Protocol of the Session on January 19, 2005

Ich will eine vierte und letzte Bemerkung machen, von der ich gestehen muss, dass sie mir persönlich viel Beschwer verursacht. Sie ist durch dieses Naturereignis ausgelöst worden, aber nicht nur eine unmittelbare Folge dieses Naturereignisses. Kaum war die Flut vorbei und kaum sind die ersten schrecklichen Bilder zu uns gekommen, so kam eine neue Welle schlimmer Nachrichten. Die Menschen, die überlebt und in Flüchtlingslagern zusammengefunden haben, berichteten von Vergewaltigungen und in einigen Fällen von Massenvergewaltigungen. Die Militärs, die jetzt in Aceh zum Einsatz kommen, sind nicht nur berüchtigt, sondern auch gefürchtet und verhasst, weil sie bekannt sind für ihre Menschenrechtsverletzungen, die sie seit vielen Jahren den dortigen Einwohnern zukommen lassen. Uns liegen unzweifelhafte Informationen, Nachrichten und Aufschlüsse darüber vor, dass aus Kinderkrankenhäusern, Hospitälern und Waisenhäusern Kinder geraubt werden, Menschenhändler in solche Einrichtungen eindringen und Kinder mitnehmen.

Ich bitte, nicht falsch zu verstehen, was ich sage. Ich habe mich vorhin noch einmal kundig gemacht. Wir reden bei einer Vielzahl der betroffenen Länder über Gesellschaften, in denen beispielsweise Menschenraub bis heute kein Thema ist, und zwar bewusst kein Thema ist. In diesen Gesellschaften gibt es nicht wenige, für die Kinder in der Tat eine Handelsware sind. Ich will das nicht im Sinne des Verbreitens neuer schlechter Nachrichten sagen. Ich will das nur sagen, weil wir wissen müssen, in welchen Gesellschaften wir tätig sind, wenn wir wirklich helfen wollen.

Gestern Abend hat mir jemand berichtet, der sich für zwei Monate in Indien aufgehalten hat, welche Bedeutung ein Kind in weiten Teilen der indischen Gesellschaft hat bzw. nicht hat und zu welcher Empörung es in Thailand führt, wenn bekannt wird, dass beispielsweise junge Mädchen aus einem Waisenhaus geraubt wurden. Es

führt zu keiner Empörung. Ich sage das nicht, um mich selbst Lügen zu strafen im Blick auf meine vorherige Bemerkung, dass wir ohne Überheblichkeit diskutieren sollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage das nur deshalb, weil ich dafür bin, dass wir unsere Hilfe mit einem Einsatz für unseren Begriff von Menschenwürde und Menschenrechten verbinden, wie es unserer Entwicklungsarbeit und unserer Hilfe in den vergangenen Jahrzehnten entsprochen hat. Wir sollten die Hilfe für den Aufbau neuer Strukturen an das binden, was unser Verständnis von Menschenrechten und Menschenwürde beinhaltet. Wir müssen im Sinne der ganz aktuellen Überlebenshilfe und im Sinne der Hilfe für den Aufbau menschenwürdiger und menschengerechter Gesellschaften den Menschen einen Schutz angedeihen lassen, die diesen Schutz zu Recht von uns erwarten können.

Ich bedanke mich für die Möglichkeit dieser Debatte und bei allen, die in den vergangenen Wochen tatkräftig geholfen haben. Viele haben es ohne großes Aufsehen getan. Außerdem bedanke ich mich für die Art und Weise, wie wir dieses Thema heute in diesem Parlament behandeln.

Vielen Dank.

(Beifall im Hause)

Es spricht Herr Abgeordneter Lewentz.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie auch mich damit beginnen, den Angehörigen, den Hinterbliebenen und den noch Bangenden das tief empfundene Mitgefühl von den Mitgliedern der SPD-Fraktion und von uns allen zu bekunden.

Mir geht es nicht anders als meinen Vorrednern. Was eigentlich so weit weg passierte, ging und geht uns sehr nahe. Diese aktuell mehr als 164.000 Opfer sind nicht nur Menschen eines fernen Erdteils, sondern diese Opfer sind Deutsche und Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer. In diesem gemeinsamen Leid verspüren wir die Unteilbarkeit unserer einen Welt. Dieses Gefühl, das wir heute wieder einmal angesichts von Not und Elend spüren, müssen wir endlich in uns konservieren und in unser künftiges Handeln einfließen lassen.

