Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Koalitionsfraktionen, Drucksache 16/1397. Wer für die Annahme der Drucksache 16/1397 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 16/1397 mit den Stimmen aller Abgeordneten des Hauses angenommen worden ist.
Beschlussfassung über den von der DIE LINKE-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Den Beschäftigten in systemrelevanten Berufen nicht nur Beifall klatschen,
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da die Zeit schon etwas fortgeschritten ist, will ich mich kurzfassen. Das Thema, um das es geht, kennen Sie alle, es geht um die sogenannten systemrelevanten Berufe und darum, dass sie so schlecht bezahlt werden. Es gibt dazu sehr viele Untersuchungen, die muss ich nicht alle zitieren, Sie kennen sie sicherlich teilweise. Die Fragestellung ist also als solche völlig unstrittig.
Heute sagt auch in der Saarbrücker Zeitung im Zusammenhang mit der Diskussion um den öffentlichen Dienst der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes wieder: „Nach dem Klatschen der Öffentlichkeit kam die Klatsche durch die kommunalen Arbeitgeber.“ Man könnte das ausweiten: Dann kam die Klatsche durch die politisch Verantwortlichen insoweit, als dass nicht ausreichend Anstrengungen unternommen werden, um diese zu schlechte Bezahlung zu verändern.
Unser Antrag ist gestellt worden, um festzustellen, ob die Diskussion der letzten Monate irgendetwas bewirkt hat, auch bei den übrigen Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus. Ich will das am Beispiel der sogenannten Pflegehilfskräfte deutlich machen, die in den letzten Monaten in besonderer Form Gefahren ausgesetzt waren. Diese Pflegehilfskräfte haben einen neuen Tarifvertrag bekommen, dieser sieht für die Hilfskräfte im Westen 11,60 Euro Stundenlohn vor und für die im Osten 11,20 Euro.
Nun zielt unser Antrag ja auf die Verbesserung des Mindestlohnes. Nach Meinung der Bundesregierung bereits im Jahre 2017 wären 12,60 Euro notwendig gewesen, damit jemand, der im Mindestlohn arbeitet, überhaupt eine Chance hat, die Grundsicherung im Alter zu erreichen. Mittlerweile ist der Betrag noch höher, 13 Euro oder mehr.
Unser Antrag zielt darauf ab, die systematische Verschlechterung des Mindestlohns im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zu verändern, indem man nicht den Arbeitgebern - das war ein Fehler faktisch ein Vetorecht einräumt. Das ist eine der Hauptursachen dafür, dass der Mindestlohn in Deutschland schlechter ist als beispielsweise in Luxemburg, in Frankreich, in den Niederlanden, in Irland und in Belgien. Wenn Sie nur an die Reinigungskräfte denken, dann wissen Sie, dass eine ganze Reihe von Menschen zu den Bedingungen des Mindestlohnes arbeiten muss.
Ich weiß nicht, wie die Diskussion nachher verläuft, ich kann mir aber das eine oder andere vorstellen. Uns geht es nicht um unser Anliegen speziell, was den Mindestlohn angeht - man könnte auch zum Beispiel die allgemeine Verbindlichkeit der Tarifverträge beschließen, das wäre ein weiterer wesentlicher Schritt ‑, es geht uns nur darum, festzustellen, ob die Bereitschaft besteht, für diese Menschen irgendetwas zu tun.
Ich muss sagen, wenn man feststellt, dass Pflegehilfskräfte so schlecht bezahlt werden - ich habe die Zahlen genannt - und sich vorstellt, dass sie Corona-Kranke betreuen mussten und vielleicht Angst hatten, dass sie auch angesteckt werden, und dass eine ganze Reihe von ihnen auch angesteckt wurde, dann kann ich nicht nachvollziehen, mit welcher Gleichgültigkeit auch politisch Verantwortliche sich gegenüber diesem Thema verhalten.
