Protocol of the Session on December 12, 2008

„Es ist schmerzlich, dass eine Schulart von der Bildfläche verschwinden soll, die so nachhaltig in der Bevölkerung nachgefragt wird.“

Diese Befürchtung hat Herr Hamer, eine der Vertrauenspersonen der Volksinitiative für die Erhaltung der Realschulen, in der Anhörung vor dem Petitionsausschuss Ende Oktober 2008 geäußert. Wir nehmen diese Sorge der Volksinitiative sehr ernst. Daher betone ich klar und eindeutig: Es gibt keine Pläne der Unionsfraktion, die Realschule niederzumachen oder ihren Untergang herbeizuführen. Ich teile insoweit die Einschätzung der Landesvorsitzenden des VdR, zuletzt in einem offiziellem Schreiben gegenüber dem Landtag kundgetan:

„Die Realschule ist eine leistungsfähige und weitgehend akzeptierte Schulform. In der bildungswissenschaftlichen Diskussion gibt es keine ernstzunehmende Position, die die Realschule an sich infrage stellt.“

Die Realschulbildung verfügt über eine lange - zum Teil bis ins Mittelalter zurückliegende - Tradition

und ist an den sogenannten „Realien“ entlang entwickelt worden. Realschulen sind unter anderem als Alternative zu Lateinschulen in den Städten entstanden, um einen Nachwuchs zu schaffen, der lebenspraktisch und handlungsorientiert gebildet wird.

Die ursprünglich an der Sache, am Gegenstand - lateinisch: res - ausgerichtete Bildung hatte damals wie heute das Ziel, vor allem Kenntnisse von elementaren Naturgesetzlichkeiten, kaufmännischem Grundwissen, handwerklichem Können und natürlich moderne Fremdsprachen zu vermitteln. Daran hat sich nichts geändert: Realschulen sind stets ein zuverlässiger, qualitativ guter Zubringer für unseren Mittelstand gewesen. Das soll auch so bleiben.

Unter anderem um dem Hauptschulsterben entgegenzutreten, haben wir uns jedoch dazu entschieden, den Hauptschul- und den Realschulbildungsgang in einer Schulform zusammenzuführen. Dabei geht es mitnichten darum, „eine der stärksten Säulen des Schulsystems, die Realschule, herauszuoperieren“, wie sich die VdR-Vorsitzende Rhenius ausdrückte. Nein, wir tragen vielmehr der demografischen Entwicklung, insbesondere in unseren ländlichen Gebieten, Rechnung, die es sinnvoll erscheinen lässt, sowohl den Haupt- als auch den Realschulbildungsgang in der Regionalschule als einen neben dem Gymnasium gleichwertigen Bildungsgang zu etablieren.

Die Realschule bleibt auch in Schleswig-Holstein im Rahmen der Regionalschule erhalten, denn ab der siebten Klasse gibt es in der Regionalschule Realschulunterricht pur im Rahmen eines bildungsgangsbezogenen Unterrichts.

Die Realschule wurde bis 1964 als Mittelschule geführt. So heißt der Real- und auch Hauptschule umfassende Bildungsgang im PISA-Gewinnerland Sachsen heute auch wieder. Wir haben es bei der gestrigen Plenardebatte gehört. Da wollen auch wir wieder hin.

Bei der Anhörung im Oktober 2008 im Petitionsausschuss konnten meines Erachtens die betroffenen Antragsteller allerdings inhaltlich nicht ausreichend deutlich machen, worin genau die Verschlechterung liegt, wenn die Realschule in die Regionalschule aufgenommen wird.

Insbesondere den Bedenken der Volksinitiative, dass der Realschulabschluss durch die Schulstrukturreformen minderwertig wird, möchte ich hier entgegentreten.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

(Sylvia Eisenberg)

Dieser qualitativ hochwertige Abschluss wird weiterhin dafür sorgen, dass die Übergänge in eine Berufsausbildung oder - bei entsprechendem Zensurenschnitt - in die Oberstufe des beruflichen oder des allgemeinbildenden Gymnasiums gewährleistet wird. Eine hohe Durchlässigkeit im System sichert zukünftig eine optimale Förderung eines jeden Kindes - egal ob Spätstarter oder Überflieger -, denn individuelles Lernen setzt differenzierte Strukturen mit einer hohen Durchlässigkeit voraus. Dafür wird sich die CDU weiter einsetzen und die Realschulvertreter im Rahmen der Regionalschule in ihrem Anliegen unterstützen. Eine Rücknahme der Entscheidungen aus dem Schulgesetz von 2007 kommt dabei für uns aber ebenso wenig in Betracht wie ein dauerhaftes Nebeneinander von Regional- und Realschulen. Meine Damen und Herren, Sachsen hat uns gezeigt, dass dieses System nicht nur funktioniert, sondern auch qualitativ hochwertig ist. Ich erinnere an die gestrige Debatte.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der SPD hat der Herr Abgeordnete Detlef Buder das Wort.

