Protocol of the Session on April 3, 2003

(Beifall bei CDU und FDP)

Daran hat auch die überarbeitete Fassung des Erlasses für die Lernpläne nichts geändert. Sie zeigt nur, dass das Bildungsministerium jetzt versucht, das Gesicht zu wahren.

Eine individuelle Förderung der Kinder ist notwendig, darin sind wir uns einig. Das Festlegen von Grund- und Regelanforderungen durch Mindeststandards ist aber der erste Schritt, den die Landesregierung in Absprache mit den Praktikern leisten muss, um darauf aufbauend den Förderbedarf festzustellen und aufzubauen. Der Schulleiterverband ist hier mit guten Vorschlägen vorangegangen. Wenn diese Grund- und Regelanforderungen definiert sind, kann der Förderbedarf auch ohne Lernpläne in Verbindung mit Leistungskontrollen und Notenzeugnissen mit ergänzendem Berichtsteil festgestellt werden. Das ist unsere Meinung. Auch hier ist der Schulleiterverband mit sinnvollen Vorschlägen vorangegangen. Letztlich - und das ist unsere Auffassung - ist für eine individuelle Förderung Förderzeit notwendig.

(Beifall bei CDU und FDP)

Diese Zeit muss die Landesregierung zusätzlich zu dem planmäßigen Unterricht bereitstellen. Nur so können wir den Anforderungen aus den Ergebnissen von PISA begegnen und die Benachteiligungen der Kinder aus sozial schwachen Schichten, die diese Förderung nicht von zu Hause erhalten, beheben.

Sie, Frau Erdsiek-Rave, zäumen das Pferd von hinten auf. Das ist falsch. Erlassen Sie uns diesen Erlass!

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lernpläne sollen ein Instrument sein, das Lernen zu lernen. In Deutschland orientiert sich die Leistungsüberprüfung in der Schule an Zeugnissen, die die Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu ihrer Lerngruppe oder zu ihrem Klassenverband messen. Lernpläne hingegen zielen auf den individuellen Lernprozess und sind eine Verabredung zwischen Lehrkraft, Schülern und Eltern über konkrete Lernziele. In Skandinavien ist das schon lange üblich. In Deutschland kennen wir dieses Instrument nur für Schülerinnen und Schüler, die Probleme haben. Wir wollen Lernpläne aber nicht als Stigma, sondern als neues Instrument, mit dem die Lernenden das Lernen lernen.

Ich will es einmal anschaulich machen. Eine Schülerin oder ein Schüler mit Lernproblemen in einem bestimmten Bereich - die können ein bestimmtes Fach betreffen, aber auch beispielsweise eine allgemeine Konzentrationsproblematik sein - wird, wenn trotz großer Anstrengung nur eine ausreichende Note erzielt wird, nicht angemessen honoriert. Die Anstrengung, durch die man über sich selbst hinauswächst, muss an dem gemessen werden, was an dem Kind vorher getan worden ist. Bei einem Lernplan soll das aber das Leitmotiv sein. Das ist genauso, wie wenn jemand mit überdurchschnittlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten sich weiteren Herausforderungen stellt.

Herr Dr. Klug, was Sie als Beispiel vorgetragen haben, findet sich zumindest im Erlass nicht. Im Ausschuss soll uns beschäftigen, ob die Ausführungsbestimmungen und einzelne Erlassregelungen uns als Bildungspolitikern vielleicht nicht doch bedenkenswert erscheinen. Aber der Paradigmenwechsel in der

(Angelika Birk)

pädagogischen Haltung und der Unterrichtspraxis, nämlich die Förderung des Einzelnen, ist das Ziel, an dem wir festhalten sollten. Es gilt, das hier nicht lächerlich zu machen.

Lernpläne nützen etwas, weil die Verabredung zwischen Eltern, Kind und Lehrer etwas anderes ist als ein Gespräch über eine schlechte Note im Halbjahres- oder Ganzjahreszeugnis. Man verabredet sich vorher zu etwas und stellt nicht hinterher den Schaden fest, wie es häufig passiert, wenn plötzlich das Sitzenbleiben vor der Tür steht oder schon erfolgt ist.

Allerdings plädieren wir, um Doppelarbeit zu vermeiden, dafür, Zeugnisse, zum Beispiel die Schulhalbjahreszeugnisse, zu reduzieren, um Zeit für das neue Instrument Lernplan zu gewinnen. Natürlich ist dabei Förderunterricht einzubeziehen. Ohne Förderunterrichtskapazitäten - da gebe ich Ihnen, Frau Eisenberg, Recht - haben Lernpläne keinen Sinn.

