Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat Frau Abgeordnete Spaniol von der DIE LINKE-Landtagsfraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kirchenvertreter! „Unter den Geboten Gottes gibt es wenige, die dem Schutzgebot gegenüber Fremden und Flüchtlingen an Gewicht und Eindeutigkeit gleichkommen. Die Fremden stehen unter dem unbedingten Schutz Gottes.“ Das ist eine ganz eindeutige Antwort aus christlicher Sicht, Herr Müller. Dieses Zitat stammt aus dem gemeinsamen Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht aus dem Jahr 1997, verabschiedet nach den Erfahrungen der politischen Auseinandersetzungen Anfang der Neunzigerjahre.
Dieses Wort ist immer noch hochaktuell, es trägt den Titel: „… und der Fremdling, der in deinen Toren ist“. Das wiederum ist ein Zitat aus dem Alten Testament. Der Titel weist laut Vorwort der Erklärung auf eine lange theologische Tradition der Auseinandersetzung mit dem Schicksal und dem Recht des Fremden hin. Dieses bildet die Grundlage, so heißt es weiter, „für die Verpflichtung und das Engagement der Kirchen, für Menschen einzutreten, die in ihren Rechten, ihrer Würde, ihrem Wohlergehen oder ihrer Existenz bedroht sind“. Eine weitere Passage hat ebenfalls bis heute Gültigkeit. Ich zitiere nochmals mit Erlaubnis des Präsidenten: „Zu den vielschichtigen Aspekten von Migration und Flucht sowie den Fragen der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen (…) werden Meinungen und Einstellungen oftmals emotionsgeladen vorgetragen oder nehmen aggressive Formen an.“ Das kennen wir ja irgendwoher, meine Damen und Herren, wir haben es eben auch wieder eindrucksvoll erlebt.
Deshalb, so weiter, sei es notwendig, sowohl Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten als auch dazu beizutragen, die Probleme differenziert wahrzunehmen und zu bewerten.
Meine Damen und Herren, der Appell der Kirchen war damals richtig, und er ist heute noch richtig und vor allem notwendig. Vor allem, wenn wir Debatten um Flüchtlinge und Kirchenasyl erleben. Solche Anträge wie der Ihrer Fraktion heute, Herr Müller, die mit dem Thema Ihrer Parteifreunde, von Ihnen wie üblich in despektierlicher Sprache vorgetragen, zuhauf in ähnlicher Form durch alle Landesparlamente irrlichtern - die sind unterirdisch, kann ich dazu nur sagen!
Es ist schon bezeichnend, dass im Grundsatzprogramm der AfD die christlichen Kirchen in der Moderne für das tolerante Nebeneinander der Religionen gelobt werden, aber das Kirchenasyl, das die Kirchen aus christlicher Überzeugung und aus Gewissensgründen heraus anbieten, gleichzeitig an den Pranger gestellt wird.
Meine Damen und Herren, das Kirchenasyl bedeutet Zuflucht in kirchlichen Räumen. Lange bevor es ein staatliches Asylrecht gab, fanden Verfolgte schon Schutz in der Kirche. Das Kirchenasyl ist eine letzte Möglichkeit, in konkreten Härtefällen eine drohende Abschiebung von Flüchtlingen abzuwenden. Die Bemühungen sind dabei darauf gerichtet, eine erneute Überprüfung des Falles unter Berücksichtigung aller in Betracht zu ziehenden rechtlichen, sozialen und humanitären Gesichtspunkte zu erreichen, wie es in der Vereinbarung des Landes mit den Kirchen heißt. Es geht eben nicht um eine dauerhafte Gewährung von Asyl nach eigenen kirchlichen Kriterien und Verfahren. Die Aufnahme dient letztlich dem Ziel, einen temporären Schutz zu gewähren, um die Behörden von eventuell bestehenden Abschiebehindernissen zu überzeugen. Es geht um sehr wenige Fälle. Sie haben von einem großen Anstieg gesprochen, das stimmt nicht. Es geht immer um sehr wenige Fälle, es geht um Menschlichkeit und es geht auch darum, eine Lösungsmöglichkeit zu finden. Wir finden es auch richtig, dass in dieser Zeit keine Abschiebung erfolgt.
Dies fordern wir auch für den Zeitraum, in dem sich die Härtefallkommission mit einem Antrag beschäftigt. Dadurch wird der Rechtsstaat mitnichten infrage gestellt.
