Protocol of the Session on October 11, 2007

den, wie man das so ausgestaltet, dass sie möglichst ohne Belastung - ich betone noch einmal, bei Kindern und Jugendlichen ist das eine besondere Verpflichtung, die noch mehr trägt als bei Erwachsenen - durchgeführt werden kann.

Es gibt die Entschließung des Europäischen Rates von 1997, die sagt, dass eine Rückführung unbegleiteter Minderjähriger nur dann erfolgen kann, wenn eine Übernahme der Betroffenen bei Ankunft im Aufnahme- oder Herkunftsland auch durch geeignete Organisationen gewährleistet ist. Das heißt, dass man sie sich nicht selbst überlässt.

Die Möglichkeiten des Familiennachzugs sind stark von dem Aufenthaltsstatus abhängig. Sofern sie Asylberechtigte oder Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention sind, können den Eltern der Betroffenen nach den geltenden aufenthaltsrechtlichen Regelungen Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet unter geringen Erteilungsvoraussetzungen erlaubt werden. Auch dieses machen wir in Schleswig-Holstein im Rahmen dessen, was humanitär möglich ist - mehr als andere.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Präsidentin, ich brauche noch ein bisschen Zeit, aber ich beeile mich.

Die Anzahl der unbegleiteten minderjährigen Personen geht zurück, so wie die Asylbewerberzahlen insgesamt. Über das, was zu ihrem besonderen Schutz getan wird, kann man immer reden. Ich bin übrigens der Meinung, dass wir das auch auf europäischer Ebene tun sollten. Der Kollege Döring stimmt mir da sicher zu, dass das in unseren europapolitischen Diskussionen eine Rolle spielen muss, dass dieses nicht je nach Bundesland geschieht, sondern dass wir uns europaweit damit beschäftigen, dass wir die speziellen Bedürfnisse besonders schutzbedürftiger Asylsuchender in allen Phasen des Asylprozesses ermitteln und die minderjährigen Personen so behandeln, wie wir möchten, dass unsere eigenen Kinder behandelt werden sollten, wenn sie in eine solche Situation kämen.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Eine geschäftsleitende Bemerkung: Durch Überschreitung der angemeldeten Redezeit verlängert sich die Redezeit der Fraktionen um 30 sec.

(Heiterkeit)

Ich bedanke mich beim Herrn Minister für seinen Bericht, eröffne jetzt die Aussprache und erteilte

für die antragstellende Fraktion Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als der SSW die Frage nach Zahl und Schicksal minderjähriger Flüchtlinge stellte, rechneten wir mit bedrückenden Zahlen. Was uns der Bericht aber liefert, ist ein gesellschaftliches Armutszeugnis: Es werden bürokratische Kompetenzprobleme geschildert, in denen sich Kinder und Jugendliche tagtäglich verheddern. Selten habe ich in einem Bericht der Landesregierung so viel darüber gelesen, wo das Land überall nicht zuständig ist, wie im vorliegenden. Die Lektüre des Berichtes hat bei mir ein sehr ungutes Gefühl hervorgerufen. Hinter den Zahlen stehen nämlich Kinder und Jugendliche. Sie drohen in Schleswig-Holstein über eine besondere Form der Nichtbeachtung zu stolpern, sodass ihnen der Start in ein Leben in Deutschland verbaut wird.

Wenn Kinder und Jugendliche ohne Begleitperson die Grenze überschreiten, haben sie automatisch Anspruch auf besondere Schutzmaßnahmen. Die Bundesrepublik hat eine Vielzahl internationaler Abkommen unterzeichnet, die das Kindeswohl in den Vordergrund staatlichen Handelns stellen. Dazu gehört unter anderem die UN-Kinderrechtskonvention, die ausdrücklich eine Diskriminierung bestimmter Gruppen von Kindern verhindern soll. Die Konvention und nationale Rechtsvorschriften erzwingen einen Handlungsbedarf. Wegschauen, Missachten oder Ignorieren kommen überhaupt nicht infrage. Tatsächlich ist genau das an der Tagesordnung. Das zeigen bereits die Probleme bei der Datenerhebung.

Wie kann ich mir das im Einzelnen vorstellen? Werden gar keine Akten von den Kindern angelegt, weil die zuständigen Behörden sowieso nicht von rechtmäßigen Motiven der Kinder ausgehen? Der elementare Grundsatz behördlichen Vorgehens, nämlich der der Schriftlichkeit, gilt für diese spezielle Klientel offensichtlich nicht. Im Bericht heißt es an einer Stelle lapidar „Fehlanzeige“, als es um die genaue Zahl betroffener Kinder geht. Dabei hat die Landesregierung letztes Jahr in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Kollegen Hentschel Drucksache 16/1058 - ausdrücklich ein individuelles Verfahren für jeden Betroffenen hervorgehoben. Trotzdem verschwinden Kinder und es kümmert sich niemand darum. Da muss man schon ein Jugendlicher aus einem Krisengebiet sein, um das in Deutschland hinzubekommen.

(Innenminister Dr. Ralf Stegner)

Meines Erachtens lässt der Bericht nur einen Schluss zu: Die Situation unbegleiteter Flüchtlinge in unserem Land entspricht nicht den Grundsätzen, die wir ansonsten an Kinder- und Jugendpolitik stellen. Die Personengruppe junger unbegleiteter Flüchtlinge wird nicht mit der gleichen Achtung behandelt, wie es für Kinder und Jugendliche in Deutschland Standard ist. Auf diese Weise hat sich langsam und stetig eine Zwei-Klassen-Behandlung etabliert. Da spielen sicherlich Finanzierungserwägungen, insbesondere auf der kommunalen Ebene, eine Rolle, die aufgrund einer fehlenden zentralen Kontrolle die Oberhand gewinnen können und manchmal auch schon gewinnen. Der Innenminister wird nämlich erst zur anordnenden Behörde, wenn die Härtefallkommission in Sachen Aufenthaltsrecht angerufen wird. Diese Situation muss sich schleunigst ändern.

Der bestehende Handlungsdruck ist übrigens auch dem Berichterstatter aufgefallen, der den Ausbau der Interessen unbegleiteter Flüchtlinge zumindest auf EU-Ebene gefördert wissen möchte. Der Flüchtlingsrat hat bereits im letzten Jahr die Einrichtung einer Clearingstelle gefordert. Das geschah aus dem Wissen heraus, dass Kinder und Jugendliche ohne Begleitung einer besonderen fachlichen Begleitung bedürfen. Der SSW fordert die Jugendbehörden des Landes auf, umgehend eine Clearingstelle zu organisieren oder einen freien Träger damit zu beauftragen.

Darüber hinaus muss umgehend die Praxis des Umgangs mit den minderjährigen Flüchtlingen überdacht werden. Sie müssen einheitlich und vor allem - wenn man so will - zuvorkommend behandelt werden. Eine gemeinsame Unterbringung mit Erwachsenen sollte unbedingt vermieden werden. Das muten wir nicht einmal minderjährigen deutschen Straffälligen im Gefängnis zu, aber bei unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen ist das immer noch Standard, auch und gerade in Abschiebehaft, wo die jugendlichen Häftlinge durchschnittlich vier bis fünf Wochen verbringen müssen.

Der SSW hofft, dass wir im Ausschuss gemeinsam zu einem Lösungsmodell kommen, um zukünftig die Zahl der Betroffenen genau beziffern und mit einer systematischen Flüchtlingspolitik beginnen zu können. Wir erwarten noch im Lauf des Jahres eine Umsetzung - insbesondere in Hinblick auf die Clearingstelle - oder zumindest ein einheitliches Verfahren, das ja - wie der Minister zu Recht gesagt hat auch im Jugendhilfeausschuss eine Rolle gespielt hat.

Wir haben hier eine von der Anzahl her sehr überschaubare Klientel, die massiv unterschiedlich be

handelt wird. Wir müssen es hinkriegen, dass alle ihre Rechte, insbesondere was die Jugendhilfe angeht, bekommen können. Es kann nicht angehen, dass wir diese Klientel vernachlässigen.

Deswegen ist es ganz wichtig, dass das Land - dazu haben wir die Landesregierung mit unserem Antrag aufgefordert - wirklich eingreift und so vermittelt, dass wir eine solche Clearingstelle beziehungsweise ein einheitliches Verfahren bekommen. Das ist für die betroffenen Personen dringend notwendig. Wir sollten unseren Teil dazu leisten.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms und erteile für die CDU-Fraktion Herrn Abgeordneten Wilfried Wengler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als „unbegleitet“ bezeichnen wir Minderjährige, die ohne Eltern oder Erziehungsberechtigte ins Bundesgebiet einreisen. Sie kommen vorwiegend aus Afrika, Asien und Osteuropa. Bei dieser Gruppe von Flüchtlingen besteht naturgemäß ein besonderer Hilfebedarf. Dem trägt das sogenannte Clearingverfahren Rechnung. Es umfasst die rechtlichen und organisatorischen Abläufe und Klärungsprozesse, die unmittelbar nach der Einreise eines unbegleiteten minderjährigen Flüchtlings durchgeführt werden. Hierunter fallen etwa die Feststellung der Identität und des Alters, die Klärung der gesetzlichen Vertretung, die Suche nach Familienangehörigen sowie die Ermittlung von Gesundheitszustand, Aufenthaltsstatus und Erziehungsbedarf.

Die hierbei maßgebliche Vorschrift des § 42 SGB VIII normiert die Berechtigung und Verpflichtung der Jugendämter, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut zu nehmen. Ein besonderes Clearingverfahren ist gesetzlich allerdings nicht vorgesehen. Die Zuständigkeit liegt in diesem Bereich bei den Kreisen und kreisfreien Städten als öffentlichen Jugendhilfeträgern. Der somit bestehende Spielraum bei der Umsetzung des § 42 SGB VIII wird in den Ländern unterschiedlich ausgefüllt. So gibt es an manchen Orten zentrale Clearinghäuser, etwa in München, Berlin und Frankfurt.

Bei unseren Überlegungen dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass die Anzahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Schleswig-Holstein seit

(Lars Harms)

mehreren Jahren rückläufig ist. So ist im Bericht der Landesregierung für das Jahr 2006 von insgesamt nur 31 Personen die Rede - wobei hier die Einschränkung gemacht werden muss, dass es in der Kürze der Zeit und aufgrund des Materials nicht möglich war, diese Daten vollständig zu erheben.

Diesem Befund entsprechend bestehen - wie schon vom Minister erwähnt - im Landesjugendhilfeausschuss erhebliche Zweifel an der wirtschaftlichen Auslastung einer zentralen Clearingstelle. Das Gremium hat sich daher im Mai nicht für die Schaffung einer solchen Stelle ausgesprochen, aber befürwortet ein einheitliches Verfahren auf der Grundlage des § 42 StGB VIII für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Schleswig-Holstein. Dies ist zu begrüßen. Ein einheitlicher Handlungsleitfaden für die Praxis dürfte dazu beitragen, eine bedarfsgerechte Unterbringung und Betreuung dieser Minderjährigen zu gewährleisten. Daneben kann er zu einer beschleunigten Abstimmung zwischen den beteiligten Behörden bei der Inobhutnahme beitragen, insbesondere zwischen Jugendamt und Ausländerbehörde. Dies ist von Bedeutung, denn gerade bei minderjährigen Flüchtlingen muss ein Schwerpunkt der Anstrengungen auf zügigen und altersangemessenen Verfahren liegen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Landesjugendamt beabsichtigt, diese Thematik mit den Jugendamtsleitungen der Kreise und kreisfreien Städte zu erörtern und ihnen beratend zur Seite zu stehen. Auch wir sollten den weiteren Prozess begleiten, unter anderem durch die Beratung des nun vorliegenden Berichtes im Innen- und Rechtsausschuss.

Abschließend danke ich dem Innenminister und seinen Mitarbeitern für die Zusammentragung dieses Berichtes zu einem Thema, das eigentlich nur mittelbar in die Verantwortung des Landes fällt und mit entsprechenden Schwierigkeiten behaftet war.

(Beifall bei CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Wilfried Wengler und erteile für die SPD-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Dank an den SSW für den Antrag und an den Innenminister für den Bericht. Herr Kollege Harms,

ich habe nicht so ganz verstanden, wie Sie aus diesem Bericht quasi ein Katastrophenszenario ableiten konnten. Das erschließt sich mir wirklich nicht. Ich finde den Bericht gut, umfassend und differenziert. Auf dieser Grundlage sollten wir im Ausschuss weiter beraten.

Wir haben zur Kenntnis genommen, dass für die Inobhutnahme - ein fürchterliches Wort! - und Erstbetreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge nicht das Land, sondern in erster Linie die Kreise und kreisfreien Städte zuständig sind, dass die örtlichen Jugendämter die Aufnahme in Bereitschaftspflegestellen, geeigneten Einrichtungen und anderen Wohnformen entsprechend ihrer sozialgesetzlichen Verpflichtung durchführen und dass die Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes erst erfolgt, wenn das örtlich zuständige Jugendamt bestätigt hat, dass es keinen weiteren Bedarf für Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen gibt. Dass bei der räumlichen Unterbringung auf das Alter der Jugendlichen und auf muttersprachliche und herkunftsstaatliche Besonderheiten Rücksicht genommen wird, ist eine weitere wichtige, positive Information.

Dass sich im Landesjugendhilfeausschuss für die Schaffung einer zentralen Jugendhilfeeinrichtung für unbegleitet eingereiste Minderjährige keine Mehrheit ergeben hat, können wir akzeptieren, soweit dafür als Grund die für ausreichend gehaltene bestehende Jugendhilfestruktur angegeben wird und nicht Zweifel an einer wirtschaftlichen Auslastung der sozial möglicherweise erforderlichen Clearingstelle den Ausschlag gegeben haben.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dass das Landesjugendamt den Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses in Bezug auf ein einheitliches Aufnahmeverfahren mit den Jugendämtern der Kreise und kreisfreien Städte erörtern und konstruktive Empfehlungen einbringen will, begrüßen wir, wobei wir den Hinweis geben, dass dabei die zum Teil in der Tat sehr detaillierte, differenzierte, unübersichtliche und für Nichtjuristen und betroffene Gesetzesadressaten unverständliche Paragrafenlage des Kinder-, Jugendhilfe-, Ausländer- und Asylrechts - auf die der Minister ja auch hingewiesen hat - kein Hindernis sein darf.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zu den vom SSW aufgeworfenen Fragen hinsichtlich einer gezielten Familienzusammenführung und der Gewährung eines gesicherten Aufenthaltsstatus für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bitten

(Wilfried Wengler)

wir die Landesregierung schließlich, auch ohne Planungskompetenz von ihrer fachaufsichtlichen Zuständigkeit gegenüber den Ausländerbehörden - das hat der Minister ja auch zugesagt - in einer Weise Gebrauch zu machen, die generell gewährleistet, dass in Schleswig-Holstein die besonderen Interessen und Bedürfnisse der schutzbedürftigen jungen Leute, die sich ohne Eltern bei uns aufhalten, tatsächlich und praktisch bestmöglich berücksichtigt werden.

Dass es zum Aufenthaltsstatus und zur Familienzusammenführung weitere präzisierende europarechtliche Vorschriften geben wird, mit denen der Schutz unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ausgebaut werden soll, begrüßen und unterstützen wir. Der Bericht des Innenministers - ich wiederhole es - ist eine gute Grundlage für unsere Beratungen im Fachausschuss.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion schlägt vor, im Rahmen der Ausschussberatung auch den Flüchtlingsbeauftragten des Landtages sowie den Vormundschaftsverein „lifeline“ des Flüchtlingsrates zu einer mündlichen Anhörung einzuladen und mit diesen beiden Institutionen über den vorliegenden Bericht zu diskutieren.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Die Landesregierung definiert den Begriff der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wie folgt: Es handelt sich um alle unverheirateten Personen unter 18 Jahren, die ohne Begleitung eines nach dem Gesetz oder dem Gewohnheitsrecht verantwortlichen Erwachsenen nach Schleswig-Holstein gekommen sind, ohne Begleitung gelassen werden und hier Schutz suchen. Dabei handelt es sich um Jugendliche, die zumeist traumatisiert und physisch wie psychisch stark belastet sind.

Aber bereits auf die Frage nach der Anzahl der in den Jahren 2000 bis 2006 nach Schleswig-Holstein gekommenen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge kann die Landesregierung keine belastbaren Zahlen vorlegen. Die im Bericht aufgeführten