Protocol of the Session on June 21, 2012

Bevor ich Herrn Dr. Konrad das Wort erteile, darf ich Gäste im Landtag begrüßen, und zwar Schülerinnen und Schüler des Landtagsseminars. Herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Sehr verehrte Kollegen! Was ist gut, oder was ist der Sinn einer Pflegezusatzversicherung, außer dass wir damit einen Systemwechsel einleiten könnten? Man kann fragen, womit man das positiv begründen kann.

Herr Kessel, Sie haben die Eigenvorsorge genannt. Das Zweite ist, die Rücklage soll die Pflegeversicherung demokrafiefester machen. Ich fange mit dem Zweiten an, weil ich mich so vorbereitet habe. Ich wusste, dass Sie das sagen.

Das Zweite ist, dass die Rücklage es demokrafiefest mache. Es lässt sich nachweisen, dass die Pflegeversicherung bereits bei der Einführung 1995 einen Konstruktionsfehler der sozialen Sicherungssysteme mit übernommen hat, wie wir ihn in der Krankenversicherung kennen, nämlich dass sich geringe Risiken aus diesem solidarischen System in eine Privatversicherung zurückziehen können. Das ist gedeckelt durch eine Beitragsbemessungsgrenze etc. Das heißt, leistungsfähige Menschen mit geringen Risiken zahlen in dieses solidarische System nicht ein. Das hatte seinen Grund. Damals war eine schwarz-gelbe Regierung in Berlin. Heute – Sie haben es gehört, die Frau Ministerin hat es gesagt – lagern über 20 Milliarden Euro Rücklagen auf den Konten der privaten Versicherungen im Bereich der Pflegeversicherung.

Was diese Rücklage angeht, gibt es heute die These, dass der demografische Wandel sich dadurch weniger stark auf die Beiträge auswirken würde. Selbst im Konzept der GRÜNEN über eine Bürgerversicherung – Sie können es gerne nachlesen, es gibt dazu eine Studie des Instituts für Sozialforschung der Universität Bremen – war eine Demografierücklage mit vorgesehen, weil wir auch aufseiten der GRÜNEN davon ausgingen, dass das ungünstige Verhältnis zwischen Leistungsberechtigten und Beitragsverpflichteten zwischen 2040 und 2060 zu einem exzessiven Beitragsanstieg führen würde.

Tatsächlich kam dabei heraus, dass die Beiträge nur durch die Bürgerversicherung begrenzt werden können, nicht aber durch die Demografiereserve, weil das ungünstige Verhältnis über 2060 hinaus anhält. Das können Sie gerne nachlesen. Entweder übernehme ich diese Reserve so schnell, dass ich bis 2060 die Reserve aufgebraucht habe, weil die Generation, die eingezahlt hat, vorher schon klein war, oder ich muss die Beiträge weiter so erhöhen, wie es sonst auch der Fall gewesen wäre.

Nur die Verbreiterung der Beitragsbasis durch die Hinzuziehung von immer mehr Beitragszahlerinnen und -zahlern führt dazu, dass die Beiträge begrenzt werden können. Wir reden immer von Beiträgen. Damit kann die Pflege sichergestellt werden. Damit können die notwendigen Dinge umgesetzt werden, damit die Menschen, die Pflege und Unterstützung brauchen, sie auch bekommen. Wir sind uns da einig, das passiert bei wichtigen Gruppen heute nicht. Da geht es vor allen Dingen um die Menschen, die im Alter nicht mehr die Möglichkeit haben, sich selbst zu versorgen und für sich selbst einzustehen.

Ein grundsätzlicher Ansatz dieser Konstruktion einer privaten Zusatzversicherung ist wissenschaftlich nachweisbar falsch. Das heißt, welchen Grund haben wir noch, eine solche Pflegezusatzversicherung überhaupt einzuführen? Welchen Grund hatten wir, diese Konstruktion der zwei Säulen, nämlich der privaten und der gesetzlichen Versicherung, 1995 aufzunehmen?

