Protocol of the Session on November 13, 2008

(Zurufe der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Es tut mir leid. Es muss aber doch irgendwo eine gesetzliche Regelung geben, die man auch zum Gegenstand der parlamentarischen Beratung und zum Gegenstand von Anhörungen machen kann. Es muss doch irgendwo eine Unterlagen geben, in der auch Begründungen enthalten sind.

(Zuruf von Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

- Das ist heute mit der Nachschiebeliste gekommen, hat Frau Erdsiek-Rave gesagt, o.k. Aber eine schwierige und mit so viel offenen Fragen verbundene Materie derart im parlamentarischen Schweinsgalopp durchzuziehen, das kann man wirklich nicht als ordentliches Verfahren auch zur Klärung der noch offenen Fragen bezeichnen.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD)

Das alles ist natürlich eine Folge des Umstands, dass sich die Koalitionspartner - eben haben wir es wieder gesehen; besser sollte man „Koalitionskampfhähne“ sagen -, die Kollegen von CDU und SPD, hier monatelang wie die Kesselflicker über die Art der Lösung des Anliegens gestritten haben und nunmehr eine notdürftig zusammengeschusterte Einigung präsentieren.

(Widerspruch von CDU und SPD - Der Ab- geordnete Holger Astrup [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Ich habe jetzt wirklich keine Zeit für eine Zwischenfrage, tut mir leid; das können wir nachher machen.

Von „Einigung“ kann man hier wirklich nur in Anführungszeichen sprechen. Schließlich wurde ein wesentlicher Streitpunkt der Großen Koalition, die gesetzliche Regelung über die weiteren Stufen der Beitragsfreiheit in den Jahren 2011 und 2013, auf eine Gesetzesvorlage verschoben, die erst im Mai 2009 vorliegen wird und verabschiedet werden soll. Da zu diesem Zeitpunkt - nämlich von heute aus gesehen in einem halben Jahr - der Europa- und Bundestagswahlkampf schon in voller Pracht und Schönheit entfaltet sein wird, kann man mit gespannter Erwartung die dann dort anstehenden Debatten zwischen CDU und SPD abwarten.

Ich habe bereits in der Oktober-Tagung einiges dazu gesagt, wie vertrauenswürdig eigentlich eine Politik ist, die angesichts einer sich zuspitzenden Wirtschafts- und Finanzkrise für die kommenden Jahre öffentliche Leistungen verspricht, von denen heute keiner weiß, ob das Land sie dann wird bezahlen können. Ministerin Erdsiek-Rave hat dazu denn auch im Oktober die entlarvende Äußerung fallen lassen, man könne ja notfalls per Gesetz die zweite oder die dritte Stufe der Beitragsfreiheit wieder aussetzen. Das Zitat habe ich Ihnen mitgebracht, das ist wirklich wunderschön. So dreist ist wirklich selten ein politisches Betrugsmanöver Herr Stegner! - gestartet worden.

(Beifall bei der FDP - Widerspruch bei CDU und SPD)

Man ruft den Wählern zu: Kauft den „sozialdemokratischen Hedgefonds Stegner 2011“, aber die Hintertür zur späteren Wertberichtigung, die ist nicht mal abgeschlossen, sondern die ist bloß angelehnt; sie ist also schon angekündigt.

(Der Abgeordnete Dr. Ralf Stegner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Herr Kollege Stegner, eine Zwischenfrage!

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Stegner? - Die Frage stelle immer noch ich, Herr Dr. Klug.

(Heiterkeit und Beifall)

Herr Dr. Klug, können Sie sich noch an die Parlamentsdebatte erinnern, als Frau Erdsiek-Rave zu diesem Punkt gesagt hat, zu denjenigen, die sich Sor

(Dr. Ekkehard Klug)

gen machen, ob wir das mit dem verfassungsgemäßen Haushalt ernst meinen, dass gerade für alle Gesetze gilt, dass es die Möglichkeit gibt - nicht nur für dieses konkrete, sondern für alle Gesetze -, per Haushaltsgesetz einzugreifen? Darauf hat Frau ErdsiekRave hingewiesen. Können Sie sich daran erinnern, dass das die Aussage von Frau Erdsiek-Rave war und keineswegs die Relativierung des von uns vereinbarten Stufenplans zu den beitragsfreien Kindergartenjahren in den Jahren drei, zwei und eins?