In Anbetracht der vorangeschrittenen Zeit möchte ich mich auf wenige wesentliche Punkte beschränken. Das Schulgesetz, das wir verabschiedet haben, ist als Antwort auf die Anforderungen der demografischen Entwicklung und der neuen pädagogischen Anforderungen an unsere Schulen stringent, zielführend und in die Zukunft gerichtet, nicht rückwärts gewandt, wie einige andere argumentieren, dass wir zurück wollten in das 19. Jahrhundert. Es wird dazu beitragen, dass das Ziel des Schulgesetzes, so viel Bildung für den Einzelnen wie möglich und so viel Förderung und Unterstützung wie erforderlich, voll umgesetzt werden kann. Dabei helfen die neuen Grundstrukturen des Schulgesetzes. Dabei helfen die neuen Schulen, die Gemeinschaftsschule als Ganztagsschulbetrieb, als Schule des gemeinsamen Lernens für alle bis zum Schulabschluss, die Regionalschule als gemeinsame Schule mit gemeinsamer Orientierungsstufe in den Klassen fünf und sechs; dabei hilft auch die angestrebte, von uns gemeinsam beschlossene Zweigliedrigkeit des schleswig-holsteinischen Schulwesens, so wie eben dargestellt und wie bereits in neun Bundesländern angestrebt oder durchgeführt.

Deshalb schließen wir uns den Ausführungen des Bildungsausschusses an und werden das Votum der Initiative ablehnen. Ich bitte Sie, dem zu folgen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort für die Fraktion der FDP hat der Herr Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Kollege Buder am Ende seiner Rede immer schneller wurde, werde ich versuchen, unseren Standpunkt mit etwas mehr Gelassenheit zu erläutern.

Meine Damen und Herren, nach dem sehr späten Start der Volksinitiative, nämlich erst Ende 2007, also fast ein Jahr nach der Schulgesetzänderung, ist der Erfolg, den die Initiatoren erreichen konnten, wirklich bemerkenswert. Entgegen der immer wieder aus den Reihen der Großen Koalition zu hörenden Aussagen, das Thema Realschule sei abgehakt, hat die Volksinitiative problemlos das erforderliche Quorum überschritten. In der Bevölkerung unseres Landes ist der Wunsch, diese Schulart nicht untergehen zu lassen, nach wie vor lebendig. Viele, sehr viele Menschen wünschen dies, auch wenn die Parteien, die mit 59 von 69 Landtagsabgeordneten die Landesregierung stellen, dies nicht wahrhaben wollen, zumindest deren Parteiführungen.

Dabei gibt es allerdings auch in der CDU erkennbar andere Stimmungen, als es die offizielle Haltung der CDU-Parteiführung vermuten lässt.

(Beifall bei der FDP)

Dies musste ja auch der Herr Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende kürzlich wieder feststellen, als er vor Parteifreunden in seinem bisherigen Wahlkreis Elmshorn in der Gaststätte „Sibirien“ zur Bildungspolitik Stellung nahm. - In der Gaststätte „Sibirien“, nicht in Sibirien. Ich zitiere aus dem Bericht der „Elmshorner Nachrichten“ vom 1. Dezember: „Für Unmut unter seinen Parteifreunden sorgten die Redepassagen, in denen der Ministerpräsident die an der CDU-Basis ungeliebte Schulreform der Regierung verteidigte.“

Einen Denkanstoß in Sachen Schulpolitik könnte der Union auch das kürzlich veröffentlichte Ergebnis des PISA-Ländervergleichs geben. Es ist doch wirklich beachtenswert, dass die nach dem geltenden Schulgesetz zur Abschaffung vorgesehenen

(Sylvia Eisenberg)

Realschulen in allen drei Testbereichen - Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften - bessere Resultate vorweisen können als die Integrierten Gesamtschulen des Landes, und zwar ungeachtet der sehr viel schlechteren Unterrichtsversorgung an den besser abschneidenden Realschulen.

Die auf Betreiben der CDU im neuen Schulgesetz verankerte neue Schulart Regionalschule wird an die Erfolge der Realschulen nicht anknüpfen können. Eltern, die ihre Kinder bislang an Realschulen angemeldet haben, tendieren verstärkt dazu, sich entweder für Gymnasien, für Gemeinschaftsschulen oder - soweit vor Ort vorhanden - für Schulen in freier Trägerschaft zu entscheiden. Den Regionalschulen fehlen damit tendenziell die für einen erfolgreichen Realschulbildungsgang notwendigen Schüler. Dieses strukturelle Problem wird in besonderem Maße dort sichtbar, wo den Eltern im örtlichen Schulangebot Alternativen vorliegen. Das vom Schulgesetz vorgesehene zweieinhalbgliedrige Schulsystem wird damit faktisch zu einer neuen Form von Dreigliedrigkeit, wobei die Regionalschulen die frühere Rolle der Hauptschulen übernehmen. Andererseits gibt es in großen Teilen des Landes in Zukunft oder auch jetzt schon gar keine Regionalschulen mehr. Das gilt, wie Sie wissen, in besonderer Weise für das Hamburger Umland, teilweise ganze Kreise, wie Stormarn. Dort entwickelt sich faktisch ein zweigliedriges Schulsystem ohne Regionalschulen.

