Protocol of the Session on May 25, 2011

Nicht das gesamte Wirtschaftswachstum ist konjunkturbedingt. Aber man kann davon ausgehen, dass der größte Teil dieses Wirtschaftswachstums konjunkturbedingt ist. Das nehme ich einmal als eine Größe hin. Wenn wir uns die Steuermehreinnahmen ansehen, dann steigen die in diesem Jahr um 2,8 % auf 180 Millionen €. Unser Wirtschaftswachstum - so sagt es der Finanzminister - beträgt dieses Jahr höchstwahrscheinlich 2,6 %, das heißt eine Differenz von 0,2 %. 12,8 Millionen € wären damit nicht konjunkturbedingt. Das ist eine sehr vorsichtige Schätzung. Das heißt, es wäre in der Theorie möglich, dieses Geld auch unter Einhaltung der Schuldenbremse ausgeben zu dürfen.

2012 reden wir über 3,2 % Steigerung auf 220 Millionen € und von einem Wirtschaftswachstum von 1,8 %. Das führt schon zu einer etwas größeren

Summe, nämlich zu 96,25 Millionen €, die wir ausgeben dürften. Wir müssen nicht, aber wir dürfen dieses Geld ausgeben. Ohne dass wir unsere Ziele verfehlen, ohne gegen die Schuldenbremse zu verstoßen, wäre es möglich, Geld zu verausgaben. Das muss man erst einmal feststellen. 2013 bis 2015 gehen wir von einer Steigerung des Bruttoinlandproduktes von 1,6 % aus.

Meine Damen und Herren, es ist also Spielraum da. Das bedeutet, dass wir als Politik in der Lage sind, Fehlentscheidungen zurückzunehmen, und diesen Mut sollten wir auch haben. Wir könnten die Gleichbehandlung der dänischen Schüler wieder einführen. Das kostet 4,8 Millionen € jährlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir könnten die Kürzung beim Nordfriesischen Institut zurücknehmen, denen jedes Jahr 50.000 € fehlen. Wir könnten die Kürzung der Kulturarbeit der Minderheiten wieder zurücknehmen. Wir könnten auch die Kürzung des Blindengelds zurücknehmen. Wir wären auch in der Lage, zum Beispiel der LAG der freien Wohlfahrtsverbände wieder ihren alten Zuschuss zu geben - 850.000 €;

(Beifall bei der LINKEN)

eine relativ überschaubare Summe, wenn man weiß, dass man dieses Jahr 12 Millionen € und nächstes Jahr 96 Millionen € mehr zur Verfügung hat. Wir könnten auch ein wichtiges Thema, das gerade CDU-Kollegen in der Fläche diskutieren, aufgreifen, uns wieder um die Schülerbeförderung kümmern. Das würde uns 7 Millionen € kosten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre machbar. Ich rede noch gar nicht über Frauenberatung, Migrations- und Sozialberatung, soziale Projekte, Schließung von Justizvollzugsanstalten. Alles das, meine Damen und Herren, wäre im Bereich des Möglichen.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Christopher Vogt [FDP]: Viel Spaß damit!)

Aber nicht nur das. Wenn Sie jetzt sagen würden, über die Fehler, die wir jetzt gemacht haben, dass wir das jetzt durchgedrückt haben, wollen wir nicht mehr reden, dann könnte man sich zumindest über die Dinge unterhalten, wo uns noch Fehler drohen. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben auch beschlossen, eine Küstenschutzabgabe einzuführen. Diese Küstenschutzabgabe soll 4 Millionen € in die Kassen des Landes spülen, 4 Millionen €, die wir nicht brauchten, weil wir ja

(Ulrich Schippels)

96 Millionen € zur Verfügung hätten. Wir müssten also diese Bürger nicht über ihre Verhältnisse belasten, wenn wir es politisch nicht unbedingt wollen. Sie aber scheinen dies zu wollen - das ist auch Ihr gutes Recht -, wir als SSW wollen das aber nicht.

Wir wären in der Lage, Zukunftsfelder anzugehen. Wir könnten schon einmal eine Gemeindereform anstoßen. Das kostet nicht viel.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Das kostet vielleicht 100.000 bis 200.000 € pro Jahr. Wir könnten auch das FÖJ oder das FSJ wieder auf den alten Stand bringen. Dafür würden wir nicht viel Geld benötigen. Wir könnten natürlich auch ein großes Fass aufmachen und könnten sagen: Kostenlose Kindergartenbetreuung, wir beginnen einmal damit und sagen, pro Jahr und Jahrgang 25 bis 30 Millionen €. Denken Sie bitte einmal daran, ab 2012 wäre es in der Theorie möglich, genau dieses Wahlversprechen, drei kostenfreie Jahre, durchzuführen.