- Herr Kollege Stegner, ich kann mich nicht nur daran erinnern, was die Ministerin gesagt hat, ich habe hier das Wortprotokoll liegen.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und ver- einzelt bei der CDU)

Dazu kann ich Ihnen sagen, dass Frau Ministerin Erdsiek-Rave die folgende Aussage - ich zitiere gemacht hat:

„In einer Haushaltsnotlage, in einer Situation, die wir möglicherweise noch nicht absehen können, kann jede Regierung, kann jede Koalition ein Gesetz aussetzen, verschieben oder auch ändern“.

Dass sie das ausgerechnet in der strittigen Debatte über die Frage der Finanzierung der beiden weiteren Kindergartenjahre gesagt hat, ist doch ein klarer Hinweis darauf, dass sie das für den Fall eines Falles bei diesem Thema schon ins Auge gefasst hat.

(Beifall bei der FDP - Zurufe von der SPD)

- Das ist doch so. Herr Kollege, Sie wollen das den Leuten im nächsten Landtagswahlkampf als Schlager verkaufen. Aber eine Politik, die nur auf Wahlkampfstrategie aufbaut, Herr Kollege Stegner, die nur auf Theatralik in der Politik aufbaut, eine solche Politik wird doch von den Wählern am Ende klar als das durchschaut, was sie wirklich ist, nämlich als nichts als heiße Luft.

(Beifall bei der FDP)

Der vierte Kritikpunkt ergibt sich aus folgendem Sachverhalt. Seit 2004, also seit dem letzten rotgrünen Regierungsjahr, ist der reguläre Landeszuschuss zur Kindergartenfinanzierung auf 60 Millionen € jährlich gedeckelt - seit 2004! Das soll nach Ihrem Haushaltsentwurf für den Doppelhaushalt 2009/2010 auch bis zum Jahr 2010 so bleiben. Das sind, vom Anfangszeitpunkt dieses eingefrorenen Landeszuschusses ausgehend, dann sechs Jahre. Der eingefrorene Landeszuschuss ist eine wesentli

che Ursache dafür, dass Schleswig-Holstein heute mit 27,4 % Elternanteil an der Kindergartenfinanzierung die höchsten Elternbeiträge aller Bundesländer aufweist. Siehe Bertelsmann Länderreport 2008 zur frühkindlichen Bildung.

Bereits in den letzten Jahren sind die Elternbeiträge in den Kindergärten in diesem Land kontinuierlich gestiegen. Angesichts zu erwartender Tarif- und sonstiger Kostensteigerungen wird dies jedenfalls für das erste und zweite Kindergartenjahr mit Sicherheit auch 2009 und 2010 der Fall sein. Damit werden wir in den beiden kommenden Jahren eine ganz bizarre bildungs- und sozialpolitisch geradezu verheerende Situation bekommen: Eltern nämlich, die nach dem 1. August 2009 ein Kind im dritten, dann beitragsfrei gestellten Kindergartenjahr haben, werden komplett von Elternbeiträgen befreit, während Eltern, die Kinder im ersten oder zweiten Kindergartenjahr haben, mit ziemlicher Sicherheit sogar mit steigenden Kindergartenbeiträgen rechnen müssen. Diesen Widerspruch sollen Sie den Leuten einmal erklären. Besonders bei Eltern im mittleren Einkommensbereich und erst recht bei Eltern, die aufgrund ihrer Einkommenssituation nur knapp oberhalb der Sozialstaffel liegen, wird dies die Neigung, ihre drei- oder vierjährigen Kinder nicht in den Kindergarten zu schicken oder sie - im schlimmsten Fall - sogar wieder abzumelden, erhöhen. Das ist eine bildungs- und sozialpolitische Konsequenz Ihrer Politik, die ich für verheerend halte.

(Beifall bei der FDP)

Alles zusammen bringt mich zu dem Fazit: Die Kindergartenpolitik der sogenannten Großen Koalition ist wirklich nichts anderes als großer Murks.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Klug. - Das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun die Frau Abgeordnete Monika Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Donnerstagmorgen, 10 Uhr, Kindertagesstättendebatte im Landtag. Es mag eine Wertschätzung gegenüber unseren Kindertagesstätten sein, wenn wir einmal im Monat zu prominenter Zeit hier im Landtag über dieses Thema diskutieren. Aber das notwendige Handeln ersetzt das nicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Dr. Ekkehard Klug)

Was jetzt folgen muss, sind die notwendigen Rahmenbedingungen für die beitragsfreie Kindertagesstätte, für mehr Betreuungsqualität und zur Absicherung des Sozialfonds „Kein Kind ohne Mahlzeit“. CDU und SPD haben bisher nur eines geschafft: Eltern und Wohlfahrtsverbände maximal zu verunsichern. Aus der anfänglichen Freude über das beitragsfreie Kindertagesstättenjahr sind Skepsis und Verunsicherung geworden. Frau Franzen, in der Debatte heute Morgen haben Sie wieder gesagt, das Ganze stehe unter Finanzierungsvorbehalt. Ich frage Sie: An welcher anderen Stelle, an der Sie sich große politische Ziele setzen, bringen Sie immer wieder den Finanzierungsvorbehalt ein? - An fast keiner.

(Zurufe von der CDU)

Ich erinnere an die Debatte um die Pendlerpauschale, die wir hier geführt haben, halbe Stunde. CDU und SPD haben die Arme gehoben und gesagt: Wunderbar, weg mit der Pendlerpauschale. - Das macht sich ja auch gut im Kommunalwahlkampf. Konsequenz für das Land, wenn der Bundesrat das machen würde, was Sie wollen, wäre ein Minus von 30 Millionen bis 40 Millionen € für SchleswigHolstein. Ein beitragsfreies Kindertagesstättenjahr!

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Johann Wade- phul [CDU])

- Herr Wadephul, Sie haben hier einfach ein Problem, weil Sie -

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Johann Wade- phul [CDU])

- Das hat nichts mit der Verfassungskonformität zu tun. Die Verfassungskonformität ist deshalb nicht gewährleistet, weil Sie das Gesetz so krumm gestrickt haben, dass es nicht verfassungskonform ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abgeordneten Dr. Johann Wade- phul [CDU])

- Das hat doch nichts mit der Frage zu tun, ob man zu der alten Regelung zurückkehrt. Das nämlich müsste man nach dem Urteil nicht. Das sagt das Urteil nicht.

In dem vorliegenden Bericht steht nicht furchtbar viel Neues. Wir wussten, dass die Mittel für das erste beitragsfreie Kindergartenjahr im Haushalt verankert sind. Das haben wir hier schon mehrfach gehört.

Ich möchte etwas zu der Frage sagen, ob es das erste oder das letzte Jahr sein soll. Die Frage ist deshalb so schwierig, weil das vergleichbar ist mit der

Frage: Verzichte ich auf das Abendbrot oder auf das Mittagessen? Beides ist notwendig. Wenn wir mit dem ersten Jahr, den Dreijährigen, anfangen, hat das den Vorteil, dass die Kinder schnell in der Kindertagesstätte sind. Wenn sie dann aber mit vier Jahren wieder raus müssen, weil die Eltern das nicht bezahlen können, ist das auch schlecht.

Ich nenne einmal ein Beispiel aus dem Petitionsausschuss. Dort haben wir - ich mochte das gar nicht glauben - einen Fall einer klassischen Familie, von der wir sagen, es wäre gut, wenn die Kinder in die Kindertagesstätte gingen. Es ist ein Fall aus Lauenburg, Hartz-IV-Empfänger, fünf Kinder. Sie sollen 80 % der Kindertagesstättengebühr bezahlen. Das heißt, dieses Kind mit Migrationshintergrund kann aus finanziellen Gründen nicht in die Kindertagesstätte gehen, obwohl die Eltern das wollen und sogar im Petitionsausschuss darum kämpfen. Das ist die reale Situation. Hier hat das Land in den letzten Jahren nichts getan, um gemeinsam mit den Kommunen auf eine einheitliche Sozialstaffel hinzuwirken, die so etwas verhindert.