Protocol of the Session on January 27, 2006

Zu diesem Tagesordnungspunkt begrüße ich die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein, Frau Wille-Handels, auf der Tribüne. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich lege heute den in der 11. Sitzung des Landtages von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geforderten Bericht zu den Gemeinsamen Servicestellen für Rehabilitation vor.

Mit der Einrichtung der Gemeinsamen Servicestellen verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die verschiedenen Leistungsgesetze in Zusammenhang mit der Reha zu verklammern. Die Gemeinsamen Servicestellen sollten orts- und bürgernah sein. Sie sollten flächendeckend sein und eine optimale Beratung von Menschen mit Behinderung und ihrer Angehörigen ermöglichen. Diese sinnvolle Aufgabe wurde den Rehabilitationsträgern übertragen, die eine Servicestruktur aufbauten.

In Schleswig-Holstein hat sich die Deutsche Rentenversicherung Nord nach dem Inkrafttreten des § 11 bereit erklärt, die Federführung für einen flächendeckenden Aufbau der Servicestellen einschließlich der Organisation der Fortbildung zu übernehmen. Der flächendeckende Aufbau wurde nach meiner Bewertung mit 18 Stellen - GS genannt - erreicht. In den GS arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Reha-Träger, der Träger der Servicestelle ist. Auch die Barrierefreiheit wurde sichergestellt. Im Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis 30. September 2005, also in einem Zeitraum von 33 Monaten, sind in den 18 aufgebauten GS in Schleswig-Holstein 927 Ratsuchende betreut worden. Das ist eine bemerkenswert geringe Nachfrage.

Auf die Hälfte der GS entfielen nicht mehr als 13 Beratungsfälle pro Jahr. Daraus ergibt sich ganz

(Präsident Martin Kayenburg)

zweifelsfrei ein Handlungsbedarf für die Aufgabenträger.

Ich habe in einem Schreiben an die Deutsche Rentenversicherung Nord gebeten, dass verschiedene Dinge auf den Weg gebracht werden. Erstens muss die Öffentlichkeitsarbeit intensiviert werden. Die Einrichtungen müssen stärker bekannt gemacht werden. Weiter habe ich die unregelmäßigen und unterschiedlichen Öffnungszeiten der Servicestellen angesprochen, die auch ein möglicher Grund für die zu geringe Inanspruchnahme sein können. Wünschenswert erscheint mir außerdem, dass alle RehaTräger verbindlich die Art und Weise ihres Zusammenwirkens unter der Zielsetzung der Hilfegewährung aus einer Hand vereinbaren. Das ist der Schlüssel zu diesem Thema.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich würde es sehr begrüßen und halte es für unabdingbar, dass die Rentenversicherung Nord als Koordinierungsstelle für alle Servicestellen eine Kooperationsvereinbarung entwickelt und die beteiligten Träger zur Mitarbeit bewegt. In diesem Sinne habe ich mein Schreiben an die Rentenversicherung Nord verfasst.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hält die Gemeinsamen Servicestellen angesichts des komplexen Reha-Rechts für notwendige und sinnvolle Einrichtungen, an denen der Gesetzgeber zumindest zunächst festhalten sollte.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Zu diesem Ergebnis kommt auch der Ihnen vorgelegte Bericht; denn der Gedanke der Koordinierung und der Leistungserbringung aus einer Hand hat nach wie vor unvermindert Bedeutung. Insofern teile ich die Auffassung der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten und des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, dass die Gemeinsamen Servicestellen notwendige und wichtige Einrichtungen zur Verwirklichung von Leistungsansprüchen sind. Wir nehmen die Kritik aus den Tätigkeitsberichten unserer Landesbeauftragten ernst.

Die Landesregierung - dies sage ich zu - wird darauf dringen, dass die Rehabilitationsträger im Rahmen ihrer Selbstverwaltung die Arbeit der GS laufend optimieren. Ich glaube, die Gemeinsamen Servicestellen haben noch viel Verbesserungspotenzial, um es vornehm zu formulieren.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie müssen richtig in die Puschen kommen. Wir bleiben im Gespräch mit den Rehabilitationsträgern und werden die weitere Entwicklung der Gemeinsamen Servicestellen in dem von mir dargestellten Sinne aufmerksam verfolgen. Das Thema bleibt also auf der Agenda..

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für die antragstellende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Kollegin Monika Heinold.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bericht der Landesregierung zeigt: Es ist wichtig, dass wir uns mit der Arbeit der Gemeinsamen Servicestellen nach dem SGB IX beschäftigen. Ich glaube, wir sind uns einig, dieser Bericht war notwendig, und eine Evaluation der bisherigen Arbeit ist überfällig. Nur so können Zielsetzung und Zielerreichung in Übereinstimmung gebracht werden.

Ich möchte mich bei der Landesregierung für diesen ehrlichen Bericht bedanken - ein Bericht, der gründlich und gewissenhaft darauf eingeht, wie die Praxis in Schleswig-Holstein aussieht und wo die Probleme der Beratungsstellen liegen. Die Landesregierung redet die Situation nicht schön, sondern benennt, wo Nachbesserungsbedarf besteht. Die Ministerin hat es eben auch noch einmal erläutert.

