Protocol of the Session on January 26, 2007

Wir gehen außerdem davon aus, dass der schleswig-holsteinische Innenminister weiterhin in möglichst vielen humanitären Einzelfällen von der sogenannten Härtefallregelung in § 23 a Aufenthaltsgesetz Gebrauch machen wird, zumal diese Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für bestimmte Personen auf jahrelanges Betreiben früherer SPD-Innenminister selbst, begleitet von der SPD-Landtagsfraktion, am 1. Januar 2005 endlich Niederschlag im Bundesgesetz gefunden hat.

Wir erwarten schließlich, dass auch durch untergesetzliche Verfahren wirksame Schritte unternommen werden, um die Situation der bei uns lediglich geduldeten Flüchtlinge zu verbessern. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass der Innenminister durch konkrete Erlasse immer wieder darauf hinwirkt, die Praxis der schleswigholsteinischen Ausländerbehörden zu vereinheitlichen und die Entscheidungsbereitschaft der dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken.

(Klaus-Peter Puls)

(Beifall bei der SPD)

Im Hinblick auf die gravierende Änderung der quantitativen Rahmenbedingungen, insbesondere die seit Jahren deutlich zurückgehenden Asylbewerberzahlen, wünschen wir uns, dass die Entscheidungen aller schleswig-holsteinischen Ausländerbehörden - soweit Ermessensspielraum vorhanden ist - nicht durch auch dort hin und wieder vorhandene latente Abwehrmechanismen, sondern durch Zuwendung und Aufnahmebereitschaft geprägt sind. Als SPD-Landtagsfraktion werden wir weiter darauf hinwirken, dass sich auch in der öffentlichen Meinung und im Bewusstsein der Bevölkerung die Überzeugung verfestigt: Ausländer sind keine Sicherheitsrisiken, sondern Schutz, Wohnung, und Arbeit suchende Mitmenschen, denen wir Respekt und Hilfe zollen sollten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der CDU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls. Das Wort für die FDP-Fraktion hat deren Vorsitzender, Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ehrlich sagen, als ich die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Bericht der Landesregierung zu den jeweiligen Initiativen gelesen habe, habe ich mich gefragt, worüber wir heute eigentlich zehn Minuten reden wollen.

Denn das, was der Innenminister als Antwort und Bericht vorgelegt hat, ist aus meiner Sicht mehr als dürftig.

(Werner Kalinka [CDU]: Nein!)

- Herr Kollege Kalinka, die Berichte haben den Informationsgehalt einer knapp beantworteten Kleinen Anfrage und sind eine wirkliche inhaltlich ernsthafte Debatte über geduldete Familien in Schleswig-Holstein nicht wert.

(Werner Kalinka [CDU]: Das stimmt nicht, Wolfgang!)

Aber vielleicht ist das auch gar nicht gewollt, denn wie die Debatte um den Bericht zur Migrationssozialberatung Ende letzten Jahres gezeigt hat, kann mehr Inhalt eines Berichts auch mehr Anlass zur Kritik geben. So ist das Beste an den Berichten, dass sie einen Anlass für eine Debatte im Landtag

um die Situation von Geduldeten - und um die geht es - in Schleswig-Holstein gegeben haben.

Um wen handelt es sich bei geduldeten Personen? Es geht um Menschen, die größtenteils in unser Land gekommen sind, um Schutz zu suchen, die aber keinen Aufenthaltsstatus haben, die geduldet werden und deren Abschiebung nur deswegen nicht vorgenommen werden kann, weil ein Abschiebungshindernis - beispielsweise aus humanitären Gründen, zum Beispiel, weil in ihren Heimatländern kriegerische Aktionen vor sich gehen - besteht, die aber täglich damit rechnen müssen, dass sie doch abgeschoben werden.

Es handelt sich um Menschen, die sich oftmals bereits seit mehreren Jahren in Schleswig-Holstein aufhalten und die dieses „Sitzen auf gepackten Koffern“ bereits seit Jahren durchmachen. Wenn wir alle einmal ein bisschen nachdenken, dann können wir uns vorstellen, was mental in Menschen in dieser Situation vorgehen muss.

Laut der Halbjahresstatistik vom 30. Juni 2006, die die Landesregierung in ihrem Bericht zitiert, leben in Schleswig-Holstein zurzeit etwas mehr als 3.100 Menschen, die sich in der Situation befinden, dass sie jederzeit mit Abschiebung rechnen müssen. Davon sind 1.880 Personen in insgesamt 455 Familien organisiert. Von diesen 455 Familien sind 225 - also fast die Hälfte - bereits mehr als fünf Jahre in unserem Land geduldet. Davon sind wiederum 1.005 Kinder unter 18 Jahren, von denen gut 400, also knapp 40 %, bereits mehr als fünf Jahre in unserem Land sind.

Das zeigt, dass es sich bei einem Großteil der in Schleswig-Holstein Geduldeten um Personen handelt, die eben nicht nur vorübergehend in unserem Land sind, sondern die bereits heute längerfristig bei uns sind und das möglicherweise noch länger sein werden, auch wenn sie nicht unter die Bleiberechtsregelung fallen, die die Innenministerkonferenz beschlossen hat.

