Protocol of the Session on July 12, 2001

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe fünf Minuten und jage einmal durch den Inhalt des Textes. Wir können den Bericht aber im Ausschuss vertiefend beraten.

Zwischen 1990 und 2000 sind in Schleswig-Holstein bei Bundes- und Landesbehörden sowie bei der Bundeswehr insgesamt 30.700 Stellen abgebaut worden. Circa 90 % entfallen dabei auf den Bereich der Bundeswehr - darüber haben wir umfänglich debattiert -, etwa 1.100 auf den Abbau bei Landesbehörden und 1.800 bei Bundesbehörden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Entschuldigen Sie, Frau Ministerin! Ich darf das Haus um ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bitten.

Die geplanten Maßnahmen liegen im Schwerpunkt bei der Bundeswehr mit 11.300 Arbeitsplätzen, bei Landesbehörden mit bisher nur 12 und bei Bundesbehör

(Ministerin Ingrid Franzen)

den mit plus 106, also auch eine gute Nachricht. Das darf man auch nicht vergessen.

Der Schwerpunkt liegt natürlich dort, wo Bundesbehörden und Bundeswehrstandorte waren, nämlich eindeutig im Landesteil Schleswig und genauso eindeutig in den kreisfreien Städten Kiel, Lübeck und Neumünster und im Kreis Herzogtum Lauenburg. Genauer gesagt: Der Landesteil Schleswig ist mit 11.276 Arbeitsplätzen betroffen, auch davon zu 96 % die Bundeswehr.

Mir fehlt die Zeit - Sie können das aber dem Bericht entnehmen - darzustellen, welche Plus-Minus-Bilanz es im Einzelnen auch bei den Landesbehörden gibt. Das können wir gern noch vertiefen.

Worum ging es? Warum ist so viel abgebaut worden? Welches waren die Zielsetzungen dieser Umstrukturierungsmaßnahmen?

Es ist die stärkere Effizienz und Effektivität der öffentlichen Verwaltung - ich sage das hier aus großer Überzeugung, auch wegen meiner Mitgliedschaft in der Enquetekommission -: Von allen stets gefordert, von allen stets gewollt, meist noch mehr als das, was wir gemacht haben! Ich bitte herzlich darum, uns in Schleswig-Holstein eine Sankt-Florians-Debatte zu ersparen.

(Beifall bei der SPD)

Es hat ganz sicher auch etwas mit Kosteneinsparung zu tun gehabt. Auch das darf nicht geleugnet werden. Das war und ist gewollt und wird weiter gefordert.

Folgendes ist mir ganz wichtig - als Flensburgerin weiß ich, worüber ich spreche -: Die Bundeswehr hat auf die stabile Sicherheitslage reagiert. Wir reagieren auf 55 Jahre Frieden, wir reagieren auf die Ostseebefriedung, auf den Zusammenbruch des Ostblocks, auf die Vereinigung 1989. Viele von uns haben keinen Krieg erlebt, zu keiner Zeit ihres Lebens. Das ist eine positive Nachricht. Bei allen Problemen, die sich daraus ableiten, bitte ich nie zu vergessen, warum wir diese Debatte hier führen wollen und auch führen müssen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW)

Dabei soll keineswegs verschwiegen werden, welche Probleme an den Standorten entstehen und dass alle diese Plätze - insbesondere die Bundeswehr - ein starker Wirtschaftsfaktor gewesen sind.

Nicht alle Befürchtungen sind eingetroffen. Die Arbeitslosigkeit ist nicht so direkt erkennbar dort gestiegen, wo am meisten abgebaut wurde. Wohnungswechsel haben nicht immer stattgefunden. Kaufkraftverluste

konnten ausgeglichen werden. Ich kann das hier nicht im Detail schildern, weil die Zeit dafür zu kurz ist.