Diese Flutkatastrophe hat mit geradezu traumatischer Wucht gezeigt, wie verletzlich unser Planet Erde ist. Kein Terroranschlag, kein menschliches Versagen, es war nur die Gewalt der von uns gebändigt geglaubten Natur. Aus einem dieser Tage abgedruckten Leserbrief habe ich mir folgenden Satz notiert: Die mächtige Natur schert sich nicht um die Würde des einzelnen Menschen. Das mussten wir jetzt wieder schmerzhaft erfahren. Aber spätestens, wenn sie ihre Opfer wieder freigibt, ist er wieder gefragt, der Mensch. Unglaublich viele

Menschen haben geantwortet. Rund 70 % aller Deutschen haben mittlerweile gespendet. Viele haben sich in unserem Land oder vor Ort aktiv als Helfer eingesetzt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus meiner Kindheit erinnere ich mich an Bilder aus Bangladesh und Biafra, die mich berührten. Persönlich habe ich mehrere Jahre Hilfstransporte in rumänische Kinder- und Waisenheime gefahren. So etwas Grauenhaftes wie die Bilder der vergangenen Tage habe ich aber noch nie sehen müssen. Diese Bilder schaffen es tatsächlich, eine Welt, die dachte, schon alles gesehen zu haben, zu schockieren. Dies ging uns sicher allen so und begründet ganz bestimmt diese unglaubliche Welle der weltweiten Hilfsbereitschaft.

Jede und jeder in diesem hohen Hause kennt Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer, Institutionen, Einrichtungen und Firmen, die sofort aktive Hilfe organisiert haben. Diese spontane schnelle Hilfe war richtig und notwendig. Genauso richtig und notwendig ist es auch, diese große Hilfsbereitschaft in unserer heutigen Debatte zu würdigen.

Unsere Verpflichtung gegenüber den Millionen Überlebenden, den Zehntausenden von Waisenkindern, die dort weiter leben müssen und wollen, dort, wo dieses gigantische Mahlwerk gewütet hat, ist, gerade heute den Blick nach vorn zu richten. Lieber Herr Böhr, ich bin mit vielem von dem einverstanden, was Sie gesagt haben. An dieser Stelle will ich aber betonen, dass ich in den Fernsehberichten sehr viele Menschen, auch sehr viele Eltern um die verlorenen Kinder habe weinen sehen. Mir kam es ein klein wenig pauschal vor, was Sie zu dem Thema gesagt haben.

Was ich auch anmerken möchte: Wenn der gewaltsame, natürlich bedauernswerte Tod eines bekannten Modemachers wenige Tage nach dieser Katastrophe schon wieder die Berichterstattung beherrscht, weiß man, wie man um das Verständnis für die Notwendigkeit der langfristigen Hilfe in Zukunft wird kämpfen müssen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wie die Menschen weltweit zusammengerückt sind, so hat auch die Weltgemeinschaft ein Stück weit zueinander gefunden – weltweit unter der Führung der UN, selbst unter Einbeziehung der USA in diese Führung, und in Europa unter Koordination der EU.

Wir sind uns sicherlich alle einig, dass ein gewisses Maß an Zentralismus mindestens in der Anfangsphase des national und international zu koordinierenden Wiederaufbaus unumgänglich ist, um hoffentlich klare und doch einfache Strukturen für eine wirkungsvolle Hilfe schaffen zu können.

Mit der Entscheidung der Zuordnung von heimgesuchten Regionen zu hilfsbereiten Staaten ist für uns die richtige Schlüsselentscheidung für sinnvolle und erfolgreiche Wiederaufbauprojekte gelegt worden. Wir können stolz darauf sein, dass mindestens in Deutschland die Partnerschaft unseres Landes mit Ruanda Vorbildcharakter hat.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, vielleicht helfen Ihre der UN vor einiger Zeit gegebenen Erläuterungen auch, dieses Vorgehen als Vorbild in der Welt zu etablieren. Diese dauerhafte Partnerschaft – da stimme ich mit denen überein, die das eben betont haben – ist längst keine Selbstverständlichkeit. Ich habe am Wochenende eine entsprechende Diskussion in Baden-Württemberg miterleben dürfen, wo der Versuch einer solchen Partnerschaft mit Burundi gescheitert ist.

Neben den bereits angelaufenen Hilfen unserer Landesregierung – auch ich möchte ausdrücklich Herrn Staatssekretär Bruch, den Damen und Herren seines Hauses und dem LKA für einen unermüdlichen Einsatz und für die erfolgreiche und professionelle Bewältigung der ersten Phase dieser Katastrophe danken –, neben Finanz- und Koordinierungsleistungen, müssen aber auch andere diese jetzt notwendigen Partnerschaften in dem von Ihnen beschriebenen Sinn mit Leben erfüllen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident.

