- Herr Baasch, die machen das nicht so, wie Sie es fordern. Das müssen Sie sich mal ein bisschen differenzierter angucken. In Großbritannien beispielsweise wird das nicht so gemacht, wie Sie es in Ihrem Antrag fordern. Sie sollten sich das mal genauer angucken. Die gehen anders daran, die gehen etwas differenzierter daran.
Herr Baasch, zu unserem Änderungsantrag: Ich hatte auch gedacht, dass das am Mittwoch gemeinsam beraten werden könnte. Macht aber nichts; das können wir auch jetzt gern noch einmal sagen: In unse
rem Änderungsantrag sprechen wir uns für die konsequente Weiterführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus. Auch wir wollen die Menschen aus den EU-Mitgliedstaaten Bulgarien und Rumänien nicht länger als unbedingt notwendig von der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausschließen. Derzeit gibt es leider eine etwas unschöne Diskussion zwischen Brüssel auf der einen Seite und Rumänien und Bulgarien auf der anderen Seite mit Blick auf das Schengen-Abkommen.
Herr Kollege Vogt, Sie haben vorhin das britische Modell in Bezug auf den Mindestlohn gelobt. Kann ich das so deuten, dass Sie für ein britisches Modell in Deutschland einstehen würden?
- Nein. Ich habe das britische Modell nicht gelobt, Herr Kollege. Vielmehr habe ich gesagt, dass man sich darüber ernsthafter unterhalten könnte als über einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Es ist ein Unterschied, ob ich sage, dass man sich darüber ernsthaft unterhalten kann, oder ob ich sage, dass ich etwas toll finde und übernehmen möchte. Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Insofern verneine ich Ihre Frage.
- Herr Kollege Harms, gerade mit Ihnen besteht fast immer Gesprächsbereitschaft bei fast allen Punkten.
Meine Damen und Herren, wir sehen in der Arbeitnehmerfreizügigkeit vor allem die Chancen, die sich damit verbinden, gerade auch mit Blick auf den entweder bereits eingetretenen oder bevorstehenden Fachkräftemangel.
Außerdem betonen wir in unserem Änderungsantrag noch einmal unsere Forderung nach einer verbindlichen Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit, die umgesetzt werden soll, sowie die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit nach einer Frist von drei Monaten.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die Befürchtungen, die im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung geäußert worden sind - Lohndumping und anderes -, sich aus meiner Sicht fast vollständig nicht bewahrheitet haben. Das sollte man an dieser Stelle einmal betonen. Deshalb warne ich davor, die EU-Osterweiterung zum Anlass zu nehmen, die Forderungen, die man sonst so hat - wie die SPD -, wieder auf den Tisch zu legen und zu sagen: Im Zuge dessen wäre das doch alles ganz toll. - Das sehe ich ein bisschen anders.
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Andreas Tietze das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 1. Mai ist in der Tat ein historisches Datum. Es geht darum, dass seit über 92 Jahre am 1. Mai in der Welt die Arbeitnehmerrechte diskutiert und gestärkt werden. Wir haben es einer engagierten Arbeiterbewegung zu verdanken, dass wir Standards haben und dass soziale Standards gelten. Deshalb geht es auch bei der Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit darum, ob sich Deutschland in Europa einen Namen als Lohndrücker machen will oder ob Deutschland ein Motor sozialen Fortschritts für Europa sein will. Das ist die Kernfrage.
Der 1. Mai 2011 ist ein wichtiger Tag für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein. Ab diesem Tag steht der deutsche Arbeitsmarkt allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn offen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit gestattet es den Bürgerinnen und Bürgern aus fast allen EU-Ländern, ohne Ein
Die Übergangszeit sollte bis zum 30. April 2009 gelten. Ich erinnere daran, dass sich die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD im Jahre 2008 noch einmal für eine Verlängerung der Übergangszeit ausgesprochen hat. Es war der damalige Arbeitsminister Olaf Scholz, der dieses Ansinnen damit begründete, dass schwerwiegende Störungen des Arbeitsmarktes in Deutschland die Folgen wären.
Deutschland - das muss man hier sehr deutlich sagen - ignoriert seit Jahren den europäischen Trend und die positiven Erfahrungen der Länder, die auf die Beschränkung der Freizügigkeit von vornherein verzichtet haben. Statt sich für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und für einen besseren Arbeitsmarktzugang für ausländische Fachkräfte einzusetzen, weinen gerade die Kollegen von CDU und FDP Krokodilstränen über den großen Fachkräftemangel. Es vergeht keine Landtagssitzung, in der wir das nicht hören. Den negativen Auswirkungen einer solchen Abschottungspolitik haben Sie sich weder im Land noch im Bund wirklich ernsthaft gestellt.
