Protocol of the Session on May 29, 2008

Ich möchte an dieser Stelle auf ein weiteres Problem aufmerksam machen, das vorhin schon einmal anklang, und zwar das Problem der Schulabbrecher, welches mit dem Thema Ausbildungspolitik verknüpft ist. Nach wie vor ist die Quote der jungen Sächsinnen und Sachsen, die die Schule ohne einen Schulabschluss verlassen, viel zu hoch. Es sind knapp 4 000 junge Sächsinnen und Sachsen, das macht einen Anteil an der Gesamtschülerzahl von 9 % aus.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört! Hört!)

9 % sind eindeutig zu viel.

Auf der einen Seite reden wir vom Fachkräftemangel und darüber, dass die Wirtschaft klagt, dass es eine unzureichende Ausbildungsreife gibt. Aber auf der anderen Seite lässt der Freistaat 4 000 junge Menschen einfach durchrutschen. Das ist ein Potenzial, das nach Meinung der Linksfraktion nicht leichtfertig verschenkt werden darf.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Über den Europäischen Sozialfonds ist ein Förderprogramm für abschlussgefährdete Hauptschüler aufgelegt worden. Herr Jurk, ich hoffe und erwarte, dass Sie in Ihrem Redebeitrag darauf eingehen und Bericht erstatten, wie dies anläuft.

Ich möchte noch etwas zur Problematik Berufsorientierung sagen. Vorhin wurde das Wort Wissenschaftsgesellschaft benutzt. In einer solchen Gesellschaft ist Berufsorientierung auch Lebensorientierung. Wir hatten im vergangenen Herbst dazu einen Antrag; seitdem hat sich nichts getan. In einer Wissensgesellschaft hat lebenslanges Lernen oberste Priorität. Darauf müssen junge Menschen vorbereitet werden. Ihnen müssen Wege aufgezeigt werden, wie sie sich selbstständig und selbstbestimmt ihr Leben lang weiterbilden können.

Nun noch eine Bemerkung zum Bereich der geschlechtsspezifischen Berufsorientierung. Herr Rasch, ich freue mich, dass inzwischen auch bei Ihnen angekommen ist, dass Mädchen in technischen und handwerklichen Berufen durchaus sehr gute Ergebnisse erzielen und teilweise ihre männlichen Mitstreiter überflügeln. Aber es ist immer

noch so, dass sich Mädchen am häufigsten für typische Frauenberufe entscheiden, für die Bürokauffrau, die Arzthelferin, die Einzelhandelskauffrau, die Zahnarzthelferin und die Frisörin. Das darf nicht weiter so bleiben. Die Chancen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, sind in diesen Berufen schlecht. Ausbildungsberufe, in denen es gute Chancen gibt, wie die Elektronikerin in der Maschinentechnik, die Verfahrensmechanikerin oder die Glaserin, bleiben unbesetzt und werden von Mädchen nicht nachgefragt.

Das ist aber nicht nur bei Mädchen so. Herr Petzold, Sie haben gefragt: Was nützt uns der hundertste oder tausendste Kfz-Mechatroniker, was nützt uns die hundertste oder tausendste Bürokauffrau? Auch ich frage: Was nützt uns das? Aber trotzdem werden immer noch staatliche Mittel in die Ausbildung dieser Berufe gesteckt. Das kann nicht sein!

(Beifall bei der Linksfraktion – Beifall des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Grundlegend ist festzuhalten, dass es der Staatsregierung an einem Konzept mangelt, wie dem Fachkräftebedarf in den kommenden Jahren zu begegnen ist. Herr Brangs, Sie sprachen davon, dass viele Unternehmen erst jetzt aufwachen. Ich denke, dass nicht nur die Unternehmen erst jetzt aufwachen, sondern eben auch die Regierung.