Ich habe die Beratungsstellen in Norderstedt und Rendsburg besucht und in den Gesprächen vor Ort festgestellt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr engagiert und motiviert sind. Sie versuchen, dass neue Konstrukt Servicestelle mit Leben zu erfüllen, und sie versuchen, den Rat suchenden Menschen zu helfen und Mittler zwischen den verschiedenen Reha-Trägern zu sein.

Auch wenn sich die Servicestellen bemühen, es gelingt meistens nicht, Zuständigkeitsgrenzen zu durchbrechen oder die Kommunen zu bewegen, eine notwendige Leistung zu bewilligen. Auch ist es nicht gelungen, die Servicestellen als übergeordnete Anlaufstellen für Menschen mit Behinderung zu etablieren. Sie sind zu wenig bekannt. Ihnen wird eine neutrale und kompetente Beratung zum Teil auch nicht zugetraut. Teilweise haben Menschen mit Behinderung bereits andere Anlaufstellen, denen sie mehr vertrauen. So erklären sich un

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

ter anderem die geringen Anlaufzahlen. Die Servicestelle in Norderstedt setzt inzwischen erfolgreich darauf, selbst nach außen zu gehen und offensiv zu werben. Vorträge bei Behindertenorganisationen münden fast immer in persönliche Gespräche und so kann Hilfebedarf aufgearbeitet werden.

Und dennoch: Der vorliegende Bericht bestätigt die Erfahrung der Bürgerbeauftragten und des Behindertenbeauftragten und die Auswertung des Bundes. Die Gemeinsamen Servicestellen erfüllen bisher nicht die Erwartungen, die der Gesetzgeber an sie gehabt hat. Wir müssen etwas tun, um Anspruch und Wirklichkeit des Gesetzes in Übereinstimmung zu bringen. Denn der Anspruch des SGB IX ist richtig: Schluss mit dem Schieben von Zuständigkeiten auf dem Rücken der anspruchsberechtigten Menschen, Gewährleistung von umfassender Beratung und Information aus einer Hand, an einem Ort, und zügige Antragsbearbeitung und Leistungsgewährung.

Aus dem Bericht und aus meinen Erfahrungen vor Ort möchte ich zumindest teilweise ableiten, was getan werden muss. Der Bericht der Landesregierung formuliert diese Ansatzpunkte ähnlich. Die Öffentlichkeitsarbeit muss offensiver gestaltet werden. Multiplikatoren müssen angesprochen werden. Die Kooperation zwischen den unterschiedlichen Reha-Trägern muss intensiviert und auf verbindliche Füße gestellt werden. Schriftliche Vereinbarungen können hier ein gutes und wichtiges Instrument sein. Der Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit mit Behinderteneinrichtungen und Verbänden muss weiter vorangetrieben werden. Hierbei kann der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung unterstützende Arbeit leisten. Fortbildung und Schulung müssen kontinuierlich weitergeführt werden und mit dem aktuellen Bedarf entsprechend abgestimmt werden.

Abschließend möchte ich mich nicht nur bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung für den Bericht bedanken, sondern insbesondere bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Servicestellen, die mit Engagement versuchen, das umzusetzen, was der Bund in das Gesetz hineingeschrieben hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Für die Fraktion der CDU erteile ich Frau Abgeordneter Heike Franzen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich bei der Landesregierung für diesen offenen, ehrlichen und sachlichen Bericht über die Servicestellen bedanken, der jetzt vorliegt.

Mit der Einrichtung von Servicestellen sollte eine sinnvolle Anlaufstelle geschaffen werden, um Menschen mit Behinderung Hilfeleistungen aus einer Hand bieten zu können. Die Servicestellen sollen bessere Voraussetzungen schaffen, um medizinische, berufliche und soziale Teilhabeleistungen zeitnah und wirkungsvoll zu erbringen. Auftrag der Servicestellen ist es, die Leistungen des Rehabilitationssystems entsprechend dem Bedarf des Einzelnen zu koordinieren, also Teilhabeleistungen aus einem Guss zu erbringen und somit den gesamten Bereich der Rehabilitation und der Teilhabe bürgernah und möglichst zügig ohne lange Wartefristen erbringen zu können.

Vor dem Hintergrund des Zuständigkeitsdschungels, den wir in diesem Bereich haben, ist diese Einrichtung sinnvoll und nur zu begrüßen. Seit 2003 gibt es in Schleswig-Holstein 18 dieser Gemeinsamen Servicestellen.

Meine Damen und Herren, Barrierefreiheit ist für Menschen mit Behinderung das A und O im Leben. Daher ist es sehr erfreulich, dass man dem vorliegenden Bericht entnehmen kann, dass alle Servicestellen inzwischen barrierefrei zu erreichen sind; das ist eine Grundvoraussetzung, um Hilfeleistungen aus einer Hand überhaupt gewähren zu können.

