Protocol of the Session on August 23, 2001

(Pörksen, SPD: Eine Notlage war das nicht immer!)

Aber sicher, Herr Pörksen.

Wir sind durch einen Staatsanwalt aufgeschreckt worden, der seine Aufgabe und das Gesetz ernst nimmt, weshalb wir ihm alle keinen Vorwurf machen können. Ich setze allerdings ein Fragezeichen an die Art und Weise, wie seine Besuche bei betroffenen Familien durchgeführt wurden, wie dort tatsächlich illegal beschäftige Kräfte herausgenommen wurden, und ich bin überrascht von einigen Kommentaren der Landesregierung zu diesen Vorfällen.

Ich war vor allen Dingen überrascht von dem Kommentar des zuständigen Sozialministers, Herrn Gerster. Sie haben meines Wissens in der „Landesschau“ am 29. Juli – am 16. August ist das noch einmal wiederholt worden – den Familien als einzige Lösung angeboten, dass man dann eben über die Heimunterbringung nachdenken müsse. Ich finde, das ist sich die Sache zu einfach gemacht.

(Beifall der CDU)

Das passt für mich sogar ein Stückchen zu dem, was wir heute früh im Zusammenhang mit der Gesundheitsdiskussion gehört haben, nämlich zu der Frage, wie man dann jemandem auf der Straße ansehen kann, welch teures oder preiswertes Gebiss er sich leisten kann, wenn die Kieferorthopädie in Zukunft eben nicht mehr unter die Kernversorgung fällt.

Ich finde, das ist gerade von einem Sozialminister eine sehr hartherzige Position.

Ich fand es deshalb durchaus positiv, dass Herr Innenminister Zuber die Dinge meines Erachtens etwas lebensnäher und realistischer sieht und wie wir der Auffassung ist, dass wir diesen betroffenen und wirklich in Not befindlichen Familien helfen müssen. Das ist das Anliegen, das wir mit unserem Antrag verfolgen. Wir wollen dort, wo keine andere Alternative greift – das ist

häufig der Fall –, prüfen, welche Hilfen denkbar sind. Wie können wir den Einsatz ausländischer Hilfskräfte legalisieren? Wie können wir dazu beitragen, diese Familien, die schon Not genug haben, nicht noch zu kriminalisieren? Das ist wirklich nicht das, was sie verdient haben. (Beifall der CDU)

Erfreulich ist, dass auch die Regierungsfraktionen eine Woche nach uns bereit sind, das Thema anzugehen. Nach dem ersten Durchlesen erscheint alles durchaus positiv. Das ist durchaus die richtige Richtung.

Liebe Kollegen der Regierungskoalition, mich beschleicht die Sorge, dass hier wieder eine ganz lange Bank hingestellt wird, über die wir uns ganz langsam in Richtung Hilfe vorarbeiten.

Ich hoffe, dass Sie uns in der Ausschussberatung dieser beiden Anträge diese Sorge nehmen können und wir vielleicht zusammen die Anträge so formulieren, dass deutlich wird, dass wir tatsächlich den Familien in einer absehbaren Zeit helfen wollen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dröscher das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es steht außer Zweifel, dass die steigende Lebenserwartung, aber auch das veränderte Bewusstsein unserer Gesellschaft zu neuen Konzepten der sozialen Arbeit und der Altenhilfe geführt hat. Das betrifft auch den sozialen Markt der Pflege, das Gleichgewicht zwischen Leistungen, die angeboten werden, und ihre Inanspruchnahme. Das war in den vergangenen Jahren einem stetigen Wandel unterworfen.

Ich komme ganz kurz zu den Fakten. In Rheinland-Pfalz leben über 90.000 Pflegebedürftige, soweit sie nach dem Pflegeversicherungsgesetz in die Stufen 1 bis 3 eingruppiert werden können, und unterhalb dieser Schwelle sicher noch einmal eine große Zahl von Menschen. Der größte Teil – ich glaube, das ist für das wichtig, was wir heute besprechen – lebt in der häuslichen Umgebung.

Die Versorgungsstruktur, die wir in diesem Land aufgebaut haben, geht genau in diese Richtung. Wir haben den § 3 des Sozialgesetzbuchs XI und vor allem den ambulanten Bereich, die Unterstützung der häuslichen Hilfe, ernst genommen, und zwar mit der Förderung der ambulanten Hilfezentren mit ihren Beratungs- und Koordinierungsstellen.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main haben allerdings gezeigt, dass dieser soziale Markt auch Schattenseiten hat. Es handelt sich im Sinn des

Wortes um eine Schattenwirtschaft. Wir wissen allerdings, dass es diese Schattenwirtschaft, nämlich Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung, nicht nur in der Pflege und in Haushalten mit zu pflegenden Angehörigen gibt, sondern auch im Hotel- und Gaststättengewerbe und auf dem Bau.

