Protocol of the Session on April 4, 2003

(Beifall der Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Dr. Heiner Garg [FDP] und Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Gestatten Sie mir abschließend folgenden Hinweis. Ich unterstützte aus vollem Herzen unsere Ministerpräsidentin Heide Simonis und ihre Äußerungen bei Gesprächen im Juni letzten Jahres in Kaliningrad:

„Wir streben an, in einigen Jahren die VisaRegelung mit der russischen Föderation nicht mehr auf die Tagesordnung zu setzen, weil wir keine Visa mehr benötigen.“

Das sollte unser mittelfristiges gemeinsames Ziel sein. Ein starkes Europa, wie wir es Mittwoch in der Diskussion um den Irakkrieg beschworen haben, ist ein Europa unter Einbeziehung der osteuropäischen Staaten, ein Europa ohne Grenzen. Lassen Sie uns daran durch eine aktive Zusammenarbeit mit unseren Partnern in Kaliningrad mitwirken.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Joachim Behm [FDP])

Das Wort für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist national und international unstrittig, dass die Oblast Kaliningrad in den Entwicklungs- und Gestaltungsprozess der „Nördlichen Dimension“ einbezogen werden muss. Denn Vorteile für die neuen osteuropäischen EU-Mitglieder dürfen nicht zum Stillstand oder sogar zu Nachteilen für die Oblast führen. Ich bin davon überzeugt, dass wir alle dieser Forderung zustimmen.

Welche Aufgaben erwartet eine deutsche konsularische Vertretung, welches sind die bestehenden Probleme in der Region, Probleme, die über die Visaproblematik hinausgehen. Denn allein die Visarege

lung wäre wohl nicht ausreichend für die Forderung nach der Errichtung einer konsularischen Vertretung. Zwei Positionen in Artikel 5 des Wiener Konsularrechtsabkommens von 1963 seien genannt, um auf die konsularischen Aufgaben hinzuweisen:

„Die konsularischen Aufgaben bestehen darin, die Entwicklung kommerzieller, wirtschaftlicher, kultureller und wissenschaftlicher Beziehungen zwischen dem Entsenderstaat und dem Empfangsstaat zu fördern und zwischen ihnen auch sonst nach Maßgabe dieses Übereinkommens freundschaftliche Beziehungen zu pflegen“

„den Angehörigen des Entsenderstaates Pässe und Reiseausweise und den Personen, die sich in den Entsenderstaat zu begeben wünschen, Sichtvermerke oder entsprechende Urkunden auszustellen.“

Auf einige Problemfelder möchte ich hinweisen. Will die Zentralregierung in Moskau wirklich eine Region, die sich in der Zusammenarbeit mit der EU besser entwickelt als das Mutterland? Oder soll es bei dem jetzigen Status bleiben, bei dem das Bruttosozialprodukt pro Kopf in der Oblast nur 75 % des russischen Durchschnitts ausmacht, ein Drittel der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben und die reale Arbeitslosenquote unter 30 % liegt? In diesem Spannungsfeld wird sich das Konsulat bewegen.

Das Konsulat müsste sich konkret in die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung einschalten. Einige Daten mögen diese Notwendigkeit verdeutlichen. Im ersten Halbjahr 2002 investierten ausländische Unternehmen direkt 1,9 Milliarden US Dollar in Russland, davon knapp 800 Millionen in Moskau, 100 Millionen in St. Petersburg und nur 4 Millionen in der Oblast Kaliningard, in dem von Präsident Putin als Pilotprojekt bezeichneten Areal - mit rückläufiger Tendenz. An den Grundlagen zur Förderung höherer Investitionen und besserer Investitionsanreize mitzuwirken, wäre ein bedeutendes konsularisches Betätigungsfeld im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Region.

(Beifall der Abgeordneten Joachim Behm [FDP] und Rolf Fischer [SPD])

Dazu gehört auch der verstärkte Rückgriff auf die internationalen Hilfsprogramme PHARE und TACIS mit entsprechenden Risikoabsicherungen.

Die Zollbürokratie in der Oblast erschwert wirtschaftliches Handeln, die Infrastruktur, insbesondere der Hafen, ist veraltet und entspricht nicht internationalen

(Manfred Ritzek)

Anforderungen. Der Straßengüterverkehr an den Grenzen ist desolat, der Grenzübertritt wird gegenüber Reisenden immer noch als Gnadenakt behandelt und nicht als Serviceleistung der Staatsdiener für die Reisenden. Dieses vor Ort mit der Bedeutung einer konsularischen Vertretung deutlich zu machen, bedeutet auch Förderung der Region.

Die 1994 errichtete Sonderwirtschaftszone mit den beabsichtigten weitreichenden Zoll- und Steuerprivilegien wurde durch Zusatzverordnungen praktisch außer Kraft gesetzt. Konsularische Hilfestellung zur Reaktivierung wäre dringend notwendig. Organisierte Kriminalität, Infektionskrankheiten und Umweltzerstörungen erfordern gewaltige Anstrengungen, um diese Probleme allmählich erst einmal in ihrer negativen Entwicklung zu stoppen, geschweige denn zu mindern.

