Protocol of the Session on July 13, 2007

Erwähnenswert und von Wichtigkeit ist meines Erachtens der Bereich der bindenden Wirkung der Patientenverfügung und die Tatsache, dass diese nur bei offensichtlicher Willensänderung des Patienten verändert werden muss. Die Patientenverfügungen sollten frei davon sein, dass sie in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen einer Überprüfung unterzogen werden müssen. Es sollte eher dahin gehen, dass eine Patientenverfügung Bestand haben sollte, egal wann sie gemacht wurde oder wie jung der Mensch war, als er die Patientenverfügung erstellt hat.

Die zurzeit geforderte zweijährige Prüfung durch den Betroffenen ist nicht immer durchführbar und niemand wird sich alle zwei Jahre von Neuem mit der Patientenverfügung beschäftigen wollen. Das entspricht nicht der Lebenswirklichkeit. Es sollte frei sein. Jeder sollte sich alle zwei Jahre, meinetwegen auch einmal im Jahr damit beschäftigen müssen, auch wenn medizinischer Fortschritt das erfordert. Ich glaube aber nicht, dass ein Automatismus festgeschrieben werden sollte und, wenn man sich zwei Jahre nicht damit beschäftigt hat, auf einmal die alte Willenserklärung nicht mehr gelten soll.

Für den SSW ist es der Patientenwille, der hier beachtet werden muss, es gibt aber auch bei uns in der Partei - wie überall - unterschiedliche Haltungen zur anstehenden Regelung. Das ist auch okay, weil es eine Gewissensentscheidung ist.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nun zu den verschiedenen Anträgen, die in den Bundestag eingebracht werden. Unabhängig von der Parteizugehörigkeit sind von verschiedenen Gruppen Vorschläge unterbreitet worden, wobei der erste Vorschlag der Gruppe um den Abgeordneten Stünker der ist, der unseren beziehungsweise meinen Vorstellungen am nächsten kommt beziehungsweise so ist, wie auch wir es uns vorstellen können. In diesem gibt es nicht die bereits angesprochene Aktualisierungspflicht, sondern die Patientenverfügung ist jederzeit formlos kündbar. Was aber ausschlaggebender ist, ist der erste Spie

(Lars Harms)

gelstrich in der Aufzählung, dass es nämlich keine Begrenzung der Reichweite der Patientenverfügung gibt, unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung. Die Begrenzung der Reichweite ist es, die es an den anderen Vorschlägen zu kritisieren gibt.

Was genau ist eine irreversible Grunderkrankung? Natürlich weiß ich, dass irreversibel nicht umkehrbar heißt, aber wer entscheidet dies? In dem Vorschlag der Gruppe um den Abgeordneten Bosbach sind es Erkrankungen, die trotz Behandlung einen tödlichen Verlauf nehmen werden. Es geht hier aber nicht nur darum, durch Patientenverfügungen die aktive Sterbehilfe zu legalisieren, sondern es geht auch darum, Leiden zu verringern. Dies wäre zumindest mein persönliches Verständnis in Bezug auf Patientenverfügungen. Uns allen hier ist sicherlich noch das Leiden von Terry Schiavo in den USA in guter Erinnerung. Es gilt, so etwas in Deutschland zu verhindern. Dafür sind Patientenverfügungen der richtige Weg. Ein anderer Fall, der ebenfalls dafür spricht, ist das Geschehen um eine 86-jährige Frau aus Berlin, die im Koma lag und - wie die Anwältin sagte - eine glasklare Patientenverfügung hatte. Sie wurde dennoch so lange am Leben gehalten, bis sie sich wundgelegen hatte. All das geschah gegen ihren ausdrücklichen Willen, denn die Frau hatte ihre Patientenverfügung immer wieder aktualisiert und festgeschrieben.

