Protocol of the Session on July 12, 2000

Schulklassen für hoch begabte Schülerinnen und Schüler

Antrag der Fraktion der F.D.P. Drucksache 15/206

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Aussprache und erteile Herrn Abgeordneten Dr. Klug das Wort.

Sehr geehrter, heute besonders strenger Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Land, das die Talente seiner besonders begabten Kinder und Jugendlichen nicht fördert, handelt ungerecht.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Solange es weitgehend vom Engagement und den Möglichkeiten der Eltern abhängt, ob hoch begabte Kinder neben der Schule eine zusätzliche Förderung erhalten, wird ein Teil dieser Schüler nämlich überhaupt nicht gefördert. Vor allem Kinder aus Familien mit geringerem Einkommen haben unter einer solchen Situation zu leiden. Deshalb ist es auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, dass wir Hochbegabtenförderung verstärkt in den Schulen ermöglichen und sie nicht bloß neben den Schulen stattfinden lassen, wie es heute im Wesentlichen aufgrund privater Initiative der Fall ist.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: So schon Ge- nosse Clement!)

- Das kommt noch! Gut aufgepasst, Kollege Kubicki! Ein Land, das die Talente seiner besonders begabten Kinder und Jugendlichen nicht fördert, schadet aber auch dem Gemeinwohl, denn es verhindert die Entfaltung von Begabungspotentialen, auf deren Entwicklung wir im Zeichen eines schärfer werdenden internationalen Wettbewerbs immer stärker angewiesen sind, und zwar zur Lösung gesellschaftlicher Probleme und Aufgaben, aber natürlich auch für die zukünftige Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme unseres Landes. Für all dies ist die

(Dr. Ekkehard Klug)

Allgemeinheit auf den Beitrag von Individuen angewiesen, die in der Lage sind, Höchstleistungen zu erbringen, und zwar in der Forschung, in vielen anderen Bereichen und natürlich auch in der Kultur. Dort wird dieser Aspekt, nämlich Höchstleistungen zu erbringen, ebenso wie im Sport gesellschaftlich weitgehend anerkannt. In vielen anderen Bereichen gibt es oft eine Neiddiskussion und eine Geringschätzung dessen, was man eigentlich tun muss, um Höchstleistungen und Hochbegabungen hervorzubringen und zu fördern.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Es reicht nach Auffassung der F.D.P. nicht aus, nur auf herkömmliche Ansätze zu bauen wie zum Beispiel die Leistungswettbewerbe - Stichwort: „Jugend forscht" - oder auf die Möglichkeit, einzelne Klassenstufen zu überspringen. Ich sage ausdrücklich, dass die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit für mich nicht bedeutet, dass ein solches achtjähriges Gymnasium dann gewissermaßen ein komplettes Hochbegabtengymnasium wird. Anderenfalls müssten die Gymnasien im Freistaat Sachsen komplett nur Hochbegabte aufnehmen. Die sind nämlich seit vielen Jahren Schulen, in denen man nach acht Jahren gymnasialer Schulzeit das Abitur macht.

Unser Antrag zielt darauf ab, in Schulen auch Förderklassen für hoch begabte Schüler einzurichten, wie sie zum Beispiel in diesem Schuljahr in München am Maria-Theresia-Gymnasium bereits gebildet worden sind.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Jawohl! - Vize- präsident Thomas Stritzl übernimmt den Vor- sitz)

Mit Interesse können wir beobachten, dass sich beim Thema „Förderung von Leistungseliten" auch bei den Sozialdemokraten ein Sinneswandel vollzieht.

(Beifall bei der F.D.P.)

Ich finde besonders bemerkenswert, was der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und stellvertretende Bundesvorsitzende der Sozialdemokraten, Wolfgang Clement, in einem Interview in der „Zeit“ am 29. Juni zu diesem Thema gesagt hat. Er stellt das Thema in den Kontext von Chancengerechtigkeit und internationaler Wettbewerbsfähigkeit und sagt :

„Wir müssen die Unterschiede in den Fähigkeiten akzeptieren und richtig nutzen, um bestehen zu können. Wir brauchen die Leistungseliten. Wir müssen aber ebenso dafür sorgen, dass auch die schwächsten Talente nicht vergeudet werden...

Ich spreche von Chancengerechtigkeit und davon, dass ich die Schwächeren genauso mitnehmen muss, wie ich die besonders Begabten zur Geltung kommen lasse. Damit werde ich den individuellen Ansprüchen wie den gesellschaftlichen Erfordernissen gerecht.“

(Beifall bei der F.D.P.)

