Protocol of the Session on July 13, 2001

Bereits Ende der 90er-Jahre hat auch die Landesregierung Nordrhein-Westfalens ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die berufsbedingte Arbeitszeit der Lehrkräfte zu erfassen. Der Kollege Klug sprach dieses Gutachten vorhin an und auch ich werde noch ein paar Einzelheiten daraus zitieren. Auf objektiver empirischer Basis sollten Aufgaben und Stunden der Lehrerinnen und Lehrer erhoben werden. Das durchführende Institut hat darüber hinaus Vorschläge für eine differenziertere und effektivere Arbeitszeitregelung erarbeitet. Durchgeführt wurde das Projekt von Juli 1997 bis November 1999. In Nordrhein-Westfalen werden die Vorschläge derzeit umgesetzt.

Auch die schleswig-holsteinische Landesregierung will das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten in ihrer Planung berücksichtigen. Die Fachkommission zur Neustrukturierung der Lehrerarbeitszeit hat sich mit den entsprechenden Fragen beschäftigt, ohne allerdings bis jetzt einen abschließenden schriftlichen Bericht vorzulegen, wie wir von der Ministerin hörten. Auf den Abschlussbericht sind wir, muss ich sagen, alle gespannt, weil die Standpunkte bekanntermaßen auseinander liegen. Die einen wollen weniger Stunden und die anderen das genaue Gegenteil.

Das nordrhein-westfälische Gutachten legte aber erst einmal harte Fakten vor. Es listete den gesamten Arbeitsaufwand der über 6.000 befragten Lehrer auf. Die Auswertung zeigte, dass Lehrkräfte viele Stunden mit der Unterrichtsvorbereitung verbringen, aber auch mit Elterngesprächen, dem Engagement in Arbeitsgemeinschaften oder Konferenzen. Diese Stunden tauchen im Stundendeputat gar nicht auf.

Kurz gesagt: Die Lehrerinnen und Lehrer in Nordrhein-Westfalen arbeiten länger, als auch die schärf

sten Kritiker vermuteten. Die erfassten durchschnittlichen Jahresarbeitszeiten liegen, je nach Schulform, zwischen 1.750 und knapp über 1.900 Stunden. Dabei hat die Analyse gezeigt, dass innerhalb einer Schulform auch schulformübergreifend für gleiche Arbeiten oder Aufgaben unterschiedlich hoher zeitlicher Aufwand anfällt. Das hängt damit zusammen, dass die einzelnen Schulen viele Aufgaben ganz unterschiedlich regeln.

Die Gutachter schlagen verschiedene Auswege aus dieser Belastung vor. Unter anderem wurden Normalaufwände entwickelt, die aus den Ist-Werten abgeleitet wurden. Für Aufgabenbereiche wie Korrekturen, Konferenzen, Klassenfahrten und so weiter werden Stunden angerechnet. Dabei soll die einzelne Schule mit einem Stundenbudget arbeiten können, damit die Einzigartigkeit der Schulen nicht verloren geht. Aber letztlich laufen alle Vorschläge auf eine Entlastung der Lehrkräfte hinaus. Die Gutachter haben ausgerechnet, dass mit ihrem Modell die gewichtete Jahresarbeitszeit über alle Schulformen bei rund 1.700 Stunden liegen würde. Damit wäre die durchschnittliche Arbeitszeit im öffentlichen Dienst erreicht.

Der SSW teilt dieses Ziel; denn es ist nicht einzusehen, warum Lehrkräfte länger als beispielsweise Müllwerker oder Finanzbeamte arbeiten sollen. Den Schlussfolgerungen der Gutachter will sich die Landesregierung - wie mir gesagt worden ist - nur bedingt anschließen. Sie möchte zunächst - das haben wir gehört - im Rahmen der Aufgabenanalyse und Aufgabenkritik in einigen Schulen neue Arbeitszeitmodelle testen. Bevor aber diese Versuche starten, müssen die Lehrkräfte ihren Stundenaufwand dokumentieren. Für mich ist es wenig überraschend, dass die Lehrkräfte nicht bereit sind, diesen Mehraufwand auf sich zu nehmen; denn in Schleswig-Holstein haben wir andere Vorzeichen als in Nordrhein-Westfalen. Es geht um Stundenerhöhung und nicht um Stundenentlastung, wie wir seit der Haushaltsklausur der Landesregierung wissen. In diesem Zusammenhang möchte ich sagen, dass ich die einseitige Betrachtung der Lehrerstunden als Haushaltsproblem für sehr unglücklich halte. Die Schulen sind in diesem Klima misstrauisch gegen Vorstöße der Landesregierung geworden. Das mag man bedauern, aber dies bleibt eine Tatsache.