Meine Damen und Herren, die ursprüngliche Vorstellung der Union, das allgemeinbildende weiterführende Schulwesen primär auf die beiden Hauptsäulen Gymnasium und Regionalschule zu stellen und dann vielleicht als Extra hier und da ein paar Gemeinschaftsschulen zu haben, geht erkennbar nicht auf. Nach Auffassung der FDP-Fraktion würde ein Schulangebot, bei dem neben dem Gymnasium und den Gemeinschaftsschulen nach Möglichkeit vor Ort die Realschule anstelle der Regionalschule als dritte Option angeboten würde, weitaus mehr Attraktivität für die Eltern entfalten als die derzeitigen Angebotslage mit einer Regionalschule,

(Beifall bei der FDP)

die die Rolle, die die Erfinder ihr ursprünglich zugedacht haben, nicht wahrnehmen kann.

Damit ist zugleich klar: Es geht hier nicht um die Frage einer Rückkehr zum alten dreigliedrigen Schulsystem, sondern um die Frage, ob man mit einer neuen Chance für das Schulmodell der Realschule ein attraktiveres und vielfältigeres Schulangebot schaffen kann, als es sich derzeit in Schles

wig-Holstein in der Entwicklung befindet. Weil wir eine solche Perspektive für sinnvoll halten, wird die FDP als einzige Fraktion des Schleswig-Holsteinischen Landtages gegen die vorliegende Beschlussempfehlung stimmen.

Die Große Koalition hat mit der Abschaffung der Realschule auch deshalb einen Fehler begangen, weil sie damit ein Markenzeichen aufgegeben hat, das weithin mit Qualität und Leistungsfähigkeit verbunden wird, und zwar ganz zu Recht, wie die PISA-Studie und ihre Ergebnisse im Ländervergleich unterstreichen. Allen Anfeindungen zum Trotz hat die Realschule eine neue Chance verdient. Auch deshalb, weil das sehr viele Bürger unseres Landes so sehen, wollen wir uns an dem ansonsten vielstimmigen Abgesang durch die anderen Landtagsfraktionen nicht beteiligen.

Herr Dr. Klug, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. - Vielmehr sollte sich die Union fragen, ob sie tatsächlich im richtigen Chor mitsingt, wenn sie neben der SPD, den Grünen, dem SSW und außerparlamentarischen Kräften wie der Linkspartei das Lied vom Ende der Realschule anstimmt.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort die Frau Abgeordnete Angelika Birk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war ja zu erwarten, dass die FDP hier versucht, an einem überkommenen Schulsystem festzuhalten. Herr Dr. Klug, Sie müssen das aber auch all denjenigen sagen, die dann weiterhin in der Hauptschule beschult werden sollen und damit weiterhin von vornherein ein Problem haben, wie wir das bisher hier beklagen.

Es ist kein Geheimnis, meine Fraktion möchte natürlich mit viel schnelleren und viel entschiedeneren Schritten zu längerem gemeinsamen Lernen kommen. Wir respektieren, dass eine Große Koalition nicht mehr zustande bringt als das, was wir vorliegen haben. Das ist für die CDU ein großer Schritt gewesen. Ich habe mich auch gewundert,

(Dr. Ekkehard Klug)

Frau Eisenberg, wie Sie gerade noch die Kurve gekriegt haben von der Unterstützung des Realschulgedankens zu dem, was jetzt Ihre Fraktion mitträgt.

Es ist ganz klar, wir sind für Volksinitiativen. Das heißt aber natürlich nicht automatisch, dass wir den Inhalt jeder Volksinitiative unterstützen. Insofern können wir mit der Ausschussbegründung, wie sie hier vorgetragen worden ist, leben, auch wenn wir natürlich weitergehende Ziele haben.

Da wir nun ja alle schon einen langen Arbeitstag hinter uns haben, möchte ich es an dieser Stelle bei meinen Ausführungen bewenden lassen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich bedanke mich bei der Frau Abgeordneten Birk. - Nunmehr hat für die Abgeordneten des SSW die Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Zuruf)

- Wat mut, dat mut. - Kurt Biedenkopf hat einmal gesagt, dass der Streit Vater des Fortschritts sei. Dort, wo sich Interessenlosigkeit ausbreitet, kommt es zum lähmenden Stillstand oder sogar zum Rückschritt.

In diesem Sinne ist es begrüßenswert, dass sich Menschen die Mühe machen, eine Volksinitiative zu starten und sich mit der Sammlung von Unterschriften für eine andere Ausrichtung der Schulpolitik in Schleswig-Holstein, als sie mit großer Mehrheit im Landtag beschlossen würde, engagieren. Unsere Landesverfassung gibt für solche Initiativen aus dem Volk den Weg vor. Die heutige Abstimmung im Landtag über die von der Volksinitiative formulierte Frage zum Erhalt der Realschulen gehört genauso dazu wie die Möglichkeit, über weitere Unterschriften ein Volksbegehren zu initiieren.