Meine Damen und Herren, wie heißt es so schön auf den Seiten des Integrationsbeauftragten der Evangelischen Kirche der Pfalz: Das Kirchenasyl ist kein Rechtsinstitut. Es ist eine aus christlicher Verantwortung gespeiste Protestaktion, bei der es auch durchaus zu Konflikten mit staatlichen Instanzen kommen kann. - C‘est ça! Diese Orientierungshilfe haben einige hier im Hause bitter nötig! - Ich bedanke mich.
Ich danke Ihnen, Frau Kollegin Spaniol, und erteile das Wort für die SPD-Landtagsfraktion Frau Abgeordneter Petra Berg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Schülerinnen und Schüler! Das, was Sie heute
hier erleben, ist sicherlich keine Sternstunde der politischen Debatte, aber ich glaube, in Zeiten wie diesen ist es notwendig, dass solche Debatten Sie, die Öffentlichkeit, erreichen. Das, worum es hier geht, ist zunächst vielleicht einmal nicht so bedeutend, aber es ist etwas ganz Grundsätzliches. Es geht hier zum einen um Menschen und es geht darum, wie Politik mit diesen Menschen umgeht und wie sie mit der Gesellschaft im Gesamten umgeht und damit mit der Zukunft unseres Landes.
In Zeiten weitreichender Verunsicherung in der Bevölkerung, in Diskussionen um Kultur und Werte unserer Gesellschaft und die Verantwortung der Politik bei der Beantwortung all der damit zusammenhängenden Fragen ist und bleibt das Kirchenasyl immer wieder ein Diskussionstatbestand. Es geht zwar nur um wenige Fälle von Kirchenasyl, Frau Spaniol hat es eben gesagt, aber es geht doch um etwas ganz Grundsätzliches, um etwas, was in unserer Gesellschaft passiert.
Die Menschen in unserem Land sind zutiefst verunsichert, ob sie ihr wirtschaftliches Auskommen noch länger haben, ob ihre Kinder ausreichend Bildung genießen, auch ob sie zunehmender Gewalt ausgesetzt sein werden. Sie sind auch darüber verunsichert, woher die Ursachen für diese negativen Lebensveränderungen stammen. Dieser Verunsicherung kann nur durch das Vertrauen in den Rechtsstaat begegnet werden. Der Staat kann und wird geltendes Recht durchsetzen, und zwar egal ob in Polizeiuniform oder Richterrobe, dafür sorgen wir. Die Menschen in diesem Land können ihrem Rechtsstaat vertrauen.
Dieses Vertrauen zu verhindern beziehungsweise zutiefst zu erschüttern, haben sich aber politische Kräfte in diesem Land zum Ziel gesetzt. Dies aber nicht, um den Menschen Sicherheit zu geben, denn gerade die Verunsicherung ist deren Lebenselixier, sondern um Macht zu gewinnen, um ihre zutiefst menschenverachtenden Positionen umzusetzen, um Zwietracht, Misstrauen und Missgunst unter den Menschen zu säen, um jede Solidarität und Hilfsbereitschaft zunichte zu machen.
Sie haben eben gehört, die AfD will ein Problem in diesem Parlament sein. Unter Beifall des Vorsitzenden Dörr hat sie sich selbst als Problem geschildert. Sie will nicht an der Gestaltung unserer Gesellschaft teilnehmen, nein, sie will ein Spaltpilz dieser Gesellschaft sein.
Wir alle wissen, dass nur stabil und gut funktionierende gesellschaftliche Strukturen auf Dauer das Zusammenleben der Menschen in unserem Land miteinander und auch mit Not leidenden, Schutz suchenden Menschen gewährleisten können. Die Kirchen in unserem Land prägen die Gesellschaft in
besonderer Weise. Sie stützen in vielfältiger Weise in Not geratene Menschen, und zwar egal ob Einheimische oder Geflüchtete. Kirchen bieten den Menschen auch die Möglichkeit, sich an christlichen Werten zu orientieren, auch an solchen christlichen Werten, die eben im Redebeitrag von Herrn Müller zutiefst attackiert und verhöhnt worden sind. Diese christlichen Werte sind ein essenzieller, prägender Bestandteil unserer Gesellschaft.
