Protocol of the Session on November 17, 2010

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sind doch auf Bundes- und auf Landesebene angetreten mit der Aussage „weniger Bürokratie“ und „von unserer Seite wird es keine Beitragserhöhung“ mehr geben. – Daran müssen Sie sich nun messen lassen.

(Beifall der SPD – Ramsauer, SPD: Mehr Netto vom Brutto!)

Wir kritisieren doch nicht, dass der paritätische Beitrag erhöht werden musste, weil die Gesundheitskosten steigen. Das ist Ihre Ansage, und deshalb müssen Sie auch nun dafür geradestehen, dass der Beitrag erhöht wird und die Menschen das auch spüren werden.

Ich möchte noch einen Satz zur Vorkasse sagen. Ich weiß noch, als dieses Wort zum ersten Mal über die Ticker gelaufen ist. Ich weiß nicht, ob es dem Minister in den Mund gelegt worden ist, aber damals wurde Herr Dr. Rösler mit dem Wort „Vorkasse“ zitiert.

(Dr. Altherr, CDU: Es gab schon einmal ein Modell im Jahr 1992!)

Es kann gut sein, dass es ihm in den Mund gelegt worden ist, das kann ich jetzt nicht sagen. Das weiß man bei der Presse nie so ganz genau.

(Dr. Schmitz, FDP: Einfach nachlesen im Gesetzestext, Frau Ministerin! Es war ein beschlossenes Gesetz!)

Herr Dr. Schmitz, aber es ist schon auch klar, dass das Kostenerstattungsprinzip, das heute schon freiwillig möglich ist und das im Moment 19 von 1.000 Versicherten in Anspruch nehmen, mit dem nachhaltigen Wunsch auch der FDP und der CDU nun so verändert wird, dass es für den Versicherten attraktiver gemacht werden soll.

(Dr. Schmitz, FDP: Freiwillig!)

Natürlich freiwillig.

(Dr. Schmitz, FDP: Sehen Sie?)

Aber warum kritisieren wir das? – Ich erkläre Ihnen, weshalb ich es kritisiere. Ich kritisiere es, weil ich fest davon überzeugt bin, dass dies natürlich am Ende die

Patienten und die Patientinnen belastet und sich die Schieflage in unserem Gesundheitssystem zwischen den Menschen, die bei der PKV versichert sind und damit leichter und schneller bessere Termine bei den Ärzten bekommen, und den Menschen, die bei der GKV versichert sind, weiter verschärfen wird. Es ist doch ganz klar: Wer wird denn in Zukunft die Kostenerstattung wählen, bei der Sie sich von heute auf morgen entscheiden können? – Es sind diejenigen, die es sich leisten können; denn sie zahlen natürlich zuerst nicht beim Arzt, sondern sie bezahlen ihre Rechnungen – insofern dann doch Vorkasse –, sie zahlen einen Betrag, der sich nach der GOÄ richtet und nicht nach den normalen Regelungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung, und sie wissen auch nicht, ob die Krankenkasse ihnen die Gesamtkosten erstatten wird.

Warum tun Menschen das? – Ich denke, sie tun es, weil sie sich davon versprechen, dass sie damit schneller und besser zum Arzt kommen und behandelt werden.

Ich sage, dies wird die GKV an dieser Stelle schwächen. Es kostet einen sehr hohen Aufwand, die Kostenerstattung abzurechnen. Es werden sich letztendlich nur die Menschen leisten können, in Vorleistung zu treten, die über genug Geld verfügen.

Wir sind der Auffassung, dass das Sachleistungsprinzip das korrekte Prinzip ist. All die Fragen, die die Bundesregierung dort hineingeheimnist, dass man beispielsweise durch mehr Transparenz Kosten spart, sind in keinen wissenschaftlichen Studien belegt. Wenn man sich die Kostenentwicklung in der Privaten Krankenversicherung betrachtet, sieht man, die Steigerungen der Gesundheitskosten und der Ausgaben bei der PKV sind prozentual erheblich höher als in der GKV, wo wir das Sachleistungsprinzip haben.