Ich verweise aber darauf, dass der Landtag bereits am Mittwoch bei den Punkten ohne Aussprache den Konversionsbericht meines Kollegen Wirtschaftsministers, Drucksache 15/1066, ohne Aussprache an die Ausschüsse überwiesen hat. Das hat ein bisschen etwas damit zu tun, dass wir über Gutes nicht reden. Wir können das aber in den Ausschüssen nachholen. Für meine Begriffe hätte dieser Bericht hier mit aufgerufen werden müssen. Aber das ist anders verabredet worden.

Wir als Land haben - ich will das als ein Beispiel nennen - 60 Millionen DM aus dem Regionalprogramm an den besonders betroffenen Standorten eingesetzt. Das können Sie in dem Bericht, auf den ich verwiesen habe, nachlesen.

Die Landesregierung ist sich sehr wohl der Pflicht bewusst, bei dem Abbau regional- und strukturpolitische Akzente zu setzen. Wir haben uns darum bemüht und gerade in den letzten Wochen den jeweiligen Ressorts noch umfängliches Material an die Hand gegeben, das jeweils zurate gezogen werden muss, bevor eine Entscheidung gefällt wird.

Ich spreche noch einmal den Antragsteller, den SSW, an und bedanke mich für die Geduld, die Sie gehabt haben. Wir konnten - das war einfach nicht möglich nicht in dem geforderten Zeitrahmen berichten. Ich glaube, auch ich könnte die SSW-Rede zum Bericht halten; denn auch ich lese ja „Avis“ und weiß daher, was kommt. Sicherlich steht für Ihre Partei der Landesteil Schleswig im Vordergrund. Aber nicht nur die Regierung hat die Gesamtverantwortung, sondern auch Sie als Abgeordnete haben sie.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und - gewollt oder nicht gewollt -: Sie sind ja auch überall wählbar.

Ich freue mich auf eine intensive Debatte in den Ausschüssen.

(Beifall bei der SPD)

Bevor es dazu kommt, eröffne ich die Aussprache hier im Plenum. Das Wort für die Antragstellerin hat die Vorsitzende des SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Frau Anke Spoorendonk.

Herr Landtagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bekanntlich hatte der SSW im Februar dieses Jahres im Zusammenhang mit der Neustrukturierung der Bundeswehr und dem damit verbundenen Arbeitsplatzabbau einen Antrag gestellt, mit dem wir - ich wiederhole das, damit man sich das in Erinnerung rufen kann - erstens wissen wollten, welche Bundesund Landesbehörden sowie Bundeswehrstandorte seit 1990 in Schleswig-Holstein geschlossen, verlegt, zusammengelegt, reduziert oder anderweitig umstrukturiert worden sind und wie viele Arbeitsplätze dabei im Einzelnen seit 1990 verloren gegangen sind; zweitens danach fragten, welche aktuellen Schließungen, Reduzierungen oder Zusammenlegungen von Bundes- und Landesbehörden einschließlich der Bundeswehrstandorte in Planung sind; drittens gebeten haben, im Bericht dargelegt zu bekommen, welche Ausgleichsmaßnahmen Bund und Land ergriffen haben, um diesen Arbeitsplatzverlust auszugleichen.

Hintergrund des Berichtsantrages ist unsere Befürchtung, dass der Landesteil Schleswig beim Abbau öffentlicher Arbeitsplätze schon seit langem überproportional betroffen ist. Auch wir als SSW treten für eine Modernisierung der Bundes- und der Landesbehörden ein - das möchte ich noch einmal deutlich machen -, aber gerade in strukturschwachen Regionen fällt der damit verbundene Arbeitsplatz- und Kaufkraftverlust besonders ins Gewicht. Deshalb vertritt der SSW die Auffassung, dass Bund und Land bei der Durchführung ihrer Verwaltungsreformen eine besondere Verantwortung diesen Regionen gegenüber haben. Vor dem Hintergrund des erneuten Abbaus der Bundeswehr wollten wir endlich einmal Zahlen über die Entwicklung der letzten zehn Jahre sehen.

