In diesem Zusammenhang ist es kein gutes Signal, wenn die Ministerpräsidentin für eine Denkpause bei weiteren Reformschritten für die sozialen Sicherungssysteme plädiert, wie sie es im ZDF in „Berlin direkt“ am 12. Dezember dieses Jahres getan hat. Denn wir haben weder „noch ein kleines bisschen Zeit“ noch können wir den demographischen Wandel weiter „sorgfältig beobachten“, um erst dann Vorschläge zu machen. Die Vorschläge hierzu müssen jetzt auf den Tisch. Alles andere spricht für kein entwickeltes Problembewusstsein. Denn eine demographieorientierte Politik ist vor allem auch Standortpolitik und damit ist es nicht sonderlich gut bestellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der demographische Wandel in Schleswig-Holstein verändert nicht im Wesentlichen die Problematik, die wir im Lande haben. Was sich allerdings immer mehr verändert, ist die Notwendigkeit des Handelns. Es geht um die Reformierung der Sozialsysteme, um die notwendige Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um die Notwendigkeit, mehr in Bildung zu investieren, damit wir nicht noch mehr gut ausgebildete junge Menschen in andere Bundesländer verlieren. Wenn wir dies alles nicht bald in Angriff nehmen, werden wir zum Handeln gezwungen werden; aber Zwang ist ein schlechter Ratgeber. Wenn wir hier noch gestalten wollen, müssen wir jetzt die Weichen für unsere Politik stellen.
Meine Damen und Herren, zur Ausgangslage in Schleswig-Holstein! Eine aktuelle Studie des BerlinInstituts hat aufgezeigt, dass das derzeitige schleswigholsteinische Bevölkerungswachstum ausschließlich durch Zuwanderung aus Hamburg, Ostdeutschland und dem Ausland resultiert. Gleichzeitig zeigt diese Studie, dass zum Beispiel Hamburg seine demographischen Probleme zulasten des Landes SchleswigHolsteins löst. Hamburg hat die höchsten Zuzugsquoten unter den 20- bis 25-Jährigen, gleichzeitig wandern überproportional viele Senioren aus Hamburg nach Schleswig-Holstein ab.
- Deshalb sind aber Probleme zu lösen. Im Süden Schleswig-Holsteins wird die Zahl der über 60Jährigen bis 2020 allein durch die Zuwanderung aus Hamburg um mehr als ein Drittel zunehmen.
Diese Zahlen machen deutlich, was für das ganze Land gilt: Schleswig-Holstein ist heute attraktiv für Senioren und daraus müssen wir etwas machen.
Das bedeutet aber auch im Umkehrschluss: Schleswig-Holstein ist noch zu unattraktiv für junge Menschen und auch dagegen müssen wir etwas tun. Es kann nicht sein, dass junge, gut ausgebildete Menschen abwandern und dieser Faktor gemeinsam mit der demographischen Entwicklung den wirtschaftlichen Niedergang Schleswig-Holsteins weiter beschleunigt. Wir müssen heute Voraussetzungen dafür schaffen, dass junge Menschen in Schleswig-Holstein attraktive Arbeitsplätze finden und Senioren und Seniorinnen hier leben und sich in die Gesellschaft einbringen können.
Das bedeutet - die Ministerin hat es gesagt - nichts anderes, als ein Miteinander der Generationen möglich zu machen.
Die bisherigen Ansätze hierzu sind allerdings noch äußerst zaghaft. Aus unserer Sicht ist es deshalb sinnvoll, die in der Studie „Zukunftsfähiges SchleswigHolstein“ aufgezeigten Handlungsschwerpunkte als Ausgangsbasis dafür zu nehmen, ein Miteinander der Generationen zu schaffen. Dazu gehören für uns erstens: Bessere Startchancen für unsere Kinder durch mehr und bessere Bildung.
Drittens: Die Vernetzung von Universitäten und Unternehmen, um unsere Fachkräfte bereits während ihrer Ausbildung an das Land zu binden und einen Braindrain zu verhindern.
Viertens: Neben der Entkoppelung der Beiträge zu den Sozialkassen von den Erwerbseinkommen die Beendigung der Subventionierung der Frühverrentung, da wir uns den Verzicht auf Wissen, Können und Lebenserfahrung älterer Arbeitsnehmer nicht länger leisten können.
