Protocol of the Session on November 13, 2008

Ich nenne einmal ein Beispiel aus dem Petitionsausschuss. Dort haben wir - ich mochte das gar nicht glauben - einen Fall einer klassischen Familie, von der wir sagen, es wäre gut, wenn die Kinder in die Kindertagesstätte gingen. Es ist ein Fall aus Lauenburg, Hartz-IV-Empfänger, fünf Kinder. Sie sollen 80 % der Kindertagesstättengebühr bezahlen. Das heißt, dieses Kind mit Migrationshintergrund kann aus finanziellen Gründen nicht in die Kindertagesstätte gehen, obwohl die Eltern das wollen und sogar im Petitionsausschuss darum kämpfen. Das ist die reale Situation. Hier hat das Land in den letzten Jahren nichts getan, um gemeinsam mit den Kommunen auf eine einheitliche Sozialstaffel hinzuwirken, die so etwas verhindert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nehmen wir die Vorschulkinder, haben wir auch hier eine ganz schwierige Situation. 7 % aller Kinder - so die Auskunft der Ministerin - gehen im letzten Jahr vor der Schule nicht in Kindertagesstätten. Es ist dringend notwendig, dass dies gewährleistet wird. Ich stehe dazu. Ich finde es richtig, mit diesem Schritt anzufangen, damit zumindest ab Sommer 2009 alle Kinder im letzten Jahr vor der Schule die Kindertagesstätte beitragsfrei besuchen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Ich komme zum Thema „Kein Kind ohne Mahlzeit“. Auch hier hat der Koalitionsausschuss etwas entschieden. Er hat gesagt - so war es in der Zeitung zu lesen -: Die Sozialministerin wird vom Koalitionsausschuss beauftragt, mit dem Finanzminister das Erforderliche zu besprechen. - Die Sozialministerin ist nicht da; der Finanzminister auch nicht. - Ich frage mich: Was ist da eigentlich los? Warum sprechen die beiden nicht miteinander und sichern Mittel im Landeshaushalt ab?

Ich habe bisher nur die ersten Seiten der Nachschiebeliste gesehen. Unter dem Einzelplan steht nichts, wenn ich das richtig gesehen habe. Frau Ministerin, sagen Sie doch einmal, wie dieser Punkt aus dem Koalitionsausschuss umgesetzt wird. Es kann ja kein Terminproblem der Grund dafür sein, dass Sie

(Monika Heinold)

zwischen der Sozialministerin und dem Finanzminister dafür keine Lösung finden.

Wir müssen diesen Fonds auf jeden Fall finanziell absichern. Im Bericht sind die Zahlen deutlich geworden. Es ist deutlich geworden, in welcher Größenordnung der Fonds inzwischen in Anspruch genommen wird. Wir müssen diese Maßnahme auch auf die Schulen ausweiten. Natürlich stehe auch ich nicht für den karitativen Ansatz. Ich sage nicht, die Kinder sollen in die Suppenküche gehen. Ich sage vielmehr: Wir brauchen Ganztagsschulen, und brauchen dort auch eine Verpflegung. Wir werden in Schleswig-Holstein keine kostenlosen Mahlzeiten für alle Kinder in Schulen und Kindertagesstätten zur Verfügung stellen können, wenn uns der Bund nicht hilft. Deshalb drängen wir so darauf.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

So lange es so ist, dass wir damit finanziell völlig überlastet wären, müssen wir ein System finden, in dem zumindest die Kinder aus Familien mit geringem Einkommen die Chance haben, dieses Angebot der Infrastruktur, der warmen Mahlzeit in der Kindertagesstätte und auch in der Schule, in Anspruch zu nehmen und eben nicht nebenan in die Suppenküche zu gehen. Deshalb ist der Ansatz des Fonds als Feuerwehrtopf bis zu einem Zeitpunkt, zu dem das hoffentlich besser geregelt wird, zunächst einmal richtig. In dem Moment aber, in dem das Kindergartenkind ein Schulkind wird, haben die Eltern nicht plötzlich das Geld, um die 2,50 € für die Mahlzeit in der Schule zu bezahlen. Insofern erwarten wir, dass der Fonds mithilfe von Landesmitteln dauerhaft finanziell abgesichert wird und auf die Schulkinder ausgeweitet wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden die Unterfinanzierung im Bildungssystem nicht mit einem Bildungsgipfel lösen können. Darüber reden wir heute Nachmittag auch noch einmal. Wir brauchen hier tatsächlich Entscheidungen.

Ich erinnere daran - dieser Punkt ist mir ganz wichtig; ich werde ihn hier immer wieder anbringen -: So wichtig und so notwendig es ist, dass wir über die beitragsfreie Kindertagesstätte nicht nur reden, sondern einen ersten Schritt machen, so wichtig ist es auch, dass wir uns über die Qualität unserer Kindertagesstätten unterhalten. Wir haben in Schleswig-Holstein 1,5 Fachkräfte pro Gruppe und bis zu 25 Kinder in der Gruppe. Damit ist es sehr schwierig bis unmöglich, den Bildungsauftrag in der Form umzusetzen, wie wir ihn in das Gesetz geschrieben haben. Rechnen wir einmal hoch, was es

kosten würde, damit wir eine Vorstellung bekommen, was im Bildungssystem fehlt. Wenn wir von eineinhalb Kräften pro Gruppe auf zwei Kräfte gehen würden, würde das für Schleswig-Holstein 100 Millionen € bedeuten. Das ist die Größenordnung, über die wir alle miteinander diskutieren, wenn wir so schön den Satz sagen: Mehr Qualität in die Kindertagesstätten bringen! Der Bildungsauftrag muss umgesetzt werden! Das hat dann auch damit tun. Ich werbe dafür - das tue ich immer wieder -, dass wir innerhalb des Haushalts die Mittel für die frühkindliche Bildung umschichten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch nach der heutigen Debatte ist nach wie vor unklar - ich finde das ein Trauerspiel für die Große Koalition -: Wann kommt das zweite und dritte beitragsfreie Kindertagesstättenjahr? - Sie sagen, im Mai soll das passieren. Sie haben den Gesetzentwurf mit der Nachschiebeliste vorgelegt. Wir könnten als Grüne statt ein Jahr drei Jahre hineinschreiben. Ich bin mir sicher, Sie würden das hier im Dezember ablehnen.

Frau Ministerin, letztes Mal haben Sie gesagt: Man kann ein Anhörungsverfahren nicht über das Knie brechen. Aber es ist egal, ob ich ein Jahr oder drei Jahre beitragsfrei vorsehe; das Anhörungsverfahren, das Beteiligungsverfahren ist dasselbe. Herr Klug hat darauf hingewiesen. Wenn das schon so schnell geschehen soll, warum nicht gleich alle drei Jahre? Was bedeutet es, dass Sie das in den Mai schieben? Ich glaube, es heißt, dass Sie sich eben doch nicht so richtig darauf verständigt haben. Denn sonst könnten Sie das im Dezember beschließen. Damit hätten wir Klarheit für die Eltern. Wenn Sie das nicht machen, fühlen sich die Eltern zu Recht mit leeren Versprechungen verschaukelt. Gerade das ist bei diesem wichtigen Thema nicht angebracht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke Frau Abgeordneter Heinold. - Das Wort für den SSW im Landtag hat Herr Abgeordneter Lars Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur wirklich Ewiggestrige leugnen die Vorteile, die eine professionelle Kindergartenpädagogik hat. Wenige Familien können nämlich ihren

(Monika Heinold)

Sprösslingen die Erlebnisvielfalt und Erlebnistiefe bieten wie ein durchschnittlicher Kindergarten. Der Besuch eines Kindergartens ist nach Meinung vieler Experten der beste Start ins Leben. Also müssten konsequenterweise die Kindertagesstätten optimal gefördert werden. Dass das bekanntermaßen nicht der Fall ist, wissen wir alle.

Aufgrund des traditionellen Musters der Familienpolitik in Deutschland reduziert sich die Familienpolitik oft auf monetäre Transfers. So wird das Kindergeld wieder in einem kleinen Schritt erhöht, und wir werden wahrscheinlich sogar die oft geschmähte Herdprämie erleben.

Bereits jetzt profitieren von Transferleistungen aber nicht diejenigen, die auf Unterstützung wirklich angewiesen sind. Ich möchte hier gerade das Ehegattensplitting anführen, das insbesondere deutsche Gutverdiener mit zusätzlichem Einkommen versorgt.

Doch es ist zu befürchten, dass dieser Kurs beibehalten wird. Hohe Transfersummen sind für konservative Politiker nämlich immer wieder ein beliebter Anlass, auf Pressekonferenzen die Erfolge einer vorgeblich gelungenen Familienpolitik zu loben. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Die unsozialen Transferleistungen graben Schulen, der Jugendhilfe und nicht zuletzt den Kindergärten das Wasser ab. Schließlich kann man jeden Euro nur einmal ausgeben. Das gilt auch und besonders für staatliche Leistungen. Die Folge: Kinder, die darauf angewiesen sind, unterstützt und gefördert zu werden, auch in Kindergärten, erhalten nicht die ausreichenden Maßnahmen, erhalten keine Plätze, erhalten keine Beitragsfreiheit.

(Beifall beim SSW)

Wir müssen also dieses System ändern. Der SSW fordert eine stabile und solide Finanzierung von Kindergärten, gebundenen Ganztagessschulen und Jugendfreizeitangeboten. Wir sehen sowohl die Projektfinanzierung mit Antragsmarathon und alljährlicher Hängepartie als auch geschätzte Zahlen, deren berechtigter Gebrauch erst noch nachgewiesen werden muss, kritisch. Unter Letzteres fallen die 120 €, die scheinbar unabhängig vom tatsächlichen Finanzbedarf und faktisch gezahlten Elternbeiträgen vor einigen Wochen aus heiterem Himmel in den Verhandlungen der Großen Koalition auftauchten. Obwohl keine flächendeckenden Zahlen vorliegen, scheint die geschätzte Pauschale in Höhe von 120 € unverrückbar. Das ist womöglich sehr waghalsig.

Dazu kommt die Fixierung auf eine Pauschale, die der Einfachheit halber über Durchschnittswerte, teilweise aus dem gesamten Bundesgebiet, hochgerechnet wurde. Aufgrund der angestrebten gesetzlich festgelegten Beitragsfreiheit wird es bei den Trägern der Kindertagesstätten zwangsläufig Gewinner und Verlierer geben. Die, die mit dem Durchschnittsbetrag auskommen können, sind die Gewinner. Die, deren Elternbeiträge über diesem Satz liegen, wissen noch nicht, wie sie ihr Geld erhalten.

Letztlich haben aber alle Träger das Nachsehen. Sie müssen schließlich nach Abschluss der Verhandlungen in Kiel noch mit ihren Kommunen feilschen. Gerade die sind aber klamm und können sich keine zusätzlichen Mittel aus den Rippen schneiden. Den Letzten beißen also auch hier die Hunde.

Es ist zu befürchten, dass sich die Verlierer unter den Trägern - unter ihnen wahrscheinlich auch der Dänische Schulverein - Gedanken machen müssen, wie sie mit den Verlusten umgehen. Denkbar sind mehrere Varianten. Entweder wird zur Kompensation der Elternbeitrag für die ersten Kindergartenjahre erhöht, oder es werden Standards gesenkt, also beispielsweise Gruppengrößen erhöht. Eine andere Variante wäre auch denkbar, und zwar, dass den Eltern alle Leistungen, die die 120 € übersteigen, als Sonderleistung in Rechnung gestellt werden: Das beträfe dann jede Extrastunde über die fünf Stunden Kernzeit hinaus genauso wie zum Beispiel weitergehende pädagogische Angebote in der Kita. Das wären trübe Aussichten.

Wir sollten daher unbedingt innerhalb der kürzestmöglichen Zeit die tatsächlichen Folgen des neuen Finanzierungsmodells evaluieren. Wenn die Bildungsministerin derzeit nicht über flächendeckende Zahlen verfügt, sollte das nach Verabschiedung der neuen Regelung unverzüglich geschehen. Die Chancen, noch einmal nachzusteuern, wären dann noch am besten.

Vielleicht sehe ich aber auch zu schwarz. Ich würde mich allzu gern durch belastbares Zahlenmaterial eines Besseren belehren lassen. Ich habe aber, wie gesagt, meine Bedenken.

Eines ist sicher: Die chronische Unterfinanzierung der Kindertagestätten, die sich bereits unter anderem in fehlender Akademisierung, unterdurchschnittlichen Gehältern der Erzieher und viel zu niedrigem Anteil von Männern in diesem Job niederschlägt, wird mit 120 € Pauschalbetrag nicht behoben werden.

(Lars Harms)

Auch im vorliegenden Bericht fällt kein Wort über die Sicherung inhaltlicher und personeller Standards. Das finde ich bedauerlich, weil damit die gute Arbeit, die unter großem persönlichem Einsatz derzeit geleistet wird, vollständig ausgeblendet wird.

Es ist zu hoffen, dass zumindest das zentrale Anliegen, nämlich die Inanspruchnahme der Kindergärten deutlich zu verbessern, umgesetzt werden kann. Schließlich stand am Anfang der Debatte das Ziel, allen Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern.

Ich bin davon überzeugt, dass die geplante Beitragsfreiheit vor allem für Familien mit mittlerem Einkommen die Hürde senkt und sie ihren Kindern einen Kindergartenbesuch ermöglichen können.

Dass die Träger die Pauschalierung nicht mit einer Standardabsenkung quittieren müssen, gehört dann allerdings zu unseren Aufgaben. Das müssen wir gesetzlich regeln.

Letztlich haben wir aber immer noch nicht eine Familienpolitik, die diesen Namen, wie ich finde, wirklich verdient. Anstatt sich mit Geldleistungen quasi freizukaufen, sollte der Staat seine Betreuungsangebote in Schule und Kindergarten ausbauen, wie es hier in Schleswig-Holstein passiert. Hier wäre das Geld sicherlich besser angelegt.

Ich glaube aber auch - damit möchte ich zum Thema „kein Kind ohne Mahlzeit“ übergehen -, dass es staatliche Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche - ich spreche auch über die Schule - wirklich Sicherheit haben, dass sie pro Tag eine warme Mahlzeit bekommen können.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es darf nicht sein, dass das von Almosen abhängig ist, dass das vom privaten Engagement abhängig ist. Jedes Kind hat für mich das Recht, eine warme Mahlzeit zu bekommen. Es ist staatliche Aufgabe, dieses Recht zu gewährleisten. Auch da sage ich: Was können wir mit einer Kindergelderhöhung anfangen, wenn wir dieses riesige Problem noch haben? Hier wäre das Geld besser eingesetzt.

(Beifall bei SSW und SPD)

Meine Damen und Herren, Sie haben feststellen können, dass wir durchaus kritische Fragen stellen. Wir hinterfragen nicht das Projekt. Das Projekt ist klasse. Es ist gut, dass wir in Schleswig-Holstein ein beitragsfreies Kindergartenjahr bekommen.

(Beifall bei SSW und vereinzelt bei der CDU)

Meckern ist für uns nicht Selbstzweck, sondern wir sehen: Es wird richtig viel Geld zur Verfügung gestellt. Das erkennen wir an, und das unterstützen wir, weil wir sehen, dass es eine Investition in Bildung, eine Investition in Vereinbarkeit von Schule und Beruf für die Eltern ist. Es ist eine Investition für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund. Es ist natürlich auch ein wichtiger Part, wenn es darum geht, Prävention möglich zu machen. Das sind alles Ziele, die für unsere Gesellschaft überragend wichtig sind. Wenn wir gerade in den Bereich Bildung nicht investieren, dann schaden wir zukünftigen Generationen, dann schaden wir uns selber in der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung. Deswegen ist dieser Schritt so wichtig, mit all den Problemen in der Umsetzung, die wir sehen.

Wir als SSW werden diesen Schritt gehen, wir werden ihn voll unterstützen. Wir wollen, dass ein solcher Anfang gemacht wird. Das darf nicht das Ende sein. Wir wollen, dass der gesamte Kindergarten beitragsfrei wird. Wir werden alle Parteien, insbesondere die sozialdemokratischen Kollegen, unterstützen, wenn das verwirklicht werden soll.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Frau Präsidentin! Herr Dr. Klug, das, was Sie über die Finanzierung der Kindertagesstätten und die steigenden Elternbeiträge im ersten und zweiten Kindergartenjahr gesagt haben, würde nur dann stimmen, wenn dem gedeckelten Anteil von 60 Millionen €, die wir haben, auch eine gleichbleibende Kinderzahl gegenüberstehen würde. Aber dem ist ja nicht so. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir schon jetzt ein Viertel Kinder weniger in den Kindertagesstätten haben. Die demografische Entwicklung geht auch in diese Richtung. Insofern muss man natürlich zugestehen, dass die gedeckelten 60 Millionen € im Endeffekt ein steigender Zuschuss im Rahmen der Kindertagesstättenfinanzierung sind.

Frau Heinold, Sie haben gefragt, warum wir das immer wieder unter den Finanzierungsvorbehalt stellen. Das will ich Ihnen gern erläutern. Es gehört ein Stück Ehrlichkeit in die Politik. Sie bestellen sich doch heute auch nicht für 2011 und 2013 ein Auto, ohne zu wissen, wie Ihr finanzieller Haushalt dann sein wird.