Protocol of the Session on September 15, 2006

Das kann man deutlich kürzer fassen. Wir wollen wissen, welche konkreten Vorschläge die Landesregierung zu bieten hat. Welche konkreten Maßnahmen oder Initiativen hat die Landesregierung zur Verringerung der Bürokratiekosten in Betrieben erarbeitet oder bereits vollzogen? Ich erinnere hier noch einmal an den Koalitionsvertrag, der im Bericht zitiert wird. Dort steht:

„Unter dem Motto Aufgabe von Aufgaben wollen wir - das sind CDU und SPD - eine umfassende Aufgabenkritik und Bereinigung durchführen. Staatliches Handeln soll sich künftig nur noch auf die Kernaufgaben beschränken. Wir wollen einen Bürokratieabbau sowohl auf der Ebene des Bundes als

(Thomas Rother)

auch auf der Landesebene und der kommunalen Ebene erreichen.“

Das ist anderthalb Jahre her. Nach den heutigen Beiträgen befürchte ich, dass wir neben dem Bürokratieabbaubeauftragten der Regierung, Klaus Schlie, noch einen Bürokratiekostenmessverfahrenbeauftragten Klaus Schlie bekommen werden.

Ich frage Sie: Welche konkreten Bundesratsinitiativen hat die Landesregierung zum Bürokratieabbau gestartet? Welche Aufgaben definieren Sie konkret als Kernaufgaben des Landes und welche darüber hinausgehenden Aufgaben wollen Sie konkret streichen? Es sind hehre Ziele, die in der Koalitionsvereinbarung stehen. Wenn es aber beispielsweise um die Verschlankung des Landesnaturschutzgesetzes geht, dann kneifen Sie im Konkreten, dann wird alles auf Eis gelegt und geschoben. Das ist dann die Entbürokratisierungswirklichkeit.

Dabei ist das Thema der Bürokratiekosten im Bereich der Wirtschaft wichtig. Herr Minister, Sie wissen es, es gibt Schätzungen, dass die deutsche Wirtschaft jährlich mit 45 Milliarden € Bürokratiekosten belastet wird. Das sind 45 Milliarden €, die für Investitionen und für die Schaffung von Arbeitsplätzen fehlen. 80 % dieser anfallenden Kosten muss der deutsche Mittelstand tragen. Das ist der Teil, den wir als Rückgrat der deutschen Wirtschaft bezeichnen. Vor diesem Hintergrund ist dieser Bericht der Landesregierung ein Beweis großkoalitionärer Orientierungslosigkeit.

(Beifall bei der FDP)

Wenn in diesem Bericht die Pläne der Landesregierung zur Verwaltungsstrukturreform erwähnt werden, dann ist das ein wichtiges Thema. Vor der Verwaltungsstruktur kommt aber immer die Aufgabenstruktur. Bei den Problemen der Wirtschaft geht es primär nicht, wie einige hier meinen, um die anzusprechende Behörde, es geht um die Belastungen, die Betriebe durch überflüssige Vorschriften erfahren. Hierzu nenne ich Ihnen gern ein paar Beispiele: Da geht es zum Beispiel um die Frage, welche Statistikpflichten einzelne, insbesondere kleinere Betriebe zu erfüllen haben.

Die FDP-Bundestagsfraktion hat hierzu einen Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht, der eine deutliche Reduzierung der Statistikpflichten von Betrieben fordert. Wenn Sie wissen wollen, wo es mit überflüssiger Bürokratie hakt, dann lesen Sie bitte die Synopse des Bundesverbandes der Deutschen Industrie zu den Vorstellungen der Bundestagsparteien in der Frage, wer mit seinen Vorschlägen für mehr Wertschöpfung und damit auch für mehr Arbeitsplätze sorgen kann und wer für mehr

Bürokratie und damit für mehr Belastung der deutschen Wirtschaft.

Da stehen beispielsweise Vorschläge der FDP zur Reform der Mitbestimmung in Betrieben, zur Einführung eines Bürokratiekosten-TÜV für Gesetze und Verordnungen, für eine Reduzierung der Aufsichtsräte und so weiter und so fort. Dort sind die Probleme der Wirtschaft skizziert, die beispielsweise im Vergaberecht oder im Umweltrecht liegen. Lassen Sie uns also, wenn wir im Bericht über Bürokratiekosten reden, auch die Praktiker, also die Unternehmen, zu Wort kommen, anstatt hier pseudowissenschaftliche Theorie- und Definitionsdebatten zu führen.

(Beifall bei der FDP)

Für solch eine praktische Debatte ist dieser Bericht aus unserer Sicht allerdings nur sehr begrenzt geeignet, wenn er überhaupt dazu geeignet ist. Wir sollten dennoch versuchen, diese Debatte im Ausschuss zu führen. Dem Kollegen Weber biete ich gern an, im Rahmen eines Betriebspraktikums, das er bei mir absolvieren kann, 14 Tage lang mit mir unterwegs zu sein, um festzustellen, wie die deutsche Wirtschaft, wie der Mittelstand und wie die Freiberufler mit Bürokratiekosten belastet werden, die unnötig sind und schon längst hätten vermieden werden können.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke Herrn Abgeordneten Kubicki. - Für den SSW im Landtag erteile ich Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich für diesen Bericht bedanken. Das ist ein sehr gründlicher Bericht. Vielleicht ist er eher eine historische Darstellung. Ich finde aber, es ist für den Anfang gut, dass wir diesen Bericht bekommen haben. Für das Protokoll sage ich: Auch der SSW ist an diesem Antrag beteiligt. Dies ist ein gemeinsamer Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit Jahren versprechen Regierungen und Parlamente, dass man jetzt den Abbau der Bürokratie in Angriff nehmen will. Wir wissen leider auch, dass dies weder sehr einfach noch bisher sehr gut gelungen ist. Das liegt natürlich auch daran, dass wir in einer sehr komplexen Gesellschaft leben, in

(Wolfgang Kubicki)

der man oft nur mit differenzierten Lösungen für Problemstellungen weiterkommt. Andererseits muss man aber auch klar sagen, dass nicht alles, was Arbeit macht, auch gleich Bürokratie ist. Ich denke, diesen Grundsatz darf man nicht vergessen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Legislative und die Exekutive brauchen also vor allem bessere Informationen darüber, was Bürokratie ist und welche Bürokratiekosten die verschiedenen politischen Initiativen verursachen. Auch die Bundesregierung und der Bundestag haben die Zeichen der Zeit erkannt und wollen ein unabhängiges Gremium, einen sogenannten nationalen Normenkontrollrat, einsetzen, der die Kosten jedes Gesetzes, jeder Rechtsverordnung und jeder Verwaltungsvorschrift überprüft. Das ist zu begrüßen, denn es muss auf allen Ebenen des Staates unser gemeinsames Ziel sein zu sehen, wie wir Methoden entwickeln können, die zur Gesetzesfolgenabschätzung beitragen können und somit alle wirtschaftsrelevanten Gesetze dahin gehend abklopfen, ob sie zu Bürokratiebelastungen für Unternehmen führen oder nicht.

Deshalb begrüßt der SSW, dass wir diesen Bericht bekommen haben. Uns ist es in diesem Zusammenhang ein besonderes Anliegen, dass die Landesregierung dabei auch über Erfahrungen des sogenannten Standardkostenmodells, das insbesondere in den Niederlanden erfolgreich angewandt wird, berichtet. Es wird auch in Dänemark, in Schweden, in Finnland und auch in Großbritannien angewendet. Es ist also nicht so exotisch.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Beim Standardkostenmodell dreht es sich um ein Bürokratiekostenmessverfahren zur Bestimmung der Verwaltungslasten. Das ist der Unterschied zu dem, was der Kollege Kubicki gesagt hat. Das war eine sehr schwammige Definition dessen, was man mit Bürokratieabbau machen kann. Das ist etwas, was wir immer wieder hören.

(Wortmeldung des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Lieber Kollege Kubicki, ich will erst noch meine Sache loswerden. Dann können wir gleich weiterreden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wichtigste ist, dass wir uns auf dem Boden der Realität befinden, dass wir eine transparente Dis

kussion bekommen und dass wir wissen, wie wir damit umgehen können, und keine schwammigen Vorstellungen im Raum stehen haben. Denn das Modell schafft Transparenz über bürokratische Belastungen von Unternehmen bei den sogenannten Informationspflichten - der Kollege Matthiessen sagte es - und dient dazu, gesetzliche Korrekturen einzuleiten. Der große Vorteil dieses Modells ist also, dass die Gesetze ein Preisschild bekommen. Man kann entscheiden, wie man aufgrund des Preisschilds weiter verfahren will. Bislang fehlt diese Transparenz bei der Frage, welche Kosten den Bürgern und Unternehmern durch unsere Gesetze entstehen.

Das SKM gibt eine objektive - man könnte auch sagen: ideologiefreie - Diskussions- und Entscheidungsgrundlage. Es wird also keine Entscheidung getroffen. Aber wir haben eine bessere Grundlage, Entscheidungen zu treffen. Das ist etwas, was für uns Politikerinnen und Politiker wichtig sein wird und in Zukunft vielleicht noch viel wichtiger als jetzt, damit wir weniger abhängig von Informationen aus der eigenen Verwaltung werden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Überträgt man die positiven Erfahrungen, die in anderen Ländern mit diesem Modell schon gemacht worden sind, dann kann man zusätzliche Kosten sparen. Das ist bei dem Wirtschaftswachstum, das wir haben, ganz wichtig. Das setzt jedoch den Willen voraus, dass man sich dieser Methode bedient.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Wenn man die Information hat, muss man entscheiden: Wie wollen wir weiter verfahren? Man kann sagen: Wir wollen das Gesetz trotzdem haben; es ist uns politisch wichtig. Oder man kann sagen: Hier haben wir etwas übersehen; darum müssen wir das Gesetz ändern. Das heißt, dieses Modell gibt uns etwas an die Hand, was wir bisher nicht gehabt haben. Es ist nicht etwas völlig Neues. In einer ganzen Reihe von Bundesländern wird es schon angewandt. Es wäre eigentlich gut gewesen, wenn wir es bei der Verwaltungsstrukturreform - die wurde vorhin angesprochen - schon hätten anwenden können.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag erhält der Herr Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug.

(Anke Spoorendonk)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei kurze Anmerkungen zum Thema, abgeleitet aus Erfahrungen, die ganz frisch sind. Gestern Abend hat ein parlamentarischer Abend, Exzellenzinitiative Entzündungsforschung, stattgefunden. Universität Lübeck, Universität Kiel und Forschungszentrum Borstel hatten eingeladen. Leider waren relativ wenige aus diesem Haus da. Deshalb ist es vielleicht gut, wenn ich diese beiden Punkte anbringe.

Es gab eine Podiumsdiskussion, bei der auch die Frage gestellt wurde: Wie kann man die Spitzenforschung für die wirtschaftliche Verwertung nutzen? Wie kann man den Technologietransfer, den Wissenstransfer in die Wirtschaft, in die Schaffung neuer Arbeitsplätze hinein verbessern? An der Podiumsdiskussion waren zwei Vertreter junger schleswig-holsteinischer Unternehmen beteiligt. Sie haben geantwortet: Das Problem ist nicht die Verbindung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Das Problem ist auch nicht die Kapitalbeschaffung. Das Problem ist Bürokratie. Es sind die Genehmigungsverfahren, die das Leben derart schwer machen, dass es solche jungen Unternehmen wirklich nicht leicht haben, neue Forschungsergebnisse in wirtschaftliche Anwendung hinein umzusetzen.

Daraus abgeleitet stelle ich fest - ich könnte auch Beispiele aus anderen Sektoren hinzufügen -, dass man mit den von Bürokratie Betroffenen darüber reden muss. Nicht allein die Bürokratie selber sollte über dem Problemkomplex brüten, sondern man muss auch mit den von der Bürokratie Betroffenen darüber reden:

(Beifall bei der FDP)

Wie kann man das Leben in diesem Land für die Bürger, für die Wirtschaft erleichtern und damit Chancen in unserem Land in Zukunft besser nutzen?

Die zweite Anmerkung ist eher etwas im amüsanten Bereich. Natürlich bedarf es auch behördlicher Kontrollen und Einrichtungen wie etwa Gentechniklabors. Lübeck hat mehrere Einrichtungen dieser Art. Aber wenn die überprüfenden Mitarbeiter entsprechender schleswig-holsteinischer Behörden darüber stolpern, dass dort Genomuntersuchungen mit Material von Neandertalerknochen gemacht werden, Genomanalysen, die sich auf die Neandertalerpopulation von vor 20.000 oder 30.000 Jahren beziehen und die Prüfer eine Anfrage an das Robert-Koch-Institut starten, ob dafür der Sicherheitsstandard von S-2- oder S-3-Labors erforderlich sei, dann muss man sich fragen, wie die Kompetenz derjenigen zu beurteilen ist, die überprüfen. Dass

das einige 10.000 Jahre alte zu untersuchende Knochenmaterial einen anderen Status hat als Substanzen, die mit Gentechnikverfahren verändert sind, die hochgefährlich sind und in Hochsicherheitslabors behandelt werden müssen, ist eine Selbstverständlichkeit. Dieses Wissen müsste man auch von denen erwarten, die mit der Überprüfung kraft Amtes betraut sind.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort zu einem weiteren Beitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erhält die Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe das Wort nochmals ergriffen, weil ich deutlich machen möchte, dass wir vom SSW im Gegensatz zur FDP nicht dafür sind, dass alle Standards freigegeben werden sollen. Ich denke mir, das ist auch nicht die Diskussion.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es auch gar nicht!)

- Ja, darum geht es nicht. Darum ist es auch richtig, zu sagen: Weil der Bürokratieabbau in den Diskussionen immer wieder eine Rolle spielt, müssen wir diese Diskussion endlich versachlichen. Wir müssen sehen, wie wir mit dieser Diskussion umgehen können. Wir müssen etwas an die Hand bekommen, was uns weiterhilft. Das tun wir nicht, indem wir sagen, wir sollten am liebsten alles abschaffen, oder indem wir alles lächerlich machen.

Man muss also einen Anfang finden. Ein Anfang ist schon zu sehen, welche Wirkung Gesetze auf Unternehmen und auf die Wirtschaft haben. Das muss beziffert werden. Daher habe ich vorhin das Bild von dem Preisschild gebracht. Dann haben wir nämlich die Möglichkeit, zu entscheiden: Wollen wir ein Gesetz so oder so verabschieden? Dann haben wir eine echte Entscheidungsgrundlage. Die haben wir heute häufig nicht.