Es ist auch wichtig, uns auf Standards zu verständigen. Hierzu hat die Ministerin Ausführungen gemacht. Schleswig-Holstein ist federführend und zusammen mit anderen Bundesländern dabei, Standards zu erarbeiten. Es soll zu Lernstandards und zu einer outputorientierten Überprüfung kommen; ich benutze in dem Zusammenhang bewusst dieses neudeutsche Wort. Dabei geht es nicht nur darum, die einzelnen Schülerinnen und Schüler zu kontrollieren, sondern auch um die Qualität der Schule. Wenn man die Schule als eine Produktionsstätte ansieht, dann passt es dazu, von Output zu sprechen. Allerdings wünschte ich mir, dass wir hier freundlichere Begriffe finden. Aber die bisher verwendeten Begriffe befinden sich leider noch in der Fachliteratur.

Wenn wir, Frau Eisenberg, den Gedanken an Lernpläne fallen ließen, gäben wir ein falsches Signal. Diejenigen, die nur die Bürokratie dabei kritisieren, wollen in Wirklichkeit etwas ganz anderes. Sie wollen an den alten Zeugnissen festhalten und sehen keinen Bedarf, ihre Verhaltensweisen zu überprüfen.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Gucken Sie sich das in den Schulen doch einmal an!)

- Ich habe mit Lehrerinnen und Lehrern der verschiedensten Verbände gesprochen. Es gab eine sehr differenzierte Reaktion. Die einen wollen alles so lassen und haben nach PISA immer noch nicht begriffen, worum wir uns hier streiten. Den anderen gehen die Lernpläne nicht weit genug. Sie wollen eine umfassende Schulstrukturreform und mindestens die sechsjährige Grundschule. Für Letzteres haben wir eine große Sympathie, aber, wie Sie wissen, keine parlamentarische Mehrheit.

Unabhängig von einer solchen äußeren Schulstrukturreform mit dem Ziel, die Kinder längere Zeit zusammenzulassen, brauchen wir aber auch eine innere Schulstrukturreform. Dazu tragen die Lernpläne bei. Deshalb begrüßen wir dieses Instrument.

Wir möchten all denjenigen, die hier blockieren, zurufen: Wenn ihr nicht das Lernen lernt, wie sollen es denn dann die Kinder von euch erfahren!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich der Sprecherin, Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die ganze Zeit überlegt, wie wohl das Bild der Schule aussieht, das hinter den Aussagen des Kollegen Klug und auch hinter den Aussagen der Kollegin Eisenberg steckt. Die Schule scheint ja, wie es neulich von einer Bildungswissenschaftlerin gesagt worden ist, wie eine Zahnarztpraxis zu sein: Die Schule muss wehtun. Die Schule muss also so sein, dass man von Notengebung, Klassenunterricht, verbindlichen Stundentafeln, steifen Bestimmungen ausgehen muss. Man schlägt irgendwo auf Seite 78 auf, dann sieht man, was man im zweiten Halbjahr der dritten Klasse von A bis Z durchführen muss. Das scheint die Schule zu sein.

Dazu muss ich sagen, dass man damit der Wirklichkeit hinterherhinkt.

(Beifall beim SSW)

Die Schule ist heute etwas ganz anderes. Die Schule ist Leistung, ist Fördern und Fordern. Man kann nicht einfach sagen, es gehe um ein formalisiertes Denken und eine formalisierte Handhabung aller Dinge.

Der SSW unterstützt - das sage ich ganz deutlich - das Prinzip, dass sich Eltern und Lehrer zusammensetzen und gemeinsam versuchen, auszuloten, welche Entwicklungsmöglichkeiten das einzelne Kind in der Schule hat. Ohne Förderunterrichtskapazitäten - da gebe ich Ihnen, Frau Eisenberg, Recht - haben Lernpläne keinen Sinn.

Ich erzähle Ihnen etwas von meiner Tochter. Sie ist neu ausgebildete Lehrerin in Odense. Sie sagt: Natürlich ist es selbstverständlich, dass ich mit meinen Schülern in der vierten Klasse „Verträge“ abschließe und diese Verträge alles Mögliche beinhalten können.

(Anke Spoorendonk)

Diese Verträge fördern die Entwicklung meiner Kinder in der Klasse. - Das leuchtet ein.

