Vaclav Havel sagte vor kurzem, nachdem er einen großen Koffer voll mit Verträgen, Änderungen, Zusätzen und Anhängen bekam, als er um ein Dokument bat, das Aufschluss über die Funktionsweise der Union geben sollte:
„Was man jedoch braucht, ist ein einfacher und verständlicher Text, der uns verständlich macht, wie die Union funktioniert, und der die Kluft zwischen dem kleinen Zirkel von Europakennern und der großen Masse der Unwissenden überwinden hilft. Die Charta könnte die Präambel der künftigen Verfassung sein. Zuerst werden die Werte formuliert und dann die Institutionen erklärt.“
In diesem Sinne bitte ich die Landesregierung, tätig zu werden. Wir, das Parlament, werden das entsprechend unterstützen.
Auf der Tribüne begrüße ich Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrerinnen und Lehrer des Alexander-vonHumboldt-Gymnasiums aus Neumünster sowie der Beruflichen Schule Heide. Herzlich willkommen!
Außenminister Fischer ist bei der Ostseeparlamentarierkonferenz in Greifswald erschienen und hat in seinem Bericht über die Aktivitäten der deutschen Präsidentschaft großen Beifall erhalten. Ich hatte einen Traum.
In Nizza ist es nach schwierigen Verhandlungen zu einem Kompromiss gekommen. Ist es aber tatsächlich der Kompromiss, den wir haben wollten? Halten wir noch einmal fest: Es wurde ein wesentliches Element eines künftigen europäischen Verfassungsvertrages auf dem besagten Gipfel in Nizza verankert. Die in der Charta verankerten Grundrechte werden bei der künftigen Entwicklung der Europäischen Union ein wichtiges Fundament bilden. Durch diese wird den Bürgern ein Grundrechtsschutz im Rahmen der Zuständigkeiten der Europäischen Union gewährt.
Die Signalwirkung dieser Charta liegt darin, dass sich Europa künftig nicht auf einen reinen Binnenmarkt oder eine Freihandelszone reduzieren lässt. Jetzt ist die Grundlage für eine Wertegemeinschaft geschaffen worden.
Gleichzeitig ist der Gipfel in Nizza aus der Nachbetrachtung nicht zu den Ergebnissen gekommen, die man eigentlich erwartet hatte. Um es verkürzt auszudrücken: Es fehlte den Mitgliedstaaten in Nizza an einer gemeinsamen europäischen Vision. Stattdessen wurde überdeutlich, dass kleinstaatliches Taktieren und nationale Egoismen auf dieser internationalen Bühne vorherrschten. Nizza spiegelt somit den Stand
Was ist denn aus diesem „Minimalkompromiss“, wie ihn unsere Ministerpräsidentin bezeichnet hat, konkret für die zukünftige Arbeit der Länder in der Europäischen Union geworden? Die beim Gipfel gefundene Lösung erlaubt - dies ist gut so -, mit den Beitrittsverhandlungen fortzufahren und erste Erweiterungen ab dem Jahre 2004/2005 vorzunehmen. Immerhin ist so ein deutliches positives Signal an die Beitrittsländer ergangen.
Für die deutschen Bundesländer sind aber nur wenige Forderungen berücksichtigt worden. Eine der Forderungen war die Festlegung auf die Durchführung einer Regierungskonferenz zur Neuregelung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und seinen Mitgliedstaaten. Diese ist jetzt tatsächlich verbindlich verabredet worden.
Doch überwiegen weiterhin erhebliche Defizite. Die Bundesländer haben es nicht verstanden, ihre Vorstellungen zu verwirklichen und durchzusetzen. Ein Europa der Regionen ist in weite Ferne gerückt und viele daraus resultierende Probleme sind noch lange nicht gelöst. Ich spreche hier von der Abgrenzung der Länderkompetenzen zu den europäischen Regelungen. Denn es fehlen beispielsweise weiterhin Übergangszeiten für die Beitrittskandidaten im Bereich des Austausches von Arbeitskräften, beim Erwerb von Grundeigentum und der Steuerharmonisierung. Gerade in Bereichen, die die einzelnen Bundesländer betreffen, besteht noch erheblicher Abstimmungsbedarf, wenn wir Einfluss auf die zukünftige Entwicklung nehmen wollen. Dabei spricht es nicht für die Bundesländer, wenn die politische Begleitung der Regierungskonferenz nicht in dem von der Verfassung bestimmten Rahmen des Bundesrates erfolgte. Stattdessen bediente man sich der Ministerpräsidentenkonferenz, um seiner individuellen Europapolitik zu frönen.
Die Landesregierung muss sich deshalb sagen lassen, dass sie sich nicht mit den anderen Ländern und den anderen Regionen auf eine gemeinsame Politik einigen konnte. Um Brüssel erreichen zu können, bedarf es eines stärkeren gemeinsamen Auftretens auch der Bundesländer. Warum bedient sich das Land dabei nicht des Ausschusses der Regionen, um verstärkt Länderpolitik in der Europäischen Union zu betreiben? Die Länder brauchen jetzt für die anstehenden Probleme eine gemeinsame Plattform, um zu sachgerechten Lösungen zu kommen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass wir fast schon vor dieser Konferenz von Nizza vom Post-Nizza-Prozess sprachen, macht deutlich, dass die Ergebnisse dieser Konferenz im Grunde von allen europäischen Ländern nicht als befriedigend wahrgenommen werden. Es macht auch deutlich, dass jetzt sehr viel Arbeit vor uns allen liegt, die nach dieser Konferenz bewältigt werden muss.