Das ist das große Problem unserer Zeit, was ja nicht nur für diesen Bereich gilt. Manchmal habe ich die Befürchtung, dass viele sich schlicht und einfach gar nicht vorstellen können, was es heißt, wenn man unter diesen Bedingungen leben muss. Ich verweise den einen oder anderen auf Filme von Ken Loach, der in letzter Zeit zwei Filme gedreht hat, die wirklich ergreifend sind und darstellen, wie es diesen Menschen geht.
Der eine Film heißt „Ich, Daniel Blake“ und der andere heißt „Sorry we missed you“. Wenn Sie einen solchen Film sehen und betrachten, wie es den Leuten geht, dann werden Sie zu Hause - zumindest geht es mir so - am Tisch sitzen und die Frage stellen, ob wir die Lebensbedingungen, unter denen wir leben können, überhaupt verdient haben im Vergleich zu den Bedingungen dieser Menschen und dem, was sie leisten. Ich meine das ganz ernst, vielleicht denkt der eine oder andere von Ihnen darüber nach.
Meine Bitte ist deshalb, dass Sie unserem Antrag zustimmen. Er würde die Landesregierung auffordern, im Bundesrat Initiativen zu ergreifen. Ich sage noch einmal, es wäre auch denkbar, eine andere Initiative zu ergreifen, aber eines dürfen wir nicht machen, dass wir immer wieder in solchen schwierigen Situationen den Menschen nur danken und sagen, wie erfreut und dankbar wir sind, dass sie ebendiese Arbeit machen.
Ich sage noch einmal, man muss sich vorstellen, man wäre in dieser Situation gewesen - wo auch noch so viel Angst da war, dass man sich ansteckt und vielleicht stirbt -, die Menschen betreuen zu müssen, um dann ein paar Monate später den Eindruck zu gewinnen, dass das alles nicht so ernst gemeint war und dass nichts unternommen wird.
Ich kann das nur andeuten, es geht ja auch schon durch die Presse, dass die Stimmung sich so langsam verändert, dass die Menschen langsam den
Eindruck haben, da ist das eine oder andere, das von der Politik gesagt worden ist, überhaupt nicht ernst gemeint. Da ist auch der Eindruck, dass die Sorgfalt fehlt und so weiter. Dem sollten wir entgegenwirken.
Es hat keinen Sinn, sich immer darüber zu beklagen, dass sogenannte Politikverdrossenheit die Menschen davon abhält, zur Wahl zu gehen oder Radikale zu wählen. Wir sollten unsere eigene Verantwortung annehmen. Ich bin der Meinung, es gibt tausend Gründe, etwas für die Menschen zu tun, die schlecht bezahlt werden.
Ich hatte vor einigen Wochen hier an diesem Pult gesagt, die systemrelevanten Berufe werden äußerst schlecht bezahlt, die systemzerstörenden Berufe haben irre Gehälter und Vermögen. Einige von Ihnen haben das akzeptiert und mich darauf angesprochen, vielleicht finden wir zu einem Beschluss, der diesen Menschen helfen könnte! - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Ich eröffne die Aussprache. - Für die SPD-Landtagsfraktion rufe ich den Abgeordneten Eugen Roth auf.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Reflektierend auf den Antrag und auf die Einbringungsrede des Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, lieber Oskar, sind wir in dem Ziel, um das es da geht, nicht auseinander, allerdings gibt es einen Dissens bei der Mechanik. Darauf will ich eingehen.
Es ist richtig, dass diesen Menschen geholfen werden muss, und zwar nicht nur mit Klatschen, sondern letztlich auch mit Anerkennung im materiellen Sinne und Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen et cetera. Das ist sicherlich eine unzweifelhafte Erkenntnis aus dieser Corona-Pandemie. Wir wären natürlich froh - und da kommen wir schon wieder zu der Grundproblematik dieses Mindestlohnes als absolute Lohnuntergrenze -, wenn das alles entsprechend tarifgebunden mit starken Gewerkschaften im Rücken passieren könnte, denn dann hätten wir das Problem der absoluten Lohnuntergrenze nicht, sondern hätten Lösungen für angebrachte gerechte Entlohnungen.