Der Aufbau und die Fortentwicklung eines deutschrussischen Jugendwerkes könnte vor Ort koordiniert werden. Auch die vielen Projekte aus SchleswigHolstein sind integrationsfähig in einem länderübergreifenden Konzept einzuordnen. Bleibt noch die Visaregelung durch eine deutsche konsularische Vertretung, die neben der von der EU angestrebten Lösung für die Durchreise durch Litauen und Polen auch die Probleme im Reiseverkehr zwischen der Oblast Kaliningrad und Deutschland lösen und verbessern wird. Jede Zusammenarbeit mit Konsulaten anderer EU-Länder, wie mit dem gerade jetzt gegründeten Konsulat von Schweden, wäre eine wichtige Kooperation für die Entwicklung des Gebietes Königsberg.

Präsident Putin hat im letzten Jahr - spät, aber nicht zu spät - die Exklave Kaliningrad als „prioritäre Zone russischer Regionalpolitik“ mit einem zugesagten Investitionsvolumen von 3 Milliarden € bis zum Jahr 2010 ernannt. Die europäische Erweiterung muss diesen Prozess begleiten. Ein Konsulat hätte unmittelbare kooperative Auswirkung auf diesen Prozess.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD], Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Joachim Behm [FDP])

Wir können unsere Solidarität mit dieser Region dokumentieren, indem wir uns für die Errichtung einer deutschen konsularischen Vertretung in Kaliningrad einsetzen. Sie könnte und sollte ihre Arbeit spätestens zur 750-Jahrfeier von Königsberg im Jahr 2005 aufnehmen. Bei der Eröffnung des Konsulats wäre ich gern dabei. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Heiterkeit und Beifall)

Zunächst möchte ich neue Gäste im SchleswigHolsteinischen Landtag begrüßen, und zwar Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler der Jacob-Lienau-Realschule aus Neustadt.

(Beifall)

Ich erteile jetzt für die Fraktion der FDP Herrn Abgeordneten Joachim Behm das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen von Frau Dr. Kötschau und Herrn Ritzek einige ergänzende Ausführungen. Bevor ich es vergesse, bei der Eröffnung des Konsulates in Kaliningrad

(Caroline Schwarz [CDU]: Wären Sie auch gern dabei!)

wäre ich auch gern dabei.

(Heiterkeit)

Mit Ausnahme des Küstenstreifens, der den Zugang zur Ostsee bildet, wird der Personen- und Warenverkehr zwischen Kaliningrad und dem russischen Kernland über künftige EU-Außengrenzen abgewickelt. Umso wichtiger ist es deshalb, die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Russland in dem Sinne weiter zu entwickeln, dass neben einem partnerschaftlichen Austausch auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet eine reibungslose Integration in den europäischen Wirtschaftsraum möglich wird. Auf die Installation eines deutsch-russischen Jugendwerkes, das den Austausch von Jugendlichen ermöglicht, wie Herr Ritzek das angesprochen hat, weise ich zusätzlich hin.

Die Europäische Union hat dazu bereits wesentliche Schritte eingeleitet. So wurde Ende März 2003 durch den TACIS- Verwaltungsausschuss das nationale Aktionsprogramm für Russland 2003 angenommen, welches unter anderem 25 Millionen € für Sondermaßnahmen in Kaliningrad vorsieht. Die Mittel werden insbesondere für Maßnahmen in den Bereichen Verwaltungsaufbau, Gesundheit, Qualifizierung und grenzüberschreitende Zusammenarbeit bereitgestellt.

Dennoch fehlt für eine künftige enge Zusammenarbeit die Unterstützung durch eine konsularische Vertre

(Joachim Behm)

tung in Kaliningrad mit all den Bedeutungen, die hier schon genannt wurden.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

So hatte die EU-Kommission bereits im Januar 2001 konkrete Vorschläge zur künftigen Gestaltung der Beziehungen der Europäischen Union zur Kaliningradenklave unterbreitet.

Eine der Anregungen war die Einrichtung von Konsulaten, um die Ausstellung von Visa zu erleichtern und die Migrationsbewegungen effizient kontrollieren zu können. Zwar ist die Errichtung eines gemeinsamen EU-Konsulats nicht möglich, da die Erteilung von Visa in die Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten fällt, doch wäre beispielsweise die gemeinsame Unterbringung konsularischer Vertretungen der Mitgliedstaaten ohne weiteres zulässig.