Fünftens: Der Aufbau einer barrierefreien Infrastruktur und die Förderung barrierefreien Wohnens. Das wurde schon gesagt. Letztlich kommt dies allen Generationen zugute.
Sechstens: Der weitere Aufbau von Ehrenamtagenturen, um die Lebenserfahrung von Senioren für die gesamte Gesellschaft nutzbar zu machen.
Siebtens: Einem der Wachstumsmärkte der Zukunft endlich zum Durchbruch zu verhelfen, nämlich der Gesundheitswirtschaft. Dazu gehören für uns - neben der Verbesserung der geriatrischen und palliativen Angebote - auch die Intensivierung der Forschung sowie der Aus- und Fortbildung von Medizinern in Geriatrie, Gerontologie und Palliativmedizin.
Unsere Strategie muss sein, ein Miteinander der Generationen zu schaffen. Ich hoffe, sie soll es auch sein. Dies ist von allen so geäußert worden, deshalb blicke ich positiv in die Zukunft. Dieser Prozess soll mit der besonderen Berücksichtigung geschehen, dass der Anteil älterer Menschen ansteigt. Wenn wir uns in Schleswig-Holstein zum „Florida des Nordens“ entwickeln wollen, dann stimmt bislang der Altersquotient, aber die Infrastruktur stimmt noch nicht. Daran müssen wir arbeiten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es mehrfach gehört: Ältere Menschen schätzen Schleswig-Holstein. Schätzen wir aber die Älteren? Die Antwort auf die Große Anfrage der SPD zur Situation älterer Menschen widerlegt mit Zahlen und Argumenten zunächst einmal eine Reihe gängiger Vorurteile gegenüber der alternden Generation.
Zum ersten Vorurteil: Die alternde Gesellschaft ist eine Last für die Wirtschaft. Das ist falsch. Die Tatsache, dass immer mehr Menschen ein längeres Leben überwiegend gesund genießen können, was die Antwort auf die Große Anfrage belegt, ist ein zivilisatorischer Fortschritt. Es ist Glück, nicht gleich nach Abschluss der Berufsphase zu sterben, wie das in früheren Jahrzehnten für viele Menschen eher die Regel war. Diese zivilisatorische Errungenschaft wird nur dann zur Last, wenn sich die Gesellschaft - einschließlich Markt und Staat - darauf nicht einstellt. Selbst einfache Fragen und Wünsche zu Lebensstil und Konsumwünschen unterschiedlicher sozialer Gruppen von Senioren sind bisher wenig erforscht. Deshalb war es natürlich auch in Schleswig-Holstein nicht so leicht möglich, Konzepte für neue Produkte, Dienstleistungen und Konsumstile vorzulegen.
Dieser Form der Unterschätzung und Diskriminierung der Älteren gilt es zu begegnen. Es gilt, wie Herr Beran es schon sagte, die Welt vom Handydesign bis hin zum öffentlichen Raum altersgerecht zu
gestalten. Das Alter öffnet vielen zum ersten Mal eine lange Lebensphase, in der man sich - jenseits der Zwänge des Broterwerbs - Dingen intensiv nur aus Freude und Interesse heraus widmen kann. Für viele sind dies auch freiwillige gemeinnützige Tätigkeiten, allerdings oft nicht mehr in der Form des traditionellen Ehrenamtes. Die 68er-Generation und die Feministinnen der 70er-Jahre werden auch das Leben im Alter emanzipieren. Das heißt auch, offensiv mit dem Tabu Alterseinsamkeit umzugehen. Hierzu kann eine statistische Auswertung sicherlich Hinweise liefern, ein Rezept aber, wie die zukünftigen Alten ihr Leben gestalten wollen, ist damit noch nicht aufgeschrieben. Das müssen die Menschen selbst entscheiden. Politik kann hier Hilfestellung geben, aber sie darf keine Vorschriften machen.
Die Ministerpräsidentin hat die politische Dimension der alternden Gesellschaft als Herausforderung angenommen. Deshalb zeichnen der schon vor einiger Zeit erschienene Bericht der Landesregierung zum demographischen Wandel und die Antwort auf die Große Anfrage der SPD ein gutes Bild über die statistischen Grundlagen für die zukünftig über 60-jährigen Menschen.