Die Rechte der Kirchen sind mit gutem Grund verfassungsrechtlich verankert. Das Kirchenrecht kennt den Begriff der Intercession, was bedeutet, dass die Kirchen den Beistand für Bedrängte gegenüber staatlichen Organen als seelsorgerische und diakonische Aufgabe ansehen. Völlig unbestritten ist, dass das Kirchenasyl keinesfalls ein Widerstandsrecht gegen den Staat begründet. Das wurde und wird auch von niemandem behauptet. Das Kirchenasyl war, ist und wird auch in Zukunft kein eigenes Rechtsinstitut sein. Das Kirchenasyl erfasst nur die ganz konkrete Einzelfallentscheidung, und zwar um in Härtefällen in Zusammenarbeit mit dem Staat eine Überprüfung der Abschiebeentscheidung zu erreichen, wenn Leib und Leben bedroht sind oder eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Grund- und Menschenrechte droht.
Längst nicht alle Anfragen münden in ein Kirchenasyl, meine Damen und Herren. Die Kirchen haben niemals Werbung für das Kirchenasyl gemacht, im Gegenteil. Es wurde und wird aus guten Gründen immer als stilles Asyl geführt, weil es zugleich für die Betroffenen eine sehr hohe Belastung darstellt. Die Asylsuchenden können sich nicht frei bewegen und die Seelsorgenden und Ehrenamtlichen sind einer enormen Belastung bei der Betreuung der notleidenden Menschen ausgesetzt.
Die im Antrag angegriffene Vereinbarung zwischen dem Saarland und den evangelischen Kirchen, die auch von der katholischen Kirche mitgetragen wird, regelt eben, dass dieses Verfahren ordentlich abläuft. Es gibt Informationspflichten der Kirchen gegenüber dem Staat, gegenüber der Ausländerbehörde unter Einhaltung bestimmter Fristen. Welche Vorteile hätte eine Aufkündigung dieser Vereinbarung? Bereits in den vergangenen Jahren haben sich die fünf katholischen Bischöfe und die Landesregierung in der Pfalz gemeinsam zum Kirchenasyl bekannt. Die Aufkündigung solcher Vereinbarungen hat überhaupt keinen Vorteil und ist auch nicht von Sinn getragen. Eine solche Forderung ist rein populistischer Natur.
Meine Damen und Herren, ebenso populistisch - ich würde schon sagen: gefährlich falsch - ist die Forderung, Kirchen darauf hinweisen zu müssen, dass Kirchenasyl kein eigenes Rechtsinstitut ist. Ich habe es eben schon erwähnt, das wurde und wird von niemandem behauptet. Dass illegaler Aufenthalt im
Kirchenasyl keine aufschiebende oder verhindernde Wirkung bei Abschiebungen hat, ist jetzt anders entschieden worden. Am 03. Mai hat das Oberlandesgericht München eine sehr interessante Entscheidung zum Kirchenasyl getroffen. Darin wurde ausdrücklich festgestellt, dass das Kirchenasyl dem Staat kein Handeln verbietet. Der Rechtsstaat wird nicht beschnitten, die Durchsetzung des Rechtes wird nicht eingeschränkt. Es wird festgestellt, dass die Gewährung von Kirchenasyl kein strafbares Handeln ist. Es ist kein passives Abwarten oder Verstecken, sondern ist immer ein aktives und transparentes Suchen nach Lösungen in besonderen Härtefällen in Gesprächen mit den zuständigen Behörden. Das Oberlandesgericht sieht in der Prüfung eben durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge während des Kirchenasyls ein rechtliches Abschiebehindernis. Heribert Prantl hat in einem sehr guten Kommentar gesagt - ich darf zitieren mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident -: Das Kirchenasyl ist kein rechtsfreier Raum, es ist ein Freiraum des Rechts. Kirchenasyl hindert nicht den Rechtsstaat sondern unterstützt ihn. Wir alle sollten zum Schutz unserer Gesellschaft nicht die Kooperation mit festen Regeln, die sich Staat und Kirchen aufgeben, infrage stellen.