Studien und Analysen, wie zum Beispiel die Umfragen der Wirtschaftsregion Chemnitz/Zwickau, aber auch andere sind doch zur Genüge vorhanden. Setzen Sie sich endlich an einen Tisch mit Wissenschaftlern, mit Vertretern der Wirtschaft, mit den Gewerkschaften und den Kammern. Entwickeln Sie eine sinnvolle Strategie, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Unterstützen Sie die sächsischen Unternehmen bei ihrer Personalplanung, investieren Sie staatliche Mittel sinnvoll in die Berufsausbildung junger Sächsinnen und Sachsen, damit die jungen Menschen in diesem Land eine Zukunft haben, und ersparen Sie uns zukünftig solche Debatten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wird von der NPD das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann frage ich die FDP. – Herr Zastrow, bitte.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Brangs, es ist völlig klar – ich habe gerade auch mit Kollegen Schiemann darüber gesprochen –, dass es sich damals, als der Weg der außerbetrieblichen Ausbildung in Sachsen gefunden worden ist, um eine Notsituation gehandelt hat. Keiner kann sich hier hinstellen und sagen, dass er ein Patentrezept für den Lehrstellenmangel hatte. Es ist völlig klar, dass auch wir das nicht gehabt hätten. Ich glaube, niemand in diesem Raum hat das gehabt. Im Nachhinein die Auswirkungen zu analysieren ist immer ein bisschen einfacher, als in der jeweiligen Situation zu reagieren.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion)

Das gestehe ich jedem zu, der damals Verantwortung getragen hat. Hinter der außerbetrieblichen Berufsausbildung stand die gute Idee, in einer Notsituation zu helfen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Fakt ist aber, dass wir jetzt die Ergebnisse zur Kenntnis nehmen und bestimmte Fehlentwicklungen, die es in Bezug auf Berufsbilder gibt, die wir nicht brauchen, korrigieren müssen.

(Beifall bei der FDP)

Eine Ausbildung zu haben und dann keinen Job zu finden ist nicht gut. Eine Ausbildung zu haben, die nicht dazu führt, einen Einstellungstest zu bestehen, weil die Ausbildung ohne Betrieb meist schlechter ist, ist auch nicht die Lösung für die Zukunft. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass das Programm von damals zu einer größeren Abwanderung von jungen Menschen geführt hat. Deswegen glaube ich, dass wir dringend eine Berufsausbildungsreform brauchen, die in Zukunft die duale Ausbildung gegenüber allen außerbetrieblichen Angeboten bevorzugt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Das hätte ich mir in der Vergangenheit stärker gewünscht, weil ich denke, dass die vielen außerbetrieblichen Ausbildungsangebote nicht notwendig gewesen wären, wenn man in den letzten Jahren ein bisschen mehr Kreativität an den Tag gelegt und ein bisschen mehr Vertrauen in unsere kleineren Wirtschaftsbetriebe gehabt hätte.

Wir sollten aus meiner Sicht, Herr Kollege Colditz, die Struktur unserer Wirtschaft zur Kenntnis nehmen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die meisten unserer Betriebe zwischen einem und 20 Mitarbeiter haben. Viele von diesen Unternehmen wollen ausbilden, sie scheuen sich aber vor dieser Ausbildung, weil die Betreuungsbelastung für jeden Lehrling ein Stück weit größer ist, als das in großen Unternehmen der Fall ist.

Sie scheuen die Ausbildung aber auch noch aus einem anderen Grund. Das hat etwas mit Verantwortungsbewusstsein zu tun, weil sie genau wissen, dass sie als kleines Unternehmen das Anforderungsprofil, das ein bestimmtes Berufsbild erfordert, allein oft nicht bieten können. Ich habe es vorhin schon einmal gesagt: Ein Lehrling hat das Recht, eine vernünftige Ausbildung zu bekommen, mit der er sich zukünftig an jeder Stelle in diesem Land erfolgreich bewerben kann.

(Beifall bei der FDP)

Ein Weg, diese kleineren Unternehmen, die die Mehrzahl unserer Wirtschaft ausmachen, für unseren Ausbildungsmarkt zu gewinnen, können aus meiner Sicht Kleinstverbundlösungen sein, also Verbundlösungen, bei denen sich kleine Betriebe mit anderen zusammenschließen. Ich will ein konkretes Beispiel für meine Firma nennen: Ich glaube, eine Ausbildung von Lehrlingen würde mir selbst leichter fallen, wenn da noch die Druckerei wäre, wenn

noch ein Verlag wäre, eine Zeitungsredaktion oder ein Typostudio, wenn man mit diesen die Ausbildung gemeinsam organisieren könnte. Es gibt so etwas, wie ich weiß, zum Beispiel in der sächsischen Metall- und Elektroindustrie. Ich weiß, der Ausbildungsring „Arimes“ hat damit sehr gute Erfahrungen gesammelt.

