Protocol of the Session on May 25, 2011

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Steuermehreinnahmen glätten gerade eben mal das konjunkturelle Defizit. Herr Koch hat es benannt: Das strukturelle Defizit ist durch diese Steuerschätzung überhaupt nicht kleiner geworden. Herr Koch, der Schuldenberg ist leider auch nicht verschwunden. Deshalb ist jede Debatte über Steuersenkungen völlig fehl am Platz.

(Katharina Loedige)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Ich hoffe, dass die FDP in Berlin das endlich begriffen hat.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

- Ich gucke nicht Sie an, Herr Boetticher, sondern den von Ihnen hoch geschätzten Koalitionspartner in Kiel und in Berlin, der immer wieder das Gespenst der Steuersenkung aus der Kiste holt. Das ist genauso fehl am Platz wie finanzpolitische Versprechen, die nicht eingelöst werden können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer in diesen Wahlkampf zieht und sagt, an welcher Stelle er mehr Geld ausgeben will, der wird gleichzeitig sagen müssen, an welcher Stelle es weniger Geld geben soll. Dies gilt auch für Herrn Albig und die von ihm genannten 120 Millionen €. Herr Kubicki sagte, er hat dies schon wieder zurückgenommen. Ich habe das noch nicht so klar aus dem „sh:z“-Interview herausgehört. Wir haben aber noch ein bisschen Zeit, bevor der Wahlkampf beginnt.

Die Steuerschätzung hilft, den eingeschlagenen Konsolidierungskurs weiter zu gehen, aber sie löst bei Weitem nicht die Haushaltsprobleme des Landes. Ich werbe hier noch mal dafür, dass diese Landesregierung verstärkt mit dem Bund in den Dialog darüber eintritt, wie es gelingen kann, die Altschulden gemeinsam in den Griff zu bekommen. Weiter ist die Frage, wie es gelingen kann, für Bildung Investitionen frei zu machen und endlich diesen Bildungsgipfel abzuschließen und die damals versprochenen 100 Millionen € in das Land hineinzubringen, Herr Carstensen. Wir sind darauf dringend angewiesen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens muss es eine offensive Debatte über höhere Einnahmen geben. Wir kommen später noch zu der Antwort auf die Große Anfrage, die auch deutlich macht, dass uns im Landeshaushalt trotz aller Sparbemühungen Geld fehlt. Es war gerade in der Presse zu lesen, dass in den nächsten Jahrzehnten 1 % aller deutschen Kinder 25 % - also ein Viertel des gesamten Vermögens erben werden, während ein Drittel aller Kinder überhaupt nichts von ihren Eltern erben wird. Da ist es doch Zeit, dass die Landesregierung den Mut hat, nach Berlin zu fahren und im Bundesrat für eine Reform der Erbschaft

steuer zu streiten, die endlich Bildungsinvestitionen ermöglicht und Chancengleichheit eröffnet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Herr Ministerpräsident, beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz sind Sie damals eingeknickt. Ich muss dies immer wieder erwähnen, weil es einfach strukturell ein Problem ist. 120 Millionen € fehlen Land und Kommunen Jahr für Jahr, weil Sie in Ihrer misslungenen Mission gemeinsam mit ihrem Freund Wolfgang Kubicki die Sache vergeigt haben. Sie sind nicht hart geblieben. Dieses Geld fehlt in unserem Landeshaushalt, es fehlt Schleswig-Holstein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Deshalb sage ich zum Abschluss dieser Debatte: Ja, wir Grünen sagen, wir wollen den Konsolidierungskurs. Wir haben uns zur Schuldenbremse bekannt, aber wir sagen auch: Es darf keine weiteren Steuergeschenke geben. Gerechtigkeit muss der Massstab unserer Finanzpolitik sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Ulrich Schippels das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Heinold, vielleicht hätten Sie es gern, dass die Debatte beendet ist. Sie ist aber noch nicht beendet. Es kommen noch DIE LINKE und der SSW ans Pult.

Meine Damen und Herren, ich habe damals gesagt, ich entscheide mich im Landtag für Finanzpolitik, weil es da um Zahlen geht. Das ist alles berechenbar, das kann politisch wenig instrumentalisiert werden. Dann bin ich hier in diesen Landtag eingezogen und musste merken, dass das irgendwie ein bisschen anders ist.

Es ging los mit den Kosten für ein beitragsfreies Kita-Jahr. Hier wurde über 35 Millionen € gesprochen. In Wahrheit waren es nur 26 Millionen €. Es ging weiter in der Debatte über die Uni Lübeck. Es wurde gesagt, dies koste 25 Millionen €. Die Opposition müsste dies gegenfinanzieren. Die Landesregierung hat dann die glorreiche Idee gehabt, das GEOMAR in die Helmholtz-Gemeinschaft zu überführen. Die Zahlen, die ich bekommen habe, bedeu

(Monika Heinold)

ten, dass wir dort 13 bis 18 Millionen € an Entlastung bekommen. Das heißt, von den geforderten 25 Millionen € bleiben noch knapp 50 % der vorgesehenen Entlastungen. Hier wird mit Zahlen jongliert, wie es gefällt - frei nach dem Motto von Pippi Langstrumpf „zwei mal drei macht vier“.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir gucken uns heute die Zahlen der Steuerschätzung an. Im Mai 2010 hatten wir für das Jahr 2010 geplante Steuereinnahmen von 6,19 Milliarden €. Was kam heraus? - 6,4 Milliarden €. Das ist ein Plus von 290 Millionen € in nur sieben Monaten. In dem Papier, über das heute diskutiert wird, steht nicht, dass wir auch bei der Ausgabenseite 147 Millionen € sparen konnten, und zwar aufgrund der entsprechenden Zinsentwicklung auf den Kapitalmärkten. Insgesamt ist das ein Plus von 357 Millionen € gegenüber der Mai-Steuerschätzung von 2010. Es gibt 357 Millionen € weniger an Defizit im Haushalt.

Ich erinnere daran, dass wir am Anfang der Legislaturperiode im Januar einen Gesetzesentwurf eingebracht haben. Wir wollten damals die Beitragsfreiheit für alle drei Kita-Jahre sowie ein kostenfreies Schulessen. Das Ganze hätte uns 220 bis 300 Millionen € gekostet. Ich weiß noch genau, wie hier bei allen Fraktionen die Abwehrfront war. Es wurde gesagt, dies gehe überhaupt nicht, das sei nicht finanzierbar. Jetzt sehen wir im Haushaltsvollzug 2010, dass dies allemal finanzierbar gewesen wäre.

(Beifall bei der LINKEN)

Drei beitragsfreie Kita-Jahre wären finanzierbar gewesen und das Schulessen auch. Herr Dr. Klug, Frau Herdan und auch Herr Buder, Sie sollten sich noch einmal Ihre Reden aus dem Jahr 2010 durchlesen. Wir hätten das finanzieren können. Wir hätten finanzpolitisch trotzdem nicht schlechter dagestanden als jetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu der Frage der Zinsen komme ich beim zweiten Tagesordnungspunkt, bei der Großen Anfrage. Dazu hätte ich auch noch etwas zu sagen.

Eine Geschichte sei jedoch schon zur Haushaltsnotlage erwähnt. Ich möchte erwähnen, dass eines dieser Kriterien, nämlich die Zinssteuerquote, im Haushaltsvollzug 2010 nicht bei den prognostizierten 18,1 % lag, sondern real bei 14,7 %. Wir wären unter dem damaligen Schwellenwert geblieben. Das Problem ist jedoch, dass sich dieser Schwellenwert verändert.