(Beifall bei der CDU)

Darüber hinaus gibt es noch viel zu tun, wenn die Servicestellen ihren Aufgaben gerecht werden wollen. Das Ergebnis nach dreijähriger Tätigkeit ist eher ernüchternd als zukunftsweisend. Schaut man sich die Zahl der Beratungen an, so muss man feststellen, dass die einzelnen Servicestellen in höchst unterschiedlicher Art und Weise in Anspruch genommen werden. Von null Beratungen in Schleswig bis zu 133 Beratungen in Rendsburg. Auch das ist nicht besonders viel. Da nicht davon auszugehen ist, dass sich in Schleswig keine Menschen mit Behinderung oder mit Rehabilitationsbedarf befinden, muss es andere Gründe geben, warum Servicestellen so unterschiedlich angenommen werden. Einer der Kritikpunkte der Behindertenverbände ist der Zweifel an der Kompetenz der Mitarbeiter.

Den jeweiligen individuellen Rehabilitationsbedarf einschätzen und ihm entsprechen zu können, setzt

(Monika Heinold)

eine umfassende Ausbildung und Vernetzung der Beratenden voraus, ebenso wie eine umfängliche Kooperation der Rehabilitationsträger. Diese Voraussetzungen scheinen an den unterschiedlichen Standorten in unterschiedlicher Weise vorhanden zu sein. Hier sieht die Landesregierung Handlungsbedarf und will an die federführende Deutsche Rentenversicherung Nord herantreten, damit dort Kooperationsvereinbarungen entwickelt werden. Die Träger sind aufgefordert, solche Vereinbarungen verbindlich abzuschließen.

Ebenso will die Landesregierung die Rehabilitationsträger bitten, sich im Rahmen ihrer Selbstverwaltung weiterhin um die Vernetzung und Kooperation der Servicestellen zu bemühen. Dabei sollen insbesondere die Bürgerberatungsstellen und das Fachwissen der Behindertenorganisationen stärker einbezogen werden, die Arbeit der Servicestellen mit anderen Beratungsangeboten verknüpft werden, die fachliche Kompetenz aller Rehabilitationsträger in die Servicestellen einbezogen werden, Sprechtage unter Einbeziehung aller Rehabilitationsträger organisiert und die Kontakte zu den betroffenen Verbänden verstärkt werden.

Dieses Vorgehen ist zu begrüßen und wird von der CDU-Landtagsfraktion ausdrücklich unterstützt. Dennoch bleibt zu hinterfragen, wo die Gründe für die unterschiedliche Inanspruchnahme der Servicestellen liegen. Ist es die mangelnde Kenntnis über das Vorhandensein der Servicestellen? Oder ist es vielleicht auch die Scheu der Menschen, diese Stellen aufzusuchen? Mangelt es tatsächlich an der Kompetenz der Mitarbeiter? Wie hoch ist das Interesse der Rehabilitationsträger am Vorhalten von Servicestellen?

Der Bericht sieht vor, diese Frage bundesweit zu evaluieren und zu einem Schwerpunkt des Berichts der Rehabilitationsträger nach § 24 SGB IX zu machen. Der nächste Bericht ist für 2007 vorgesehen.

Meine Damen und Herren, in Anbetracht dessen, dass gerade bei Rehabilitationsmaßnahmen eine schnelle und gute Beratung und eine zeitnahe Maßnahme ausschlaggebend für den Erfolg der Maßnahme sind, schlage ich Ihnen vor, im Rahmen des behindertenpolitischen Gesamtkonzeptes diese Frage für Schleswig-Holstein gleich mit zu klären, um die längst überfälligen Hilfeleistungen aus einer Hand bürgernah und zeitnah in Schleswig-Holstein anbieten zu können.

(Beifall im ganzen Haus)

Für die weitere Beratung beantrage ich für die CDU-Fraktion die Überweisung des Berichtes in den Sozialausschuss.

(Beifall im ganzen Haus)

Für die Fraktion der SPD erteile ich Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Sozialgesetzbuch IX soll der rechtzeitige und bedarfsgerechte Zugang zu Teilhabeleistungen gesichert werden. Für Menschen mit Behinderung soll die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglicht und die Selbstbestimmung und Gleichstellung gefördert werden.

Ein wesentlicher Baustein im SGB IX zur Umsetzung dieser Ziele war die Einrichtung der Gemeinsamen Servicestellen. Sie sollten die Koordination der unterschiedlichen Maßnahmen verbessern. Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe sollen behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen dadurch erleichtert werden, dass man trägerübergreifend wirkungsvoll und wirtschaftlich Leistungen gewährt. Dabei sollen die Gemeinsamen Servicestellen dazu beitragen, Zuständigkeitsfragen zu klären, im Antragsverfahren die Betroffenen zu unterstützen und bei schwierigen Abgrenzungsproblematiken zwischen den unterschiedlichen Rehabilitationsträgern vermittelnd zu helfen.

Im Bericht der Bürgerbeauftragten für das Jahr 2004, den wir in den letzten Monaten im Landtag und auch vertiefend im Ausschuss beraten haben, wird deutlich eine kritische Haltung zur Arbeit und Wirksamkeit der Gemeinsamen Servicestellen eingenommen. Dort heißt es: