Protocol of the Session on February 21, 2002

Wir brauchen eine dritte Balance, nämlich die zwischen Demokratie und Effizienz. Wir alle wissen das. Wir alle werden von den Bürgerinnen und Bürgern und den Wählerinnen und Wählern häufig gefragt: „Warum dauert das alles so lange? Warum ist das alles immer so kompliziert?“ Man muss deutlich sagen: Demokratie ist ein sehr transparentes Verfahren. Zumindest soll das so sein. Dieses Verfahren ist aber ein bisschen komplizierter als zentralstaatliche Lösungen. Europa kann nur demokratisch organisiert sein. Wir brauchen innerhalb dieses demokratischen, transparenten und überall durch Wahlen legitimierten Europas auch eine effiziente Verwaltungsstruktur.

(Beifall der Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU], Thorsten Geißler [CDU] und Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen: Gestern haben wir über Fleischhygiene und damit zusammenhängende Probleme diskutiert. Vielleicht ist der Hintergrund nicht allen klar. Es gibt eine europäische Norm, in der unter anderem die Gebühren für Fleischhygiene festgesetzt sind. Diese Norm ist sehr differenziert. Sie verlangt von der Bundesregierung, dass dazu ein Bundesgesetz gemacht wird, das genau diese Norm noch einmal aufnimmt. Der Bundesgesetzgeber hat darauf überhaupt keine Einflussmöglichkeiten. Weil es so differenziert formuliert ist, kann er die Norm im Grunde nur umsetzen. Weil aber die Fleischhygiene überwachung Länderaufgabe ist, gibt der Bund den Landesregierungen den Auftrag, diese Norm in Landesgesetze zu gießen und Regelungen zu schaf

(Rainder Steenblock)

fen, die wir dann in einem komplizierten Verfahren auch noch umsetzen müssen, obwohl der Handlungsspielraum für uns relativ gering, beziehungsweise gleich Null ist.

Viele Menschen werden da mit einem Verfahren beschäftigt, das uns eigentlich völlig überfordert. Es ist völliger Unsinn, so etwas zu machen. Wir brauchen hier eine Stringenz in der Verwaltungsdurchführung. Meiner Meinung nach können wir es häufig so machen, dass zum Beispiel die Festlegung von Agrarpolitik auf europäischer Ebene innerhalb eines Rahmens geschieht. Innerhalb dieses Rahmens sollte die Ausführung dann dort geschehen, wo Politik tatsächlich gemacht wird, nämlich hier auf Länderebene. Deshalb brauchen wir eine Rahmengesetzgebung auf EUEbene. Der Bund kann sich da völlig raushalten. Eine Konkretisierung auf Landesebene würde diesen Prozess sehr viel effizienter und auch sehr viel transparenter machen. Die Entscheidungsbefugnisse würden dort belassen, wo die Nähe zu den Bürgern besteht.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

So muss die europäische Verwaltung strukturiert sein. Da müssten die Leute auf Bundesebene im Gesetzgebungsverfahren auch einmal loslassen können.

Deshalb würde ich eine Idee zum Schluss gern noch einbringen, und zwar vor dem Hintergrund, dass wir es nicht schaffen, Europa attraktiv zu machen, wenn wir nicht das Verhältnis zwischen Bund und Ländern neu organisieren. Wir haben auf Bundesebene das zentrale Vorhaben der Leitlinie der konkurrierenden Gesetzgebung. Art. 75 des Grundgesetzes sagt etwas zu diesem Verhältnis. Ich würde mir wünschen, dass wir von den Ländern her die Kraft aufbringen, auf nationaler Ebene nicht nur eine konkurrierende Gesetzgebung des Bundes zu haben, sondern auch eine umgekehrt konkurrierende Gesetzgebung. Das heißt, dass die Länder die Möglichkeit haben, Bundesgesetze in ihrem Bereich zu konkretisieren oder auch zu differenzieren. Das bedeutet, dass sich die Rahmengesetzgebung beim Bund sehr viel stärker auf den Rahmen beschränkt. Denn die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes führt dazu, dass die Landesparlamente weitgehend entmachtet werden, weil der Bund diese Rahmengesetzgebung ausgesprochen restriktiv handhabt und alles beschließt, was er will.

(Beifall im ganzen Hause)

Das ist meines Erachtens tödlich für die Länder. Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten, dass die Länder auch innerhalb der Republik wieder mehr Aufgaben bekommen.