Man muss aufpassen, es gibt hier eine Wechselbeziehung, eine Korrelation. Zunächst einmal lehnen wir ab, dass die Mindestlohnkommission abgeschafft wird. Deswegen können wir dem Antrag nicht zustimmen. Richtig ist, dass bei Einführung des Mindestlohns diese Zusammensetzung gewählt wurde, weil zu dem Zeitpunkt in Deutschland später als in
anderen europäischen Ländern überhaupt noch über die Akzeptanz eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns gerungen werden musste.
Ich will das hier nicht unnötig lange ausbreiten, das war ja auch innerhalb der Gewerkschaften ein Kampf, weil einige gesagt haben: Wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, werden die Arbeitgeber dort, wo wir in unteren Lohngruppen höhere Löhne abgeschlossen haben, das dann auf den gesetzlichen Mindestlohn runterziehen. Diese Gefahr bestand ja nicht nur theoretisch, sondern das ist eine Frage, die sich bis heute in dieser Mindestlohnkommission immer noch abspielt. Aber in den letzten fünf Jahren hat sich dieser Mindestlohn in Deutschland mittlerweile unzweifelhaft etabliert. Er ist eine Erfolgsgeschichte, an der wir - die Sozialdemokratie ganz vorneweg - auch ganz massiv mitgewirkt haben. Die Sozialdemokratie war an der Stelle schneller als die Gewerkschaften, nur um das noch einmal deutlich in Erinnerung zu rufen.
Diese Kommission hat das letzte Mal am 30.06.2020 getagt und hat in vier Schritten eine Erhöhung bis 2022 auf dann 10,45 Euro beschlossen. Das ist uns zu langsam. Damit wird das, was - wie ich finde, zu Recht - als armutsfester Mindestlohn gefordert ist, im Ziel zu langsam erreicht. Ich darf aber auch einmal erwähnen, als man vor einigen Jahren 10 Euro als Mindestlohn gehört hat - da war das auch noch eine Forderung der LINKEN -, da hätten wir noch gar nicht geglaubt, dass wir einmal über diese Grenze springen.
Die Frage ist das Tempo. Wenn ich mir jetzt diese Kommission anschaue, dann möchte ich einmal aus dem Mindestlohngesetz § 9 Abs. 2 zitieren. Dort liegt meiner Auffassung nach ein Schlüssel für eine Lösung. Dort heißt es: „Die Mindestlohnkommission prüft im Rahmen einer Gesamtabwägung, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen,“ - erste Voraussetzung - „faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen“ - zweite Voraussetzung „sowie Beschäftigung nicht zu gefährden. Die Mindestlohnkommission orientiert sich bei der Festsetzung des Mindestlohns nachlaufend an der Tarifentwicklung.“
Das Ganze passiert dann paritätisch besetzt, drei Mitglieder kommen aus den Arbeitgeberverbänden, drei aus den Gewerkschaften. Bei uns ist das auf der Gewerkschaftsseite die IG BAU, vertreten durch Robert Feiger, Verdi, vertreten durch Andrea Kocsis, und für den gesamten DGB spricht Stefan Körzell. Das hat man ganz bewusst so gemacht, weil BAU zum Beispiel einen Tarifmindestlohn hat, der wesentlich höher ist als der gesetzliche Mindestlohn, und dort kommt schon wieder diese Korrelation ins Spiel.