Die unnötige Verlängerung der Freizügigkeitsbeschränkung konterkarierte die Ziele eines kulturellen Austauschs und einer wettbewerbsfähigen Beschäftigungspolitik in Deutschland.
Studien haben schon vor Jahren aufgezeigt, dass die Öffnung des britischen Arbeitsmarktes nicht nur die Wirtschaft bereichert, sondern auch die Völkerverständigung vorangebracht hat.
Ich bin überzeugt davon, dass im War of Talents bei uns eine Menge schiefgelaufen ist. Die vergangenen Jahre waren für Deutschland verlorene Jahre beim Wettbewerb um die besten Hände und Köpfe.
Kurz vor dem unwiderruflichen Start der Freizügigkeit haben wir keine effektiven Maßnahmen gegen Lohndumping in Deutschland. Das ist peinlich.
Weil das so ist, drohen der Wirtschaft und den Beschäftigten in Deutschland und eben auch in Schleswig-Holstein Billigkonkurrenz und eine Ausweitung des Niedriglohnsektors. Billiglohnland der EU, das ist der Preis für den Aufschwung. Das darf es aber nicht sein.
CDU und FDP muss sich der Frage eines Mindestlohns stellen. Sie nehmen jetzt immer mehr Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz auf. Irgendwann werden Sie aber auch zu der Erkenntnis kommen, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland brauchen, und zwar zügiger, als Sie sich das vorstellen. Der 1. Mai 2011 stellt sozusagen den Paradigmenwechsel dar. Ab dann kommen Sie auch nicht mehr darum herum.
In 20 EU-Ländern gibt es einen branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn. Ich erinnere daran, dass sich diese Volkswirtschaften und auch die Arbeitsmärkte erfolgreich entwickelt haben. Es macht fassungslos, dass sich weder Bundesregierung noch Landesregierung ernsthaft mit den Folgen der neuen Freizügigkeit auseinandergesetzt haben. Ihr Antrag, den Sie vorgelegt haben, enthält nur das Mindeste. Damit jubeln Sie sich gegenseitig hoch. Das ist aber nicht eine wirklich erfolgreiche Politik.
Wir brauchen gute Standards für den Arbeitsmarkt, um es mit Bundespräsidenten Wulff zu sagen. Wir müssen weltoffen, flexibel, modern und zukunftgewandt sein, wenn wir im Wettbewerb um die klügsten und besten Köpfe bestehen wollen. Ich denke, gerade in Sachen Weltoffenheit können Sie in Schleswig-Holstein noch etwas dazulernen.
Herr Kollege Tietze, da Sie erneut eine sehr flammende Rede halten, die mich sehr begeistert, möchte ich Sie fragen, ob Sie erneut keinen Änderungsantrag gestellt haben. Wenn dem so ist, dann frage ich Sie, wie Sie am Ende abstimmen werden.
- Herr Vogt, Sie haben es schon einmal versucht. Der vorgelegte SPD-Antrag ist richtig. Wir werden den SPD-Antrag unterstützen.
Er fordert soziale Standards in Europa. Das ist der richtige Weg. Diesen Weg müssen wir gehen; denn für ein soziales Europa brauchen wir auch eine zukunftsgerichtete europäische Arbeitsmarktpolitik, durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren Rechten gestärkt werden. Außerdem brauchen wir in Europa einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Das ist eine moderne Arbeitsmarktpolitik für die Zukunft.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ab dem 1. Mai 2011 darf jede Bürgerin und jeder Bürger aus den neu hinzugekommenen Mitgliedstaaten Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien und Zypern in anderen EU-Staaten arbeiten. Die Vorrangprüfung zugunsten von Inländerinnen und Inländern fällt weg.
DIE LINKE steht zum Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die Freiheit, sich innerhalb der EU ohne Einschränkung niederzulassen, ist ein elementares Grundrecht.
Dies darf aber nicht zu Lohndumping führen. Der LINKEN geht es um die Gleichstellung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. DIE LINKE fordert gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, und zwar unabhängig vom Herkunftsland eines Beschäftigten.
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit Arbeitsvertrag in Schleswig-Holstein fallen unter das deutsche Arbeitsrecht. Entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeber fallen unter das Arbeitsrecht ihres Herkunftslandes. Es macht aber keinen Unterschied, ob die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer festangestellt sind oder sich in einem Leiharbeitsverhältnis befinden. Leiharbeit ist infolge der Arbeitnehmerfreizügigkeit die von Dumpinglöhnen am meisten bedrohte Branche.