Meine Damen und Herren, der Gipfel ist es - und das macht mich auch sehr betroffen -, die Strafbarkeit von Pfarrern, von Pastoren, von ehrenamtlichen Helfern, von Seelsorgenden zu fordern, wie es die AfD in ihrem Antrag tut. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Christinnen und Christen, für alle, die sich in Kirchen sozial engagieren. Die AfD macht hier Helferinnen und Helfer, Kümmerer, Seelsorgende, wichtige Stützen unserer Gesellschaft zu Straftätern. Das werden wir in diesem Hause niemals zulassen.
Die Kirchen mit den vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern leisten einen wichtigen Beitrag für in Not geratene Menschen, und zwar gleich welcher Herkunft, gleich welcher Religionszugehörigkeit. Es ist ein gewichtiger Teil unserer freiheitlich-demokratischen Kultur, die den Schutz der Menschenwürde als obersten Grundsatz betrachtet. Kirchen sind Orte des Friedens und müssen es auch bleiben.
An vielen Orten der Welt ist Krieg, an vielen Orten in der Welt droht derzeit der Frieden zu zerbrechen. Lassen wir nicht zu, dass in unserem Land der Frieden in den Kirchen und damit der Frieden des Miteinanders aufgekündigt wird. Wir entscheiden heute, ob unsere Kultur, unsere Werte, unsere Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaat auch in Zukunft unser Handeln leiten. Daran haben unsere Kirchen im Land ihren Anteil.
Der im Plenum heute vorgelegte Antrag ist Populismus in Reinform. Er entspringt einer Denkweise, die Verunsicherung vertieft, Hass und Misstrauen unter den Bürgerinnen und Bürgern schürt, damit das Leben der Menschen in diesem Land unsicher macht und das Engagement vieler Menschen für Frieden und Freiheit verunglimpft und attackiert. Staatliche Gewalt gegen Kirchen und Synagogen hat dieses Land schon einmal erlebt, in der dunkelsten Zeit unserer Geschichte. Genau darauf zielt der Antrag der AfD ab. Nein! Ich sage: Nein! Die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben schon einmal diesen Strömungen die Stirn geboten und Sie werden es immer wieder tun, auch hier und heute. - Vielen Dank.
Danke, Frau Abgeordnete Berg. - Für die CDULandtagsfraktion rufe ich die Abgeordnete Ruth Meyer auf.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade in einer Zeit, wo die Frage des gerechten Umgangs mit Flucht und Integration unsere Gesellschaft wie keine andere fordert, ist es ganz entscheidend und wichtig, eine Grundsatzdebatte zum Thema Kirchenasyl zu führen. Wie wichtig diese ist, hat, denke ich, die Art und Weise gezeigt, wie sich die einzelnen Fraktionen hier eingelassen haben. Die parlamentarische Debatte hat nicht zum Ziel, polemisch zu provozieren, sondern es geht um die Abwägung von Grundwerten. Deshalb richte ich mich mit meinen Beitrag an die Menschen unter uns, die sich in diesem Hause als Demokraten und Christen verstehen.
Es ist tatsächlich eine sehr grundsätzliche Frage, wie unser Rechtsstaat darauf reagiert, dass die Kirchen, katholisch wie evangelisch, nach wie vor das Instrument des Kirchenasyls nutzen, um, wie es manchmal ausgedrückt wird, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. De facto werden hier Menschen rechtswidrig vor dem Zugriff des Rechtsstaates abgeschirmt, um ihre Abschiebung zu verhindern. Das Kirchenasyl ist, wie die Kollegin Berg es schon gesagt hat, eben kein staatlich zugestandenes Sonderrecht, das grundsätzlich vor Abschiebung schützt. Es gibt in einem Rechtsstaat keine Instanz neben der Justiz, und wer Kirchenasyl gewährt, verstößt grundsätzlich gegen geltendes Recht. Kirchenasyl ist vielmehr, das ist auch seine Berechtigung, eine historisch gewachsene Tradition, die so alt ist wie das Christentum. Es war in Unrechtsregimen geeignet, Menschen vor Tod und Verfolgung zu bewahren. Mit der Entwicklung rechtsstaatlicher Systeme
jedoch verlor das Kirchenasyl ein Stück seiner Bedeutung. In unserer Verfassung sind die Kirchen der staatlichen Ordnungsgewalt unterworfen, seit dem zweiten vatikanischen Konzil erhebt auch die katholische Kirche keinen Anspruch mehr auf Gültigkeit des Kirchenrechts im weltlichen Bereich.