Dann werden wir ein Europa haben, für das sich Politik zu machen lohnt. - Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Das Wort für den SSW erteile ich jetzt Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch der SSW bedankt sich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie bei der Ministerpräsidentin für diesen sehr ausführlichen Bericht über die Schwerpunkte der europäischen Entwicklung aus der Sicht Schleswig-Holsteins und über die wichtigsten Aspekte der Europapolitik im Jahre 2001.

Angesichts der vielfältigen Themen - dazu gehört auch die Ostseekooperation - ist es vernünftig, wie im Europaausschuss mit der Landesregierung abgesprochen, den heute vorliegenden Europabericht alle zwei Jahre im Wechsel mit dem Ostseebericht im Land zu diskutieren.

Schlecht gelaufen ist allerdings aus meiner Sicht, dass wir die Große Anfrage der CDU zum Thema „Europa und Schleswig-Holstein“ schon in der letzten Landtagssitzung debattiert haben; denn natürlich gibt es eine Fülle von Überschneidungen. Auch wenn Wiederholung ein anerkanntes pädagogisches Prinzip ist, wirkt es aus meiner Sicht wenig sinnvoll, dass sich der Landtag in zwei aufeinander folgenden Sitzungen mit der gleichen Thematik befasst. Ich weiß nicht, ob man daran etwas hätte ändern können.

Auf die Rolle Schleswig-Holsteins in der Ostseepolitik und die begrenzten Möglichkeiten, die ein Bundesland in der Europapolitik hat, bin ich bereits in der Debatte im Januar eingegangen. Andererseits belegt der Europabericht eindrucksvoll, dass es keinen Bereich der Landespolitik gibt, der - ich zitiere aus dem Bericht - „nicht direkt oder indirekt von europäischer Rechtsetzung, Finanzierung oder anderen Bezügen betroffen ist“. Dies wird auch deutlich, wenn man sich die europapolitische Entwicklung im Jahr 2001 ansieht. Als Stichwort sei hier nur die Regelung der Daseinsvorsorge genannt, wobei die Länder zu Recht darauf drängen, dass eine schnelle Klärung dieses Sachverhalts erfolgen muss. Auch die Beihilferegelung im Schiffbau stellt für Schleswig-Holstein und für die anderen norddeutschen Küstenländer ein Problem dar. Es wirkt schon eigenartig, wie mit diesem Punkt bisher auf EU-Ebene umgegangen worden ist. Dennoch gilt aus unserer Sicht weiterhin, dass alle Politikebenen in dieser Frage Hausarbeiten zu leisten

(Anke Spoorendonk)

haben, das heißt die EU, der Bund und die Länder, also auch Schleswig-Holstein.

Die Herausforderungen, vor denen die Europäische Union angesichts der Osterweiterung steht, müssen vor dem Hintergrund des vorher Genannten betrachtet werden, nämlich vor dem Hintergrund, dass die EU in fast allen Bereichen der Volkswirtschaft die Politik der EU-Länder mit bestimmt und mit beeinflusst. Ich sagte bereits im Januar: Wir stehen vor historischen Weichenstellungen; denn die Verhandlungen mit den möglichen EU-Beitrittsländern treten in diesem Jahr in die entscheidende Phase. Mit dem Beitritt bis zu zwölf neuer Länder steht die Europäische Union vor ihrer bisher größten Herausforderung. Dazu haben sich alle heute schon geäußert.

Die entscheidende Frage dabei ist: Wie soll die demokratische Legitimität einer Union mit 25 oder mehr Mitgliedern gesichert werden, ohne dass die institutionelle Handlungsfähigkeit, die ja bereits heute äußerst problematisch ist, weiter verschlechtert wird? Um diese Frage zu klären hat der Rat von Laeken im Dezember letzten Jahres einen so genannten EU-Konvent eingesetzt, bestehend hauptsächlich aus Vertretern der nationalen Parlamente und der Regierungen. Dass auch die Beitrittsländer beteiligt sind, ist ausdrücklich zu begrüßen, weil dadurch eine offene und breit angelegte Debatte möglich gemacht wird, wobei dieses Modell, könnte man sagen, wirklich im Gegensatz zu dem Modell der Regierungskonferenzen steht, einem Modell, das nach Nizza nicht mehr zukunftsweisend ist. Bekanntlich soll der Konvent bis zum Frühjahr nächsten Jahres Vorschläge für eine institutionelle Reform der EU erarbeiten. Auf der Grundlage dieser Vorschläge soll dann eine Regierungskonferenz die notwendigen Reformen im Jahre 2004 beschließen.

