Protocol of the Session on June 16, 2004

trägerunabhängigen Pflegeberatungsstellen zusammen hatten im Jahre 2003 einen Jahresetat von 1,398 Millionen €. Die Netto-Einspareffekte alleine der Arbeit der Beratungsstellen für die Kostenträger der Sozialhilfe lag bei 2,891 Millionen €. Diese Beratungsstellen machen sich nicht nur verdient, sondern sie tun auch Gutes für die Menschen, die dringend auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind.

Wir fordern die Kreise auf, diesen Weg fortzusetzen. Die Beratungsstellen haben unsere Unterstützung für ihre weitere Arbeit. Ich hoffe, dass das Sozialministerium nach dem Auslaufen des Modellprojektes in der Lage sein wird, eine vernünftige Übergangslösung für jede einzelne Beratungsstelle zu finden.

(Beifall bei SPD und SSW)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Kolb das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Baasch, Sie sprechen von einem Erfolgsmodell. Ich beobachte und höre aber, dass dieser Erfolg von Ihrer Seite ausschließlich in Zahlen und nicht sowohl in Zahlen als auch in Qualität gemessen wird.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Meine Damen und Herren, Bund, Land und Kommunen, wir alle sind in der Pflicht, ohne falsche Rücksichtnahme, Missstände in der Pflege nicht nur zu beseitigen, sondern Strukturen zu schaffen, die Fehlentwicklungen in Zukunft vermeiden. Angesichts der festgestellten Missstände, über die wir heute Morgen bereits gesprochen haben, reicht es auf keinen Fall aus, den Willen zu mehr Beratung ausschließlich zu artikulieren. Wenn wir mehr wollen als eine Pflege nach dem Prinzip von „satt und sauber“, dann muss die Frage gestellt werden, was Politik tun kann, um dieses Ziel möglichst schnell zu erreichen? Wie kann ein Konzept aussehen, mit dem den Betroffenen und ihren Angehörigen, den Heimträgern, dem dort beschäftigten Personal sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Heimaufsichtsbehörden, Medizinischem Dienst, Pflegekassen und Sozialhilfeträgern mehr Bewusstsein im Hinblick auf die Qualitätsverbesserung der Pflegesituation vermittelt werden soll?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Landesregierung hatte im April 2000 ein Maßnahmenkonzept zur Sicherstellung und Weiterentwicklung der Pflegequalität aufgelegt. Wir haben davon gehört. Im Rahmen dieser Pflegequalitätsoffensive war unter anderem für

vier Jahre die Förderung der Einrichtung regionaler trägerunabhängiger Beratungsstellen vorgesehen. Wir haben gehört, dass dies, was wirklich bedauerlich ist, flächendeckend nicht erfolgen konnte. Durch dieses Projekt sollten Defizite in den bereits vorhandenen und gesetzlich geregelten Beratungsverpflichtungen durch ein neutrales Beratungsangebot ausgeglichen werden und sind zum Teil auch ausgeglichen worden.

Da uns kein schriftlicher Bericht vorliegt, hatte ich mir die Frage notiert: Wurde dieses Ziel erreicht? Diese Frage wurde von Ihnen, Frau Ministerin, für mich in Ihrem mündlichen Bericht nicht ganz ausreichend beantwortet.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Haben denn die mittlerweile neun Beratungsstellen, die zwischen November 2000 und Juli 2002 in verschiedenen Kreisen ihre Arbeit aufgenommen haben, die Anforderungen an ein klientenorientiertes Hilfsangebot in Gänze erfüllt? Konnte die Pflegebedarfsplanung der Kommunen unterstützt werden? Die Frau Ministerin hat uns gesagt, die finanzielle Unterstützung dieser Beratungsstellen laufe aus. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht ausläuft. Wenn es so erfolgreich war, wie dargestellt, lieber Kollege Baasch, dann sollte man dieses Modell auch weiterführen und nicht auslaufen lassen.