Ich habe es eben schon erwähnt. Die Regierungsverantwortung war damals bei denselben Parteien. Es ist so, dass die Privatversicherten jetzt schon einiges auf die Konten ihrer Versicherungen überwiesen haben und diese Versicherungen damit arbeiten können. Genau diesen Effekt werden wir bei der privaten Zusatzversicherung auch haben. Wir haben hier wieder ein Geschenk an die Versicherungskonzerne. Wir können es uns ja leisten. Damit die Leute nicht selbst ihr Geld den Versicherungskonzernen hinterherwerfen, sagen wir, da legen wir aus Steuermitteln noch etwas drauf. Diese Steuermittel werden nicht entsprechend gerecht gestaltet, dass die Leistungsfähigen das meiste einzahlen müssen, sondern da sind alle gefragt, von den geringen Einkommen bis zu den höheren Einkommen. Dann hat man das, was man will. Alle draußen dürfen einzahlen. Zunächst geht es in eine große Kasse. Die Gewinne bekommen nur die raus, die schon viel haben.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Ministerpräsident Beck: Sehr richtig!)

Das ist die falsche Richtung. Schon bei der ersten schwarz-gelben Regierung haben wir immer gerufen, das ist Umverteilung von unten nach oben. Tatsächlich kommt es mir so vor, auch diese Reform ist Umverteilung von unten nach oben.

Ich glaube, dass wir dem Protagonisten der Pflegeversicherung, Norbert Blüm, ein anerkannter Sozialpolitiker aus Ihrer Partei, heute noch dankbar sein müssen, dass er damals im Konsens der Gesellschaft durchgesetzt hat, dass es eine solidarische Pflegeversicherung gab.

An dieser Stelle ist das hier Ihrem Koalitionspartner geschuldet. Sie sollten ihn auf diesem falschen Weg nicht begleiten; denn er wird uns über die nächsten 50 Jahre Schaden verursachen.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich erteile Frau Staatsministerin Dreyer das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich will damit beginnen, noch einmal zu sagen, dass die Politik der Bundesregierung zum Thema „Pflege“ mehr als enttäuschend war. Frau Anklam-Trapp hat auf das Jahr der Pflege hingewiesen. In diesem Jahr der Pflege ist nicht das gelungen, was wir im Bereich der Pflege gebraucht hätten.

(Pörksen, SPD: Die FDP ist gepflegt worden!)

Es war eine klägliche kleine Reform. Die Belange, die eigentlich gelöst werden sollten, sind nicht entsprechend berücksichtigt und verändert worden.

Vor allem die Demenzkranken haben nicht das erhalten, was sie eigentlich bräuchten. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff ist nicht umgesetzt worden. Die Leidtragenden sind die Betroffenen, vor allem die, die zu Hause gepflegt und unterstützt werden. Wir haben im Grunde eine wirklich mehr als klägliche Reform auf den Tisch gelegt bekommen.

Nun gipfelt die misslungene Reform darin, dass wir uns mit der privaten Zusatzversicherung beschäftigen müssen, die eigentlich schon ausreichend kommentiert worden ist. Die bringt den Pflegenden oder zu Pflegenden letztendlich überhaupt nichts.

Ich möchte noch zwei bis drei Sätze zu dem sagen, was Herr Kessel gesagt hat. Ich erkenne, dass die CDU diese Reform halbherzig vertritt. Ich kann sie gut verstehen. Es ist eine schwierige Situation, wenn man Koalitionspartner und eine Regierung hat, die aufgrund des Koalitionspartners Dinge macht, hinter denen man nicht wirklich steht.

Man kann den „Pflege-Bahr“ nicht wirklich verteidigen; denn er ist unsinnig und bringt den Menschen, die etwas brauchen, wirklich nichts.

Ich betone noch einmal, in der Pflege geht es nicht um die zusätzliche Absicherung eines gewissen Lebensstandards oder Ähnliches. Es geht tatsächlich um die Gewährleistung eines angemessenen Leistungsniveaus für kranke, behinderte und notdürftige ältere Menschen, die Unterstützung brauchen. Ich bin davon überzeugt, dass das die originäre Aufgabe eines Sozialstaates ist,

das wirklich sicherzustellen. Deshalb stehen wir zu unserer solidarischen Pflegeversicherung. Wir hätten sie gern noch ein bisschen solidarischer, als sie zurzeit ist. Es ist der richtige Ansatz, diese Risiken solidarisch abzusichern.