Aber das ist Kleinkram; denn im Kern geht es um die Frage, was mit unserem Gesamtsystem passiert. Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal betonen, was ich schon am Anfang gesagt habe: Wir steigen in ein neues System ein, und es ist auch eine neue Zeit angebrochen. Wir werden die Entsolidarisierung in der Gesundheitsversicherung spüren. Wir werden es merken; denn die zukünftigen Ausgaben werden zulasten der Versicherten gehen. Die solidarische Finanzierung ist damit in gewisser Weise ein Auslaufmodell geworden, und wir tragen sozusagen das eine oder andere Schritt für Schritt zu Grabe.

Aber wir werden das nicht zulassen. Wir haben im Moment keine Möglichkeit, über den Bundesrat zu agieren. Das Gesetz ist so geschaffen, dass es nicht zustimmungspflichtig ist. Aber wir werden auch weiterhin für ein solidarisches System kämpfen, und wir werden für Mehrheiten kämpfen, damit wir die Bürgerversicherung am Ende doch durchsetzen können und wir die Schritte, die heute gemacht werden, wieder rückgängig machen können. Wir wollen eine Bürgerversicherung, die bedeutet, dass auch andere Einkommensarten einbezogen werden, und die vor allem bedeutet, dass die getrennten Versicherungsmärkte endlich aufgehoben werden.

Sie verstärken mit dieser Reform noch das Ungleichgewicht zwischen der PKV und der GKV. Sie privilegieren

in unterschiedlichen Maßnahmen sogar noch die PKV, und Sie verstärken diese Unstimmigkeiten in unserem Gesundheitssystem, die uns Milliarden kosten. Sie verstärken die Tatsache, dass wir zwei verschiedene Versicherungsmärkte haben und die PKV dabei immer der privilegierte Markt ist. Das bedeutet, die Menschen, die reich sind, die Menschen, die gut verdienen und die gut abgesichert sind, haben es ohnehin schon leichter und werden es in Zukunft erst recht leichter haben, eine gute Gesundheitsversorgung zu erhalten, während diejenigen, die mehr auf das Geld angewiesen sind, die Leidtragenden sind.

Ich möchte auch gar nicht auf den Sozialausgleich eingehen. Das sage ich ganz im Ernst. Das ist eine Zumutung. Ich bitte Sie als Fachpolitiker, einmal ernsthaft durchzulesen, was dort angeboten wird. Auch dort müssen die Menschen vorleisten, bis die 2 % erreicht sind. Im Übrigen geht es auch gar nicht um die tatsächlichen 2 %, sondern um den Durchschnittsbetrag. – Lesen Sie bitte einmal den Sozialausgleich durch.

Nicht umsonst sagen die unterschiedlichen Stimmen in der ganzen Nation, dass dieser Sozialausgleich seinen Namen nicht wert ist. Bitte beziehen Sie sich nicht einfach darauf, sondern lesen Sie es sich durch und beurteilen Sie es! – Sie hatten schon innerhalb der eigenen Koalition genug Ärger, was diesen Sozialausgleich betrifft. Dies hat damit zu tun, dass es genug Politiker in Ihren Reihen gibt, die genau wissen, dass der Sozialausgleich so nicht funktionieren kann.

Abschließend möchte ich sagen, dieses Gesetz ist ein ungerechtes Gesetz, das sage ich ganz klar. Es führt uns in die absolute Sackgasse, was unser Gesundheitssystem betrifft. Wenn man lange in der Gesundheitspolitik tätig war, kann man es eigentlich nicht ertragen. Ich finde, es ist mehr als ein schwarzer Tag für die Menschen in unserem Land.

(Beifall der SPD – Ramsauer, SPD: Es ist ein schwarz-gelber Tag! Ihr könnt euch das gar nicht vorstellen!)

Das Wort hat nun Frau Kollegin Anklam-Trapp von der SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Enders, Sie haben Ihren Wortbeitrag mit dem Wort „ahnungslos“ begonnen. Werter Kollege, das gebe ich Ihnen an dieser Stelle gern zurück. In Ihren Einführungsworten sagten Sie, Sie erinnerten sich an das Versprechen im Koalitionsvertrag. – Ich dachte bei mir, ja, genau, wie bei der Hotelsteuer. Das gebe ich Ihnen an dieser Stelle gleich zurück.

