Protocol of the Session on January 26, 2007

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir fordern mit anderen Worten klare Verhältnisse. Das ist besser als ein soziales Leben auf Abruf. Es geht eben nicht darum, dass sich Ausländer über Umwege einen Platz in unserer Mitte erschleichen, sondern darum, dass Menschenrechte für alle gelten, das Menschenrecht auf soziale Sicherheit, Gesundheitsversorgung und Arbeit.

(Beifall bei SSW und FDP)

Es gehört geradezu zum Charakter einer Familie, dass sie sich auf eine sichere Perspektive verlassen

(Wolfgang Kubicki)

muss. Kinder, vor allem wenn sie klein sind, brauchen eine stabile Umgebung. Eine geduldete Familie befindet sich also sozusagen in einer Ausnahmesituation. Sie kann nicht davon ausgehen, dass sie noch im nächsten Jahr am gleichen Wohnort ist. Sie hat keine stabile Basis. Dabei ist es unerheblich, ob dieser Zustand selbst verschuldet ist oder nicht: Keine geduldete Familie kann mittel- oder langfristig in die Zukunft planen. Ein unsicherer Status sabotiert nicht nur eine erfolgreiche schulische Karriere der Kinder, sondern belastet auch das familiäre Zusammenleben.

Ich möchte die Situation keineswegs dramatisieren. Dazu besteht auch kein Anlass. Dank der vorliegenden Dokumentation der Landesregierung wissen wir besser als vorher, wie es um die Familien bestellt ist. Wir sind nicht länger auf Vermutungen angewiesen. Die Antwort des Innenministers erlaubt es dem Landtag, den Bereich des Spekulativen zu verlassen. Daher unser Dank an die Fragesteller, aber auch an die Landesregierung. Ich finde, dass die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage doch mehr ist als einfach nur eine Auflistung von Daten.

Ich war nicht so unzufrieden mit der Antwort, muss ich sagen. Das sage ich deshalb, weil es auch andere Beispiele gibt. Vergleicht man nämlich die Antwort auf eine vergleichbare Anfrage grüner Abgeordneter in Hamburg aus dem Frühling letzten Jahres, zeigt sich, dass es bei uns doch etwas genauer zugeht. Die statistischen Daten lassen hierzulande im Bereich des Schulbesuches ein weitgehend exaktes Bild der Situation zu. Das begrüßt der SSW ausdrücklich.

Wir müssen die Zahlen und die Hintergründe kennen, damit wir die entsprechenden Maßnahmen einleiten können. Ohne die Zahlen stochern wir weiterhin im Nebel. Aber wir wollen auch die Wirklichkeit hinter den Zahlen wissen.

So hat der Flüchtlingsrat im letzten Jahr auf die katastrophale Situation der Kinder und Jugendlichen in geduldeten Familien hingewiesen. Nach Kenntnis des Flüchtlingsrates dauert die Bearbeitung der Anträge von jungen Flüchtlingen mit aufenthaltsrechtlicher Duldung auf eine betriebliche Ausbildung, ein Praktikum, geförderte Schulungen, Ferienjobs und auch ehrenamtliche Beschäftigung wochen- und zum Teil monatelang. Die Nachrangigkeit wird sehr gründlich geprüft, also die Frage, ob sich nicht jemand anderes für diesen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz findet. Der Flüchtlingsrat weiß sogar von Fällen zu berichten, dass die Zustimmung pauschal verweigert wird, unabhängig davon, worauf der Antrag letztlich abzielt. Damit

wird denjenigen jungen Menschen, die sich für ihre berufliche Zukunft stark machen, jeder Enthusiasmus genommen.

Innenminister Stegner hat immer wieder gefordert, dass Menschen mit Duldung in einem dauerhaften Beschäftigungs- oder Berufsausbildungsverhältnis stehen und ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit bestreiten müssen, um in einer Bleiberechtsregelung berücksichtigt zu werden. So wurde es dann auch verabschiedet. Die Praxis der zuständigen Behörden allerdings scheint dieses Verfahren zu torpedieren.