Im neuen katholischen Kirchenrecht von 1983 kommt Kirchenasyl sogar offiziell gar nicht mehr vor. Also, welche Bedeutung hat es heute, wenn es bundesweit - wie auch im Saarland - immer wieder gewährt wird in Fällen, in denen befürchtet wird, dass einem Menschen bei seiner Abschiebung Menschenrechtsverletzungen oder unzumutbare Härten drohen?
Zunächst noch einmal zu den Zahlen der Kirchenasylfälle. Die verlaufen natürlich parallel zu Flüchtlingswellen und sind nach der Einrichtung der Härtefallkommissionen 2005 deutlich zurückgegangen. Aktuell liegen sie nach Schätzungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ bundesweit bei circa 700 Menschen. Über das gesamte Jahr waren es 2.000 Menschen und im Saarland wurde zuletzt circa 50 Personen pro Jahr Kirchenasyl gewährt.
Das sind keine Massenphänomene, aber ich sage dennoch, ich halte diese Zahl für hoch, gemessen daran, dass unser Rechtsstaat grundsätzlich gnädig vorgeht. Wir haben einen Rechtsstaat, der etwa prüft, ob bei einer Abschiebung Gefahr für Leib und Leben besteht. Der Rechtsstaat bezieht persönliche Abschiebehindernisse wie Reiseunfähigkeit oder Krankheit ein, die er anerkennt. Er eröffnet den Klageweg, wovon auch fast alle abgelehnten Asylbewerber rechtlich Gebrauch machen, und er würdigt in jeder Entscheidung den Einzelfall.
Die Zahlen sind auch hoch, gemessen daran, dass wir in den Härtefallkommissionen die Kirchen dabei haben und sich auch hier die Möglichkeit eröffnet, die kirchliche Sicht auf einen Asylfall darzulegen und auf ein Härtefallersuchen an das Ministerium hinzuwirken. Allerdings entfaltet auch die Befassung der Härtefallkommission keine aufschiebende Wirkung und Dublin-III-Fälle, also Personen, denen nicht etwa die Abschiebung in ihr Herkunftsland droht, sondern lediglich die Überstellung in einen anderen europäischen Staat, werden kaum als Härtefall angesehen werden.
Gerade dieser Personenkreis der Dublin-III-Fälle nutzt derzeit in größerer Zahl und fast ausschließlich das Kirchenasyl. So erhalten diese Personen nach Fristablauf von sechs Monaten das Recht auf ein Asylverfahren in Deutschland und in der Folge in der Regel auch ein Aufenthaltsrecht hier. Diesen Schutz hätte aber laut Gesetz der europäische Staat zu gewähren, in den sie als Erstes eingereist sind. Hier
droht also nicht Verfolgung, Tod oder Unrecht, sondern lediglich ein rechtsstaatliches Asyl-Verfahren oder ein Aufenthalt in einem anderen Staat.
Man mag Gewissensgründe dort nachvollziehen, wo es sich um eine Rücküberweisung etwa nach Bulgarien oder Ungarn handelt, weil immer wieder geschildert wird, dass Asylbewerber dort obdachlos bleiben oder unter unwürdigen Bedingungen untergebracht werden, Zustände, derer wir uns als Staatsbürger wie als Christen annehmen müssen, die jedoch rechtskonform gelöst werden müssen und eben nicht durch ein Unterlaufen europäischen Rechts gelöst werden dürfen.
Gerade mit Blick auf die Dublin-Verordnung kann aber die Vereinbarung zum Umgang mit Kirchenasyl ihre eigentliche, nämlich ihre kommunikative Wirkung entfalten. Ich verstehe diese Vereinbarung als Vertrauensschutz und als Zusage, miteinander zu reden, bevor man handelt. Die Vereinbarung beschneidet ausdrücklich nicht das Eingriffsrecht des Staates. Das steht so auch drin. Darauf haben sich die Kirchen mit der Regierung damals geeinigt. Man verständigt sich vielmehr unter dieser Prämisse auf ein präzise beschriebenes Vorgehen. Hierzu zählen insbesondere die Konsultationen im Vorfeld einer möglichen Gewährung von Kirchenasyl, dazu zählen Gespräche innerhalb der ersten Tage des Asyls, alle mit dem Ziel, fallbezogene Lösungsmöglichkeiten zu finden, seien es soziale, seien es humanitäre oder ausländerrechtliche.