(Beifall bei der FDP)

Diesbezüglich erwarte ich noch viele Antworten auf Fragen, die heute offen geblieben sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die gegenwärtige Diskussion zur Pflege zeigt, dass noch viel getan werden muss, um das Ziel zu erreichen. Zwar leisten die Beratungsstellen einen wichtigen Beitrag, um die Betroffenen und ihre Angehörigen, Pflegeeinrichtungen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiten in den Einrichtungen zu unterstützen, jedoch besteht aus meiner Sicht immer noch die Gefahr, dass eine Hilfestellung erst dann erfolgt, wenn Probleme aufgetreten sind.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Deshalb muss ein solches Beratungsangebot nicht nur stärker beworben, sondern auch mit anderen Angeboten wie beispielsweise mit dem Pflegenottelefon deutlich besser vernetzt werden. Erst im Zusammenspiel mit anderen Angeboten kann mit einem solchen Beratungsangebot sinnvoll agiert werden. Dazu gehört für mich, dass insbesondere eine engere Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten angestrebt werden muss. Diese halte ich für außerordentlich wichtig. Zwar besteht keinerlei rechtliche Grundlage, doch es muss gerade bei einer trägerunabhängi

(Veronika Kolb)

gen Beratungsstelle möglich sein, den Mediziner als Ansprechpartner mit einzubinden. Gerade der behandelnde Arzt, der seinen Patienten regelmäßig sieht, kontrolliert und informiert, kann auf Veränderungen und neue Bedürfnisse seiner Patienten eingehen. Fast immer dient er als erster Ansprechpartner, nicht nur für seine Patienten, sondern auch für die Angehörigen. In den Pflegeeinrichtungen ist die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Pflegepersonal ein sehr wichtiges Kriterium, um die Bedürfnisse des Bewohners beziehungsweise des Patienten zu ermitteln.

Nur der permanente Dialog zwischen allen Parteien kann eine gute Zusammenarbeit fördern, von der letztlich alle profitieren. Umso weniger kann auf die Kompetenz des Hausarztes verzichtet werden. Aus meiner Sicht ist es nicht nur sinnvoll, sondern zwingend erforderlich, den Dialog zwischen den Beratungsstellen und den Medizinern herzustellen.

Der Ansatz einer Beratungsstelle ist sinnvoll, wenn dadurch erreicht werden kann, dass durch eine individuelle Beratung entsprechende Pflegeangebote genutzt werden können, die nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen verbessern, sondern, wo möglich, auch die der Angehörigen. Auch diese spielen ja eine große Rolle. Allerdings dürfen die Beratungsstellen - das habe ich bereits erwähnt - nicht zur reinen Kosteneinsparungsstelle der Pflegekassen mutieren. Umso wichtiger ist es klarzustellen, dass die Unabhängigkeit weiterhin gewährleistet ist.

Meine Damen und Herren, wenn wir eine verbesserte Pflegequalität erreichen wollen, dürfen wir uns nicht auf Einzelbeschwerden vor Ort beschränken, sondern müssen uns darauf konzentrieren, wie ein Gesamtkonzept der Pflege geschaffen und die qualitative Umsetzung der Pflege erreicht werden kann. Trägerunabhängige Beratungsstellen können nur ein Mosaikstein dieses Konzeptes sein. Verschiedene „Bausteine“ zur Verbesserung der Pflege dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Erfolg langfristiger Konzepte vor allem damit steht und fällt, ob die Pflege zukünftig als ein gesamtgesellschaftliches Problem gesehen wird. Dazu gehören für mich auch die entsprechenden Kontrollmöglichkeiten.

Gerade die letzten Wochen haben gezeigt, wie notwendig unabhängige Beratungsstellen sein können. Grundsätzlich jedoch muss es unser vorrangiges Ziel sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die in der Zukunft solche Einrichtungen überflüssig machen. Pflege- und Betreuungsleistungen müssen in Zukunft unabhängig davon, ob sie in der Familie, von einem ambulanten Pflegedienst oder einem Pflegeheim erbracht werden, so erbracht werden, dass Beratungs

bedarf oder gar Beschwerden weitgehend ausgeschlossen werden können.

