Protocol of the Session on May 9, 2001

Ich darf Ihnen für die linke Seite dieses Hauses danken für die Beschreibung dieses Weges, den Sie, wie ich glaube, sehr richtig aufgezeigt haben.

Wenn wir uns heute dem Thema der Ganztagsbetreuung an den Schulen unseres Landes stellen und gemeinsam diskutieren, vollziehen wir etwas, was in den anderen Bundesländern eben auch stattfindet. Für Schleswig-Holstein bedeutet dies, dass wir uns in einen Prozess der Entwicklung unseres Bildungssystems einbringen müssen, bei der trotz aller föderalen Strukturen die Herstellung einer inneren Einheit in Deutschland im Bereich der Bildung gewährleistet sein muss. Wir müssen also schauen, was die anderen Bundesländer machen und uns auch danach richten.

Wenn wir heute über Ganztagsangebote an den Schulen unseres Landes sprechen, dann treten wir in eine Diskussion auch über die unterschiedlichen Formen des Ganztagsangebotes ein. Wenn wir wieder in die anderen Bundesländer schauen, dann werden wir feststellen, dass Ganztagsangebote an den weiterführenden Schulen diskutiert werden, die auch dort in den Ländern zu unterschiedlichen Konsequenzen in den Fragen der Trägerschaft und damit auch der Finanzierung dieses Angebotes führen. Die Mehrzahl der Bundesländer beschreibt bei der Einrichtung von Ganztagsangeboten einen Weg, den wir als Ergänzung des schulartspezifischen Angebots durch nebenschulische Aktivitäten und deren Koordinierung beschreiben können. Allein Rheinland-Pfalz will den bislang ausgesprochen teuren Weg gehen, die Schulen als „reine Ganztagsschulen“ mit einem Einsatz von 100 Millionen DM jährlich zu entwickeln.

Diese beiden Wege zur Ganztagsschule und zum Ganztagsangebot beschreiben auch die unterschiedlichen Voraussetzungen bei der Konzipierung und

(Dr. Henning Höppner)

Finanzierung dieser Angebote durch die unterschiedlichen Träger dieser Aufgaben. Schleswig-Holstein ist zum Beispiel im Gegensatz zu anderen Bundesländern bei der Trägerschaft der Hauptschulen immer noch auf die ausgesprochen kleinteiligen Gemeindestrukturen und ihr Zusammenwirken im kommunalen Schulverband ausgerichtet, während in Niedersachsen die Kreise Träger aller weiterführenden Schulen sind und somit eine Deckungsgleichheit zwischen den Trägern der Jugendhilfe, der Schulen, der Sportförderung und der kulturellen Jugendbildung besteht. Bei den Möglichkeiten in Niedersachsen, etwa ein koordiniertes Ganztagsangebot an den weiterführenden Schulen zu organisieren, hat man es eben nur mit einem einzigen Träger zu tun.

Denken wir an unser Bundesland. Da ist zum Beispiel eine Hauptschule in einem Unter- oder Mittelzentrum in der Trägerschaft eines Schulverbandes, die Jugendfreizeitarbeit in der Verantwortung der Stadt oder der amtsfreien Gemeinde, die Jugendhilfe in der Trägerschaft des Kreises. Das sind schon einmal drei unterschiedliche Träger, die bei einem schulischen Ganztagsangebot zusammenwirken müssen.

Wir mögen uns heute streiten über die Begriffsbildung „Ganztagsschule“ oder „Ganztagsangebote“ an weiterführenden Schulen. Wenn ich wie am gestrigen Dienstag ins Internet gehe und mich dort unter „www.cdu-sh.de/lpt/bildung.htm“ einklicke und dann lese, was Sie unter bedarfsgerechtem Angebot an Ganztagsschulen beschreiben, dann stehen dort auch Hausaufgabenbetreuung, Mittagstisch, sozialpädagogische Angebote und Freizeitorganisation. Was Sie diesbezüglich als Ganztagsangebote in die Schule einbringen wollen, ist eben nur als Ganztagsangebot oder als Betreuungsangebot zu verstehen.

