Trotz all dieser noch zu beackernden Handlungsfelder ziehen ältere Menschen gern nach Schleswig-Holstein und dies in wachsender Zahl. Das zeigt: Reife Menschen schätzen das Potenzial an Natur, Kultur und medizinischer Versorgung unseres Landes. Sie nutzen die Fußläufigkeit beispielsweise in meiner Wahlheimat Lübeck oder in Travemünde. In eines wollen sie keineswegs abgeschoben werden: ins Getto. Sie vertrauen darauf, in Schleswig-Holstein im Alter gut leben zu können. Herr Beran hat das anschaulich dokumentiert.
Diese Wertschätzung unseres Landes durch die ältere Generation sollte für die Verantwortlichen in Wirtschaft, Kultur, öffentlichem Leben und Politik Ansporn sein, auf vielfältige und bestmögliche Weise den Bedürfnissen der älteren Generation Rechnung zu tragen. Diese Bedürfnisse werden genau wie die Bedürfnisse anderer Generationen je nach sozialer Gruppe sehr verschieden sein. Hier ist eine konzertrierte Aktion gefragt mit ähnlicher gesellschaftlicher Dimension wie bei der anstehenden Schulreform.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antworten der Landesregierung auf die Fragen der SPDFraktion zur Situation der älteren SchleswigHolsteiner zeigen, dass man nicht mehr von den Senioren sprechen kann, wenn man es denn überhaupt einmal konnte. Einkommen, Wohnung, soziales Umfeld unterscheiden sich teilweise erheblich. Inzwischen ist jeder vierte Schleswig-Holsteiner 60 Jahre oder älter. Hier kann man schon lange nicht mehr von einer einheitlichen Gruppe sprechen. Von diesem Denken, dass es so etwas wie „die Alten" gibt, sollten wir uns verabschieden, weil es einfach nicht mehr der Situation entspricht. Das belegen die Antworten.
Vorab eine methodische Bemerkung: Ich hätte erwartet, dass die Landesregierung vielleicht auch die älteren Schleswig-Holsteiner selbst, ein oder zwei über 60-Jährige, berücksichtigt hätte, sodass sie ihre Interessen und Wünsche hätten einbringen können. Die älteren Menschen, zu denen man gemeinhin Bürgerinnen und Bürger zählt, die älter als 60 Jahre sind, haben sehr genaue Vorstellungen davon, wie sie ihr Leben gestalten und wie sie mit den erwarteten gesundheitlichen Einschränkungen umgehen wollen. Das Altenparlament zeigt bei jeder Sitzung eindrücklich, dass sich Selbstbewusstsein und der Wunsch nach Autonomie mit dem Alter durchaus vereinbaren lassen.
Die Landesregierung hat in ihrer Vorbemerkung zu Recht auf das so genannte Kompetenzmodell verwiesen, das von einem ressourcenorientierten Ansatz in der Seniorenpolitik ausgeht. Nicht nur die Probleme, die sich mit steigendem Alter einstellen, sollen die Planung bestimmen, sondern die Interessen, Fähigkeiten und Neigungen der älteren Generation. Das unterstützt der SSW ohne Einschränkung. Es darf keine Bevormundung der Alten geben. Wer an den Interessen der älteren Menschen vorbeiplant, aus welchen Motiven auch immer, entmündigt diese Personengruppe.
Ich möchte am Beispiel der Migranten zeigen, was ich meine. Die Situation der älteren Migranten stellt sich genauso dar, wie es die Öffentlichkeit immer noch häufig für den Großteil der Alten vermutet: von hohem Armutsrisiko betroffen, in ungünstigen Wohnungen und oftmals nur unzureichend informiert. Die
Landesregierung sieht die Herausforderungen durchaus, die aus der zunehmenden Zahl älterer Migranten herrühren, macht aber zurzeit noch keine konkreten Vorschläge. Wenn erst mit aller Macht zahlenstarke Migrantenjahrgänge verrentet werden, ist es zu spät, die Senioren- und Pflegepolitik umzustellen. Der SSW erwartet, dass sich die Landesregierung dieses Themas nicht nur auf akademischem Niveau annimmt und entsprechende Fachliteratur zitiert, sondern einen Handlungsplan vorlegt und mit den entsprechenden Migrantenorganisationen spricht.
Jetzt hat die Ministerin in ihrem mündlich abgegebenen Bericht diesen Punkt ausdrücklich hervorgehoben. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Denn das geht aus der Antwort auf die Große Anfrage nicht so deutlich hervor.
Ich weiß natürlich, dass die Große Anfrage vor allem die Neugierde des Parlaments befriedigen soll. Aber - wie gesagt - bei diesem Punkt besteht erheblicher Handlungsbedarf. Folgendes ist nämlich klar: Migranten haben wie alle Alten ein Recht auf ein würdevolles Altern. Gerade in unseren großen Städten brauchen wir daher sicherlich eine türkischsprachige Infrastruktur, was Beratung, aber auch Pflege angeht. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen.