Aus der Sicht des SSW sollten neue Arbeitszeitmodelle nicht nur modellhaft an einigen Schulen getestet werden. Wie wir aus dem Gutachten wissen, können auch Schulen gleicher Schulart sehr unterschiedliche Strukturen haben, die dann auch zu unterschiedlichen Belastungen der einzelnen Lehrkräfte führen.

Mit anderen Worten: Die Situation kann sich nur verbessern, wenn wir genau wissen, wo der Schuh drückt.

(Anke Spoorendonk)

Wo liegen die regionalen, schulartspezifischen und fachlichen Engpässe in Schleswig-Holstein? Wie viele Stunden engagieren sich die Lehrkräfte tatsächlich? Diese Fragen müssen geklärt werden, bevor über neue Maßnahmen gesprochen wird.

Wir finden es richtig, zu einer neuen Berechnung der Lehrerarbeitszeit zu gelangen; aus unserer Sicht ist es sogar unumgänglich, diesen Schritt zu machen. Wer einmal wieder den berühmten Blick über den Tellerrand wagt, der wird wissen, dass man nördlich der Grenze schon vor zehn Jahren eine Änderung der Lehrerarbeitszeit eingeführt hat.

(Glocke des Präsidenten)

- Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich kann allen nur empfehlen, sich intensiv mit den dort gemachten Erfahrungen mit den guten wie den schlechten - zu beschäftigen. Vielleicht wird man sehen, dass man mit den Strukturen, die wir in Schleswig-Holstein haben - ich erinnere an das Beamtenverhältnis -, überhaupt keine Möglichkeit hat, modernere Arbeitszeitregelungen zu bekommen.

(Beifall bei SSW und SPD - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Quatsch!)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Es ist Überweisung des Berichtes an den Bildungsausschuss beantragt worden. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist das einstimmig so beschlossen und der Tagesordnungspunkt 17 erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Keine Verdrängung regulärer Arbeitsplätze

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/1073

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Für die antragstellende Fraktion hat die Frau Abgeordnete Roswitha Strauß das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abstände, mit denen die führenden Wirtschaftsinstitute ihre Konjunkturdaten nach unten korrigieren, werden immer kürzer und die Perspektiven für den Arbeitsmarkt immer düsterer. Der Lack des Bundeskanzlers als „Macher“ für den Arbeitsmarkt bröckelt, die Arbeitslosenzahlen steigen, die nächste Bundestagswahl

steht vor der Tür, der Adrenalinspiegel des Kanzlers steigt.

(Widerspruch bei der SPD)

Es wird hektisch nach Auswegen gesucht.

Entgegen der zur Schau gestellten Gelassenheit herrscht hinter den Kulissen konfuser Aktionismus. Dazu ein paar Beispiele: Erst kassiert der Kanzler das groß angekündigte Gleichstellungsgesetz ein, dann sickert durch, dass die weitere Verschärfung der Abschreibungsbedingungen vorerst auf Eis gelegt wird. Erst soll sich für den gebeutelten Mittelstand bei der steuerlichen Behandlung von Veräußerungsgewinnen nichts tun, dann vielleicht doch, dann wieder nicht, nun aber doch. Was denn nun? Verlässliche Politik sieht anders aus.

Natürlich weiß auch der Kanzler, dass mit diesen Stellschräubchen für den Arbeitsmarkt kein Blumentopf zu gewinnen ist. Trotz demographischer Entwicklung und zweckdienlicher Änderungen bei der Erstellung der Arbeitsmarkstatistik erweist sich die selbst gelegte Messlatte von weniger als 3,5 Millionen Arbeitslosen für den Kanzler als zu hoch. Also muss stärkeres Kaliber her. Das Zauberwort heißt JobAqtiv-Gesetz und wird von Arbeitsminister Riester jeder neuen Konjunkturprognose als Wunderwaffe trutzig entgegengestellt. Und so titelte dann auch die „Financial Times Deutschland“ am 1. Juni 2001 zu Recht: „Arbeitsmarktreform soll Wahlsieg retten.“

Wer gehofft hatte, dass von der SPD tatsächlich ein mutiger Schritt zur Senkung der Arbeitskosten auf den Weg gebracht wird, sieht sich bitter enttäuscht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Statt eines großen Wurfs liegt ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen auf dem Tisch, die das selbst gesteckte Ziel, die Sozialversicherungskosten auf unter 40 % zu senken, mehr konterkarieren als fördern.

(Beifall bei CDU und FDP)

Statt einer Reduzierung versicherungsfremder Leistungen erfolgen Leistungsausweitungen. Statt einer Reduzierung von AB-Maßnahmen konstatieren wir eine weitere Steigerung. Statt eines absoluten Vorrangs für den ersten Arbeitsmarkt eine Lockerung von Restriktionen und Wegfall des Zusätzlichkeitskriteriums, das Handwerk und Baubranche vor der unlauteren Konkurrenz öffentlicher Beschäftigung schützen soll.

Unser Baugewerbe und unser Handwerk sind bereits vielen Wettbewerbverzerrungen ausgesetzt. Nun plant die SPD auch noch ein neues Förderinstrument, das den befristeten Einsatz von Arbeitslosen als ABM

(Roswitha Strauß)

Jobber beim Bau kommunaler Infrastrukturprojekte ausdrücklich erlauben und fördern soll.

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Die ABM-Stellen müssen nur bei den Unternehmen angesiedelt sein, die von der Kommune den Auftrag bekommen haben. Die Kosten übernimmt das Arbeitsamt, indem es „projektorientierte Zuschüsse“ an den kommunalen Haushalt überweist.

(Zuruf von der SPD: Hört sich gut an!)

Die Befürchtungen der Bauwirtschaft, dass damit gewaltige Mitnahmeeffekte der Kommunen einhergehen und anstehende Investitionen zurückgehalten werden, liegt vor dem Hintergrund desolater kommunaler Finanzen auf der Hand.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Viele Kommunen werden daher zur Entlastung ihres Etats versuchen, eine höchstmögliche Förderung von ABM zu erreichen. Der Verdrängung regulärer Arbeitsplätze wird damit Tür und Tor geöffnet.

Staatliche Beschäftigungspolitik hat bereits zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen geführt und eine große Zahl von Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt vernichtet; das ist so, Frau Schümann. Wenn jetzt auch noch auf das Zusätzlichkeitskriterium verzichtet wird - dann gute Nacht!

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Die Demonstration der Bauwirtschaft vor dem Landeshaus war doch wohl für alle deutlich genug. Die Firmen und ihre Mitarbeiter stehen mit dem Rücken an der Wand. Weitere Belastungen und Wettbewerbsverzerrungen sind nicht zu verkraften.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die CDU-Landtagsfraktion greift mit ihrem Antrag vorbeugend einen Teilaspekt des Eckwerteprogramms zur Reform der Arbeitsförderung heraus. Ziel ist es, dass das zarte Pflänzchen, das wir gemeinsam im Interesse einer Stabilisierung der Bauwirtschaft auf den Weg gebracht haben, nicht an anderer Stelle gleich wieder zertrampelt wird. Ich bitte um Abstimmung in der Sache und um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die Fraktion der SPD erhält der Herr Abgeordnete Wolfgang Baasch das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundestagsfraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben in ihrer Koalitionsvereinbarung beschlossen, die Grundlagen der Arbeitsmarktpolitik wirksamer auszugestalten. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu:

„Es werden so viel Mittel wie möglich von passiven in aktive Leistungen umgeschichtet. Die Beschäftigung von Frauen hat dabei ein besonderes Gewicht. Die aktive Arbeitsmarktpolitik wird stärker mit der Strukturpolitik in den Regionen verzahnt.“

Eine Koalitionsarbeitsgruppe unter Beteiligung des Bundesarbeitsministers und der SPD-geführten Bundesländer hat ein Eckpunktepapier für ein Job-AqtivGesetz erarbeitet. Dabei steht „Aqtiv" für aktivieren, qualifizieren, trainieren, investieren, vermitteln. Dieser Ansatz zielt auf eine durchgreifende Modernisierung der Arbeitsförderungsinstrumente im Dritten Buch des Sozialgesetzbuches.