Daher muss es uns alle freuen, dass es in Wirges, in Ludwigshafen, in Alzey-Worms, in Mainz-Bingen oder an anderen Stellen unseres Landes eine große Bereitschaft von Gemeinden, Städten und Kreisen gibt, sich an künftigen Hilfs- und Aufbauleistungen zu beteiligen, um im Sinn Ihrer Neujahrsansprache Zeichen der Verantwortung für eine Welt, von Mensch zu Mensch, von Stadt zu Stadt und von Land zu Land zu setzen.

Das zu Hause bekannte und nachvollziehbare Engagement durch Organisationen und Kommunen ist die jeweils größte vertrauensbildende Maßnahme und die beste Voraussetzung für eine dauerhafte Unterstützung und Spendenbereitschaft. Ein großartiges und schon lange währendes Engagement in den jetzt genannten Regionen in Sri Lanka wird Ihnen meine Kollegin, Frau Mangold-Wegner, gleich noch vorstellen.

Wir alle wissen, dass man den Regierungen und dortigen Machthabern, wie in Indonesien, kein direktes Geld geben darf. Wir müssen akzeptieren, dass beispielsweise die indische Regierung staatliche Hilfe ablehnt. Umso richtiger ist es, unsere Hilfe nach dem Beispiel der Ruanda-Partnerschaft zu organisieren und damit den Projekten an vielen Stellen ein Gesicht zu geben.

Bei den anstehenden Maßnahmen gehören auf der internationalen Ebene ganz bestimmt der Aufbau eines Tsunami-Frühwarnsystems und die langfristige Koordination der weltweiten Hilfe sowie Strategien zur Entschuldung der betroffenen Länder zu den ganz wichtigen Zielen.

National war es ganz bestimmt nicht zu viel, 0,02 % unseres Haushaltsvolumens – 500 Millionen Euro – für den Zeitraum von fünf Jahren zur Verfügung zu stellen. Das ist eine Summe, die unsere Bevölkerung in wenigen Tagen nahezu komplett privat aufgebracht hat. Dies ist genauso wichtig wie die 7,2 Milliarden Euro, die zur Bewältigung des Elbehochwassers zur Verfügung gestellt wurden.

Mir hat ein im Hochwassergebiet des Rheins wohnender 75-jähriger Mitbürger am Neujahrstag bei einer Spendensammlung in unserer Gemeinde gesagt: Was sind

denn unsere Belastungen und Belästigungen gegen diese grauenhafte Katastrophe? – Wie Recht er doch hatte. Eine alte Dame hat ihre Spende mit der Hilfe der freien Welt beim Wiederaufbau unseres Landes nach dem Krieg begründet.

Ich bin der Meinung, wir können uns diese 500 Millionen Euro leisten. Wir sind weder ein armes noch ein kaltes Land.

In Rheinland-Pfalz müssen und wollen wir die Hilfsmaßnahmen – das wurde ausgeführt – nach dem RuandaBeispiel organisieren. Wir brauchen ein Koordinationsbüro vor Ort bei noch zu klärender Trägerschaft und eine Struktur hier im Land. Dafür muss das Parlament der Regierung eventuell auch den Einsatz weiterer Mittel zugestehen. Wir müssen auch weiter Experten aus dem Landesdienst, wie etwa Spezialisten der Polizei, entsenden.

Auch mir fehlen für die Beschreibung der Tätigkeit, die die Polizisten dort verrichten müssen, die Worte, aber ich bin davon überzeugt, dass wir ihnen unendlich dankbar sein müssen.

Wir müssen auch hier die Hilfsorganisationen von privaten bzw. kirchlichen Einrichtungen mit Logistik und Know-how unterstützen. Zur logistischen Infrastruktur in unserem Land gehört im Übrigen auch der Flugplatz Hahn.

Wir sollten unsere Schulen in diese Hilfe offensiv einbeziehen. Dies gilt nicht nur für die konkrete Hilfe. Ruanda und Südostasien mit der Form der rheinland-pfälzischen Partnerschaft können das Thema „Entwicklungshilfe“ aus seiner abstrakten Anonymität herausreißen. Schon heute ist der Gedanke der einen Welt in unseren Schulen ein fester Bestandteil. Dies belegte nicht nur die Aktion „Tagwerk“ eindrucksvoll.