Ich selbst habe mir ja erlaubt, das Innenministerium im Rahmen einer Kleinen Anfrage um Auskunft zu bitten, wie viele Personen von den zurzeit in Schleswig-Holstein Geduldeten künftig unter die neue Bleiberechtsregelung fallen werden. Denn es ist interessant, wie viele dieser Menschen in Schleswig-Holstein die neue Bleiberechtsregelung überhaupt in Anspruch nehmen können. Die Antwort aus dem Innenministerium war mehr als mau. Herr Minister, das Ministerium antwortete, es lägen noch keine Zahlen vor. Die Antragsfristen liefen schließlich noch bis Mitte Mai 2007.

(Klaus-Peter Puls)

Herr Kollege Lehnert, diese Antwort hat mich schon sehr erstaunt. Meine Fraktion hat - genau wie die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht wissen wollen, wie viele der zurzeit in Schleswig-Holstein geduldeten Personen einen Antrag stellen werden, sondern wir haben wissen wollen, wie viele überhaupt die Möglichkeit haben, von der aktuellen Bleiberechtsregelung Gebrauch machen zu können. Wir wollten nicht wissen, wie viele Personen diese Chance nutzen. Dann wird aus unserer Sicht nämlich deutlich, dass dieser Bleiberechtskompromiss den wenigsten zugutekommen wird. Das ist der eigentliche politische Skandal.

Lieber Kollege Puls, es wird in den Sonntagsreden immer so getan, als habe man mit der Bleiberechtsregelung denjenigen geholfen, die seit Jahren unter dem Druck leben, dass sie trotz ihrer Sozialisation in unserem Land zum Verlassen dieses Landes gezwungen werden. Dabei ist mit Sozialisation nicht unbedingt das Arbeitsleben gemeint, da vielen der hier Geduldeten verboten ist, einen Arbeitsplatz anzunehmen. Es geht vielmehr um Freunde aus der Nachbarschaft, um Tätigkeiten in Sportvereinen und Verbänden, um die Kommune, in der man sich befindet.

Es geht vor allen Dingen auch um die Kinder, die hier in der Schule ihre Freunde gefunden haben. Da bietet auch die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zumindest ein wenig Zahlenmaterial. So sind allein 375, also auch gut 40 % der circa 1.000 Kinder in Familien von geduldeten Personen in Deutschland geboren. Die kennen als ihre Heimat gar kein anderes Land mehr als das Land, in dem sie sich gegenwärtig aufhalten. Von diesen 375 in Deutschland geborenen Kindern sind 136 - also auch mehr als ein Drittel - bereits sechs bis 17 Jahre alt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie sich vorstellen, wie es sein muss, als 14- oder 17Jährige, die hier ihr ganzes Leben verbracht hat, damit rechnen zu müssen, abgeschoben zu werden in ein Land, das Sie gar nicht kennen und das nicht Ihre Heimat ist?

Ich frage einmal in diesen Raum, was eigentlich wäre, wenn wir das amerikanische Staatsbürgerrecht bereits hätten, das ius loci. Dann hätten diese Kinder, weil sie hier geboren wurden, automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit, sie könnten nicht mehr abgeschoben werden und ihre Eltern könnten auch nicht mehr abgeschoben werden.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir alle haben uns doch dafür eingesetzt, dass das deutsche Staatsbürgerrecht vom Blut weg auf Boden hin reformiert wird, lieber Kollege Lehnert.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Das war ein großer Fortschritt bei der Diskussion, ob russische Schäferhunde mit deutschem Stammbaum ein Einbürgerungsrecht in Deutschland hätten oder nicht.

Deshalb wollten wir Auskunft darüber haben, wer in den Genuss der neuen Bleiberechtsregelung kommen kann. Deshalb sind wir unzufrieden, dass die Landesregierung sich in ihrer Antwort auf die Antragsfrist zurückgezogen hat und hier eher mit Informationen zu mauern scheint.

Die geduldeten Familien, die nicht unter den Bleiberechtskompromiss fallen werden, scheint die Landesregierung abgeschrieben zu haben. So liegt meiner Fraktion ein Controllingkonzept der Landesregierung zur Migrationssozialberatung im Entwurf vom 9. November 2006 vor. Dieses Konzept bestärkt mich in der Kritik, die mein Fraktionskollege Dr. Garg bereits im November an die Regierung gerichtet hat. Auch geduldete Personen und Familien müssen aus Sicht meiner Fraktion an Integrationsmaßnahmen teilhaben dürfen. Sie müssen an Integrationsmaßnahmen teilhaben können.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Kommen wir aber zu den Zielen der Landesregierung aus dem Controllingkonzept.

Erstens. Oberziel O 1: Migrantinnen und Migranten mit Daueraufenthalt sollen in die Lage versetzt werden, Unabhängigkeit von staatlichen Transferleistungen zu erlangen. - Lieber Kollege Lehnert, das klingt soweit ganz ordentlich.