Leider waren in der Vergangenheit die Bemühungen, konsularische Vertretungen zu errichten, ergebnislos verlaufen, weil sie auf starke Vorbehalte der russischen Regierung trafen. Bei der bevorstehenden Eröffnung eines schwedischen Konsulates sollten wir mit Interesse verfolgen, ob diese Maßnahme tatsächlich zustande kommt. So ist die schwedische Ankündigung, in Königsberg/Kaliningrad ein Generalkonsulat zu eröffnen, bisher noch nicht umgesetzt. Lediglich Polen und Litauen sind derzeit mit berufskonsularischen Vertretungen in Kaliningrad präsent. Ob Kaliningrad in Zukunft, wie es ein russischer Beamter nannte, ein Fünf-Sterne-Hotel in Zentraleuropa wird oder, wie ich es sage, eine von der Umgebung abgeriegelte Festung mit sozialem Notstand und wirtschaftlicher Rückständigkeit, das hängt vor allem von Moskau ab. Deshalb bedarf es von uns des entscheidenden Anstoßes gegenüber Moskau dahin gehend, dass Kaliningrad gerade nicht zu einer Festung wird. Ein solcher Schritt kann darin liegen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegenüber Russland die Errichtung einer konsularischen Vertretung in Kaliningrad erneut anregt.

Meine Damen und Herren, bisher hat sich SchleswigHolstein aktiv für seine Partnerregion Kaliningrad eingesetzt. Als erstes Parlament hat sich der Schleswig-Holsteinische Landtag um partnerschaftliche Beziehungen mit der Gebietsduma von Kaliningrad bemüht. Deshalb liegt es auch nahe, dass sich der Schleswig-Holsteinische Landtag aktiv für ein Engagement Deutschlands einsetzt und mit diesem gemeinsamen Antrag der Bitte um die Errichtung einer konsularischen Vertretung in Kaliningrad erneut Nachdruck verleiht. Eine konsularische Vertretung ist

die Basis und gleichzeitig Signal für neues Vertrauen in eine gemeinsame Partnerschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland als ein Teil der Europäischen Union und Russland. Nur so kann es uns gelingen, das ehemalige Königsberg, jetzt Kaliningrad, als Brücke zwischen Europa und Russland aufzubauen.

(Beifall bei FDP, SPD und CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte hier jetzt keinen Reiseantrag stellen, aber trotzdem für meine Fraktion mich dem Willen dieses Hauses anschließen und dem Wunsche Ausdruck verleihen, eine konsularische Vertretung in Kaliningrad zu errichten. Kollege Ritzek und andere haben schon ausgeführt, was für Probleme in dieser Region Kaliningrad stecken. Insofern sehen auch wir in dieser Initiative für eine konsularische Vertretung dort mehr Möglichkeiten, als nur die Visafrage zu bewegen. Insofern kommt solch einer Vertretung vielleicht eine historische Dimension zu. Gerade uns in Schleswig-Holstein mit dem besonderen Verhältnis zur Region Kaliningrad sowohl regierungsseitig als auch durch die Parlamentspartnerschaft steht es sehr gut an, diese Initiative voranzubringen.

Meine Damen und Herren, auf der Reise des Europaausschusses im November letzten Jahres erhielten die Mitglieder von vielen russischen Entscheidungsträgern deutliche Signale, Russland wünsche die Errichtung einer konsularischen Vertretung durch die Bundesrepublik Deutschland. Sie haben zwar erwähnt, dass es zu Anfang auch Widerstände gab, aber das scheint inzwischen überwunden, zumindest konnte ich das dem Briefverkehr, den der Präsident zur Kenntnis gegeben hat, entnehmen, dass auch auf deren Seite jetzt der gefestigte Wille besteht, solch eine Initiative auch von russischer Seite positiv zu begleiten. Das war nicht immer der Fall.

Um noch zu ergänzen, was Herr Ritzek ausgeführt hat und was auch Frau Dr. Kötschau hier problematisiert hat: Es handelt sich um eine ausgesprochene Problemregion, mit der wir es zu tun haben. Ich finde es richtig, dass wir uns als Schleswig-Holstein diese Aufgabe vorgenommen haben, dort zu Verbesserungen beizutragen. Ich sehe aber noch keine großen Anlässe für Optimismus. Wenn man mit Reisenden spricht, zum Beispiel über Landwirtschaftsfragen, so

(Detlef Matthiessen)

scheint es dort doch zum Teil desaströs zu sein. Ehemalige Kolchosen sind schlicht am Verwüsten, die gesamte Wirtschaft liegt darnieder. Ich finde es aber trotzdem richtig, dass wir als Schleswig-Holstein uns in dieser Frage engagieren, weil es ein Bestandteil des Ostseenetzwerkes ist.

Erschwert wird die dort stattfindende innenpolitische Debatte durch die Bewegung der baltischen Staaten und Polens hin zur EU. Die Aufnahme ist inzwischen in Kopenhagen entschieden worden. Es gibt auch die Bewegung hinein in die NATO. Wenn man sich in die seelische Befindlichkeit der russischen Entscheidungsträger versetzt, so haben die eigentlich sehr viel Bewegung gezeigt. Wenn man sich noch an die ersten ostseeparlamentarischen Konferenzen erinnert, wo die aus den baltischen Staaten an den Katzentisch verbannt worden sind, so sind sie inzwischen doch als vollwertiges Mitglied in diesem Ostseekooperationsprozess dabei und fühlen sich auch so. Dieses gewonnene Selbstbewusstsein hat dort auch zu einer Öffnung für diese Fragen wie zum Beispiel Konsulatseinrichtungen in dieser Region geführt.