Ich komme zum zweiten Vorurteil, das durch die Statistik widerlegt wird: Alte Menschen sind arm und liegen dem Staat auf der Tasche. Fakt ist, die hauptsächliche Einkommensquelle der über 65-Jährigen in Schleswig-Holstein ist die Rente. Nur 2,6 % aller über 65-Jährigen stehen ohne Rente und ohne Einkommen da. Dies sind meist Ehefrauen.
Auch das dritte Vorurteil, alte Menschen seien reich und würden nichts abgeben, stimmt nicht. Knapp 20 % der über 65-Jährigen haben in SchleswigHolstein ein Einkommen von weniger als 500 Euro im Monat. Dies muss bedenklich stimmen. Die Forschung darüber, welchen Anteil ihres Einkommens die wohlhabenden älteren Menschen in Geschenke und Unterstützung an ihre erwachsenen Kinder und Enkel investieren, steckt noch in den Anfängen. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass dies ein erheblicher ökonomischer Beitrag ist, der entsprechende volkswirtschaftliche Impulse auslöst. Auch hierzu Genaueres zu wissen, wäre interessant, wenn man Zukunft gestalten will. Die Forschung hierzu ist aber - wie gesagt - bundesweit noch kümmerlich. Wir müssen hier alle Länder in die Pflicht nehmen.
Zum vierten Vorurteil: Am gefährlichsten ist es, wenn ältere Menschen sich allein auf der Straße bewegen. Das ist ganz falsch. Es gibt zwar eine etwas höhere Zahl an Verkehrsopfern in dieser Bevölkerungsgruppe, aber alte Menschen „bauen“ statistisch gesehen die wenigstens Autounfälle, wenn sie am Steuer sit
zen. Die Gewaltdelikte in der Öffentlichkeit gegen ältere Menschen sind viel geringer als die Delikte gegen junge Männer und Frauen. Allerdings sind ältere Menschen - insbesondere hoch betagte - gefährdet, Trickbetrügereien am Telefon oder Gewalt in der Pflege zum Opfer zu fallen. Hier gibt es eine hohe Dunkelziffer. Insgesamt haben alte Menschen mehr Angst vor Gewalt. Deshalb ist es gut, dass Schleswig-Holstein dieser Angst und auch dem Wunsch, sich sicherer zu bewegen, mit den Konzepten der kriminalpräventiven Räte begegnet ist. Es ist auch gut, dass sich in der Pflege viel getan hat. Darauf komme ich noch.
Die Landesregierung und der Landtag haben sich früher als andere darauf eingestellt, dass SchleswigHolstein im wahrsten Sinne des Wortes altert. Die Landesregierung verstärkt deshalb bewusst die Infrastrukturangebote für ältere Menschen. Dies gilt insbesondere für den gesundheitlichen Bereich und für den Bereich der Wohnungsbauförderung.
Geriatrie ist das Thema von Aus- und Fortbildungen in den medizinischen Berufen. Ein geriatrisches Versorgungsnetz wird aufgebaut. Hier wollen wir noch mehr erreichen. Wir sollten im Ausschuss darüber sprechen, wie weit wir gekommen sind und was die nächsten Schritte sind.
Schleswig-Holstein hat als erstes Bundesland alle stationären Pflegeeinrichtungen durchforstet, Pflegenottelefone und Pflegeberatungen aufgebaut. Die Zahlen zur Heimdauer, die Frau Kleiner genannt hat, stimmen auch mich nachdenklich. Hier sollten wir überlegen, wie wir handeln. Das ist aber keine Frage von Schuldzuweisungen, sondern eine Frage des Ergreifens der nächsten Schritte. Auch hierzu hat die Landesregierung Vorschläge gemacht.
Im Kultur- und Weiterbildungsangebot, aber vor allem auch im Wohnungswesen beginnen sich viele Akteure auf die ältere Generation einzustimmen. Schleswig-Holstein hat im Vergleich zum Bundesdurchschnitt fast doppelt so viele Servicewohnanlagen für ältere Menschen. Zum barrierefreien Bauen verpflichtet bekanntlich das Landesgleichstellungsgesetz. Seit wenigen Wochen bietet die Wohnungsbauförderung der Landesregierung Unterstützung für neue Wohnformen, die Pflegewohngemeinschaften leichter ermöglichen und auch die Gründung von Kleingenossenschaften ermöglichen. Die Landesregierung kommt damit wiederholten Forderungen des Altenparlaments nach.
