Protocol of the Session on April 30, 2004

Es bleibt dabei: Die Auswahl von FFH-Flächen und Vogelschutzflächen ist vielerorts mangelhaft und schadet dem Naturschutz, aber auch der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Es bestehen vielerorts weiter erhebliche berechtigte Zweifel an den fachlichen Begründungen für die Ausweisung von Gebieten. Aber erst einmal ausgewiesen, ist es praktisch unmöglich, die Ausweisung zurückzunehmen, auch wenn sich herausstellt, dass die Ausweisung zu Unrecht erfolgte oder der Grund nicht mehr vorliegt. Vielmehr hat nach sechs Jahren automatisch eine Ausweisung als Naturschutzgebiet zu erfolgen.

Die Menschen sind von einer solchen Ausweisung in ihrer Lebensweise und wirtschaftlichen Betätigung dauerhaft benachteiligt.

Meine Damen und Herren, das Land ist in Aufruhr und die Regierung darf nicht weiter die Entwicklungsmöglichkeiten Schleswig-Holsteins für ein paar fundamentale Umweltschützer billigend in Kauf nehmen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Nach all dem, was wir in Sachen NATURA 2000 von diesem Umweltminister ertragen mussten, ist es an der Zeit, dass die Ministerpräsidentin Führung zeigt. Die Zeit ist reif, den Minister zu entlassen, auch wenn er ohnehin nur noch zehn Monate im Amt wäre.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Landtagstagung ohne einen CDU-Antrag zu NATURA 2000!

(Zurufe)

Der Antrag von Frau Todsen-Reese und ihrer Fraktion mutet schon eher wie eine Presseerklärung an.

(Detlef Matthiessen)

Wenn ich mir Ihre Vorwürfe betrachte, die Sie dort gegen die Landesregierung erheben, muss ich unwillkürlich an die schlichtweg falsche CDU-Presse denken, die sich Frau Todsen-Reese und Herr Schlie nach ihrem Brüssel-Ausflug im März erlaubt haben, indem der Kommission Dinge unterstellt wurden, die so gar nicht gesagt wurden.

(Widerspruch bei der CDU)

Für die Debatte im parlamentarischen Raum halte ich es für geboten, nüchtern, sachlich und profunde vorzugehen.

Die CDU drückt ihre Missbilligung über die nicht frühzeitige Einbeziehung aller Beteiligten und Betroffenen aus. Dazu ist erstens zu sagen, dass das Beteiligungsverfahren vollkommen ordnungsgemäß und fristgerecht eröffnet wurde. Einzelheiten entnehmen Sie bitte den entsprechenden Amtsblättern.

Zweitens erweist sich die Naturschutzpolitik von Herrn Kayenburg, Frau Todsen-Reese und der Fraktion der CDU als außerordentlich widersprüchlich. In dem CDU-Entwurf für ein neues Landesnaturschutzgesetz vom 29. November 2002 in Unterabschnitt 3, § 21 Abs. 1 ist zu lesen: Die Gebiete, die der Kommission von der Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG zu benennen sind, werden nach den in dieser Bestimmung genannten Maßgaben durch die oberste Naturschutzbehörde ausgewählt.

Und nun kommt es: Absatz 2 des CDU-Vorschlages, der ja glücklicherweise keine Mehrheit hier im Hause gefunden hat, besagt, dass die oberste Naturschutzbehörde die Betroffenen, die Behörden und die öffentlichen Planungsträger sowie die nach § 45 anerkannten Vereine über die ausgewählten Gebiete lediglich informiert. - Möglichkeiten für eine Bürgerbeteiligung? Fehlanzeige! Dialog? Kein Wort in dem von Ihnen in diesem Hause vorgelegten Gesetzentwurf, meine Damen und Herren! Das ist die CDU!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Mit keinem Wort ist in dem CDU-Gesetzentwurf zur Novellierung des Landesnaturschutzgesetzes die Rede von Beteiligungsverfahren im Rahmen der Benennung von FFH- und Vogelschutz-Gebieten. Und jetzt, wo sich auf Eiderstedt von einer möglichen Ausweisung betroffene Bürger lautstark melden

(Zuruf der Abgeordneten Herlich Marie Tod- sen-Reese [CDU])

- wofür ich Verständnis habe -, präsentiert sich die CDU plötzlich als eiserne Verfechterin von Bürger

nähe und Transparenz und wirft der Landesregierung vor, viel zu wenig zu tun.

(Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Ist das verkehrt?)

Da die Debatte gewissermaßen zu einem Evergreen im Landtag avanciert, erlaube ich mir, hier auch einige andere Töne aus dem Land wiederzugeben. Der Landesnaturschutzverband Schleswig-Holstein, in dem nicht nur anerkannte Naturschutzverbände vertreten sind, sondern auch der Landesjagdverband, der Sportfischerverband, der Schleswig-Holsteinische Heimatbund und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald organisiert sind, bezog in der Anhörung zu dem Thema folgendermaßen Stellung: Die Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 20 des Landesnaturschutzgesetzes erhöhe die Akzeptanz der Grundstückseigentümer und komme der Umsetzung zugute. Dort wird die von uns letztlich durchgesetzte Novellierung des Landesnaturschutzgesetzes gutgeheißen, gerade auch in dem Punkt Transparenz und Bürgerbeteiligung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN - Veronika Kolb [FDP]: Sie lesen nur das, was Sie lesen möchten, Herr Matthies- sen!)

Genau diesen Weg beschreitet das Umweltministerium dankenswerterweise, so wie es die EUVorschriften verlangen.

Zehn schleswig-holsteinische Naturschutzorganisationen haben sich fachlich hinter die Landesregierung gestellt.

Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen, der in dem Antrag der CDU ebenso wie in der verzerrenden Darstellung der Rolle der EU in der oben genannten Presseerklärung zum Tragen kommt. Selbstverständlich trägt das Land und letztlich der Bund die Verantwortung für die Umsetzung der beiden Richtlinien, wer denn sonst! Auf eine Änderung der EURichtlinien zu verweisen, kann ich nur als plumpes Ablenkungsmanöver deuten. Mir ist nicht bekannt, dass sich irgendein EU-Parlamentarier der CDU für eine aktuelle Änderung der NATURA-2000Richtlinien eingesetzt hätte, Richtlinien, die eine unionsgetragene Bundesregierung 1979 und 1992 mitentwickelt und verabschiedet hat. Wenn es Ihnen als CDU solch eine Herzensangelegenheit ist, könnten Sie sich doch wenigstens über Ihre im Lande beheimateten EU-Parlamentsangehörigen an richtiger Stelle dafür verwenden, dass die aktiv werden, wenn Sie denn die Richtlinien ändern wollen.

(Zuruf der Abgeordneten Herlich Marie Tod- sen-Reese [CDU])

(Detlef Matthiessen)

Schleswig-Holstein steht in der Pflicht, die Richtlinien umzusetzen. Sie sind doch im Grunde froh, dass nicht Sie es sind, sondern ein grüner Minister. Sie würden nämlich ganz anders reden, wenn Sie an der Regierung wären, siehe das Beispiel der Bayerischen Landesregierung, wo Sie sich gern einmal die Internet-Darstellung anschauen können.

(Claus Ehlers [CDU]: Wir würden ganz an- ders handeln! - Weitere Zurufe)

Schauen Sie doch einmal in den Newsletter der EUKommission, wo Deutschland den vorletzten Tabellenplatz bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie einnimmt! Bei der Vogelschutzrichtlinie stehen wir auch nicht besser da. Glauben Sie allen Ernstes, dass sich das Vertragsverletzungsverfahren in Luft auflösen wird?

Wie der Umweltminister im letzten Plenum bereits aufzeigte, nehmen sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Verbände, Behörden, Körperschaften und Vertreter der Wirtschaft ihr Recht zu einer Stellungnahme wahr. Es sollen 2.700 Stellungnahmen eingegangen sein, nicht nur Ablehnungen, sondern auch Nachforderungen.