Wenn wir dies aber wollen, können wir durch die richtige Aufarbeitung dieser Naturkatastrophe noch viel mehr Herzen und Köpfe unserer Kinder in dem genannten Sinn erreichen. Wenn wir ganz allgemein die Globalisierung und ihre Auswirkungen beklagen, besteht mit dieser regionalisierten Hilfe auch die Chance, der Entwicklungshilfe ein weiteres kommunales Gesicht zu geben.

Meine Damen und Herren, wir stehen heute ganz am Anfang einer noch nicht bekannten Hilfsdauer. Nach der provisorischen Soforthilfe steht mittelfristig der dauerhafte und sinnvolle Wiederaufbau im Vordergrund.

Wenn man mit 30 Euro monatlich einem Waisenkind den Lebensweg ermöglichen kann, wenn man mit 650 Euro einem Fischer den Lebensunterhalt für sich und seine Familie und die Mitversorgung der Bevölkerung durch den Kauf eines Bootes gewährleisten kann, und wenn man den Menschen mit 2.500 Euro ein Dach über dem Kopf und ein Heim geben kann, wissen wir, wie unsere Hilfe auch aussehen muss. Wir müssen den Hinterbliebenen und Traumatisierten auch in unserem Land, wie das beispielsweise das DRK in Rheinland-Pfalz organisiert, Hilfe zur persönlichen Aufarbeitung geben.

Schließlich, so richtig ganz gewiss die Forderung nach Inhalten im Angesicht der unmittelbaren Katastrophe gewesen ist – mich hat so manche Aussage von unbeirrt sonnenhungrigen Touristen angeekelt –, so richtig ist es auch weiter und vielleicht gerade künftig, diese Region als Urlaubsregion zu begreifen.

Meine Damen und Herren, die betroffenen Länder sind Schwellenländer mit einer mit der weltweiten Hilfe wiederkehrenden eigenen Kraft. Lassen Sie uns über das Grauen dieser Katastrophe aber nicht die Not und die Armut in Afrika aus den Augen verlieren.

Meine Kollegin, Frau Mangold-Wegner – ich habe bereits darauf hingewiesen –, wird jetzt die Gelegenheit ergreifen, konkrete Projekte in Sri Lanka und die dort geleistete Hilfe vorstellen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall im Hause)

Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Iranganee, Hemanthi und Beulah, das sind drei Namen, drei Frauen, drei Lebensläufe und bis Weihnachten drei sehr erfolgreiche Geschichten über eine nachhaltige Entwicklung in Sri Lanka. Die Frauen wurden durch eine einheimische Stiftung im Handwerk, in Geschäftsführung, Management und Buchführung ausgebildet. Sie absolvierten ihre Kurse erfolgreich. Sie erhielten Kleinkredite von 100 Euro; sie bauten Kleinstbetriebe auf, und sie waren das Rückgrat der einheimischen Wirtschaft. Sie hatten ihr Ein- und Auskommen.

Iranganee hatte im Monat am Ende 115 Euro – 15.000 Rupien – Gewinn. Das ist für Sri Lanka viel Geld. Jetzt ist alles anders.

Die Flut hat ihre Existenzgrundlagen vernichtet; ihre Häuser sind weggeschwemmt; ihr Leben ist zerstört, aber sie haben im Gegensatz zu vielen Nachbarn, zu Familienangehörigen und zu vielen Verletzten und Kindern und auch zu den vielen Vermissten, die noch unter den Trümmern liegen, überlebt.

Die drei sind für die Bevölkerung in Galle und Ampara exemplarisch. Das sind die Bezirke, die laut Aussagen einheimischer Nichtregierungsorganisationen am meisten von der Flutwelle betroffen sind.

Die Überlebenden sind fast ohne Ausnahme obdachlos. Sie haben sich in Tempel, Kirchen und die wenigen Schulen, die noch stehen, geflüchtet.

Sie sind für die große Welle internationaler Hilfsbereitschaft dankbar; denn ihre eigene Regierung ist überfordert, in diesem großen Flächengebiet, in dem nichts

mehr steht, die Wasserversorgung und sanitären Anlagen zu sichern. Die Schäden sind immens. Die Regierung muss Straßen, Brücken, Eisenbahnen und öffentliche Gebäude wieder aufbauen. Dies wird dauern und ohne Hilfe nicht gehen.

Die Infrastruktur der Dörfer ist zerstört. Die einheimische Bevölkerung ist auf Informationen vor Ort und von Mund zu Mund angewiesen. Dies erschwert die Arbeit der einheimischen Hilfsorganisationen noch zusätzlich. Die Menschen sind traumatisiert. Sie stehen unter Schock.