Es kommt eigentlich noch schlimmer, nicht nur, dass die Pflegeversicherung und die Pflegereform uns nichts gebracht haben, jetzt kommt noch der „Pflege-MiniBahr“. Er erreicht nur diejenigen, die viel Geld haben. Er erreicht noch nicht einmal diejenigen, die vielleicht später noch Unterstützung bräuchten, nämlich diejenigen, die weniger Geld haben. Schon jetzt gibt es 1,9 Millionen private Pflegepolicen in Deutschland, und zwar von wohlhabenderen Menschen, die keinen Pfennig Zuschuss vom Staat brauchen, wenn sie der Auffassung sind, sich für die Zukunft gern zusätzlich privat abzusichern.

Das allein zeigt, dass es eine vollkommen sinnlose Aktion ist. In Wahrheit – das ist von Herrn Konrad gesagt worden – ist die private Zusatzversicherung nichts anders als reine Klientelpolitik zugunsten der Versicherungswirtschaft, 100 Millionen Euro für ein Versicherungsangebot, das Wohlhabende schon heute abschließen können, das Ärmere auch mit dem Zuschuss nicht abschließen können, für eine Versicherung, die den Sozialhilfeträger gar nicht entlasten wird und letztendlich wiederum eine große Umverteilungsmaschinerie neu bedient. Insofern ist es wirklich bedauerlich, dass dieses Gesetz am Ende umgesetzt werden wird.

Ich erwähne noch, dass die 100 Millionen Euro der Einstieg sind. Die 100 Millionen Euro sind nicht gedeckelt. Die Aussagen im Gesetzentwurf sind ganz klar die, dass, wenn mehr Versicherungsnehmer vorhanden sind, dann auch die 100 Millionen Euro nach oben geöffnet sind. Das heißt, wir reden eigentlich nicht nur von diesem Betrag, der heute beschrieben ist, sondern es kann auch noch um viel mehr Geld gehen, ohne dass die Pflege in Wahrheit irgendetwas davon hat. Insofern lehnen wir die Pflegezusatzversicherung von Herrn Bahr ab. Wir halten sie für unsolidarisch. Wir halten sie für überflüssig. Wir halten sie für eine Luftnummer. Wir halten sie für das, was sie ist, reine Klientelpolitik und eine Befriedung einer Partei, die nicht mehr ganz so genau weiß, wie sie eigentlich Wähler hinter sich bringen kann, und wenigstens die wenigen, die sie noch zu ihrem Klientel zählt, bedienen möchte.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Anklam-Trapp.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Adolf Kessel, ich kann es jetzt nicht ersparen, wenn man den „Mini-Bahr“ diskutiert, von einer starken Säule – 5 + 5 Euro –, von einer

breiten Basis zu sprechen, wenn wir die gesamte Situation der wirklich bedürftigen gesetzlichen Pflegeversicherung sehen, das Aushebeln des Solidarprinzips sehen und sehen, dass Geld über Jahrzehnte in die Versicherungswirtschaft verschenkt wird, anstatt die Situation der Pflegenden und der Pflegeberufe, der Profession, zu stärken.

Ich erkenne an, dass man als Fraktion versucht, das zu rechtfertigen, was in Berlin getan wird. Aber diese einkommensunabhängige Förderung, egal wie viel Einkommen ich habe, immer das Gleiche gefördert zu bekommen, ob ich es mir vom Munde absparen muss oder ob ich wirklich gute Voraussetzungen habe, das ist etwas, was so unsozial und so ungerecht und so wenig wirksam ist, dass es uns einfach umtreibt, dazu noch einmal etwas zu sagen. 5 Euro – das, was gebracht wird – sind 0,1 % Anhebung für die Pflege. Das ist eine Nullrunde. Das ist eine klare Nullrunde, ein Lobbygeschenk, das wir uns aus unserer Sicht nicht leisten können. Deswegen sagen wir nein zum „Mini-Bahr“.

Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer hat für die CDU-Fraktion das Wort? – Nein, es wird verzichtet.

Gibt es bei den GRÜNEN noch Wortmeldungen? – Auch da wird verzichtet.

Damit sind wir am Ende der Aussprache in der Fragestunde. Wir kommen dann zum Punkt 19 der Tagesordnung, der AKTUELLEN STUNDE.