Der Bericht liegt nun vor. Ich möchte mich im Namen des SSW herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums - natürlich auch bei Ihnen, Frau Ministerin - für einen guten und informativen Bericht bedanken.

(Beifall bei SSW und SPD)

Ich sage das ganz bewusst; denn es ist nicht einfach, einen solchen Bericht zu schreiben. Das Ministerium hat nichts beschönigt; es hat Anlagen angefügt, die deutlich machen, dass es Sinn gemacht hat, einen solchen Berichtsantrag zu stellen.

Natürlich lesen wir den Bericht, indem wir von der Situation des Landesteils Schleswig ausgehen. Ich möchte aber in Erinnerung rufen, dass wir wirklich nicht nur den Landesteil Schleswig vorgegeben haben, sondern die Fragen offen formulierten. Die Ministerin sagte zu Recht - das wissen wir ja auch -, dass wir

gewählt sind, um Verantwortung für das ganze Land zu tragen. Aber natürlich schauen wir jetzt, da die Anwort vorliegt, besonders auf den Landesteil Schleswig. Wahrscheinlich werden auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie jetzt die Zahlen bekommen haben, besonders auf Ihre Region schauen. Von daher glaube ich, dass der Bericht auch in Ihrem Sinne ist.

Von 1990 bis 2000 wurden in Schleswig-Holstein insgesamt rund 30.000 öffentliche Arbeitsplätze abgebaut, davon allein rund 11.000 im Planungsraum V, das heißt in der Stadt Flensburg, im Kreis Nordfriesland und im Kreis Schleswig-Flensburg. Dies entspricht einem Anteil von circa 37 % bei einem Bevölkerungsanteil von circa 18 %. Bei dem Bundeswehrabbau, der für fast 95 % des gesamten Abbaus von Arbeitsplätzen verantwortlich ist, beträgt der Anteil des Planungsraumes V - bei einem Verlust von rund 10.000 von insgesamt rund 27.000 Arbeitsplätzen - circa 39 %. Das Land hat im Planungsraum V 324 von insgesamt knapp 1.100 Arbeitsplätzen abgebaut; das entspricht einem Anteil von etwa 30 %. Das Fazit ist also: Der Landesteil Schleswig hat zwischen 1990 und 2000 einen überproportionalen Abbau von öffentlichen Arbeitsplätzen hinnehmen müssen.

Geht man nun die Liste der einzelnen Maßnahmen von Bund, Land und Bundeswehr zwischen 1990 und 2000 durch, so fällt aus unserer Sicht auf, dass die Stadt Flensburg besonders hart vom Abbau öffentlicher Arbeitsplätze betroffen ist. Zwar hat Flensburg durch den Ausbau der Universität und der Fachhochschule Arbeitsplätze - es sind circa 130 -, hinzubekommen, aber durch den Abbau der Bundeswehr und durch Reduzierung, Zusammenlegung und Schließung sowohl von Bundes- als auch Landesbehörden hat die Stadt mit einem Verlust von mehr als 5.000 öffentlichen Arbeitsplätzen einen Anteil von 17 % an dem gesamten Arbeitsplatzabbau in Schleswig-Holstein hinnehmen müssen.

Auch bei den zukünftigen, geplanten Maßnahmen zum Abbau öffentlicher Arbeitsplätze wird der Planungsraum V knapp 4.000 von insgesamt rund 11.000 Arbeitsplätzen verlieren; das sind 35 %. Auch hier schlägt wieder der Abbau der Bundeswehrarbeitsplätze besonders stark zu Buche - wobei man wissen muss, dass es sich dabei auch um noch nicht umgesetzte Planungen der Bundeswehrreformen von 1995 und 2001 handelt. Wir schieben also Probleme vor uns her.

Mit einem geplanten Abbau von knapp 4.000 von insgesamt rund 11.000 Arbeitsplätzen entfällt - wie gesagt - ein Anteil von circa 35 % auf den Planungsraum V.