Bei den Migranten ist auch heute schon die Altersarmut ein Problem. Ansonsten ist die Altersarmut, wie die Antworten der Landesregierung zeigen, ein Problem, das in der deutschen Bevölkerung insgesamt zurückgeht. Vor allem immer mehr Frauen haben eigene Rentenansprüche erworben, sodass sie im Alter nicht auf eine weitere Unterstützung durch das Sozialamt oder die Familie angewiesen sind. In diesem Zusammenhang aber davon zu reden, dass das Phänomen der Altersarmut langsam aus der Bevölkerungspyramide herauswächst, finde ich merkwürdig. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass hoch betagte Frauen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, langsam aussterben. Solches Vokabular in den Statistiken ist problematisch.
matik etwas mehr Aufmerksamkeit zuwenden und nicht vergessen, dass Sie selbst von der Thematik nur zurzeit nicht betroffen sind.
Deshalb wäre es interessant gewesen, wie die Grundsicherung die Einkommenssituation der älteren Schleswig-Holsteiner verändert hat. Auf die entsprechenden Daten werden wir wohl noch etwas warten müssen.
Die SPD-Fraktion wollte gern auch mehr über die Wohnsituation der Älteren erfahren. Gerade das Altenparlament hat sich in seiner letzten Sitzung ausführlich mit alternativen Wohnformen auseinander gesetzt. Selbst bestimmtes Wohnen war und ist ein wichtiges Thema. Das Altenparlament fordert gemeinschaftliche Wohnformen von Menschen aller Altersgruppen. Ich möchte hier nicht weiter auf dieses Thema eingehen; wir haben uns im November ausführlich darüber unterhalten. Eine angemessene Wohnung in einem angenehmen Umfeld ist einer der Wohlfühlfaktoren überhaupt. Ältere Menschen und auch ich fühlen sich in der Umgebung am wohlsten, die ihren unterschiedlich starken Bedürfnissen von Privatheit, Autonomie oder der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung entspricht.
Heute können mit relativ geringem Mehraufwand seniorengerechte Wohnungen gebaut werden - was vor zwei Jahrzehnten die absolute Ausnahme war. Bauliche Konzepte verändern sich rasant. Darum kommt es auf eine bedürfnisgerechte und langfristige Planung an.
Ich möchte hier ein Beispiel aus meinem eigenen Wohnquartier nennen, um zu illustrieren, dass sich Planungsfehler nur schwer korrigieren lassen. Duburg - so heißt der Stadtteil in Flensburg, in dem ich wohne - ist wunderschön; es ist von gründerzeitlichen Mehrfamilienhäusern geprägt. Innenstadtnah verfügte es noch vor wenigen Jahren über eine Versorgung mit allem, was man täglich so braucht, durch kleine Läden. Das hat sich verändert. Die kleinen Läden in der Nachbarschaft schließen einer nach dem anderen. Dazu kommt, dass in den hundert Jahre alten Häusern der Komfort manchmal zu wünschen übrig lässt, insbesondere Fahrstühle gibt es fast gar nicht. Dies hat zur Folge, dass ältere Bewohner in dem Stadtteil unterdurchschnittlich vertreten sind. Ältere Bewohner stehen auch für soziale Stabilität in einem Stadtteil. Doch wie soll man Ältere neu in den Stadtteil locken beziehungsweise verhindern, dass sie wegziehen? Das ist gar nicht so einfach. Das ist eine schwere Aufgabe, die sicherlich Jahre in Anspruch nehmen und nur mit erheblichen Investitionen zu bewältigen sein wird,
aber bei der Stadt Flensburg beschäftigt man sich bereits mit dieser Herausforderung, was mit dem Innenstadtwohnquartier passiert.
Wir müssen heute aber auch Entscheidungen für Menschen treffen, die erst in zwanzig Jahren der Definition nach Senioren sind, die jetzt also zwischen 40 oder 50 Jahre alt sind. Dies sind die Baby-Boomer, zu denen auch ich gehöre, die allein aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke eine sehr große Herausforderung für eine langfristige Planung darstellen. Die Planungskoordinierung für diesen Bereich liegt meines Erachtens in der Zuständigkeit der Landesregierung. Niemand sollte dabei das Rad neu erfinden müssen, die Landesregierung sollte aber für einen Informationsaustausch sorgen, damit Gemeinden und Kreise gegenseitig von guten Erfahrungen in diesem Bereich profitieren können.
Ein weiteres Thema sind die Beratungsstellen. Pflegebedürftigkeit kann nach einem Schlaganfall oder nach einem Sturz von einem Tag zum anderen ein großes Problem in einer Familie werden. Da kann man kaum von einer Infostelle zur nächsten laufen, um sich mühsam alle Informationen zu besorgen. Der SSW unterstützt deshalb insbesondere den Aufbau eines flächendeckenden Netzes trägerunabhängiger Beratungsstellen. Dort liegen alle Informationen vor, Adressen, Art und Weise der Einrichtungen und Ähnliches.. Die Landesregierung sagt auch hier wieder in der Antwort, dass sie gern für eine flächendeckende Versorgung sorgen will. Hier ist man aber eindeutig auf die Unterstützung der Kreise und Kommunen angewiesen.