Welche Voraussetzungen müssen unsere Schulträger eigentlich mitbringen, um ein Angebot für eine Ganztagsbeschulung oder ein Ganztagsangebot vorhalten zu können? Wenn wir in die Fläche des Landes schauen, werden wir feststellen, dass wir trotz unterschiedlicher Trägerschaften in den Mittel- und Unterzentren in den Stadtrandkernen und auch in den ländlichen Zentralorten Schulzentren oder schulzentrenähnliche Komplexe mit Sportplätzen, Sport- und Unterhaltungshallen und Veranstaltungshallen haben. Wir werden feststellen, dass die Aktivitäten in den Schulen des Nachmittags und am Abend außerordentlich zahlreich sind. Die Sportvereine zum Beispiel nutzen die Sporthallen tagtäglich bis in die Abendstunden hinein.

Neben den freiwilligen schulischen Arbeitsgemeinschaften richten die Musikschulen, die Volkshochschulen oder auch die Wohlfahrtsverbände in den Klassenräumen Kurse aus und vieles andere findet im

außerschulischen Rahmen in den Schulgebäuden statt. Schulen sind eben kommunale Einrichtungen, die nach § 18 unserer Gemeindeordnung allen Bürgerinnen und allen Bürgern zur Verfügung stehen. Wer in der Kommunalpolitik aktiv ist, möchte natürlich, dass diese meist sogar teuersten Einrichtungen der Gemeinde, der Stadt oder des Kreises auch so viel wie möglich genutzt werden.

Auch die Schüler nutzen ihre Schulen in großem Umfang im außerschulischen Rahmen. Hinsichtlich der Koordinierung von Schulzeiten und nebenschulischen Aktivitäten haben wir in der Fläche häufig genug Probleme. So haben wir in den Landkreisen eine wohl organisierte Schülerbeförderung, die in der Regel so aussieht, dass wir die Schülerinnen und Schüler nach der sechsten Stunde in ihren Wohnort zurückbringen. Wenn die Schülerinnen und Schüler des Nachmittags die freiwilligen Angebote der Schule, der Jugendeinrichtungen, der Sportvereine oder der Musikschulen annehmen wollen, fahren die Eltern ihre Kinder mit dem eigenen Auto in den zentralen Schulort und holen sie dann meist auch wieder ab, da sich der ÖPNV in der Fläche ganz wesentlich am Beförderungsaufkommen der Schülerinnen und Schüler orientiert. Wer dann allerdings als Schüler allein zu Hause bleibt, wird von solchen Angeboten halt ausgeschlossen.

Wenn es uns gelingen kann, dass die Schülerinnen und Schüler in der Mittagszeit beköstigt werden, können wir unter Nutzung der vorhandenen Ressourcen und unter Koordinierung der bereits heute in den Schulen stattfindenden Aktivitäten Angebote selbst im ländlichen Raum in großer Breite für die Schülerinnen und Schüler vorhalten.

(Klaus Schlie [CDU]: Wollen Sie Spiele- Nachmittage machen oder was?)

Wir sollten in diesem Sinne in die Diskussion mit den Schulträgern einsteigen, um die Entwicklung des Lebensortes Schule und diesen Lebensort zugleich neu zu bestimmen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich denke, dass dies der erste Weg sein muss, die Schulen des Landes im Sinne familienpolitischer Aspekte der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie im Sinne unserer bildungs- und jugendpolitischen Herausforderungen neu zu entwickeln. Hierüber müssen wir diskutieren.

Ich bitte im Namen meiner Fraktion, alle Anträge dem Bildungsausschuss federführend zu überweisen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Birk.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Willkommen im Boot, Herr Klug und Herr de Jager, könnte ich sagen, wenn ich hier die Debatte verfolge. Oder, wenn wir etwas heiliger machen, könnte ich Sie hier als verlorene Söhne begrüßen, denn das Thema Ganztagsschule, das Thema Schule in Erweiterung dessen, was wir bisher haben, wird auf der linken Seite schon sehr, sehr lange diskutiert. Auch wenn wir die Fakten ansehen, ist mir nicht erinnerlich, dass die bisherigen Ganztagsangebote federführend von der CDU oder der FDP initiiert wurden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bleiben wir beim Thema. Wohin geht der Kurs? Schule als Lehranstalt oder Schule als Lebensort? Wir sollten uns zunächst über die Konzepte unterhalten und dann über die Begrifflichkeiten: Was heißt denn Ganztagsangebot oder Ganztagsschule? Ich glaube, wir sind uns einig, der Kurs muss dahin gehen, dass es mehr Schulen gibt, an denen Kinder und Jugendliche ganztags ein sinnvoll aufeinander aufgebautes Angebot vorfinden. Wir haben deswegen Anfang Januar hier gemeinsam einstimmig gesagt, die interministerielle Zusammenarbeit solle ein Konzept vorlegen, wie mit den örtlichen Jugendhilfe- und Schulträgern ein inhaltliches und finanzielles Konzept für Schule und Jugendhilfe geschaffen werden kann, also ein verlässlicher Rahmen. Wir haben dann sehr ausführlich dazu Stellung genommen, was wir uns hierunter vorstellen. Das Konzept wird uns im Herbst vorgelegt. Das ist das eine.

Wir brauchen, aus der Kinder- und Jugendperspektive gesehen, etwas, was den ganzen Tag sinnvoll füllt. Das heißt einerseits Lernen, Unterricht, das heißt andererseits aber auch Arbeitsgemeinschaften, das heißt Entspannung, das heißt Sport, das heißt gemeinsam essen, das heißt aber auch, Dinge tun, die sich außerhalb der Schule abspielen, die aber von der Schule und von den mit der Schule Kooperierenden organisiert werden. Das Ganze muss aufeinander abgestimmt sein, unter einem einheitlichen Management, und dieses Management muss die Schulleitung sein, die sich natürlich mit anderen vernetzt. Deswegen finden wir es richtig, dass das Bildungsministerium darüber nachdenkt, wie Schulleiterinnen und Schulleiter der Zukunft besser dafür ausgebildet werden, dass sie diese neuen Aufgaben zielgerichtet übernehmen und hierfür auch die Zeit haben.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nun kommt aber die Frage, ob dieses Angebot für alle Kinder dieser Schule gilt oder nur für diejenigen, die es haben wollen, ob es kostenlos ist oder mit Kosten verbunden ist, ob es das Bildungsministerium, die Landesregierung oder die Kommunen zahlen.

Es ist verständlich: Wer hier propagiert, wir könnten in kürzester Zeit ein flächendeckendes Netz von Ganztagsschulen für alle Kinder kostenlos schaffen, der träumt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist zwar ein schöner Traum und wir geben ihn nicht auf, aber dies in weniger Jahren in SchleswigHolstein realisieren zu wollen, ist leider nicht möglich. Deswegen halten wir uns nicht nur an Träume, sondern wir machen konkrete Projekte und Pläne.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen fordern wir die Landesregierung auf, nicht erst zum Schuljahrsbeginn 2002/3 ein Konzept vorzulegen, sondern - wenn Sie das genau lesen, ist das auch deutlich - das Konzept so vorzulegen, dass wir mit Schuljahrsbeginn 2002/3 mit den ersten Schritten anfangen können. Das verlangt natürlich auch von uns als Parlament einiges. Es erfordert, Konsequenzen zu ziehen, möglicherweise bei den Haushaltsberatungen, und auch über den einen oder anderen Schatten zu springen.

(Unruhe)

Wenn wir uns dieses Konzept genauer anschauen, sollte es Stufen enthalten. Die erste Stufe ist, dass für einen Teil der Kinder die Schulzeit ein Angebot ist am Nachmittag - und dass hierzu keine Verpflichtung besteht, wohl aber ein Anreiz, der natürlich möglichst viele Kinder dazu animiert, dieses Angebot wahrzunehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist die eine Seite, die auch durch den Antrag zur Kooperation von Jugendhilfe und Schule mit entsprechenden Konzepten versehen wird.