(Johannes Callsen [CDU]: Hat mal jemand mitgerechnet?)

Das wäre möglich. Das muss man wissen. Auch „Kein Kind ohne Mahlzeit“ wäre möglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb, meine Damen und Herren: Ich konnte hören, dass die Landesregierung in Sorge ist, das Breitbandnetz nicht so ausbauen zu können, wie man es gern möchte. Man möchte umschichten. Das will ich auch sehr begrüßen. Das bezieht sich aber nur auf das Jahr 2011.

(Beifall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

Was ist 2012, was ist 2013? Wo ist da der Plan? Wir wären in der Lage, dies für die Kommunen zu finanzieren. Wir reden hier über ungefähr 10 Millionen bis 20 Millionen € in diesem Jahr, und wir reden wahrscheinlich über eine ähnliche Summe, vielleicht noch eine geringere Summe, in den Folgejahren. Wenn man das will, wenn man das als eine der wichtigen Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes sieht, dann kann man das finanzieren.

(Christopher Vogt [FDP]: Ja, mit Schulden!)

Dann kann man nicht in der Gegend herumlaufen und sagen: Wir haben das Geld nicht. Wer erzählt, gnadenloses Sparen sei alternativlos, der sagt nicht die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses Jahr haben wir 12 Millionen €, nächstes Jahr haben wir 96 Millionen €. Das ist Geld, das wir verausgaben können. Wenn man das politisch will, dann soll man das tun. Ansonsten soll man dazu stehen, dass man das Land nicht weiterentwickeln will, und soll das auch sagen.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Ich erteile jetzt dem Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mit wachsendem Erstaunen den Redebeiträgen der Oppositionsfraktionen zugehört, weil es genau diese Politik ist, Kollege Harms, die das Land dorthin gebracht hat, wo es ist, Geld auszugeben, das wir nicht haben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Unterstellung, allein schon der Satz, wir würden das Land gnadenlos kaputtsparen, ist in sich selbst irre, weil es beliebt war und wäre, Geld, das wir nicht haben, auszugeben und den Wählerinnen und Wählern zu suggerieren, unter dieser wunderbaren Regierung können wir alle diese Vorhaben finanzieren, die Sie angesprochen haben.

Ich will mich mit dem für mich einzig ernstzunehmenden Debattenbeitrag der Oppositionsfraktionen, dem Beitrag von Frau Heinold, kurz beschäftigen, weil ich glaube, Frau Heinold, dass jenseits aller rhetorischen Brillanz im Angriff in diesem politischen Spektakel hinter dem, was Sie formulieren, einige sehr ernsthafte Überlegungen stecken. Ich will das nur ansprechen, ohne es polemisch zu werten.

Ich wäre dankbar, wenn die Grünen bei ihrem Mitmachhaushalt nicht davon ausgehen würden, dass die Einsparbemühungen des Landes, also von Schwarz-Gelb, in Höhe von 360 Millionen € als Bestand hingenommen werden. Ich würde erwarten, dass die Grünen, die dem Haushalt nicht zugestimmt haben, nun mit Vorschlägen kämen, wie sie die 360 Millionen € refinanzieren wollen, weil es ja Maßnahmen betrifft, die sie an sich für gut halten.

Ich habe mit dem Spitzenkandidaten der SPD, Herrn Albig - Herr Stegner, der versteht offensichtlich mehr davon als Sie -, über die Frage diskutiert,

(Lars Harms)

wie man aus der Situation des Landes herauskommt. Er hat - lesen Sie nach - erklärt, Sozialdemokraten und Grüne werden im Wesentlichen die gleichen Antworten wie Schwarz-Gelb auf die Herausforderungen der Finanzlage geben.