Das heißt, der Erlass solcher individueller Lernpläne sichert eine gemeinsame Überlegung zum Wohle der Schülerinnen und Schüler. Deshalb gibt es aus unserer Sicht keinen Grund für das Ministerium, den Erlass zurückzuziehen. Allerdings erwarten wir vom Ministerium, dass das eine Handreichung ist, die unbürokratisch und flexibel umgesetzt wird. Wir gehen davon aus, dass das so geschieht.

Dennoch muss ich eines loswerden. Der Ansatz ist nur ein kleiner Baustein in dem großen Bauwerk, das erstellt werden muss, um die PISA-Krise zu überwinden. Der Kollege Höppner sprach auch dies vorhin schon an. Dabei erscheinen auch mir die Informationen, die aus der so genannten IGLU-Studie an die Öffentlichkeit gedrungen sind - jetzt sind wir also bei den Eskimos -, wirklich interessant. Denn wenn es sich als richtig erweist, dass Deutschland bei der IGLU-Studie, wo es um die Lesekompetenz von Viertklässlern geht, international gesehen gar nicht so schlecht wegkommt, dann gibt das schon zu denken.

Der Essener Erziehungswissenschaftler Klaus Klemm kommentierte die IGLU-Studie laut Presseberichten wie folgt - ich zitiere -:

„Bis zur vierten Klasse läuft es im internationalen Vergleich im Großen und Ganzen normal. Die Schwierigkeiten beginnen offenbar mit Klasse fünf.“

Das heißt doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Probleme in der Orientierungsstufe anfangen. Sie fangen aber auch in der Sekundarstufe I an. Das müsste einige Politikerinnen und Politiker zum Umdenken bewegen. Für mich ist es jedenfalls unfassbar, dass man wie in Niedersachsen glauben kann, eine Konsequenz aus der PISA-Studie könne es sein, die Orientierungsstufe abzuschaffen.

Der SSW hat immer für eine Verlängerung der Grundschulzeit plädiert. Wir plädieren weiter für das, was wir eine ungeteilte Schule - man könnte auch sagen: eine Schule für alle - nennen, also Klassen, in denen Kinder bis zur 9. Klasse gemeinsam unterrichtet werden. Je länger unsere Kinder gemeinsam in der Grundschule zusammen unterrichtet werden, desto besser scheinen die Ergebnisse zu sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt - auch ich sage das noch einmal - Finnland. Ich könnte auch andere Beispiele nennen. Auch die Gesamtschulen hierzulande haben bei den bisherigen Schulstudien gute Noten bekommen. Auch das muss man einmal wiederholen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Aber schlechte Leistungen! Das ist das Problem!)

Es könnte sein, dass das an der besseren sozialen Integration der Kinder und der flexibleren Unterrichtsform in der Grundschule oder der Gesamtschule liegt.

Natürlich kann man nicht gleich das ganze System umstellen. Das ist auch uns bewusst. Darum plädiere ich immer wieder und jetzt erst recht dafür, dass wir es im Schulgesetz zumindest hinbekommen sollten, eine regionale Öffnungsklausel für eine sechsjährige Grundschule einzubauen. Das wäre wirklich ein Fortschritt.

(Martin Kayenburg [CDU]: Doch nicht schon wieder!)

- Lieber Kollege Kayenburg, natürlich wäre das sinnvoll. Unterhalten Sie sich doch bitte einmal mit den Grundschulen im Land. Die würden das begrüßen. Dann hätten sie mehr Zeit für die Kinder.

(Beifall beim SSW sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wider- spruch bei der CDU - Zuruf von der CDU: Das ist Blödsinn!)

Diese Diskussion können wir später weiterführen. Die Redezeit läuft mir davon. Ich möchte unbedingt noch ein Zitat des Erziehungswissenschaftlers Peter Struck loswerden. Er sagt nämlich:

„Wenn Schulen eher Lernwerkstätten als Belehrungsanstalten sind, wenn die Bedeutung der Noten heruntergefahren wird, wenn Schüler eher von anderen Schülern als vom Lehrer lernen dürfen, wenn Lehrer gelassen bleiben wenn beim Lernen mehr gehandelt und gesprochen als zugehört werden darf, dann ist Schule deutlich zeitgemäßer und effizienter.“

Ich finde, das ist ein guter Spruch.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung erteile ich jetzt Frau Ministerin Ute Erdsiek-Rave das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kein Kind ist wie ein anderes und kein Kind lernt wie ein anderes. Bildung und Bildungsfortschritte sind sehr indi