Was darüber hinaus gefordert wird und selbstverständlich auch die Zustimmung der linken Seite findet, ist, dass wir - und hier sollten wir in der Tat bei den Hauptschulen und Sonderschulen, für die nach Gesetz sowieso Ganztagsunterricht vorzusehen ist, und den bestehenden Gesamtschulen beziehungsweise den weiter zu schaffenden Gesamtschulen den Schwerpunkt bilden - überall erreichbar für Eltern und Kinder Schulen haben, die tatsächlich für alle Kinder in der jeweiligen Schule ein Ganztagsangebot vorsehen. Dies

(Angelika Birk)

muss dann natürlich sinnvoll gestaltet und darf nicht nur sturer Unterricht sein.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das will wohl keiner und das wollen erst recht nicht die Kinder und Jugendlichen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit.

Hierzu hat die CDU - das möchte ich betonen - durchaus interessante Überlegungen vorgestellt. Ich begrüße es, dass hier das Thema Jugendhilfe und Schule konkret als Verhandlungsmodell gesehen und nicht stur auf die Konnexität verwiesen wird, sondern gesagt wird: Hier muss man in einen Verhandlungsprozess treten. Das halte ich für einen Fortschritt, der sicher hilfreich sein wird, wenn das Konzept von der Landesregierung weiter ausgearbeitet wird.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Gabriele Köt- schau [SPD])

Herr Dr. Klug, es ist ja erstaunlich zu beobachten, dass Sie inzwischen offensichtlich akzeptieren, dass die Gesamtschulen für ihr ganzheitliches Konzept Sie haben das am Beispiel der Kooperativen Gesamtschule Elmshorn erwähnt - zusätzliche Kapazitäten brauchen, weil sie auch sozialpädagogische Angebote machen und dass sich das auch im Schlüssel dieser Schulen, was den Bedarf an Zeit und Geld angeht, niederschlägt. Auch das halte ich für einen Fortschritt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Das ist ein Be- rechnungsschlüssel von 1982!)

Wir wollen uns mit diesem Konzept auch anderen Schularten zuwenden. Ich habe hier durchaus schon andere Töne von Ihrer Seite gehört; insofern darf ich hier einmal etwas positiv unterstreichen.

Ich freue mich, dass wir hier in eine Richtung segeln, und erhoffe mir, dass wir tatsächlich bald ein Konzept vorliegen haben, das sowohl Angebote am Nachmittag, die nicht für alle Kinder sind, aber einen Anreiz für sie bieten, als auch Angebote, die sich an alle Kinder einer jeweiligen Schule richten, vorliegen haben. Dann müssen wir uns natürlich dafür einsetzen, dass die Schulen so platziert sind, dass sie den dringendsten Bedarf abdecken, und die Schulen, die sich hierum

sozialpolitisch bemüht haben, zum Zuge kommen lassen.

Ich möchte auf den zweiten Teil des Antrages zu sprechen kommen. Aus aktuellem Anlass zitiere ich aus einem Informationsblatt, das am letzten Freitag, als in diesem Hause über das Thema „Freizeit für Kinder mit Behinderungen“ diskutiert worden ist, vorgestellt wurde. Hier schreibt Frau Rosenbusch:

„Als Schulelternvertreterin einer Schule mit 123 geistig und mehrfach behinderten Kindern habe ich einen kleinen Einblick in die Familiensituation dieser Kinder. Ein Viertel von ihnen lebt bei allein erziehenden Müttern - verlassen von Vätern, die sich der Situation nicht mehr stellen wollten oder konnten. Viele dieser Frauen sind auf Sozialhilfe angewiesen... Oder - wenn sie berufstätig sind - müssen sie eine Pflegeperson haben, die bei einer Erkrankung das Kind betreuen kann... Normalerweise gehen die Kinder zur Schule, die in den meisten Fällen um 13:00 Uhr endet. Sie kommen nach Hause, in eine Isolation, die immer größer wird, je älter sie werden... Viele Eltern haben inzwischen aufgegeben,“