Meine Damen und Herren, bei allen Bemühungen um die Verbesserung der Pflegequalität und der Pflegestruktur darf nicht vergessen werden, dass die Pflegequalitätsoffensive der Landesregierung bis heute noch keine konkrete Erfolgskontrolle hat. Dass dies so ist, wurde erst kürzlich wieder deutlich. Das Zusammenspiel MDK, Kassen, Heimaufsicht und Fachaufsicht hat bis heute in vielen Fällen versagt oder funktioniert nur mit erheblichen zeitlichen Verspätungen. Das Bermudadreieck in der Pflege, wie Sie es genannt haben, Herr Kalinka, können auch diese Beratungsstellen nicht abdecken. Ein so genannte Pflegecontrolling sollte allerdings nicht beim Sozialministerium angesiedelt werden. Die Prüfergebnisse des MDK im Januar 2002 in der Fachklinik Schleswig haben gezeigt, dass das Ministerium auch im Bereich der Heimaufsicht versagen kann. Auch wenn Sie der Landesregierung als derzeitige Fachaufsicht zu gern eine weitere Haftung für Unregelmäßigkeiten bei der Pflege zusprechen würden, Frau Kollegin Kleiner, plädiere ich immer wieder dafür, dass eine solche Stelle unbedingt unabhängig sein muss. Entsprechende Vorstellungen der FDP, wie ein trägerunabhängiger Pflegetyp aussehen könnte, haben wir ausreichend und mehrfach vorgestellt. Wir stellen Ihnen das gern nochmals in schriftlicher Form zur Verfügung, Frau Schümann.

Ich habe es bereits gesagt: Gerade die Einführung eines unabhängigen Kontrollmechanismus ist dringend erforderlich.

(Beifall bei der FDP)

Die überzeugendsten Qualitätsstandards nutzen nichts, wenn deren Einhaltung nicht kontinuierlich und unabhängig kontrolliert wird. Angesichts des zu erwartenden Anstiegs der Zahl pflegebedürftiger Menschen wird der Zielkonflikt zwischen Pflegequalität und Wirtschaftlichkeit in der Zukunft noch an Schärfe gewinnen. Umso notwendiger ist deshalb eine unabhängige Instanz. Erst das Zusammenspiel von Prävention und Beratung sowie Kontrolle und Intervention kann dazu beitragen, dass von allen Beteiligten gemeinsam die gewünschte Qualität erreicht wird.

Frau Ministerin, Sie haben vorhin Ihren unbedingten Willen zur Aufklärung formuliert. Ich hoffe jetzt darauf, dass ich bei Ihnen den unbedingten Willen zur Schaffung dieser erforderlichen Strukturen voraussetzen kann.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beiträge der Opposition machen mich wirklich ein bisschen ratlos. „Thema verfehlt“ würde ich bei einigen sagen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Zuruf von der SPD: Keine Ah- nung! Das ist viel schlimmer!)

- Ahnungslosigkeit tritt zutage. Ein unglaublicher Ruf nach dem Staat wird laut. Gleichzeitig wollen Sie Steuern senken. Ich frage mich, wie der gigantische Staat, den Sie sich vorstellen,

(Werner Kalinka [CDU]: Was hat das mit Pflege zu tun?)

der Kommunen, Pflegekassen und alle möglichen Verbände kontrolliert und das operative Geschäft besser macht, finanziert werden soll. Ich weiß auch nicht, ob die Menschen einen solchen Staat wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Insbesondere vonseiten der FDP ist ein solcher Beitrag sehr merkwürdig. Sie reden von der Unabhängigkeit eines Pflege-TÜVs, Frau Kolb. Letztlich steckt dahinter die Vorstellung, dass der Staat eine Institution veranlassen und finanzieren muss,

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Quatsch! Sie haben überhaupt nichts kapiert!)

die die Kontrollfunktion für eine Reihe von anderen Institutionen, die Kontrollfunktionen haben, übernimmt. Ich halte das für überflüssig.

(Veronika Kolb [FDP]: Das zeigt nur die Struktur Ihres Denkens! Wir meinen es ganz anders!)

Zurück zum eigentlichen Thema, der Pflegeberatung! An dieser Stelle kann ich sagen: Ich setze hier auch auf den Mut der Bürgerinnen und Bürger. Menschen, die selber in eine Pflegenotlage kommen oder die für ihre Angehörigen die richtige Pflege suchen, sind nicht unmündig. Sie brauchen nur eine gute Information: Was finde ich vor Ort und wie passt das Angebot, das ich dort finde, zu dem, was ich brauche? Das ist die eine Funktion der Pflegeberatung. Die zweite Funktion ist: Wenn tatsächlich Notrufe auflaufen - wir haben in Schleswig-Holstein dankenswerterweise das zentrale Notruftelefon für die Pflege, das sich sehr bewährt hat -, sollen diese in Zukunft vor Ort an

die Pflegeberatungsstellen weitergeleitet werden, weil sie dann in einer solchen dezentralen Struktur besser und schneller bearbeitet werden können. Das ist zwischen den Beteiligten schon verabredet. Allerdings braucht man dazu die Pflegeberatungsstellen. Das ist die zweite Aufgabe.