Diese Frau ist lediglich eine von rund 9 Millionen Deutschen, die per Patientenverfügung erklärt haben, wie sie im Krankheitsfall behandelt werden wollen, sofern sie nicht mehr in der Lage wären, für sich selbst zu sprechen. Somit können sie ausschließen, gegen ihren eigenen Willen von Apparaten der Hochgerätemedizin am Leben gehalten zu werden. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass der Bundesgerichtshof im Jahre 2003 bereits ein Urteil dazu verkündet hat, welches aussagt, dass sich Ärzte an mündliche oder schriftliche Patientenverfügungen zu halten haben. Der Bundesgerichtshof geht sogar soweit, dass sich die Ärzte der Körperverletzung strafbar machen, wenn sie sich nicht daran halten.

Deshalb gilt - wie bereits gesagt - unter allen Umständen, dass der eigene Wille des Patienten den Vorrang haben sollte. Wenn ich lese, dass im zweiten Vorschlag ausgeführt ist, dass ein beratendes Konzil hinzugezogen werden soll, um festzustellen, ob die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen tatsächlich dem Willen des Patienten entspricht, komme ich zu dem Schluss, dass es dann eigentlich keine wirkliche Patientenverfügung ist, denn ich betone es noch einmal: Es ist die Auto

nomie jedes einzelnen Menschen, die im Vordergrund stehen soll. Das gilt sowohl für die Bundestagsentscheidung als auch für die Entscheidung eines jeden Menschen, wenn er im Fall der Fälle vor dieser Entscheidung steht.

Im Bericht wird zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Ausarbeitung der rechtlichen Regelungen zu den Patientenverfügungen eng mit der Sterbebegleitung verknüpft ist, denn ähnlich wie bei dem Thema Palliativmedizin und Hospizversorgung sollten auch beim Thema Patientenverfügung Verbände - auch kirchliche Verbände - in den Prozess einbezogen werden. Dies gilt in jedem Fall, wenn es um die Gesetzgebung und um die Vorabberatung geht. Nur so können auch eventuelle religiöse Einwände berücksichtigt werden, die durchaus ihre Berechtigung haben. Wir werden den Verlauf der Diskussion auf Bundesebene weiter mit Interesse begleiten und wir werden das Gesetzgebungsverfahren verfolgen und sehen, ob und welche tatsächlichen Fortschritte gemacht werden. Egal wie die Entscheidung ausfällt, wichtig wäre hierbei, dass wir klare Regelungen bekommen, damit Unklarheiten und Unsicherheiten im Fall des Falles weitestgehend ausgeschlossen werden. Wir brauchen in jedem Fall Rechtssicherheit, egal wie die Entscheidung ausfällt.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Da kein Antrag gestellt worden ist, gehe ich davon aus, dass das Parlament den Bericht des Ministers zur Kenntnis genommen hat und dass der Tagesordnungspunkt damit erledigt ist.

Zum nächsten Tagesordnungspunkt haben wir ein etwas aufwendiges Abstimmungsverfahren vor uns. Ich denke aber, wir werden es schaffen.

Wir kommen also zu Tagesordnungspunkt 37:

AKW-Zwischenfälle in Krümmel und Brunsbüttel am 28. Juni 2007

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/1498 (neu) - 2. Fassung

Antrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/1511

(Lars Harms)

Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/1512

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Unter Nummer 1 des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird ein schriftlicher Bericht in dieser Tagung erbeten. Die Fraktionen von CDU und SPD haben unter Nummer 1 ihres Antrages einen mündlichen Bericht in dieser Tagung beantragt. Weiter liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, der den Berichtsantrag unter Nummer 1 des Antrages Drucksache 16/1511, also des Antrages von CDU und SPD, erweitert.

Ich schlage daher vor, zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP, Drucksache 16/1512, abzustimmen. Wenn das Parlament einverstanden ist, dann bitte ich um das Handzeichen derjenigen, die dem zustimmen wollen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion der FDP, Drucksache 16/1512, mit den Stimmen der Fraktionen des gesamten Hauses angenommen worden.