Warum ist das so? - Weil wir alle gemeinsam in einer Zwangsjacke stecken, die wir uns nicht ausgesucht haben, die vorhanden ist. Wir stecken in einer Zwangsjacke. Wer glaubt, dass ein Land wie Schleswig-Holstein Steuermehreinnahmen, solange es Haushaltsnotlageland ist, in zusätzliche Ausgabenprogramme stecken kann, ist nicht von dieser Welt, weil es gesetzwidrig wäre. Es ist einfach so. Solange wir Haushaltsnotlageland sind, müssen wir jeden Cent zusätzlicher Einnahmen dazu verwenden, die Verschuldung zurückzufahren. Das ist auch sinnvoll so.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, man muss sich einmal anschauen, was passiert, wenn man - anders, als Frau Kraft es tut - nicht rechtzeitig gegensteuert. Wir haben keine griechischen Verhältnisse. Aber in Spanien kann man sehen, was passiert, wenn eine Regierung in einer Situation ist, in der nichts finanziert werden kann.

Wir haben urplötzlich eine Jugendarbeitslosigkeit von 40 %. Wir haben junge Menschen, die sagen: Was passiert eigentlich in unserem Land? Wir sind gut und hoch ausgebildet, aber finden keine Möglichkeiten der Beschäftigung mehr.

Das wollen wir nicht. Ich bin stolz auf SchleswigHolstein, ich bin stolz auf mein Land. Ich will, dass wir dokumentieren, dass wir in der Lage sind, uns am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Misere der Vergangenheit zu ziehen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Appelle an andere, Frau Heinold, treffen mittlerweile nicht mehr auf Verständnis. Denn alle anderen stecken mit zeitlichem Verzug mehr oder weniger in der gleichen Lage wie wir.

Die Bundesrepublik Deutschland hat bedauerlicherweise auf Herausforderungen der Vergangenheit nicht angemessen reagiert, auch auf die deutsche Einheit nicht angemessen reagiert. Wir haben so getan, als könnten wir auf dem hohen Niveau so weitermachen. Frau Heinold, die Verschuldung hat ja nicht mit der Finanzkrise angefangen.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Eindruck, die Finanzkrise hat uns in diese Situation gebracht, ist falsch. Die Finanzkrise hat nur das Problem der Bewältigung etwas intensiver werden lassen. Wir hätten ansonsten vor der gleichen Situation gestanden - mit einer zeitlichen Verzögerung - wie jetzt auch.

Wenn wir jetzt nicht darangehen, dieses Problem zu bewältigen - Appelle nach außen werden nicht helfen -, werden wir - ich bin vielleicht schon zu alt, aber einige hier sind ja jung genug - den Menschen in fünf oder zehn Jahren erklären müssen, wie wir den Gestaltungsspielraum von Politik mit Zukunftsperspektive noch aufrechterhalten wollen. Warten wir doch einmal ab, Frau Heinold, wie es jetzt dem wunderbar rot-grün regierten Land Bremen gehen wird! Warten wir einmal ab, wie Berlin - rot-rot regiert - auf die Haushaltsnotlage reagiert! Warten wir doch einmal ab, Herr Kollege Stegner, wie Frau Kraft ihren Haushalt vor dem Verfassungsgericht bestehen lassen will.

(Beifall bei FDP und CDU)

Politische Entscheidungsträger, die bewusst Rechtsund Verfassungsbruch in Kauf nehmen, müssen sich fragen lassen, welche Akzeptanz sie von den Bürgerinnen und Bürgern noch erwarten, was Steuergesetzgebung und andere Gesetze angeht, wenn sie selbst nicht mehr an die eigenen Regeln glauben und sie nicht so umsetzen wollen, wie sie geschaffen worden sind. Diese Form von Rechtsverluderung, die da stattfindet, ist in einem demokratischen Rechtsstaat schon beachtlich.

(Beifall bei FDP und CDU)

Der Wettbewerb bei der Wahl bis zum 6. Mai nächsten Jahres - der Wähler steht dankenswerterweise noch davor, der muss ja entscheiden, nicht Meinungsumfragen und nicht Sie, Herr Dr. Stegner, mit Ihrer Beschlusslage - wird darin bestehen, dass Sie erklären müssen, wie Sie Ihre Versprechen, die Sie in die Welt setzen, finanzieren wollen - nicht von wegen: „Wir haben einen Finanzierungsvorbehalt und gucken mal“, sondern wie Sie konkret jedes einzelne Versprechen finanzieren wollen, wie Sie konkret die Schülerbeförderungskosten bezahlen wollen, wie Sie konkret drei beitragsfreie Kindergartenjahre finanzieren wollen, wo Sie an anderer Stelle sparen wollen, und zwar nicht nur bezogen auf die Zukunft, sondern auch bezogen auf die Vergangenheit.