Angesichts des Umfangs der Antwort der Landesregierung kann man natürlich nur auf einige Aspekte eingehen. Ich möchte deshalb kurz am Ende meiner Rede auf das Thema Mobilität zu sprechen kommen. Wer schon einmal mit einem schweren Koffer von einem verspäteten Zug zum Anschlusszug hetzen musste, insbesondere in Neumünster, eine Etage herunter, eine Etage hoch
- ich fahre selten über Lübeck nach Hamburg; ich fahre immer über Neumünster -, der weiß barrierefreie Bahnhöfe zu schätzen und komfortable Umsteigezeiten. Das ist nicht nur ein Problem der Senioren. Das gilt für alle Menschen, vor allen Dingen, wenn man Koffer dabei hat. Es wäre schön, wenn wir dort weiterkämen.
Eine einheitliche und verständliche Tarifstruktur und Fahrpläne wären sehr schön, insbesondere bei den Automaten. Ich weiß nicht, ob Sie einmal vor einem Automaten gestanden haben. Ich kann Ihnen sagen,
das ist immer ein Vabanquespiel. Ich bin auch schon einmal mit einer Hundefahrkarte gefahren, denn ich wusste nicht, auf welchen Knopf ich drücken sollte. Wenn man aber ohne Fahrkarte fährt, ist das Problem, dass man Wahnsinnszuschläge bezahlen muss, wenn man aber eine Karte mithat, kann man die entsprechend ergänzen. Ich kann Ihnen sagen, das Problem bestand von Klanxbüll nach Westerland. Dort gibt es nämlich nur Fahrkartenautomaten und niemanden, der einem sagen kann, wie dieser komische Automat funktioniert.
Diese Bedürfnisse werden auch im Altenparlament immer wieder artikuliert. Das gilt auch für Mobiltelefone und anderes.
Ich fände es richtig, wenn wir in Zukunft bei jedem Projekt, bei jedem Objekt überlegten, dass die Barrierefreiheit in jeder Form zu berücksichtigen ist, nicht nur für Ältere.
Auch für mich wäre es bei einigen Projekten und Objekten wichtig, auch bei Mobiltelefonen. Ich will gern darauf hinweisen, ich trage jetzt eine Brille, weil ich nicht mehr so gut gucken kann, und da wäre es doch schön, wenn das Display vom Handy etwas größer wäre als bei diesen Suchmaschinen, die man darauf nur noch hat.
Ich denke, wir werden uns mit dem Bericht im Ausschuss weiter beschäftigen. Vielen Dank noch einmal an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für diesen Bericht und insbesondere auch Ihnen, Frau Ministerin.
Nun hat wie versprochen die Frau Abgeordnete Kleiner das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung erbeten und sie soll es gern haben.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich fürchte, ich werde Ihre Erwartungen nicht erfüllen, denn ich bin hier nicht im Kabarett, sondern im Plenum des Landtages.
Ich möchte zunächst einmal ganz ernsthaft noch etwas nachtragen zur palliativen Versorgung in Schleswig-Holstein. Das liegt mit sehr am Herzen, denn die liegt genau wie in allen übrigen Bundesländern auch in Schleswig-Holstein noch sehr im Argen. Wir sind fast ein Entwicklungsland. Wird die Palliativmedizin nicht wesentlich nachhaltiger als bisher gefördert, öffnen wir der aktiven Sterbhilfe Tür und Tor.
Das ist eine ethische Dimension, deren Bedeutung in der Tagespolitik weitgehend immer noch falsch bewertet wird. Ich sage das in allem Ernst, denn für viele ältere Menschen - auch für jüngere am Lebensende - ist es einfach eine ganz schlimme und bedrückende Vorstellung, unter heftigsten Schmerzen, vielleicht auch allein gelassen, zu Tode zu kommen. Das ist sehr häufig der Grund, weshalb sie den Wunsch nach einer erlösenden Spritze oder einer Pille äußern, nicht unbedingt, dass es wirklich der Lebensüberdruss ist.
Was den bundespolitischen Kontext des Älterwerdens in Schleswig-Holstein betrifft, will ich unsere Position nur in zwei Punkten verdeutlichen. Das Alterseinkünftegesetz ist für viele ältere Menschen eine abschüssige Bahn in die Altersarmut, und zwar schon deswegen, weil sich Rot-Grün nicht bereit gefunden hat, das Rentenmindestniveau ausreichend abzusichern. Die einschlägige Regelung hat nur den Charakter einer Appellfunktion.
Mit dem Entwurf eines Verwaltungsvereinfachungsgesetzes hat die Bundesregierung im Hinblick auf die Pflegeversicherung nunmehr endgültig einen Reformstopp vollzogen. Die dringend notwendige umfassende Reform wird auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben. Sie kommt also frühestens 2007. Das ist in Wahrheit ein sozialpolitischer Skandal. Rot-Grün kneift aus Angst vor der großen Wählergruppe der älteren Generation und die Landesregierung und die Ministerpräsidentin Simonis schweigen dazu. Das Kleben an Regierungssesseln ist eben wichtiger als der Wunsch nach ausreichender Entwicklung der Pflegeversicherung.