Ich schlage weiter vor, abweichend von der Geschäftsordnung die beiden dann noch vorliegenden Anträge zu selbstständigen Anträgen zu erklären und zunächst über die Nummer 1 der Anträge in alternativer Abstimmung beschließen zu lassen. - Widerspruch gegen dieses Verfahren sehe ich nicht. Wir werden so verfahren.

Wer der Nummer 1 des Antrages auf einen mündlichen Bericht in dieser Tagung der Fraktionen von CDU und SPD mit der soeben angenommenen Ergänzung durch den Antrag von der FDP, Drucksache 16/1512, zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen?

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Richtig! - Wer der Nummer 1 des Antrages der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, auf einen schriftlichen Bericht in dieser Tagung, Drucksache 16/1498 (neu) - 2. Fassung -, zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen?

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Richtig! Jetzt habe ich es verstanden. Gezählt werden nur die Jastimmen. Ich stelle fest, dass die Nummer 1 des Antrages Drucksache 16/1511 mit der bereits beschlossenen Ergänzung durch den Antrag Drucksache 16/1512 mit den Stimmen der

Fraktionen von SPD, CDU und FDP angenommen worden ist.

(Wortmeldung der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

- Zur Geschäftsordnung? - Bitte.

Frau Präsidentin, der SSW hat für den Antrag von SPD und CDU gestimmt!

Ich bitte, mir das Versehen nachzusehen, und ergänze für das Protokoll, dass auch der SSW zugestimmt hat.

Ich erteile jetzt für die Landesregierung der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was sich am 28. Juni 2007 mit den Störfällen in den Vattenfall-Kernkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel und in den zwei Wochen danach ereignet hat, ist einmalig in der Geschichte der Atomindustrie in Schleswig-Holstein und sehr wahrscheinlich einmalig in ganz Deutschland. Kurzschlüsse, Brände, Explosionen in Kernkraftwerken Schleswig-Holsteins, Schnellabschaltung zweier Reaktoren innerhalb von zwei Stunden und ernste Zwischenfälle beim Herunterfahren der Anlagen, massive Netzprobleme in Norddeutschland mit Stillstand des Bahnverkehrs und dem Ausfall von Hunderten von Ampeln im Raum Hamburg und nicht zuletzt eine beispiellose Informationspolitik des Betreibers Vattenfall,

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Und von Ihnen!)

der der Öffentlichkeit durch Bagatellisierung und Weglassen die wirklichen Ereignisse nur Stück für Stück und auf Druck mitteilt, all dies hat das Vertrauen der Bevölkerung in die Zuverlässigkeit der Kraftwerke und des Betreibers schwer beschädigt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ein meldepflichtiges Ereignis der Kategorie N gleich normal - sei das gewesen, ein schnell zu löschendes Feuer, das man sogar besichtigen durfte. Die Störungen seien konventioneller Art und stünden nicht mit dem Nuklearbereich der Anlagen in

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

Verbindung, so hieß es von Vattenfall noch am Sonntag nach dem folgenschweren Donnerstag.

Vattenfall mag zurzeit die Imageschäden des Konzerns umtreiben. Für mich steht der umfassende Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren der Kernenergie im Vordergrund.

(Beifall bei der SPD)

Kernenergie ist und bleibt eine hoch riskante Technologie, eine Technologie, bei der technische Fehler und menschliches Versagen zu Katastrophen führen könne. Das ohnehin vorhandene Risiko darf nicht durch Fehlverhalten und Sorglosigkeit des Betreibers Vattenfall noch erhöht werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine lückenlose Aufklärung der Störfälle bei Vattenfall durch die Reaktoraufsicht und unabhängige Sachverständige, das ist meine Aufgabe.

(Dr. Heiner Garg [FDP] Ja!)

Das Ziel ist klar: Krümmel bleibt vom Netz. Ich habe immer klipp und klar gesagt: Es gibt keine Zustimmung zum Wiederanfahren, wenn nicht die atomrechtlichen Voraussetzungen für einen sicheren Weiterbetrieb erfüllt sind.