Der Flüchtlingsrat zieht ein ernüchterndes Fazit:

„Geduldete Mädchen und Jungen müssen sich mehr anstrengen, bessere Leistungen bringen, mehr Motivation zeigen und ernten oft nur Verbot und Ausschluss.“

Der vorliegende Bericht verzeichnet 120 junge, geduldete Erwachsene im Alter zwischen 18 und 21 Jahren. Eine andere Tabelle verzeichnet insgesamt nur 33 Geduldete, die ein ausbildungsvorbereitendes Jahr absolvieren, eine Berufsfachschule besuchen oder sich in einer beruflichen Ausbildung befinden. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist katastrophal und viel zu wenig.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Der Umkehrschluss lässt also nur die Vermutung zu, dass die anderen geduldeten Jugendlichen zur Beschäftigungslosigkeit verdammt sind. Während wir für Jugendliche mit gesichertem Bleibestatus alle Hebel in Bewegung setzen, damit sie schnell in Beschäftigung kommen, sieht das bei den Geduldeten völlig anders aus. Ich behaupte, dass sie durch die Ausgrenzung vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt dauerhaft desintegriert bleiben, außen vor einer Gesellschaft, die ihnen jeden Tag zeigt, dass sie sie nicht haben will. Da braucht es keine große Fantasie, um sich auszumalen, was diese Haltung bei den jungen Leuten anrichten wird.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat bereits 2001 darauf hingewiesen, dass „für die Verantwortlichen die Verpflichtung besteht, allen hier lebenden Menschen ihre grundlegenden Menschenrechte zu gewährleisten“, unabhängig von Duldung, Aufenthaltsgenehmigung und Nationalität. Die Kirche verweist aber auch auf das Recht der Kinder auf Schule. Ich finde, die Ausbildung gehört auch dazu. Dieses Recht ist meines Erachtens nicht eingelöst.

(Beifall beim SSW)

(Anke Spoorendonk)

Ohne Arbeit keine Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht, ohne Bleiberecht keine Arbeit: Dieser Teufelskreis, der den armen Hauptmann von Köpenick dereinst in die Kriminalität drängte, ist heutzutage für Geduldete tägliche Realität. Vor diesem Hintergrund vermute ich eine eher zurückhaltende Inanspruchnahme der hoch gelobten neuen Bleiberechtsregelung.

Ich unterstütze die Aussagen des Kollegen Kubicki, dass hier auch im Ausschuss noch nachgebohrt werden müsste. Ich hätte mir also eine bessere Einbindung der Betroffenen bezüglich des neuen Bleiberechts gewünscht. Der Bericht des Innenministers zur Inanspruchnahme der neuen Bleiberegelung ist an dieser Stelle unbefriedigend.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Der SSW fordert, dass die Betroffenen über eine Informationsveranstaltung für Behörden und Nichtregierungsorganisationen hinaus gezielt informiert werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass dieser Personenkreis die Diskussion in den Medien zum neuen Bleiberecht verfolgt beziehungsweise die Konsequenzen für das eigene Leben verstanden hat.

Herr Kollege Puls hat noch auf ein weiteres Problem aufmerksam gemacht, dass die Texte nicht verständlich sind für Menschen, die kein Jurastudium absolviert haben. Wenn wir also an einer dauerhaften Reduzierung der Zahl der Geduldeten interessiert sind - ich denke, das sollten wir, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, alle sein -, müssen wir die Betroffenen einbinden. Es soll niemand überredet werden, in Deutschland zu leben. Neues Recht kann aber nur im Dialog mit den Betroffenen erfolgreich implementiert werden.

Dank der Anfrage verfügen wir über genaue regionale Daten der geduldeten Familien. Ich denke, dass die Daten zu den Geduldeten ohne Familien in gleicher Weise statistisch aufbereitet werden sollten, schließlich bilden sie unter den Geduldeten die Mehrheit.

Ich finde die Zahlen übrigens in anderer Hinsicht auch interessant. Zu einzelnen Fällen daher noch ein paar Anmerkungen zum Schluss. Überrascht hat mich, dass im Zuge des neuen Zuwanderungsgesetzes die Zahl der Arbeitgenehmigungen zurückgegangen ist. Ich hätte mir an dieser Stelle eine Erläuterung der Hintergründe gewünscht.

Die Antwort auf die Große Anfrage hat regionale Ungleichheiten offenbart. Dazu gehört der Landkreis Pinneberg. Auffällig viele geduldete Familien

leben im Kreis Pinneberg, nämlich 72, und diese haben eine überdurchschnittlich lange Duldung.

Über die Hälfte dieser Familien sind nämlich länger als vier Jahre geduldet, 17 Familien schon zehn Jahre oder mehr. Ich hätte gern mehr über die Duldungspraxis in Pinneberg gewusst.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aufgefallen ist mir auch die hohe Zahl von Sonderschülern im Kreis Herzogtum Lauenburg: Zehn von 65 Kindern besuchen dort eine Sonderschule. Ein ungewöhnlicher Rekord. Ich hätte gern gewusst, wie sich das erklärt.