Zweitens. Oberziel O 2: Die sozialgesellschaftlichen Kompetenzen sollen bei den Migrantinnen und Migranten mit Daueraufenthalt gestärkt werden, um eine aktive gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. - Lieber Kollege Lehnert, das klingt auch nicht schlecht.

Aber nun kommt es: Drittens. Oberziel O 3: Migrantinnen und Migranten mit vorübergehendem Aufenthalt sollen in migrationsspezifischen Krisensituationen aus humanitären Gesichtspunkten und zur Sicherstellung des sozialen Friedens Unterstützung erhalten.

Sollte an diesen Zielen festgehalten werden, dann werden geduldete Personen und Familien, die nach dem Gesetz Personen mit vorübergehendem Auf

(Wolfgang Kubicki)

enthalt sind, von Integrationsmaßnahmen quasi abgeschnitten.

Man muss zwar anerkennen, dass die Landesregierung plant, dass diesen Personen Beratungsangebote - beispielsweise in Schul- und Gesundheitsfragen, in Fragen der Wohnsituation oder auch der Sicherung des Lebensunterhalts - gemacht werden sollen, doch Ziel der Landesregierung ist es letztlich nicht, dass sie eine Arbeitsstelle erhalten, damit sie von staatlichen Transferleistungen unabhängig werden. Ziel der Landesregierung ist es darüber hinaus auch nicht, dass diese Menschen an unserer Gesellschaft teilhaben, obwohl sie - wie bereits erwähnt - doch schon heute seit vielen Jahren unter uns leben und bereits ältere Kinder haben, die hier geboren sind.

Herr Innenminister, nach Auffassung meiner Fraktion ist es notwendig, dass wir im Parlament diese Fragen noch eingehender beraten. Der Innenminister sollte uns im Ausschuss über den neuesten Stand seines Controllingskonzepts zur Migrationssozialberatung informieren.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir sollten auch ruhig im Diskurs mit den entsprechenden Verbänden diskutieren, was hier verbesserungswürdig erscheint.

Es muss unser Ziel bleiben, Menschen, die bereits seit Jahren in Schleswig-Holstein leben, am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen, auch wenn diese Menschen jederzeit mit ihrer Abschiebung rechnen müssen.

Lieber Herr Kollege Hentschel, ich habe heute Morgen Ihrer Rede sehr aufmerksam zugehört, wie übrigens viele Kolleginnen und Kollegen der Union auch, auch wenn Sie nicht den Eindruck hatten. Ich habe bei einer Ihrer Ausführungen mehr als gestutzt. Ich bin heute Morgen sehr friedfertig, deshalb werde ich versuchen, das mit gebremstem Schaum vorzutragen. Ihre Erklärung zu den illegal in Deutschland lebenden Personen in der Größenordnung von 100.000 bis zu 1 Million, man müsse die faktische Situation dieser illegal in Deutschland lebenden Menschen dadurch verbessern, dass sie Zugang zu staatlichen Einrichtungen erhalten, hat mich fassungslos gemacht. Unser Ziel kann doch nur darin bestehen, einen rechtswidrigen Zustand in einen rechtmäßigen zu verwandeln und ihn nicht dadurch zu perpetuieren, dass wir die faktische Situation verbessern.

Ihr Ansatz müsste doch sein, aus den Illegalen Legale zu machen und nicht die Illegalität dadurch

zu verfestigen, dass sie beispielsweise Zugänge zu Kindergärten, Schulen - auch illegal - zu schaffen versuchen und zu perpetuieren. Dadurch verbessern Sie die Situation dieser Menschen nicht, denn Sie bringen sie nicht heraus aus Ihrer Situation, die dadurch geprägt ist, dass sie sich illegal in Deutschland aufhalten.

Man muss tatsächlich darüber nachdenken, ob man nicht ähnlich, wie die Amerikaner es gelegentlich machen, wie die Spanier es gemacht haben, wie die Portugiesen es gemacht haben, für die, die hier leben, jedenfalls in einem wesentlichen Kontext, die Illegalität dadurch zu beenden, dass man für einen vorübergehenden Zeitraum Möglichkeiten schafft, aus dieser Situation herauszukommen durch die Möglichkeit, Deutscher zu werden oder sich jedenfalls legal in Deutschland aufzuhalten.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Kubicki. - Das Wort für den SSW im Landtag hat die Vorsitzende Frau Anke Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Menschen mit einem geduldeten Aufenthaltsstatus befinden sich in einer Zwischenwelt: sie sollen nicht bleiben, aber sie können auch nicht gehen. Das neue Bleiberecht soll diese entwürdigende Situation ändern. Darum hat der SSW den Innenminister bei seinen Bemühungen für eine neue Bleiberechtsregelung immer unterstützt. Das Ziel muss sein, die Zahl der Geduldeten so gering wie möglich zu halten, ohne übrigens auf das Mittel der sogenannten freiwilligen Ausreise zu greifen, die die Uni Frankfurt meines Erachtens völlig zu Recht zum Unwort des Jahres kürte. Man kann es ja auch fast nicht aussprechen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)