So etwas gibt es aber nicht für alle Branchen. Und es gibt solche Verbundlösungen nicht für kleine Unternehmen. Für kleine Unternehmen wünsche ich mir nicht nur Geld, sondern für solche juristisch komplizierten Konstrukte mehr logistische und mehr beratende Unterstützung durch die öffentliche Hand. Das wäre aus meiner Sicht eine wichtige Zukunftsaufgabe vielleicht auch für die Staatsregierung.

(Beifall bei der FDP)

Weiterhin wünsche ich mir, dass wir die Ausbildung entbürokratisieren. Ich glaube, dass es nicht für jeden Ausbildungsberuf notwendig ist, drei Jahre die Schulbank zu drücken. Es gibt Ausbildungsberufe – ich nehme als Beispiel den von mir schon oft genannten Beruf des Mediengestalters, weil ich dort auch die Erfahrungen gesammelt habe –, in denen die Leute nach zwei Jahren fertig ausgebildet sind und somit nach zwei Jahren in die Betriebe gehen könnten. Sie würden mehr lernen, wenn sie stärker in der Praxis lernen und auch mal in der Praxis Fehler machen könnten, als die Zeit als billige Arbeitskräfte für die jeweiligen Unternehmer oder auf der Schulbank zu verschwenden. Darüber sollte man nachdenken.

Wir müssen auch darüber nachdenken, schneller neue Berufsbilder in Deutschland anzuerkennen. Es gibt Berufe, die ich gern ausbilden würde, für die es aber kein Berufsbild gibt, zum Beispiel im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Hierfür gibt es nach wie vor keine Berufsbilder. Hier würde ich mir wünschen, dass wir das viel schneller anbieten könnten, um neue Märkte zu erschließen. Wir müssen auch, meine Damen und Herren, Einstellungshemmnisse abschaffen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich würde den Gedanken zu Ende bringen, dann sehr gern. – Ich will noch an das Jugendarbeitsschutzgesetz erinnern. In vielen Bereichen ist es sicherlich gut, aber im Bereich der Hotellerie und der Gastronomie ist es veraltet. Wir würden mehr Lehrlinge in diesen Bereichen einstellen können, wenn junge Leute am Abend länger in den Betrieben arbeiten dürften.

Herr Zastrow, Ihre Redezeit ist eigentlich schon abgelaufen. Gestatten Sie noch die Zwischenfrage?

Ja. – Ich wünsche mir, dass wir dort zur Lebenswirklichkeit unserer Jugend zurückkehren und Jugendliche bis 23:00 Uhr in Gaststätten arbeiten lassen, wenn es die Ausbildung erfordert.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Bitte, Frau Weihnert.

Herr Zastrow, haben Sie auch nur annähernd eine Ahnung davon, wo Berufsbilder entstehen, wer diese entwickelt und wo sie beschlossen werden?

Davon habe ich eine Ahnung. Das ist leider nicht in Sachsen. Aber ich wünsche mir, dass wir mehr Druck machen, weil wir in Sachsen die Probleme sehen. Wir sehen, wie es zum Beispiel in meinem Betrieb der Fall ist, dass Tätigkeiten anfallen, für die ohne Weiteres Lehrlinge ausgebildet werden könnten. Als Beispiel nenne ich hier einen Public-Relations-Referenten für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Das muss niemand sein, der unbedingt mit einem Hochschulstudium kommt und sich dann irgendwie in diesen Bereich einarbeitet, sondern das könnten auch pfiffige Leute sein, die eine direkte Berufsausbildung machen. Dieses Berufsbild existiert schlichtweg nicht. Ich wünsche mir, dass wir diesbezüglich Druck machen. Das ist nicht allein die Aufgabe der Staatsregierung – –

Gehört das noch zur Beantwortung der Frage?

Natürlich gehört das dazu. Aber wir haben im Bundesrat auch als Freistaat eine Stimme!

Herr Zastrow, gehört das noch zur Antwort?

Es gehört dazu.

Weitere Fragen sind nicht mehr möglich. Die Redezeit von Herrn Zastrow ist abgelaufen.

Das ist sehr schade. Ich würde den Dialog gern weiterführen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Wird von der Fraktion GRÜNE noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann frage ich die CDU-Fraktion. – Nein. SPD? – Linksfraktion? – NPD? – FDP? – Dann sind wir damit durch und ich erteile der Staatsregierung das Wort; Herr Jurk, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt für das Ausbildungsjahr 2008/2009 vorliegenden Zahlen lassen durchaus einen positiven Trend erkennen. Mit Stichtag 30. April 2008 haben uns die zuständigen Stellen folgende Situation gemeldet: