Protocol of the Session on October 11, 2007

Kayenburg. Die Argumente waren, dass wir in Deutschland unmöglich europäische Standards umsetzen und durchführen können, weil dies eine Katastrophe für die Gesellschaft, für die Gastwirte und für wen auch immer sei. Ich sage Ihnen: Auch die Debatte über das Tempolimit werden Sie verlieren!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das ist eine Frage der Zeit. In allen europäischen Ländern sind Tempolimits völlig normal. In den Vereinigten Staaten, im Land der Freiheit, in das wir alle so gern reisen, sind Tempolimits völlig normal. Dort gibt es breite Straßen, aber es gibt Tempolimits.

(Wortmeldung des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stritzl?

Frau Kollegin Heinold, wären Sie bereit, dem Landtag zu verraten, wie hoch der Durchschnittsverbrauch eines amerikanischen Pkw im Vergleich zu einem deutschen Pkw ist, wobei der amerikanische Wagen unter der Auflage eines Tempolimits fährt?

- Herr Stritzl, da ich das nicht weiß, kann ich Ihnen das auch nicht verraten. Ich gehe nur davon aus, dass er höher ist. Ich gehe weiter davon aus, dass Sie es selbst wissen und uns im Rahmen eines Dreiminutenbeitrags mit Ihrem Wissen bereichern können. Darum geht es aber gar nicht. Es geht um die Frage, ob Tempolimits in einer zivilisierten Gesellschaft eine machbare Lösung sind, die aus Verkehrssicherheitsgründen und zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes sinnvoll sind. Die Maßnahme eines Tempolimits ist sinnvoll. Sie sagen, dass die amerikanischen Autos mehr verbrauchen und nehmen dies als Argument, um zu sagen, wir bräuchten kein Tempolimit und wir bräuchten keine weitere Reduktion des CO2-Ausstoßes. Herr Stritzl, diese Argumentation greift zu kurz. Ich sage Ihnen: Das ist eine Frage der Zeit. Heute mögen Sie den Antrag noch an den Ausschuss überweisen und dort werden Sie vermutlich versuchen, eine Entscheidung über mehrere Monate oder Jahre zu verhindern. Das Tempolimit wird aber - so wie es in Europa Standard ist - in Deutschland kommen. Unsere Aufgabe

sehen wir als Grüne darin, diesen Prozess zu beschleunigen, damit wir möglichst schnell ein Tempolimit bekommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Austermann das Wort.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr seid mittlerweile ein so pein- licher Haufen!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem das Für und Wider eines allgemeinen Tempolimits erörtert worden ist, möchte ich das Ganze auf die Situation in Schleswig-Holstein herunterbrechen, denn ein Teil des Antrags konzentriert sich auf die Situation in unserem Land. Wir haben insgesamt 10.000 km an Kreis-, Bundes-, Landesstraßen und Autobahnen. Hinzu kommen noch ein paar Gemeindestraßen. Etwa 500 km dieser 10.000 Straßenkilometer sind Autobahnen. Aus meiner Sicht sind das etwa 500 km zu viel. Soviel ich weiß, sind insbesondere die Vertreter des SSW dafür, dass wir die Autobahnen zur dänischen Grenze sechsspurig ausbauen. Sie wollen, dass die A 23 ausgebaut wird und dass die A 20 gebaut wird.

Wir haben also Autobahnen auf einer Länge von 500 km. Für 40 % dieser 500 km gelten durch reguläre Geschwindigkeitsbegrenzungen, Tempolimits. Hinzu kommen noch die vielen Baustellen, die wir erfreulicherweise haben. Auf der einen Seite ist dies natürlich ärgerlich, auf der anderen Seite ist dies aber auch erfreulich, weil sich hier etwas tut. Man geht also davon aus, dass ungefähr 2 % des Straßennetzes in Schleswig-Holstein davon betroffen sind.

(Zuruf des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Jetzt kommt der Trugschluss. Ich stelle immer wieder fest, dass professionelle oder sich für professionell haltende Umweltschützer nicht rechnen können. Sie gehen davon aus, dass diejenigen, die fahren, dann auf einmal nicht mehr fahren. Der, der heute aber 160 km/h fährt - und in allen Rechnungen verschwindet der dann auf einmal - fährt dann möglicherweise aber 120 oder 130 km/h, weil er denkt, 10 km/h mehr kannst du fahren. Das wird aber immer weggelassen. Das heißt, die Betrach

(Monika Heinold)

tung dessen, was tatsächlich eingespart wird, bewegt sich im Nullpromillebereich. Ich denke, dass man die Debatte so offen führen muss.

Wenn es Gründe gibt, darüber nachzudenken - die Interpretation des Ministerpräsidenten hat Herr Abgeordneter Stritzl schon genannt, nämlich dass das regierungsamtlich nicht mehr gemacht werden muss; dem schließe ich mich an -, und wenn Sie sagen, dass die Bevölkerung für ein Tempolimit ist, dann vor dem Hintergrund des Themas Sicherheit und nicht so sehr vor dem Hintergrund des Themas Klimaschutz. Das ist das Problem, dass man von Rowdys, von Rüpeln, von Dränglern, von Rasern in eine schwierige oder gefährliche Situation gebracht wird. Deshalb war es wichtig, dass sich gestern die Verkehrsminister der Länder zusammen mit dem Bundesverkehrsminister darauf verständigt haben, dass eine Überprüfung des Bußgeldkataloges an den Stellen stattfindet, an denen man dieses Verkehrsverhalten eindämmen kann. Es soll nicht dort stattfinden, wo man das Falschparken höher bestraft, weil das bloß Beutelschneiderei wäre, sondern es soll dort stattfinden, wo es wirklich Gefahren im Straßenverkehr gibt. Ich halte das für richtig.

(Beifall des Abgeordneten Detlef Matthies- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

An dieser Stelle sollte man die Argumente nicht vermengen. Das eine hat mit dem anderen - glaube ich - relativ wenig zu tun.

Damit Sie sehen, wie die tatsächlichen Auswirkungen für den Klimaschutz aussehen könnten, möchte ich Ihnen noch einmal konkret die Zahlen vorhalten: 19 % aller CO2-Emissionen kommen aus dem Verkehrsbereich - ganz allgemein, ob schnell oder ob langsam -, davon zu 93 % von der Straße, davon zu 38 % von den Autobahnen, davon sind 58 % durch Pkw verursacht. Damit liegen wir bei 3,9 % aller Emissionen. Davon wiederum fährt nur ein geringer Teil der Pkw auf den Strecken ohne Tempolimit. In Schleswig-Holstein sind das - wie gesagt 16 %. Also liegen wir bei rund 2,3 % aller Emissionen.

Schauen Sie sich einmal an, wie viel CO2 überflüssigerweise in die Luft geblasen wird, weil unsere Straßen nicht den erforderlichen Ausbauzustand haben. Sie brauchen sich bloß morgens, abends oder nachmittags im Hamburger Umland zu bewegen - Herr Lehnert, zu versuchen nach Hause zu kommen, oder Herr Kayenburg, zu versuchen nach Hamburg zu fahren oder was auch immer der eine oder andere dergleichen mehr als Ziel hat. Sie stellen auf jeden Fall fest, dass Sie in den stadtnahen, geschwindigkeitsbeschränkten Bereichen wesent

lich mehr überflüssige Abgase haben als Sie jemals einsparen könnten, wenn Sie auf den Autobahnen auf Tempo 120 oder 130 km/h zurückgehen würden. Ich denke, dass man bei allen Dingen auch die Mathematik, das Rechnen, nicht vergessen sollte. Wir sollten nicht so tun, als hinge ausgerechnet vom Tempo 120 km/h das Schicksal des Weltklimas ab.

Was wir für ein besseres Klima auch im Verkehrsbereich tun können, ist, dass wir unnütze Fahrten im Kurzstreckenbereich vermeiden, dass wir den ÖPNV stärken, dass wir eine CO2-bezogene Kraftfahrzeugsteuer erheben und dass wir den Güterschienenverkehr stärken. Das war übrigens auch ein Grund dafür, warum ich gesagt habe, ich bin gegen Giga-Liner. Ich möchte nämlich nicht, dass wir noch mehr Verkehr von der Schiene auf die Straße verlagern, sondern dass das Ganze in die andere Richtung geht.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Wenn wir dann berücksichtigen, was wir mit neuen Antriebssystemen sparen können, denke ich, dass es wesentlich bessere andere geeignete Maßnahmen gibt - vom Gebäudebereich und vielen anderen Dingen ganz zu schweigen.

Ich bin für die freie Fahrt für den Klimaschutz, aber mit der Verbotskeule werden Sie das Problem nicht lösen. Deshalb werden Sie sich nicht wundern, dass ich mich der Mehrheit des Hauses anschließe, die gesagt hat, sie hält aus Umweltschutzgründen relativ wenig von dem Vorschlag.

(Beifall bei der CDU sowie der Abgeordne- ten Jutta Schümann [SPD] und Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Ich danke dem Herrn Minister.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/1633 dem Wirtschaftsausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist so mehrheitlich beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 auf:

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/1622

(Minister Dietrich Austermann)

Ich erteile für den Bericht dem Herrn Innenminister Dr. Ralf Stegner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gilt wohl noch stärker als den anderen Flüchtlingen unser Mitgefühl. Dennoch bewegen wir uns hier in einem vorgegebenen Rechtsrahmen. Deshalb geht es darum, ein Höchstmaß an menschenwürdiger Behandlung zu garantieren, aber natürlich auch darum, keine falschen Hoffnungen zu wecken und die Perspektiven dieser Menschen so zügig wie möglich zu klären.

Lassen Sie mich zunächst die Kernbereiche des Berichts, nämlich Unterbringung, Clearingstelle und Aufenthaltsstatus, vorstellen. Die Minderjährigen werden zunächst von den allein und ohne fachliche Aufsicht des Landes verantwortlichen Jugendämtern bei Bereitschaftspflegestellen, in geeigneten Einrichtungen oder sonstigen Wohnformen untergebracht. Dann wird geklärt, wie es weitergeht. Dazu gehören Fragen wie: Gibt es weiteren Jugendhilfebedarf? Ist eine Rückkehr in ein Heimatland oder eine Familienzusammenführung möglich?

Nur wenn die unbegleiteten Flüchtlinge unter 16 Jahre alt sind und bei einer entsprechenden Entscheidung des Jugendamtes werden sie in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende untergebracht. Das finde ich persönlich auch richtig, dass das so geregelt ist und dass wir da nicht nach Deutschen und Ausländern unterscheiden, was die Jugendlichen und Kinder angeht.

(Beifall der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Peter Eichstädt [SPD])

Dort haben dann die Jugendlichen eine entsprechende Betreuerin. Auch bei der räumlichen Unterbringung wird auf das Alter des Jugendlichen ebenso wie auf muttersprachliche sowie herkunftsstaatliche Besonderheiten Rücksicht genommen. Denn wir müssen natürlich auch darüber nachdenken, was das für einen Menschen, gerade für Kinder und Jugendliche, bedeutet, fern der Heimat zu sein und sich besonders einsam und allein zu fühlen. Darauf muss man entsprechend Rücksicht nehmen.

Sobald der Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung für das Asylverfahren nicht mehr erforderlich ist, kommen die Minderjährigen möglichst in die Nähe zu dem in Schleswig-Holstein lebenden Vormund.

Das Achte Buch des Sozialgesetzbuches sieht ein besonderes Clearing- und Aufnahmeverfahren

für unbegleitet eingereiste minderjährige Flüchtlinge nicht vor. Der Landesjugendhilfeausschuss hat sich im Mai mit dieser Frage befasst. Für die Schaffung einer derartigen zentralen Jugendhilfeeinrichtung oder Clearingstelle fand sich keine Mehrheit, unter anderem, weil man der Meinung war, dass die bestehende Jugendhilfestruktur ausreichend ist und weil man daran zweifelte, dass es eine wirtschaftliche Auslastung geben würde. Schließlich hat der Jugendhilfeausschuss einstimmig beschlossen, dass er ein einheitliches Verfahren auf der Grundlage des § 42 SGB VIII für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Schleswig-Holstein wünscht.

Das Landesjugendamt wird für diesen Beschluss bei den Arbeitsgemeinschaften der Jugendamtsleitungen der Kreise beziehungsweise der kreisfreien Städte werben und seine Beratung anbieten. Das Ergebnis einer entsprechenden Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die einen Handlungsleitfaden zur praktischen Umsetzung der anzuwendenden Vorschriften im Jugendhilfe- und Ausländerrecht erarbeitete, kann dabei sicher einbezogen werden. Ich glaube übrigens, dass die praktischen Fragen in dem Kontext viel wichtiger sind als die rechtlichen.

Die Möglichkeit der Gewährung eines gesicherten Aufenthaltsrechts sind stark abhängig von den Umständen des Einzelfalls. Eine besondere Planungskompetenz der Landesregierung zur Gewährung von Aufenthaltsrechten gibt es auch in den Fällen unbegleiteter minderjähriger Personen nicht. Aber ich werbe an dieser Stelle dafür - wie immer -: Das Land Schleswig-Holstein nutzt die humanitären Spielräume, die uns unser Recht bietet, mehr als jedes andere Land in der Bundesrepublik Deutschland und das wird auch so bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Das Innenministerium kann in allen Bereichen des Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht durch die Schaffung von Erlassen bei Bedarf ermessensleitend tätig werden.

Es kann sich - ebenso wie im Fall erwachsener Personen - auch bei unbegleiteten minderjährigen Personen manchmal dennoch eine vollziehbare Verpflichtung zur Ausreise ergeben. Ich füge immer hinzu, dass das der schlechteste Fall ist, den wir haben können. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sich freuen, wenn sie auf diesem Gebiet Erfolgszahlen zu vermelden haben. Alles, was freiwillig möglich ist und was so etwas vermeidet, ist besser. Aber solange wir nicht zu dem Punkt gekommen sind, dass wir sagen, jeder, der nach Deutschland kommt, kann hier bleiben - und dazu werden wir vermutlich nicht kommen -, muss man darüber re

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

den, wie man das so ausgestaltet, dass sie möglichst ohne Belastung - ich betone noch einmal, bei Kindern und Jugendlichen ist das eine besondere Verpflichtung, die noch mehr trägt als bei Erwachsenen - durchgeführt werden kann.