Die dritte Aufgabe ist die Hilfe bei der Planung. Die Kommunen sind gut beraten, das, was bei den Pflegeberatungsstellen an Bedarf durch die Bürgerinnen und Bürger deutlich wird, in die Entwicklungsplanung einzustellen.

Jetzt kann ich an dieser Stelle sagen: Wenn es sie nicht schon in einigen Landkreisen und kreisfreien Städten gäbe, müssten wir eine solche Pflegeberatungsstelle schleunigst erfinden. Denn schon längst haben die Kommunen und Landkreise im Eigeninteresse nach Einführung der Pflegeversicherung sowohl Planungsaufgaben als auch Beratungsaufgaben zu übernehmen. Das ist inzwischen ein Teil der Daseinsvorsorge. Das müssen wir uns klarmachen. Das ist eine Aufgabe, die angesichts der demographischen Entwicklung immer wichtiger wird. Es brauchte aber in Schleswig-Holstein die Anstöße und die Anschubfinanzierung durch das Land, bis die ersten Beratungsstellen gegründet wurden.

An die Adresse von Herrn Kalinka sei gesagt: Sie behaupten, das Land würde sich zurückziehen. Das Gegenteil ist der Fall. Kein Mensch vor Ort hat die Initiative ergriffen. Frau Moser hat den Kommunalpolitikern die Beratungsstellen mit Engelszungen nahe bringen müssen. Glücklicherweise war sie bei einem Teil sehr erfolgreich. Jetzt ist es ausgerechnet der von der CDU-regierte Landkreis Ostholstein - neben einigen anderen -, der diese Beratungsstellen einstampfen will, obwohl sich das Land mit der Hälfte an den Kosten beteiligt und, wie die Ministerin angedeutet hat, bereit ist, über die Modellphase hinaus zu kooperieren. Ich glaube, hier ging es nicht nur um gute Worte, sondern auch um Finanzen. Sich in einer solchen Situation bei einer erfolgreichen Arbeit zurückzuziehen, das heißt: Es gibt immer noch Kommunen und Landkreise, denen die Situation der alten Menschen offensichtlich egal ist. Sie wollen solche Beratung nicht anbieten. Sie halten sie für überflüssig, für Luxus und sie sparen sie ein. Das muss man hier deutlich sagen. Das können Sie nicht der Landesregierung anlasten. Es ist ein Versagen vor Ort.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Es ist umso misslicher, wenn die gleichen Kommunen über knappe Finanzen klagen. Frau Ministerin Trau

(Angelika Birk)

ernicht hat es vorgerechnet: Diese Beratungseinrichtungen rechnen sich für den kommunalen Haushalt, indem überstürzte Einweisungen in Pflegeheime vermieden werden und es zu alternativen Pflegearrangements kommt, die häufig kostengünstiger sind und den Menschen mehr Freiheiten lassen. Was wollen Sie mehr? Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger stärken, dass sie nachfragen, was sie wirklich brauchen, müssen dafür sorgen, dass die Träger diese Nachfrage erfahren, zum Beispiel über die Pflegeberatung, und sich mit ihrem Angebot darauf einstellen, dass die Pflegekassen mitziehen und dass die Planung vor Ort in den Kreisen und Kommunen - „Wie soll unsere Pflegeinfrastruktur aussehen?“ - immer wieder nachjustiert wird. Aber genau daran hapert es.

Ich sage es ganz deutlich: Es gibt nach wie vor Landkreise und Kommunen, die von einer vorausschauenden Pflegeinfrastrukturplanung noch nicht viel halten und stattdessen denken: Augen zu und durch. In dieser Situation die Pflegeberatung zu kürzen oder ihr neue Aufgaben zu geben, wie es Frau Kolb formuliert hat, sie zu einer Superkontrollinstanz zu machen, ist der falsche Weg.