Natürlich gibt es auf diesem Sektor noch reichlich zu tun, aber das ist nicht nur eine Frage der Landesregierung, sondern auch eine Frage vieler gesellschaftlicher Akteure.
Erstens: Der Verbraucherschutz und das Tourismusangebot für ältere Menschen müssen differenziert ausgebaut werden. Verheerende Noten haben beispielsweise verschiedene Automaten des öffentlichen Nahverkehrs und der Banken von der alten Generation erhalten. Mehr Servicequalität ist gefragt. Ein Fahrplan für ganz Schleswig-Holstein ist dazu ein Beitrag, für den wir Grünen uns stark machen.
Das Altenparlament fordert, dass Tourismusangebote gezielter für ältere Menschen gestaltet werden und dass insbesondere auch pflegebedürftige Menschen die Chance haben, als Konsumenten und Touristen möglichst ohne fremde Hilfe zurechtzukommen. Hierzu sei in Schleswig-Holstein auch die Wissenschaft gefordert. Ich habe mich deshalb, wie es das Altenparlament vorgeschlagen hat, mit einer entsprechenden Anregung, Forschung und Lehre hierauf auszurichten, an den neuen Fachbereich Touristik an der Fachhochschule Heide gewandt.
Zweitens: Diagnose, Behandlung und pflegerischen Versorgung von Menschen mit Demenzerkrankungen. Hier muss es dringend radikale Verbesserungen geben. Diese Erkrankung trifft inzwischen schon fast 9 % der über 65-Jährigen. Hierbei fällt besonders negativ ins Gewicht, dass nur 20 % der Pflegebedürftigen insgesamt zu Hause von ambulanten Pflegediensten versorgt werden. Offenbar sind die Konditionen für den ambulanten Pflegesektor seitens der Pflegekassen immer noch so schlecht, dass sich nur zögernd Alternativen zum Heim etablieren. Ich werbe hiermit bekanntlich besonders für Wohngemeinschaften mit intensiver Pflege, wie sie sich in der Metropole Berlin und neuerdings auch in Hamburg etabliert haben. Auch hier gibt es erste Träger, die hierzu Angebote planen. Ich kann an dieser Stelle nur an die Pflegeklassen appellieren, diese Formen zu fördern und nicht zu blockieren.
- Es gibt sie schon, aber es sind noch zögerliche Anfänge, es müssen mehr werden. Aus Gesprächen weiß ich, dass das ein schwieriges Thema mit den Pflegekassen ist. Investiv wird gern gefördert, aber wenn es um die Pflegesätze geht, wird das Thema schwierig.
Das Thema Hospizversorgung sehe ich ähnlich kritisch wie die Vertreterin der Opposition, Frau Kleiner. Wir können uns mit 49 Plätzen zwar schon sehen lassen, aber ich glaube, es werden in Zukunft nicht genug sein. Ob es 100 oder 125 sein werden, ist schwierig abzuschätzen. Dass hier ein Ausbau in allen Regionen des Landes gefragt ist, darüber dürfte kein Zweifel bestehen.
Ich komme zu einem dritten Punkt: Wir müssen im öffentlichen Bewusstsein noch klarer verankern, dass auch Migrantinnen und Migranten alt werden. Die Landesregierung hat mit den Wohlfahrtsverbänden zwar schon wiederholt zu den sich daraus ergebenden Fragestellungen Fortbildungen organisiert. Dennoch finden viele Migrantenfamilien bisher noch weniger als andere Unterstützung für die Probleme, die sich aus der Pflege hoch betagter Angehöriger ergeben.
Hier sind wiederum nicht nur Einzelne in der Regierung gefordert, sondern Verbände, Vereine, die kommunalen Verwaltungen, die Ärzteschaft, die Krankenhäuser.
Trotz all dieser noch zu beackernden Handlungsfelder ziehen ältere Menschen gern nach Schleswig-Holstein und dies in wachsender Zahl. Das zeigt: Reife Menschen schätzen das Potenzial an Natur, Kultur und medizinischer Versorgung unseres Landes. Sie nutzen die Fußläufigkeit beispielsweise in meiner Wahlheimat Lübeck oder in Travemünde. In eines wollen sie keineswegs abgeschoben werden: ins Getto. Sie vertrauen darauf, in Schleswig-Holstein im Alter gut leben zu können. Herr Beran hat das anschaulich dokumentiert.