Die Ausgaben im Gesundheitssystem – das sage ich ganz deutlich – werden mit diesem Gesetz nicht geringer. Die Lasten werden nach unten verteilt, und zwar hin zu denen, die wenig haben. Diejenigen, die weniger

haben, sind beispielsweise ältere Menschen, die von ihren Renten den Beitrag bezahlen müssen. Es sind diejenigen, die vielleicht nicht mehr in die noch günstigere gesetzliche Krankenversicherung wechseln können, weil sie dazu nicht in der Lage sind. Deswegen sind sie ganz besonders auf den Sozialausgleich angewiesen. Die Betriebsrenten werden nicht berücksichtigt, nur die normale Regelrente, und das ist sozial höchst ungerecht.

Richtig ist, dass die Medizin auch in Zukunft eher teurer wird. Wir werden älter, und die Medizin macht Fortschritte. Die Firmen haben mittlerweile die Arbeitgeberbeiträge eingefroren, und die Lasten tragen die Arbeitnehmer. Ich sage heute an dieser Stelle, das ist das, was unsere Unternehmen übermorgen brauchen werden: Sie brauchen gesunde und leistungsfähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und diese wiederum brauchen eine optimale ärztliche Versorgung.

Unsere solidarische Krankenversicherung garantiert, dass ein Mensch zum Arzt gehen kann, ohne vorher fragen zu müssen, ob er es sich leisten kann. Dies ist mit diesem Gesetz ausgehebelt.

Es ist blauäugig zu glauben, dass es keine drei Klassen gibt und die Holzklassenmedizin eingeführt wurde. Wenn ich bei einem Arzt fragen kann, gesetzlich versichert, dann bekomme ich mit Vorkasse ganz schnell einen Termin. Privatpatient – Vorkasse – Holzklasse.

(Dr. Enders, CDU: Woher wissen Sie das denn überhaupt?)

Das ist das, was damit kommen kann. Das möchte ich hier nennen. Es ist mir ganz wichtig.

Frau Ministerin hat es schon gesagt, der Sozialausgleich ist zutiefst ungerecht. Die Lizenz zum Abkassieren ist damit gegeben.

Daneben haben wir mehr Bürokratie für die Versicherten. Sie müssen in der Lage sein, das abzurechnen.

(Glocke des Präsidenten)

Nicht jede Leistung ist vielleicht zurückzuerstatten. Meine Damen und Herren, das ist eine neue gesundheitsmedizinische Debatte, die kommt.

(Dr. Altherr, CDU: Das ist der Untergang des Abendlandes! Jawohl!)

Wir wehren uns dagegen, so gut wir können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Enders von der CDU-Fraktion.

Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Die Ministerin hat die Katze aus dem Sack gelassen. Es ging Ihnen wieder einmal um die Bürgerversicherung. Dieser softe Begriff „Bürgerversicherung“ ist Sozialismus pur, Frau Dreyer,

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

und es ist noch etwas anderes. Ich lese sehr gerne die „Rhein-Zeitung“. Sie haben dort vor einigen Tagen ein tolles Interview auf die Frage gegeben, wie es zu erklären ist, dass in Deutschland die Patienten deutlich häufiger – zwei- bis dreimal so oft – zum Arzt gehen als in anderen europäischen Ländern.

(Pörksen, SPD: Waren Sie schon einmal in der Schweiz? Tun Sie sich das einmal an!)

Wenn ich nicht auf einem Stuhl gesessen hätte beim Lesen, ich wäre umgefallen, Frau Dreyer. Sie haben doch tatsächlich gemutmaßt, das könne daran liegen, dass die bösen Ärzte daran schuld sind, die die Patienten einbestellen, damit sie so häufig kommen.

(Staatsministerin Frau Dreyer: So habe ich es nicht gesagt!)

Zu den Zusatzbeiträgen möchte ich sagen, Sie nehmen einfach nicht zur Kenntnis, dass es die Überforderungsgrenze von 2 % gibt. ALG II-Empfänger zahlen überhaupt nichts. Diese Überforderungsgrenze wird aus Steuermitteln ausgeglichen.

(Ministerpräsident Beck: Ja!)

Ihnen allen ist bekannt, dass ca. 25 % der Bevölkerung ungefähr 70 % des Steueraufkommens haben.