(Anke Spoorendonk)

Also: Von den geplanten Maßnahmen von Bundeswehr, Bund und Land wird der Norden SchleswigHolsteins härter getroffen als die übrigen Regionen des Landes.

Bis Ende 2000 hat die Landesregierung für Konversionsmaßnahmen 125 Millionen DM bereitgestellt. Diese Mittel wurden in ganz Schleswig-Holstein zur Finanzierung von Projekten in Höhe von knapp 300 Millionen DM eingesetzt. Davon wurden im Landesteil Schleswig Investitionen in Höhe von circa 73 Millionen DM getätigt; dies entspricht einem Anteil von circa 26 %. Leider ist im Bericht nicht aufgeführt - vielleicht ist es auch nicht machbar gewesen; wir hatten das eigentlich gefordert -, wie viele neue Arbeitsplätze durch diese Maßnahmen geschaffen wurden.

Sieht man sich die geförderten Maßnahmen im Einzelnen an, muss man feststellen, dass Flensburg mit einem Konversionsprojekt von 23 Millionen DM nur einen Anteil von circa 8 % aller Investitionen bekommen hat. Interessant ist - dies möchte ich in Klammern hinzufügen - hier der Vergleich mit der Landeshauptstadt Kiel. Die Investitionen, die durch die Regionalprogramme und durch andere EU-Fördermittel dem Landesteil Schleswig zugute gekommen sind, können hier aus Sicht des SSW nicht mitgerechnet werden, da es sich um gezielte Förderung zum Aufbau einer regionalen wirtschaftsnahen Infrastruktur handelt und nicht um Konversionsprojekte.

Während der Bund also so gut wie keine Ausgleichsmaßnahmen zur Verfügung stellte, hat das Land zwar auf die Reduzierung der Bundeswehr mit gezielten Konversionsprogrammen reagiert - ich will hinzufügen, auch wenn man es fast nicht mehr sagen kann: und das ist gut so -, der nördliche Landesteil hat aber, gemessen an seinem Anteil am Arbeitsplatzabbau, eher weniger von diesen Projekten profitiert.

Die Bundesregierung bleibt in der Pflicht, ein Bundeskonversionsprogramm aufzulegen. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass die Parteien, die die Bundesregierung tragen, dies in ihrer Oppositionszeit immer wieder gefordert hatten.

Dennoch trägt die Landesregierung weiter die Verantwortung für die Entwicklung im Landesteil Schleswig.

(Beifall der Abgeordneten Silke Hinrichsen [SSW])

Für den SSW ergeben sich aus diesen Daten und Fakten unter anderem folgende Forderungen:

Erstens. Bei der Weiterführung der Verwaltungsreform des Landes muss künftig mehr als bisher von dem Prinzip der regionalen Ausgewogenheit ausge

gangen werden. Der SSW fordert, dass bei künftigen Zusammenlegungen, Verlegungen oder Schließungen von Behörden und Ämtern besonders auf die schon sehr stark vom Abbau öffentlicher Arbeitsplätze betroffenen Städte und Gemeinden - wie beispielsweise die Stadt Flensburg - Rücksicht genommen wird.

Liebe Frau Ministerin, wir sagen also nicht einfach: „Bei uns nicht“, sondern wir sagen: „Die regionale Ausgewogenheit muss erste Priorität haben“.

In der Anlage 2 des Berichtes wird insbesondere auf die künftigen Umstrukturierungen bei den Katasterämtern, den Landesbezirkskassen und bei den Straßenbauämtern und Straßenmeistereien hingewiesen. Für den SSW ist es ebenfalls wichtig, dass diejenigen Bereiche, in denen vor einigen Jahren Umstrukturierungen oder Änderungen vorgenommen worden sind wie beispielsweise bei den Ämtern für ländliche Räume - erst einmal Planungssicherheit bekommen und dass bei ihnen nicht schon wieder kurzfristige Änderungen unter dem Stichwort Personalabbau durchgeführt werden.