In diesem Fall handelt es sich ganz nüchtern – ich möchte das Bild von den betroffenen Familien etwas differenzierter gestalten – nicht nur um Hilfen für Familien in Notlagen, sondern auch um Vermittlerringe, die Frauen aus Polen als Pflege- und Haushaltshilfen nach Deutschland bringen und die diese Frauen bis zu 24 Stunden für etwa 1.500 DM im Monat arbeiten lassen und sich davon von ihnen noch mehrere hundert DM als Vermittlungsgebühren abgeben lassen.

Meine Damen und Herren, für diesen Sachverhalt kann es sicherlich keine nachträgliche Legalisierung geben.

Es lohnt sich an dieser Stelle, den Arbeitsmarkt „Pflege“ und die Bedingungen häuslicher Pflege zu betrachten; denn trotz steigender Arbeitslosigkeit auch im Pflegebereich – das hört man immer wieder – können viele offene Stellen nicht besetzt werden. Tatsächlich gibt es in den Ballungsräumen der Bundesrepublik und auch bei uns im Raum Ludwigshafen teilweise sehr schwierige und regional unterschiedliche Situationen, zum Beispiel mit Abwerbung, Prämien und Anwerbung ausländischer Pflegekräfte, allerdings nur in geringem Umfang und dann noch überwiegend mit Vorbereitung.

Ein Großteil der arbeitslos gemeldeten Altenpfleger ist nicht vermittelbar. Für Rheinland-Pfalz können wir fes tstellen, dass ein grundsätzlicher Pflegepersonalnotstand sicher nicht vorliegt. Das gilt zunächst auch für die häusliche Pflege. Allerdings haben wir hier ein weiteres Problem. Viele Familien organisieren mit den Mitteln der Pflegeversicherung und mit einem großen persönlichen Engagement die häusliche Pflege.

Probleme treten bei an Demenz erkrankten alten Angehörigen und bei der Rund-um-die-Uhr-Pflege auf. Hier werden Leistungen zu Marktpreisen von den betroffenen Familien nicht nachgefragt. Einfacher gesagt: Rund-umdie-Uhr-Betreuung in der häuslichen Umgebung ist aus dem derzeitigen Versorgungssystem zu den von Betroffenen tragbaren Preisen derzeit nicht zu organisieren.

Vor diesem Hintergrund stellen wir, die Fraktionen der SPD und FDP, einen Alternativantrag zum Antrag der CDU-Fraktion. Mit diesem Alternativantrag wollen wir erreichen, dass alle Möglichkeiten und Wege geprüft werden, durch steuerliche Maßnahmen und Modelle, die in Richtung Mainzer Modell gehen, sowie Veränderungen, eventuell Liberalisierung des § 3 des Sozialgesetzbuchs XI, nämlich der Verpflichtung, bei bestimmter Kostenüberschreitung ins Heim zu gehen, und durch Dienstleistungsagenturen auf legale Weise – das ist für uns ganz wichtig – den besonderen Bedarf pflegender Familien mit Rund-um-die-Uhr-Versorgung zu tragbaren Bedingungen sicherzustellen.

(Beifall der SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Marz das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine grundsätzliche Frage an die Koalitionsfraktionen. Haben Sie eigentlich vor, zukünftig zu jedem Antrag, der von der Opposition kommt, einen Alternativantrag zu stellen? Wenn Sie das tun, machen Sie das bitte ein bisschen sorgfältiger, als Sie das heute getan haben. Ich werde gleich noch darauf zurückkommen.

(Zurufe von der SPD)

Auch wenn es schon mehrmals erwähnt worden ist, möchte ich zunächst ein paar Worte zum Sachverhalt sagen. Mir scheint auch nach den Ausführungen des Kollegen Dröscher einiges ein bisschen durcheinander zu gehen. Wir sprechen zum einen über das Thema der Pflege. Die Pflege ist, was die Pflegeversicherung angeht, in einem relativ engen Sinn definiert. Das Problem, das hier auftaucht, ist die Betreuung außerhalb dieses engen Pflegebegriffs.

Sie haben Demenzkranke angesprochen. In diesem Bereich haben wir es häufig damit zu tun, dass nicht Pflege im engeren Sinn notwendig ist, sondern Betreuung. Man muss aufpassen, damit nichts passiert. Um diesen Bereich geht es. In diesem Bereich herrscht offensichtlich Mangel. Man kann es auch zum Teil Not nennen, wenn man in diese Familien hineinschaut.