Der SSW begrüßt, dass in dem Konvent die ratifizierenden Parlamente mit einbezogen sind; denn aus unserer Sicht besitzen einzig diese Parlamente und nicht beispielsweise das Europaparlament, die EU-Kommission oder der Ministerrat die wahre demokratische Legitimität in dieser Frage.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Die Teilnehmer des Konvents - auch das sollte man noch einmal sagen - sind aber nicht zu beneiden. Denn in der Tat gibt es in Europa viele unterschiedliche Meinungen darüber, wie eine zukünftige Europäische Union unter Einbeziehung der neuen Mitglieder aussehen soll. Bundesaußenminister Fischer hat die Problematik in einem Zeitungsinterview auf den Punkt gebracht, finde ich. Er sagte nämlich:

„Die nationalen Politiker haften gegenüber ihren Wählern, aber Brüssel fällt Entschei

dungen, auf die nationale Politiker nur noch begrenzt Einfluss haben.“

Dazu darf nicht übersehen werden, wie es die Landesregierung auch im Europabericht richtig sieht, dass die Entscheidungen der EU für viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr transparent und auch nicht mehr nachvollziehbar sind. Wie organisieren wir also die zukünftige EU? Brauchen wir beispielsweise noch ein Europäisches Parlament, das eigentlich nichts entscheiden darf? Soll ein Ausschuss der Regionen als zweite Kammer institutionalisiert werden? Oder soll es eine zweite Kammer mit Vertretern der nationalen Kammern geben? Oder sind alle diese institutionellen Reformen angesichts der heutigen Realität nicht eher kontraproduktiv? Mit anderen Worten: Sollte man sich nicht lieber auf eine klare Aufteilung der Aufgaben zwischen der EU, den Ländern und den Regionen konzentrieren und gleichzeitig die enorme Bürokratie in Brüssel abbauen, wie es beispielsweise auch Ministerpräsident Clement gefordert hat? Klar ist nur: Eine Reform der EU wird alle Organe der Gemeinschaft betreffen müssen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, wie man einerseits von einer Europäischen Union mit Regierung und Parlament und eventuell auch einem europäischen Präsidenten träumen kann, wie es einige deutsche Politiker ja auch gern tun, und andererseits fast im gleichen Atemzug eine Stärkung des Föderalismus in der Bundesrepublik fordert.

Auch der Schleswig-Holsteinische Landtag hat sich gemeinschaftlich für eine Stärkung der Bundesländer ausgesprochen. In diesem Zusammenhang möchte ich mit einem anderen Zitat aufwarten, und zwar vom Vorsitzenden der von Romano Prodi eingesetzten Kommission „European Governance“, Jerome Vignon. Er sagt in einem ganz anderen Zusammenhang etwas, was ich als doch sehr wesentlich empfinde. Er meint zum Beispiel, dass die wachsende Individualisierung in der modernen Gesellschaft die repräsentativen Demokratien in Europa vor riesige Herausforderungen stellt. Er sagt:

„Europa ist keine Nation und kein Nationalstaat und soll es auch nicht sein. Es ist nicht die Aufgabe Europas, einen hierarchischen Staat zu führen oder zu bilden, sondern Projekte zu organisieren und ein flexibles System von vielschichtigen Kompetenzen zu schaffen. Die neuen Internet- und Netzwerkgesellschaften“,

„passen nicht in das Schema eines traditionellen staatszentrierten Denkens oder eines klassischen Föderalismus.“

(Anke Spoorendonk)

Unter dem Strich betrachtet sagt er: Man kann nicht einfach die Wirklichkeit fortschreiben und sagen: Das ist eine Reform.

Eine Reform der europäischen Institutionen schafft sagt er ebenfalls - nicht ohne Weiteres mehr Demokratie - Demokratie nämlich als Partizipation verstanden -, denn wenn der Abstand zwischen den Bürgern und den politischen Akteuren weiter wächst - das ist ja das Problem -, dann bekommen wir letztendlich das, was man „Elitokratie“ nennen könnte. Des Weiteren folgt daraus mehr Nationalismus mit all seinen Schattenseiten.

Mit anderen Worten: Wir müssen uns mit unterschiedlichen Bildern beschäftigen, mit zahlreichen Visionen und nicht nur mit dem, was am nahe liegendsten erscheint.

Ich möchte ausdrücklich hervorheben, dass der vorhin vom Kollegen Fischer angesprochene Punkt, dass wir uns in der Verfassungsdebatte auch mit den Menschen beschäftigen müssen, die innerhalb der EU leben und arbeiten, aber nicht hier geboren sind, sondern aus Ländern außerhalb der EU kommen, ein ganz wichtiger Punkt ist, weshalb wir eine Verfassung oder eine Charta der Bürger haben müssen und nicht eine der EU. Das muss in den Mittelpunkt gerückt werden. Ich finde es unerträglich, dass mein griechischer Nachbar bei Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein das Wahlrecht hat, mein türkischer Nachbar jedoch nicht.

(Beifall bei SPD und SSW - Martin Kayen- burg [CDU]: Was ist mit den Norwegern?)

- Das ist auch unerträglich. Ich habe ja gerade die Pointe deutlich gemacht.

Die Position des SSW ist klar. Wir wollen ein Europa der Nationen, in dem die Regionen eine wichtige Rolle spielen. Wir wollen keinen europäischen Superstaat. Das heißt konkret: Die notwendigen Reformen in der EU sollen dazu genutzt werden, den Föderalismus in Deutschland zu stärken und gleichzeitig von der EU über die Bundesrepublik bis hin zu den Bundesländern die Kompetenzen klar zu definieren.

(Beifall bei SSW und SPD)

Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren, eine Bemerkung zur Geschäftsordnung: Die Zeit ist relativ weit fortgeschritten. Die Fraktionen sind dahin übereingekommen, dass nach diesem Tagesordnungspunkt - es liegen noch drei Kurzbeiträge vor, bevor wir in die Abstimmung eintreten - die Tagesordnungspunkte 12, 16 und 44 aufgerufen werden und der Tagesordnungspunkt 13 - Wert der Provinzial - nach dem Tagesord

nungspunkt 19, also nach der Mittagspause, behandelt wird. So viel zu Ihrer Information.

Wir fahren in der Beratung fort. Gemäß § 56 Abs. 4 erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Gabriele Kötschau das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es besteht Einigkeit darüber, dass die Erweiterung der Europäischen Union und die enge Zusammenarbeit im politischen, wirtschaftlichen und auch sicherheitspolitischen Interesse Schleswig-Holsteins liegt.

In der Ostseekooperation hat sich unser Land sehr gut positioniert. Viele konkrete Möglichkeiten der Kooperation mit unseren Partnerländern sind umgesetzt, andere sind auf den Weg gebracht oder warten darauf, umgesetzt oder in die Wege geleitet zu werden. Es gilt für uns alle, Schleswig-Holstein als einen attraktiven, zuverlässigen, kompetenten und flexiblen Partner zu positionieren. Ich danke noch einmal der Ministerpräsidentin und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den Bericht, der einen sehr guten Überblick für unsere Arbeit im Europabereich und auch darüber hinaus gibt.

Unser Land verfügt über viele Möglichkeiten der Kooperation in unterschiedlichen Bereichen, die dazu führen können und auch müssen, mit unseren Erfahrungen und unserem Know-how zur Integration und zur Stabilisierung in Europa beizutragen und unsere Stärken zu exportieren. Ich möchte einige Beispiele nennen, die zeigen, welches Potenzial wir haben, das noch weiter ausgeschöpft werden kann.

Zum Beispiel gibt es seit vielen Jahren eine enge Kooperation im Bereich der Landwirtschaft. Rolf Fischer, Claus Ehlers und ich hatten gestern Abend die Möglichkeit, mit Experten aus dem Landwirtschaftsbereich Kaliningrads zusammenzutreffen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Hier hat sich eine enge Kooperation herausgebildet, hier sind wir auf einem sehr guten Weg.

Im Justizministerium - dies ist sicherlich nicht jedem bekannt - gibt es eine hervorragende Kooperation bei der Fortbildung zum Thema Strafvollzug mit Archangelsk, worüber ich sehr viel Positives höre. Weshalb eigentlich beschränken wir dies auf Archangelsk? Gibt es Möglichkeiten, unsere diesbezüglichen Erfahrungen noch in einem größeren Rahmen zu nutzen?