitslosenstatistik heraus, die eine Umschulung oder Weiterbildung absolvieren, die sich in der sogenannten 58er-Regelung befinden, die einen erwerbstätigen und ausreichend verdienenden Partner haben, eine Strukturanpassungsmaßnahme durchlaufen, einer Tätigkeit mit Mehraufwandsentschädigung nachgehen, zu lange krank sind oder sich in Rehabilitation befinden, deren Leistung eben – aus welchen Gründen auch immer – vollständig gekürzt ist.

Im Gegensatz hierzu hat sich Armut eher manifestiert. Nachdem das ALG II als Lohnuntergrenze angesehen wurde, wird dies nunmehr schon im dritten Jahr in Folge mit steigenden Zahlen gar noch unterschritten. Immer mehr Menschen sind trotz Vollzeitarbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt auf ergänzende Leistungen und Darlehen nach § 23 SGB II angewiesen. Während der Staat und die Bundesagentur für Arbeit Mehreinnahmen zu verbuchen haben, die teilweise auf internationalen Spekulationsmärkten für US-amerikanische Immobilien verhökert werden, leben immer mehr Menschen in dieser eigentlich reichen Bundesrepublik in Armut. Diese Armut war von vornherein absehbar, werden doch als Grundlage für den

Regelsatz die untersten 20 % der Einkommen zugrunde gelegt und hiervon wiederum weitere Kürzungen vorgenommen.

Den drastisch zugenommenen Klagen vor den Sozialgerichten geschuldet, wurde mit dem Fortentwicklungsgesetz vom 20.07.2007 im § 23 Abs. 1 SGB II der Wortlaut „weitergehende Leistungen sind ausgeschlossen“ hinzugefügt. Damit, meine Damen und Herren, hat sich der Gesetzgeber in Form der regierungstragenden Parteien bei Verabschiedung des Gesetzes im Juli vergangenen Jahres dagegen abgesichert, dass jegliche weiterführende, auch berechtigte Ansprüche von Hilfebedürftigen befriedigt werden bzw. dahin gehende Ansprüche geltend gemacht werden können. Mit diesem angefügten Satz wird jedoch der mit seinen einzelnen Leistungsbestandteilen angegebene Regelsatz verzerrt.

Meine Damen und Herren, vor allen Dingen von der Koalition! Ich möchte Ihren Fokus aber auch auf das von Ihnen eingereichte und gegen alle Widerstände durchgesetzte Elfte Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes lenken. In der Begründung für die Pauschalierung der Aufwandsentschädigung zum Gesetzentwurf haben Sie geschrieben: „Aus Gründen der Transparenz und Nachvollziehbarkeit kommt es zur technischen Anpassung der Pauschalierung nach dem jährlichen Preisindex für die Lebenshaltungskosten der privaten Haushalte im Freistaat Sachsen.“ Während Abgeordnete also eine Anpassung nach dem jährlichen Preisindex für Lebenshaltungskosten genießen und Sie das auch noch als transparent verkaufen, wird solch eine Regelung ausgerechnet denjenigen verwehrt, die auf Sozialleistungen auf Minimalniveau angewiesen sind.

Die Preisentwicklung der Lebenshaltungskosten spielt bei der Anpassung für Hartz IV nämlich nur eine beiläufige Rolle. Aber genau hier sind die Kosten explodiert. Das Statistische Landesamt gibt mit Basis 100 des Jahres 2000 für Ende letzten Jahres eine Teuerungsrate bei Haushaltsenergie auf 158,7 Punkte, für Obst auf 122,7 Punkte, für Kraftstoffe auf 144,3 Punkte sowie für das Bildungswesen auf 120,5 Punkte an, um nur einige Beispiele zu nennen.

Um dem Sozialstaatsanspruch gerecht zu werden und damit der seit nunmehr über drei Jahren manifestierten Armut, erst recht im Kinder- und Jugendbereich, wirksam entgegenzutreten, bedarf es einer grundlegenden Umkehr. Eine Arbeitslosenversicherung muss auch das Wort Versicherung wert sein. Hilfebedürftigen ist vordergründig im eigenen Land zu helfen und es sind eben nicht Milliarden auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt zu verzocken. Besondere Lebenslagen sind wieder zu berücksichtigen, erst recht, wenn es sich um Kranke, Kinder und Jugendliche handelt. Der Sozialsatz hat die tatsächliche jährliche Inflationsrate der einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) zu berücksichtigen. Letztendlich gehört, wie die Anhörung vom 04.04.2008 zeigte, die Lehr- und Lernmittelfreiheit im Freistaat Sachsen endlich durchgesetzt.

Zum Abschluss noch einmal, meine Damen und Herren: Armut ist auch in Sachsen verankert. Erwachsene, aber auch Kinder und Jugendliche leiden Hunger, werden ob ihrer finanziellen Situation gesellschaftlich ausgegrenzt. Wir sitzen hier im Landesparlament von Sachsen und haben daher die Interessen dieser Menschen zu vertreten. Es gilt, hier die Armut zu bekämpfen und den Bürgerinnen und Bürgern ein menschenwürdiges Dasein in Arbeit zu verschaffen, von der man auch leben kann. Wer dennoch auf die Hilfe angewiesen ist, dem hat die Politik nicht noch das letzte Hemd zu nehmen. Stimmen Sie deshalb für unseren Antrag!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Wird von der Staatsregierung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Herr Dr. Müller, wollen Sie dann gleich das Schlusswort halten?

(Dr. Johannes Müller, NPD: Wir verzichten!)

Gut.

Meine Damen und Herren! – Herr Dr. Hahn, bitte.

Frau Präsidentin! Ich möchte gern vor der Abstimmung noch eine sachliche Richtigstellung vornehmen, nicht weil ich glaube, die NPD überzeugen zu können, aber damit es wenigstens im Protokoll richtig steht.