- Wir Liberale können uns dieser Sicht einer individuellen, adäquaten Förderung für alle Gruppen, für alle Bedürfnisse voll inhaltlich anschließen. Das ist die Auffassung, die wir bislang immer vertreten haben. Wir mussten in der Vergangenheit allerdings feststellen, dass wir, wenn wir von einer auch notwendigen Eliteförderung gesprochen haben, denunziert worden sind, auch gerade von jenen, die dieses Thema „Begabtenförderung“ und „Unterstützung von Leistungseliten“ jetzt entdecken. Ich finde es aber interessant, dass es bei der SPD Prozesse einer Umorientierung, einer Neuorientierung gibt. Wir verfolgen das mit großer Sympathie. Das kann ich Ihnen sagen.

Den Anstoß zu unserem Antrag gab eine Initiative Lübecker Eltern aus dem Bereich des TraveGymnasiums. Frau Erdsiek-Rave hat - das will ich abschließend sagen - im vergangenen Jahr signalisiert, dass es dort möglich ist, wenn die Schulkonferenz das will, ein Pilotprojekt einzuführen. Ich will Sie, Frau Erdsiek-Rave, ermuntern, in diesem Sinne zu verfahren und das zu ermöglichen, anstatt Bedenkenträgern aus dem Bereich Ihres Ministeriums den Vorzug zu geben.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Sehr schön! - Beifall bei der F.D.P.)

Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Dr. Henning Höppner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das schleswig-holsteinische Schulgesetz - so steht es geschrieben - eröffnet jedem jungen Menschen den Zugang zu allen Schularten und ermöglicht ihnen einen Schulabschluss, der ihren Begabungen und Neigungen entspricht, wie es dort heißt.

Herr Dr. Klug, ich kann Ihren Antrag inhaltlich ganz gut nachvollziehen. In der Formulierung des Antrags scheint es Ihnen jedoch darum zu gehen, an Gymnasien für besonders hoch begabte oder besonders leistungsfähige Schülerinnen und Schüler besondere Klassen einzurichten. Sie wissen, dass diese Diskussion gar nicht so neu ist. Wir haben in den Siebziger

(Dr. Henning Höppner)

und Achtzigerjahren sowohl an den Hochschulen als auch in der Bildungspolitik diese Diskussion geführt. Viele werden sich daran erinnern, dass wir damals von den so genannten D-Zügen gesprochen haben, also einem vierten Zug an einem Gymnasium, der es besonders Hochbegabten ermöglicht, schneller den Weg in das Studium zu finden. Die Diskussion ist also nicht neu.

Ich erinnere allerdings daran, dass es bereits heute nach den bestehenden Regelungen des Schulgesetzes oder der so genannten Oberstufenverordnung möglich ist, die Schulzeit eines besonders leistungsfähigen Schülers oder einer besonders leistungsfähigen Schülerin zu verkürzen. In § 2 Abs. 1 Satz 2 der Oberstufenverordnung steht, dass leistungsfähige Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben, am Ende des ersten Halbjahres der zehnten Jahrgangsstufe in das zweite Schulhalbjahr der elften Jahrgangsstufe einzutreten. Das sollten wir, wenn wir über die Frage der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf 12 Jahre diskutieren, im Kopf behalten.

Ein besonders begabter Schüler kann aber nicht nur in der Oberstufe, sondern auch sonst, wenn er leistungsfähig genug ist, Klassenstufen überspringen. Vielleicht sollten wir die Schulen und die Eltern daran erinnern, dass diese Form des schnelleren Erreichens einer Hochschulreife möglich ist.

Herr Klug, wir haben im Zusammenwirken mit den Eltern als Staat die Pflicht, Schülerinnen und Schüler in eine Zukunft zu führen, in der sie neben dem entsprechenden Schulwissen befähigt sind - wie es im Schulgesetz heißt -, ein Leben in einer Gemeinschaft zu führen, Verantwortung im privaten und auch familiären und öffentlichen Leben zu tragen. Ich denke, gerade Leistungsträger unserer Gesellschaft sollten besonders befähigt sein, neben ihren fachlichen Kompetenzen soziale Kompetenzen zu entwickeln, um unsere Gesellschaft in die Zukunft führen zu können. Das bedeutet für uns Sozialdemokraten, dass gerade Leistungsträger im Hinblick auf die Verantwortung für die Gesellschaft erzogen werden.