(Zuruf der Abgeordneten Herlich Marie Tod- sen-Reese [CDU])

Im Übrigen hat die Landesregierung die von Ihnen angesprochenen Anhörungsfristen deutlich über den gesetzlich erforderlichen Zeitraum hinaus verlängert. Was bitte soll eine noch größere Fristverlängerung bringen? Sie wollen den Konflikt, den Sie selber kräftig schüren, doch am liebsten möglichst direkt in den Landtagswahlkampf schieben.

(Konrad Nabel [SPD]: So ist es!)

Das ist das eigentliche Geheimnis Ihrer Aufgeregtheit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Es ist von wirtschaftlichen Einbußen die Rede, die eine Meldung als FFH- oder Vogelschutzgebiet nach sich ziehen würden. Selbst der Tourismus würde leiden, so auch Landrat Bastian. Ich bezweifle, dass der massive Streit um Eiderstedt zu einem touristischen Imagegewinn für die Region führt. Unsere touristischen Gäste wollen ihren Urlaub gern in einer naturnahen Landschaft erleben. Sie wollen kräftige Mastrinder auf Eiderstedts fetten Weiden sehen. Sie wollen auch Wiesenvögel und Natur sehen. Die Landwirte tragen mit ihrer Wirtschaft einen wichtigen Teil zum Erhalt der Kulturlandschaft bei.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Meine Fraktion legt Wert darauf, diese für Wiesenvögel wertvollen vielfältigen Lebensräume langfristig zu erhalten und zugleich alle Hebel in Bewegung zu setzen, um der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein eine wirtschaftliche Perspektive zu geben. Naturschutz und Landwirtschaft, das müssen keine Gegensätze sein!

Die CDU überspannt den Bogen völlig. Was steckt dahinter, wenn der Landtagskollege Feddersen und der CDU-Landrat Bastian davon reden, dass sie es sich nicht vorstellen können, dass die Trauerseeschwalbe auf Eiderstedt überlebt? Von Bauern habe ich solche Töne nicht gehört. Die CDU ist an einer sachgerechten Lösung der Probleme nicht interessiert, sondern nur an Taktik im Hinblick auf die Landtagswahl. Die FDP ist sowieso gegen Naturschutz.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin fest davon überzeugt, dass der Naturschutz keine negativen wirtschaftlichen Folgen hat. In vielen Fällen werden wir mit Naturschutz mehr Geld für die Region organisieren können als ohne. Das gilt auch für Eiderstedt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das jetzt vorgestellte Gutachten des Kölner Büros für Faunistik muss als eine Meinung von mehreren sorgfältig in die Diskussion einbezogen werden. Die dort aufgeführten Argumente müssen sorgfältig analysiert werden. Das findet selbstverständlich Beachtung. Es wird von der EU auch verlangt, dass naturschutzfachliche Argumentation vorgebracht werden kann und natürlich auch bewertet und gewürdigt werden muss.

Aus diesen Gründen appelliere ich zum wiederholten Male an einen konstruktiven Umgang mit NATURA2000-Meldungen. Für Kommunen, Wirtschaft, Tourismus und Planer schaffen wir mit dem Abschluss des Verfahrens im Sommer 2004 in SchleswigHolstein Planungs- und Rechtssicherheit. Die Ausweisung, gekoppelt mit Angeboten des Landes für Vertragsnaturschutz, bleibt aus unserer Sicht für die Landwirte und die zu schützenden Lebensräume weiterhin der am besten gangbare Weg.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Umsetzung von NATURA 2000 wird in unserem Land hart diskutiert und ich glaube, das ist auch in Ordnung so. Man kann sagen, was man will: Die Ausweisung von Schutzgebieten kann erhebliche Folgen für die betroffenen Regionen haben. Trotzdem möchte ich zuallererst zweierlei feststellen: Erstens sind die meisten Gebiete - und hierbei vor allen Dingen FFH-Gebiete - in der Vergangenheit weitgehend konfliktfrei ausgewiesen worden. In den jeweiligen Verfahren der letzten Tranchen ließen sich Konflikte durch gemeinsame Gespräche zwischen den Betroffenen und dem Umweltministerium entschärfen.