(Frau Schleicher-Rothmund, SPD: Moment mal! Da fehlt doch noch was! – Pörksen, SPD: Oh, Herr Präsident, ganz ruhig bleiben! Ich bleibe ja auch ruhig!)

So, jetzt herrscht wieder Ordnung. Wir kommen zur Aussprache über die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Daniel Köbler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Folgen der Schleckerinsolvenz für Beschäftigte in Rheinland-Pfalz – Nummer 3 der Drucksache 16/1335 – betreffend, auf.

Das Wort hat der Kollege Köbler von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Folgen der Schlecker-Insolvenz in Deutschland, aber auch bei uns in Rheinland-Pfalz sind nicht nur, aber vor allem sozialpolitisch dramatisch. Die Zahlen, die wir gehört haben, sprechen für sich: 28.000 bundesweit arbeitslos gemeldet in der Folge der Schlecker-Insolvenz. – Wir haben knapp 1.400 Betroffene allein hier in RheinlandPfalz, allein 13.000 jetzt mit der zweiten Welle, nachdem sich die Übernahme zerschlagen hat. Dann muss man

auch genau hinschauen, was das für Menschen sind. Natürlich gibt es das auch im marktwirtschaftlichen Geschehen, dass sich ein Unternehmen einmal nicht mehr wirtschaftlich darstellt und dann entsprechend von der Bildfläche verschwindet. Aber in diesen Dimensionen ist es wirklich ein einmaliger Vorgang.

Wenn man sich dann anschaut, wer betroffen ist, dann wird das ganze Ausmaß des sozialpolitischen Desasters erst sichtbar. Wir haben eben gehört, dass es sich in 83 % der Fälle um Frauen in Teilzeitbeschäftigung handelt. In den allermeisten Fällen handelt es sich um solche, die entweder Kinderbetreuung zu organisieren haben oder über 50 Jahre alt sind. Das sind eben nicht die, die einfach so an den nächsten Job weiterzuvermitteln wären. Das sind auch nicht die, die irgendwo Rücklagen zu Hause haben bzw. ein so hohes Arbeitslosengeld bekommen, um ihre Familie auch weiterhin zu ernähren und durchs Leben zu bringen, sondern es sind gerade die Gruppen, bei denen wir sowieso schon am Arbeitsmarkt die größten Probleme haben, die jetzt in großer Zahl bei den Arbeitsämtern gemeldet worden sind.

Dass wir diesen sozialpolitischen Skandal hätten verhindern können, das setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Es ist vorhin schon gesagt worden, dass allein aus einer Ideologie heraus – ich sage, aus einer falschen Ideologie heraus – eine zum damaligen Zeitpunkt 2 %- bis 3 %-Partei, nämlich die FDP, das verhindert hat, was man hätte machen können, nämlich eine Transfergesellschaft bilden, um die Menschen in einen geordneten und würdigen Übergang zu bringen. Dieses sozialpolitische Desaster wäre vielleicht nicht zu verhindern gewesen, aber immerhin wäre es abzumildern gewesen und das Ganze sozusagen geordnet zu organisieren gewesen. Rheinland-Pfalz war dazu führend mit bereit.

Selbst die CDU war doch führend mit dazu bereit. Sie haben wieder einmal das Phänomen gezeigt, dass der Schwanz mit dem Hund wackelt. Sie können doch heute ganz klar bekennen: Ja, wir, die CDU, hätten das auch anders gemacht. Eine Transfergesellschaft wäre der richtige Weg gewesen. Die FDP hat das blockiert. Das sehen wir heute erst recht ein. Wir sind ja hier geschützt. Die FDP hat dankenswerterweise hier nicht die 5 %Hürde übersprungen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich bin gespannt, ob Sie sich hier klar auch zu Ihrem sozialen und christlichen Anspruch bekennen. Das hätte man verhindern können.

(Pörksen, SPD: Sehr richtig!)

Diese sozialpolitische Katastrophe in Deutschland und in Rheinland-Pfalz hätte es nicht geben müssen. Schuld daran ist die FPD. Ich erwarte heute eine solche Aussage von Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Pörksen, SPD: Genau!)