Hintergrund des Vorschlags der CDU sind diese staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, die in Hessen eingeleitet worden sind und die die Öffentlichkeit noch einmal auf diesen Umstand sehr drastisch aufmerksam gemacht haben.

Von daher wäre es sinnvoll und sachgerecht gewesen, den Antrag der CDU so, wie er ist, an den Ausschuss zu überweisen und dort im Detail zu diskutieren.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun haben Sie aber – aus welchen Gründen auch immer – gedacht, Sie müssten diesen eigenen Antrag kurzzeitig stricken. Bei der Lektüre dieses Antrags fällt auf – ich habe es am Anfang angedeutet –, dass er qualitativ einiges schuldig bleibt.

Ich möchte Ihnen in Ihrem Forderungskatalog einige Dinge vorhalten, bei denen ich sage, so geht das nicht. Sie sagen in Abschnitt II im zweiten Spiegelstrich, die Landesregierung solle darauf hinweisen, dass die Versorgung im Bereich der Betreuung und Pflege primär durch inländische Arbeitskräfte erfolgen soll. Was soll das? Leben wir nicht in Europa? Das können Sie sich an den Hut stecken, wenn Sie allein daran denken, dass es eine freie Beweglichkeit der Arbeitskräfte in Europa gibt.

(Zuruf von der SPD)

Denken Sie an diejenigen, die jetzt in Hessen besonders betroffen waren. Das waren polnische Arbeitskräfte. Polen wird in absehbarer Zeit der Europäischen Union angehören. Das zeigt allein, es ist etwas nachlässig formuliert.

(Mertes, SPD: Sie haben es nach- lässig interpretiert, so ist es!)

Im dritten Spiegelstrich wollen Sie eine Stärkung des Dienstmädchenprivilegs. Ich dachte, darüber wären wir schon einmal hinaus gewesen. Es geht darum, den Bereich der Betreuung und der Pflege neu zu definieren und konkrete Hilfen für die Familien, die das brauchen, in die Wege zu leiten und nicht wieder in Richtung Dienstmädchenprivileg zu gehen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann führen Sie Ihren eigenen Antrag ad absurdum. Im vierten Spiegelstrich bestreiten Sie und stellen in Frage, dass es überhaupt eine Notwendigkeit gibt, ausländische Arbeitskräfte für diese Dienste einzusetzen. Damit sagen Sie: Möglicherweise ist das gar kein Thema, was durch die Realität allerdings längst überholt ist. – Sie hätten formulieren müssen – ich gebe Ihnen gern eine Hilfe –, dass man über den Umfang des notwendigen Arbeitskräfteeinsatzes diskutieren kann, aber nicht über den Grundsatz. Aber Sie haben den Grundsatz hineingeschrieben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin ganz froh, dass wir die erhoffte Ausschussüberweisung bekommen haben. Mit dem CDU-Antrag hätten wir ansonsten auch so leben können. Aber nach diesem Antrag der Fraktionen der SPD und FDP bin ich sehr froh, dass wir noch einmal im Ausschuss darüber diskutieren, um seriös daran arbeiten zu können.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Marz, Sie werden Verständnis haben, dass ich auf diese eigentümlichen Interpretationen nicht näher eingehe. Darüber können wir uns im Ausschuss streiten. Ich erlaube mir, mich auf den Antrag der Fraktion der CDU zu konzentrieren und nicht die Dinge noch einmal aufzuführen, die Herr Kollege Dröscher bereits zu all den Dingen aufgeführt hat, die die Landesregierung in der vergangenen und auch in dieser Legislaturperiode für dieses Problemfeld durchgeführt hat, für alle die Mechanismen, die aufgebaut wurden, und für alles das, insbesondere für die Aktivitäten im Bundesrat, was die steuerliche Berücksichtigung solcher Tätigkeiten angeht, was noch geplant ist.

Meine Damen und Herren, wenn ich mich auf den CDUAntrag konzentriere, dann auch deshalb, weil er ein Stück weit zeigt, wie sich die Opposition in diesem hohen Hause gefunden bzw. noch nicht gefunden hat; denn wenn die Presse ein solch wichtiges Thema boulevardmäßig aufbereitet, habe ich Verständnis dafür. Wenn die CDU dann daraus einen Antrag formuliert, verstehe ich das auch sehr gut, aber ich verstehe nicht, dass man im Niveau der Antragstellung auf das journalistische Vorprodukt zurückgreift.

(Zuruf des Abg. Dr. Weiland, CDU)