Ich möchte aber noch einmal unterstreichen, dass von dieser Konferenz ein sehr positives Signal ausgegangen ist, nämlich dass sich Europa wieder daran gemacht hat - und zwar unter dem Stichwort „Osterweiterung“, was für mich eigentlich nicht der richtige Begriff ist -, die Wiedervereinigung von Europa voranzutreiben.
Wir haben die historische Chance, Europa wieder zu vereinigen. Die Beschlüsse, die in Nizza gefasst worden sind, sind ein wesentlicher Schritt dorthin. Das ist das Positive, was von dieser Konferenz ausging.
Diese Möglichkeit der Wiedervereinigung Europas ist eine große historische Chance. Wer besser als wir Deutschen sollte wissen, welche Chancen und welche Probleme in diesem Prozess liegen? Gerade wir in Schleswig-Holstein sind von dieser europäischen Wiedervereinigung sehr stark betroffen, weil der gesamte Ostseebereich einbezogen ist. Deshalb bedanke ich mich für das Engagement, das die Landesregierung in diesem Prozess gezeigt hat. Schleswig-Holstein hat das ist in dem Bericht ja auch angesprochen worden von Björn Engholm über Gerd Walter bis hin zu Heide Simonis seine Verantwortung in diesem Prozess wahrgenommen.
Frau Simonis hat als ein mögliches Projekt gerade die Verwirklichung einer Gesundheits- und Umweltunion angesprochen. So etwas zu realisieren wäre für den Ostseebereich ein ganz besonderes Projekt, gerade vor dem Hintergrund der Belastungen, die die Ostsee im
mer noch zu bewältigen hat. Damit meine ich sowohl die Altlasten als auch das, was immer noch in die Ostsee eingeleitet wird. Man muss sich vor Augen halten ein Großteil der Beitrittsländer sind ja OstseeAnrainerstaaten -, dass das Investitionsvolumen in diesem Bereich, insbesondere für die Klärwerke, auf 120 Milliarden Euro geschätzt wird, wenn man die Standards der EU erreichen will. Daran sieht man, welch riesige Herausforderungen auf diese Länder zukommen, welche Chancen dieser Prozess aber auch beinhaltet.
Deshalb glaube ich, dass wir gut beraten sind, uns in diesen Prozess einzubringen. Gerade die Grenzländer wie Schleswig-Holstein können unendlich viel profitieren von den Investitionen, die dort getätigt werden. Aber wir müssen bereit sein, diese Investitionen, die dort erforderlich werden, zu unterstützen. Ohne die Bereitschaft, Strukturfondsmittel abzugeben - denn dass diese neu verteilt werden, ist die Konsequenz daraus -, werden wir nicht vorankommen.
Diese Wiedervereinigung Europas wird von uns also ein neues Teilen verlangen, und das in einer Situation, in der die materiellen Ressourcen der öffentlichen Haushalte nicht gerade größer werden. Das zeigt die Brisanz des Prozesses, das zeigt auch, dass neue Steuerungsmöglichkeiten genutzt werden müssen, um diese Herausforderungen zu bestehen.
Ich glaube nicht, dass wir diese Herausforderungen mit den bisherigen Strukturen in Europa tatsächlich bewältigen können. In diesem Hause sind wir uns darüber wohl auch alle einig, wie auch Herr Lehnert gerade noch einmal deutlich gemacht hat: Der Druck, den die Erweiterung Europas auf die Institutionen der Europäischen Union ausübt, muss genutzt werden, um Europa wieder handlungsfähig zu machen. Gleichzeitig muss das Vertrauen in die Steuerungsfähigkeit Europas, das weitgehend verloren gegangen ist, gestärkt werden.
Die BSE-Problematik, mit der man sich lange beschäftigt hat, hat deutlich gemacht, dass Europa ein Demokratiedefizit hat - ich will jetzt nicht von der nationalen Schuld ablenken -, was zum Beispiel den Ausgleich der Interessen zwischen Verbrauchern und Wirtschaft angeht. Eine neue Balance der europäischen Institutionen muss in einer Politisierung seinen Niederschlag finden. Eine Reduzierung allein auf die Verwaltung oder auf die Ministerräte wird die Probleme nicht lösen können. Wir brauchen mehr Demo
kratie, wir brauchen eine Politisierung Europas in diesem Sinne. Nur dann werden wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in diese Institutionen zurückgewinnen können.
Mein letzter Gedanke hierzu: Für uns als Länder gilt es, darum zu ringen, dieses Problem einer Zweiten Kammer Europas im Sinne der Regionen zu lösen. Der Ausschuss der Regionen in seiner jetzigen Form kann nicht die Zweite Kammer sein. Aber er bietet eine sehr gute Ausgangsbasis dafür, ein europäisches Regionalparlament zu gestalten, das vielleicht die Chance hätte, bei der Demokratisierung Europas mitzuwirken. Ich bin dezidiert dagegen, dass wir eine Zweite Kammer ins Leben rufen, die - wie dies auch einige aus der Führung meiner Partei gesagt haben aus den Parlamentariern der nationalen Parlamente besteht, also Bundestagsabgeordnete in diese Zweite Kammer entsenden. Ich halte das für einen falschen Weg.