(Beifall bei SPD und SSW)

Die Wissenschaften, die Soziologie, die Psychologie, zeigen uns sehr deutlich, dass die Sozialisierung eines Menschen in seiner Kindheit und Jugend stattfindet. In unserem Bildungssystem - in unserer Hochschullandschaft -, das ohnehin in mindestens sieben hierarchisch gestufte Abschlusskategorien gestuft ist - Sie kennen das: ohne Abschluss, Sonderschulabschluss, Hauptschulabschluss, Realschulabschluss, Fachschulreife, Fachhochschulreife, fachbezogene Hochschulreife, Allgemeine Hochschulreife -, ist kein Platz für eine weitere differenzierte Schule.

Wir haben vielmehr die Pflicht, auch die Leistungsstarken und Hochbegabten in die Gesellschaft einzufügen und einzuführen, ihnen Lebensfähigkeit zu geben, sie auf ein Leben in einer Gemeinschaft vorzubereiten, das eben aus Leistungsschwachen und Leistungsstarken besteht, und sie zu befähigen, Andersdenkende zu akzeptieren. Ich denke, dass ein normales Gymnasium und eine normale Klasse an einem Gymnasium ein richtiger Ort für einen Hochbegabten sein kann.

Ich verstehe Folgendes als Aufruf an die Eltern: Bei allem Ehrgeiz, den sie für ihre Kinder entwickeln, nehmen sie ihren Kindern nicht die Kindheit! Denn zur Kindheit gehört auch Freiheit von Stress und Leistungsdruck. Dazu gehört genauso Spielen und Erfahrungen mit anders gearteten und leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern zu machen. Die Kindheit ist unersetzlich und unwiederbringlich.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir Hochbegabte fördern, sollten wir uns auch überlegen, ob nicht unsere Hochschulen einen Beitrag dazu leisten und vielleicht so etwas wie - so nenne ich es einmal - Akquisition von Leistungsträgern betreiben könnten.

Ich könnte mir dies als eine sinnvolle Vernetzung von Universität und Schule vorstellen, was im Übrigen wie Sie sicherlich auch wissen werden, Herr Dr. Klug - an angelsächsischen Universitäten gang und gäbe ist. Wir wissen beide, dass viele unserer hochbegabten Gymnasiasten solche Angebote von angelsächsischen Universitäten sehr gern annehmen.

Die SPD-Fraktion kann ihrem Antrag inhaltlich im Hinblick auf die Bildung von Klassen so zwar nicht folgen, dennoch sollten wir die Diskussion über die sinnvolle Beschulung von Hochbegabten aufnehmen und diesen Antrag dem zuständigen Ausschuss überweisen.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich jetzt Frau Abgeordneter Sylvia Eisenberg das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein bisschen schade, dass wir hier nur so wenige sind. Ich bedauere das außerordentlich.

(Holger Astrup [SPD]: Alles Hochbegabte! - Günter Neugebauer [SPD]: Wir sind alle Ex- perten!)

(Sylvia Eisenberg)

Ich hoffe nicht, dass Sie alle so hoch begabt sind, dass Sie das Thema nicht mehr interessiert.

Nach Durchsicht der Protokolle der letzten Jahre zum Thema „Hochbegabtenförderung“ bleibt mir eigentlich nichts anderes übrig als festzustellen: „Politik ist ein langsames, aber starkes Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und vor allem Ausdauer zugleich“.

(Zuruf: Max Weber!)

- Sehr richtig, Max Weber.

Die genannten harten Bretter stellen die Regierung und die sie tragenden Fraktionen dar. Die mit Leidenschaft und Ausdauer Bohrenden befinden sich in der Regel in der Opposition. Zur Erläuterung: Meine Kollegin Ursula Röper brauchte mehrere Jahre wiederholte parlamentarische Vorstöße und Initiativen, um die linke Seite des Hauses und die jeweils zuständige Ministerin davon zu überzeugen, dass hoch begabte Schülerinnen und Schüler besondere Aufmerksamkeit verdienen. Die CDU freut sich, Herr Kollege Klug, dass wir uns in dieser Weise und in dieser speziellen Angelegenheit gegenseitig unterstützen und auch Sie sich dieses Themas angenommen haben.

Voraussetzung für das Gelingen Ihres Ansinnens ist allerdings, dass erstens Hochbegabungen frühzeitig erkannt werden. Dazu müssen Sozialpädagogen und Lehrkräfte bereits im Kindergarten und in der Grundschule die Kriterien zur Erfassung von Hochbegabten kennen und vor allen Dingen anwenden können.

Voraussetzung ist zweitens, dass eine frühzeitige Förderung der Hochbegabten im Kindergarten- und Grundschulalter erfolgt.