Warum sind sie in der letzten Runde nicht höher gegangen? Warum hat Jan Zilius, der ursprünglich aus dem Arbeitnehmerlager kommt, nicht einen strammeren Schritt gemacht? - Weil sie gesagt haben, man würde die unteren Tariflohngruppen in zu großem Maße - die Rede war von 30 Prozent insgesamt über alle verteilt - überholen. Ob das so stimmt, ist streitig, obwohl zwei Wissenschaftler drin sind. Der eine ist Lars Feld. Naja, als Gewerkschaftler habe ich ihn die Woche zum Kurzarbeitergeld gehört. Dass er aus dem Saarland stammt, hat er scheinbar vergessen. Es ist aber seine persönliche Auffassung. Die zweite Wissenschaftlerin ist eine Frau, ich weiß jetzt den Namen nicht. Es gibt also auch die entsprechende wissenschaftliche Begleitung. Und jetzt kommt es: Hubertus Heil als der zuständige Minister hat bereits gesagt, dass wir mit dieser Erhöhung bei ungefähr 46 Prozent des Medians sind. Man sagt, Armutslöhne beginnen bei unter 60 Prozent des Durchschnitts der Löhne. Das heißt, es ist immer noch ein Armutslohn. Deshalb hat er in Aussicht gestellt, dass man das gesamte Gesetz evaluiert und darüber nachdenken muss, ob man neue Zielmargen einstellt.
Das ist der Unterschied zum Antrag der LINKEN. Ihr sagt, es soll dem Deutschen Bundestag übertragen werden. Ich spitze das einmal zu: Ich möchte so eine Entscheidung nicht gern an Herrn Lindner übertragen. Das halte ich für gefährlich. Da weiß ich nicht, ob es bei 10,45 Euro bleibt. Wir können anfangen, darüber zu reden, wie gut seine Chancen sind. Er haut gewöhnlich ab, wenn es eng wird. Jetzt mal Spaß beiseite: Es ist auf jeden Fall eine Schwierigkeit, so etwas in dieses Lotteriespiel reinzugeben, je nachdem, wie die Mehrheiten gesetzt sind. Vielleicht hat man dann die Hoffnung, die Leute wählen DIE LINKE oder die SPD, weil sie wüssten, sie bekämen dann einen ordentlichen Mindestlohn. Ich glaube aber, so einfach ist das nicht. Es ist komplizierter. Die CDA brauche ich jetzt nicht zu nennen, der CDA-Landesvorsitzende kommt noch. Er wird seinen Bundesvorsitzenden selbst zitieren, weil sie dazu ganz klare Positionen haben.
Da passiert gerade etwas. Hubertus Heil denkt zum Beispiel an, dass man die Mindestlohnkommission beibehält, ihr aber als eines der Ziele in dem neuen Absatz 2 vorgibt, dass der Mindestlohn armutsfest sein muss. Dann wäre es definiert, dann wäre es politisch gemacht, ohne die Kommission abzuschaffen. Die Frage der Korrelation mit den unteren tariflichen Gruppen besteht noch. Dieser Konflikt ist nie ganz aufgehoben worden. Es gibt natürlich auch Personen im Arbeitgeberlager, die meinen, man brauche überhaupt nicht in eine Gewerkschaft einzutreten, das macht der Gesetzgeber, das kann man sich sparen. Das ist übrigens etwas, was wir häufig in Frankreich erleben. Diese Dinge passieren in Europa.
Unterm Strich stimmt die Zielrichtung dieser Initiative. Man kann nicht dagegen sein. Wir bitten aber darum, nicht ein Entweder-oder daraus zu machen: Entweder machen sie etwas für den Mindestlohn oder sie machen nichts. - Im Moment hat er sich relativ weit entwickelt, wenn man auf die letzten fünf Jahre schaut. Allerdings geht es mit der allgemeinen Entwicklung zu langsam voran. Da sind wir wieder beisammen. Deshalb sollte man am Design etwas machen. Man könnte vielleicht auch über bestimmte Mechanismen dafür sorgen, dass die Tarifbindung wieder gestärkt wird. Ich nenne nur einmal das Stichwort Tariftreuegesetz. Da wäre es nicht der Mindestlohn, sondern ein allgemeiner Ansatz. Mein geschätzter Kollegen Wegner macht da natürlich nicht blanko mit, nur weil ich hier argumentiere, aber es sind dieselben Argumente, die auf Bundesebene ausgetauscht werden.
Die Chancen stehen gut, dass beim Mindestlohn etwas passiert, was mich persönlich überrascht hat. Das sage ich hier ganz offen. Heute hat es eine ganz andere Qualität als noch vor wenigen Wochen, dass Olaf Scholz als Bundesfinanzminister beharrlich sagt, dass er von einem gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 12 Euro ausgeht. Wir haben also über die Mechanismen, die ich jetzt angerissen habe, die Möglichkeit, dort etwas zu tun. Wir sollten aber nicht die Arbeitgeber vor die Tür setzen. Das führt nur dazu, dass man erst die Arbeitgeber und dann die Gewerkschaften vor die Tür setzt. Ob es dann linke Mehrheiten im Deutschen Bundestag gibt, ist fraglich.
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Zielrichtung stimmt. Den Mechanismus jetzt auszuhebeln, wäre falsch. Die Verbesserungen, die Heil angekündigt hat, kommen in diesem Herbst. Dass die SPD im Bund in die Koalition reingegangen ist, weil Herr Lindner vom Balkon geflüchtet war, hat uns fast zerrissen. Sie kann aber handeln, das hat sie vergangene Nacht gezeigt. Wer hätte gedacht, dass die Geschichte mit dem Kurzarbeitergeld bis 2021 durchgebracht wird? - Man kann den tragenden Parteien keine bösen Absichten unterstellen.
Noch eine letzte Anmerkung. Laumann hat Gewicht innerhalb der CDU. Er hat sehr deutlich gesagt, was er von diesen bisherigen Trippelschritten hält, und die Mindestlohnkommission attackiert. Niemand aus dem Deutschen Gewerkschaftsbund, nicht einmal Verdi - ich habe genau nachgeguckt -, will die Kommission abschaffen. Das wäre in der Akzeptanz des Mindestlohns ein Rückschlag, der sich gewaschen hätte. Das wäre kontraproduktiv. In diesem Sinne können wir leider nicht zustimmen, es verhindert aber auch nichts. Wir könnten hier dafür oder dagegen stimmen, es wird bundesweit ohnehin am gesetzlichen Mindestlohn nichts ändern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der Arbeit, die Frage, wie hoch der Lohn ist, und die Frage, was am Ende in der Lohntüte drin ist, ist nicht nur eine finanzielle Frage, sondern auch eine Frage der Wertschätzung der eigenen Arbeit. Da möchte ich aus der Enzyklika von Johannes Paul II zitieren, weil es zu dem Bereich der Wertschätzung von Arbeit passt: Die menschliche Arbeit ist ein Schlüssel und wohl der wesentliche Schlüssel in der gesamten sozialen Frage. Das Maß zur Bewertung der Arbeit ist der arbeitende Mensch selbst, die mit Freiheit und Selbstbewusstsein ausgestattete entscheidungsfähige Person, die sich in der Arbeit selbstbestimmt. Das führt zu dem viel zitierten und zu Recht zitierten Spruch: Die Arbeit ist für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit. Der Mensch findet in der Arbeit zu sich selbst. - Es gibt also mehrere Dimensionen der Arbeit, sie hat eine soziale und gesellschaftliche Dimension. Deswegen geht es um eine finanzielle Frage, nämlich die Frage der Entlohnung von Arbeit. Es geht aber auch um die Frage der Akzeptanz und der Anerkennung von Arbeit.
Es gab viele Kampagnen, auch eine der Landesregierung, die gesagt hat, dass Pflegekräfte einen ganz besonderen Wert haben. Diejenigen, die andere Menschen zu Beginn oder am Ende ihres Lebens im Krankenhaus, in Pflegeeinrichtungen oder Altenpflegeeinrichtungen begleiten und die für Mitmenschen in Situationen da sind, in denen eine Erkrankung vorliegt, haben eine ganz besondere Wertschätzung in unserer Gesellschaft verdient. Das war schon vor Corona so. Corona hat bereits viel verändert und wird weiterhin viel verändern. Corona ist nicht zu Ende. Wenn etwas bleiben wird, ist es die höhere Anerkennung und Wertschätzung von sozialen Berufen, von Berufen, die sich mit den Mitmenschen beschäftigen.
Deswegen war es gut und richtig, dass man beschlossen hat, für die Altenpflege einen Pflegebonus einzurichten. Dieser Pflegebonus entspricht ungefähr dem Lohnrückstand zu anderen Pflegebereichen, den es im Bereich der Altenpflege gibt. Der Bonus bedeutet, Menschen dankzusagen, die in systemrelevanten Berufen tätig sind. Man muss aber noch mehr tun, nämlich sich anschauen, wie sich die Löhne und Gehälter in den letzten Jahren entwickelt haben. Von vielen Menschen wurde wiedergegeben, dass sie immer weniger Geld im Geldbeutel haben. Dazu gehört auch, dass der Euro als Teuro bezeichnet wurde. Seit Mitte der Neunzigerjahre haben wir einen deutlichen Rückgang der Reallöhne. Das be
traf insbesondere die unteren Einkommensgruppen. Wenn man es im Durchschnitt betrachtet, gab es keine Reallohnzuwächse mehr. Das war für viele in Deutschland eine Neuerung, weil es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit der sozialen Marktwirtschaft eigentlich immer Reallohnsteigerungen gab. Das hat sich geändert.
Es hatte viele Ursachen. Es ging um die Frage der Globalisierung, es gab eine Wachstumsschwäche der deutschen Industrie, es gab einen verschärften Wettbewerbsdruck und viele neue Arbeitskräfte, die auf den Markt geströmt sind. Hier nenne ich das Stichwort Mittel- und Osteuropa und den Fall des Eisernen Vorhangs sowie den weiteren Gang von China und Indien zur Marktwirtschaft. Das hat vor allen Dingen dazu geführt, dass, weltweit betrachtet, viele Millionen Menschen einen sozialen Aufstieg hingelegt haben, dass viele Millionen Menschen in die Mittelschicht aufgestiegen sind und dass viele Menschen aus der Armut gekommen sind. Das hat gleichzeitig dazu geführt, dass es einen hohen Wettbewerbsdruck, insbesondere für untere Einkommensgruppen, gab.
Dann gab es ungefähr im Jahr 2005 eine Diskussion. Damals hatten wir 5 Millionen Arbeitslose. In den Jahren zuvor hatten wir einen deutlichen Rückgang bei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen. Das konnte gestoppt werden. Trotzdem gab es noch einen offenen Punkt: Wie kann man eine Lohnuntergrenze einziehen? - Wir als CDU haben 2010 einen entsprechenden Beschluss auf dem Bundesparteitag gefasst, dass eine Lohnuntergrenze unter größtmöglicher Wahrung der wichtigen und tragenden Säulen unserer sozialen Marktwirtschaft einzuführen ist, nämlich, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeinsam festlegen, wie hoch der gesetzliche Mindestlohn ist. Insofern kam dann die Mindestlohnkommission zustande. Viele Befürchtungen, die es gab, zum Beispiel ob der Mindestlohn möglicherweise zu hoch angesetzt wurde, wurden nicht bestätigt. Im Gegenteil ist es so, dass das DIW festgestellt hat, dass der vereinbarte Bruttostundenlohn nach 2015 um 15 Prozent angestiegen ist. Wir erleben auch bei Tarifen außerhalb der Erfassung des Mindestlohns, dass wir seit Beginn des letzten Jahrzehnts einen deutlichen Anstieg der Reallöhne erlebt haben. Das haben wir uns mit den zuvor durchgeführten Reformen „erkauft“, das haben wir damit erst möglich gemacht. Das hatte zur Folge, dass viele Menschen mehr Geld im Geldbeutel hatten.