Eine Haushaltsnotlage wird nicht festgestellt, wenn ein Land real schwierige Zahlen vorzeigt, sondern die Zahlen werden immer im Vergleich zu den anderen Bundesländern gesehen. Eine Haushaltsnotlage ist also immer dann da, wenn wir schlechter dastehen als der Mittelwert der anderen Länder. Genau das ist das Problem eines strukturschwachen Landes, wie wir es sind: Wir können uns abrackern, wie wir wollen, wir werden diesen Mittelwert tatsächlich nie realisieren können; selbst dann nicht, wenn unsere Haushaltslage gut ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Zinssteuerquote: Sie haben vorhin auf die Zinsbelastung im Jahr 1988 im Zusammenhang mit dem Regierungsantrag hingewiesen. Die Zinssteuerquote lag damals auf dem gleichen Niveau wie jetzt, Frau Loedige. Das wollte ich nur noch einmal erwähnt haben. So dramatisch ist das nicht, womit wir hier konfrontiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir alles zusammenzählen, auch in der Steuerschätzung: Wir hatten 2010 357 Millionen € plus. In der neuesten Steuerschätzung haben wir gegenüber der Steuerschätzung von Mai 2010 - die Grundlage war für den Haushaltsentwurf - in 2011 440 Millionen € mehr, und 2012 werden es 560 Millionen € sein. Das sind insgesamt Pi mal Daumen 1,5 Milliarden €. Was macht der Finanzminister? - Der Finanzminister sagt: Wir haben nichts zu verteilen. Wir packen es in den Sparstrumpf beziehungsweise führen die Neuverschuldung zurück. Das hätte bei dem heutigen Zinsniveau ungefähr eine Haushaltsentlastung, Konsolidierung, von 45 Millionen € oder 60 Millionen € pro Jahr oder 3 oder 4 % zur Folge.

Wir sagen: Benutzt das Geld tatsächlich, um die Probleme des Landes zu lösen, zum Beispiel, um den Masterplan an der Uni, die notwendigen Bauinfrastrukturmaßnahmen in Höhe von 700 Millionen € zu realisieren!

(Beifall bei der LINKEN)

Dann würde es den Menschen im Land besser gehen. Sie hätten vernünftige Kliniken. Das Personal müsste nicht durch Arbeitszeitverdichtungen weiter drangsaliert werden, und es wäre auch eine nachhaltige Entlastung. Wir hätten ein politisches Problem in diesem Land wirklich auf einen Schlag gelöst. Sie hätten dann immer noch die Hälfte dieser 1,5 Milliarden € für die Beitragsfreiheit bei den Kitas, wir könnten den Frauenhäusern das Geld wieder zurückgeben, Sie könnten das Blindengeld wie

(Ulrich Schippels)

der erhöhen und auch die Kinderbeförderung fortsetzen, um nur einiges zu nennen.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich möchte einen letzten Satz sagen. Das wäre eine nachhaltige Finanzpolitik, die eine ganzheitliche Betrachtung auch der Probleme des Landes berücksichtigt. Aber dazu sind Sie leider nicht in der Lage.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die SSW-Fraktion erteile ich dem Kollegen Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht auf den Altschuldenfonds eingehen, auch nicht auf Verhandlungen mit dem Bund oder auf mögliche weitere Steuermehreinnahmen oder auf Steuergeschenke, sondern ich möchte mich auf die reinen Zahlen fokussieren, die uns vorliegen.

(Christopher Vogt [FDP]: Sehr gut!)

Man muss erst einmal davon ausgehen: Was haben wir 2011/2012 geplant gehabt? Das kann man in unserem Haushalt nachlesen. Dann schaut man sich die Veränderungen an.

Nicht das gesamte Wirtschaftswachstum ist konjunkturbedingt. Aber man kann davon ausgehen, dass der größte Teil dieses Wirtschaftswachstums konjunkturbedingt ist. Das nehme ich einmal als eine Größe hin. Wenn wir uns die Steuermehreinnahmen ansehen, dann steigen die in diesem Jahr um 2,8 % auf 180 Millionen €. Unser Wirtschaftswachstum - so sagt es der Finanzminister - beträgt dieses Jahr höchstwahrscheinlich 2,6 %, das heißt eine Differenz von 0,2 %. 12,8 Millionen € wären damit nicht konjunkturbedingt. Das ist eine sehr vorsichtige Schätzung. Das heißt, es wäre in der Theorie möglich, dieses Geld auch unter Einhaltung der Schuldenbremse ausgeben zu dürfen.