Noch einmal: Der SSW hätte sich von der neuen Bleiberechtsregelung eine deutliche und nachhaltige Senkung der Zahl der geduldeten Ausländer versprochen. Damit sollten wir uns im Ausschuss weiter befassen. In einem halben Jahr werden wir sehen, wie es weitergehen wird. Vor dem Hintergrund der Probleme gibt es vieles, was schon jetzt geklärt werden muss.

(Vereinzelter Beifall)

Ich danke der Frau Abgeordneten Spoorendonk. Ich habe Wortmeldungen für Kurzbeiträge. Zunächst hat Frau Abgeordnete Birk das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den sehr detaillierten und kenntnisreichen Vorreden möchte ich einen kleinen Aspekt anfügen, der die Schnittstelle zwischen Innenministerium und Jugendministerium, manchmal auch Bildungsministerium, betrifft. Es handelt sich um eine relativ kleine Anzahl, deren Schicksal uns aber nach wie vor aufhorchen lässt, nämlich die sogenannten unbegleiteten Flüchtlinge. Die Rechtsprechung hat sich insofern verändert, als nun auch die über 16-Jährigen wie Jugendliche ein Anrecht haben, nach der Kinderrechtskonvention behandelt zu werden. Auch wenn es relativ selten vorkommt, dass diese unbegleiteten Flüchtlinge den Dauerduldungsstatus haben - denn sie werden ja älter und werden Erwachsene -, möchte ich, wenn wir jetzt sowieso mit den Ausländerbehörden vor Ort sprechen müssen, wenn wir mit den Arbeitsagenturen sprechen müssen, wenn wir uns in den Schulen umschauen müssen, den Blick auch auf diese Gruppe lenken.

Denn nach wie vor gehen die Jugendämter mit der neuen Rechtsprechung sehr unterschiedlich um. Im

(Anke Spoorendonk)

Landesjugendhilfeausschuss wurde uns neulich mitgeteilt, dass viele Jugendämter sie schlicht ignorieren. Nach wie vor werden diese jungen Flüchtlinge nicht altersgemäß behandelt, sie haben nicht die notwendige Begleitung und es ist nur dem großen Engagement ehrenamtlicher Vereine zu verdanken, dass sie „Vormünder“ haben - ich weiß, dass das nicht mehr der richtige Ausdruck dafür ist -, dass sie Leute haben, die sie an die Hand nehmen, über ihre Rechte aufklären und ihnen vor allem ein Stück Heimatgefühl vermitteln, weil sie es nicht bei der rechtlichen Belehrung belassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist aber eigentlich die Aufgabe der Jugendämter, sich darum zu kümmern und die Vereine zu unterstützen, anstatt sie wie Aussätzige zu behandeln.

An dieser Stelle unterstreiche ich das, was Herr Hentschel und auch Frau Spoorendonk gesagt haben: Wir müssen die Praxis in den einzelnen Kreisen untersuchen. Wir müssen die Leute, die vor Ort in der ARGE und der Ausländerabteilung kommunal zuständig sind, ansprechen und müssen sie auch als Abgeordnete darauf aufmerksam machen, welch hohe Verantwortung sie haben und dass nicht bis September ungenutzt Zeit verstreicht, weil von den Behördenleuten irgendjemand in Urlaub, krank oder was immer ist.

Es geht vor allen Dingen um die Jugendlichen. Das wurde hier deutlich gemacht. Dazu gehören auch die unbegleiteten Flüchtlinge.

Eines kann ich mir an dieser Stelle nicht verkneifen: Hätten wir noch die Migrationssozialberatungsstellen, die leider gewissen Kürzungen zum Opfer gefallen sind, hätten wir jetzt die Ansprechpartner, die wir vor Ort brauchen und die sich wirklich kümmern. Die haben wir leider nicht mehr. Die neuen Stellen sind noch nicht aufgebaut, die das Netz nun angeblich an anderen Orten füllen sollen. Wir haben nach wie die Situation, dass minderjährige Kinder in dieser schwierigen Situation für ihre eigenen Eltern bei Behörden dolmetschen müssen. Das sollte eigentlich der Vergangenheit angehören. Dafür bräuchten wir Fachleute und nicht Kinder, die über ihr eigenes Schicksal mitentscheiden.

(Glocke der Präsidentin)

Die Zeit, Frau Kollegin!

Ich habe in der Vergangenheit wieder ein herzzerreißendes Mail in so einer Angelegenheit bekom

men, in der mich eine 13-Jährige angeschrieben hat: Ich möchte meinen Eltern helfen, dass sie hierbleiben können. Was kann ich tun?

Deutlicher kann man nicht sagen, dass hier Unterstützungs- und Beratungsbedarf vorhanden ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Innenminister hat erneut um das Wort gebeten. - Bitte schön, Herr Dr. Stegner!