Protocol of the Session on December 14, 2001

Ich frage die Landesregierung:

1. Worin sind nach den Erkenntnissen der Landesregierung die aktuell angekündigten Beitragssatzerhöhungen gesetzlicher Krankenkassen, darunter auch der AOK Rheinland-Pfalz, hinsichtlich Umfang und Zeitpunkt begründet?

2. Worin sieht die Landesregierung die Ursachen für die Entwicklung, die zu dem aktuell bevorstehenden Anstieg der Beitragssätze gesetzlicher Krankenkassen geführt haben?

3. Welche Auswirkungen sieht die Landesregierung durch die bevorstehenden Beitragssatzerhöhungen?

4. Welches Gesundheitsreformkonzept vertritt die Landesregierung, um über eine Konsolidierung der Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung zu hohen Lohnnebenkosten entgegenzuwirken?

Für die Landesregierung antwortet Staatsminister Gerster.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Rosenbauer beantworte ich wie folgt:

Zu den Fragen 1 und 2: Die Besorgnis erregende Entwicklung der Arzneimittelausgaben in diesem Jahr, aber auch das abgeschwächte Wirtschaftswachstum haben in besonderer Weise zur Kostensteigerung in der gesetzlichen Krankenversicherung beigetragen. Es besteht also einerseits ein besonderes Ausgabenproblem, insbesondere im Arzneimittelsektor, andererseits ein besonderes Einnahmenproblem durch höhere Arbeitslosigkeit und damit einhergehend sinkende Beitragseinnahmen.

Die Rechnungsergebnisse für die ersten drei Quartale 2001 verzeichnen für die gesetzliche Krankenversicherung ein Defizit von über 6 Milliarden DM. Im letzten Quartal, in dem wir uns derzeit befinden, können zusätz

liche Einnahmen aus Einmalzahlungen, vor allen Dingen Weihnachtsgeld, erwartet werden, sodass für das gesamte Jahr 2001 mit einem Defizit von etwa 4 Milliarden DM gerechnet werden muss.

Ganz besonders fällt in diesem Zusammenhang das Wachstum der Arzneimittelausgaben von über 10 % ins Gewicht. Demgegenüber sind die Ausgaben für ärztliche Behandlungen und für Krankenhausbehandlungen sehr unauffällig gestiegen. 2,5 Milliarden DM des geschätzten Defizits von 4 Milliarden DM gehen also zulasten des Arzneimittelsektors.

Dieser Ausgabenentwicklung konnte sich auch die AOK Rheinland-Pfalz nicht entziehen. Nach den Berechnungen der AOK wird sie das Geschäftsjahr 2001 voraussichtlich mit einem Defizit von rund 88 Millionen DM abschließen. Dabei werden die Ausgaben für Arzneimittel gegenüber dem Haushaltsansatz mit etwa 82 Milliarden DM deutlich über dem Vorjahresergebnis liegen.

Die AOK Rheinland-Pfalz wird das Haushaltsjahr 2001 insgesamt mit einem Betriebsmitteldefizit von rund 122 Millionen DM abschließen. Um dieses Defizit aufzufangen und die zu erwartenden Leistungsausgaben im kommenden Jahr finanzieren zu können, hat der Verwaltungsrat der AOK Rheinland-Pfalz am 26. November den vom Vorstand für das Jahr 2002 aufgestellten Haushaltsplan mit einem allgemeinen Beitragssatz von 14,6 % festgestellt und bes chlossen. Dies sind 0,5 % mehr, als der Beitragssatz derzeit beträgt. Über die Genehmigung der Beitragserhöhung wird das Ministerium als Aufsichtsbehörde in Kürze entscheiden müssen.

Zu Frage 3: Die bevorstehenden Beitragssatzerhöhungen sind in erster Linie eine Belastung für die Lohnnebenkosten. Sie tragen auf der Arbeitgeberseite zu einer Verteuerung des Faktors Arbeit und damit auch direkt und indirekt zu einer Erschwerung des Beschäftigungsaufbaus oder zu einer Verstärkung des Beschäftigungsabbaus in einer Zeit leicht steigender Arbeitslosigkeit bei. Sie führen aber auch dazu, dass auf der Seite der Beitragszahler, also der Haushalte, der Familien, weniger Geld im Budget ist und damit auch weniger Lebensqualität bezogen auf die Kaufkraft im volkswirtschaftlichen Sinn einhergeht.

Zu Frage 4: Die Politik der Landesregierung insgesamt ist darauf ausgerichtet, die Belastung der Versicherten und damit auch die Lohnnebenkosten zu begrenzen, also auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite dazu beizutragen, dass die Belastung des Faktors Arbeit reduziert und auf längere Sicht deutlich zurückgeführt wird. Die Landesregierung hat deswegen die Rentenreform unterstützt, die dazu beiträgt, dass der Rentenbeitrag stabil auf einem deutlich niedrigeren Niveau bleibt, als er noch vor wenigen Jahren gelegen hat. Sie erinnern sich, er lag einmal bei 21 %, und heute liegt er bei 19 %.

Die Landesregierung ist sich auch darüber einig – dies hat sie in der Koalitionsvereinbarung formuliert –, dass eine Gesundheitsreform über das bereits Angelegte hinaus notwendig ist. Sie stimmt darin überein, dass der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung

überprüft werden muss, aber das, was für notwendig gehalten wird, in einem überprüften Leistungskatalog auch weiterhin durch die gesetzliche Krankenversicherung gewährleistet bleiben muss.

Darüber hinaus besteht Einigkeit darüber, dass im Gesundheitswesen mehr Wettbewerb notwendig ist. Dazu gehört die Vertragsfreiheit. Dazu müssen bestimmte Systementscheidungen getroffen werden, die mit Sicherheit zeitlich nicht mehr in dieser Wahlperiode des Deutschen Bundestages möglich sind und deswegen für die Zeit unmittelbar nach der Neuwahl des Deutschen Bundestages und der Neubildung der Bundesregierung vorbereitet werden müssen.

Herr Dr. Rosenbauer, meine Damen und Herren, ich bitte aber auch zu berücksichtigen, was bereits derzeit auf dem Weg ist. Ich erwähne in diesem Zusammenhang insbesondere die Entgeltreform im Krankenhauswesen, die schrittweise dazu führen wird, dass durch mehr Wettbewerb in den Krankenhäusern der teuerste Ausgabenblock der gesetzlichen Krankenversicherung stabilisiert wird. Man darf diesen Wettbewerb aber auch nicht verhindern.

Ich erwähne darüber hinaus die Reform des Risikostrukturausgleichs, die dazu führen wird, dass wir in den nächsten Jahren einen besseren Wettbewerb um eine besonders gute Versorgung kranker Menschen bekommen und kein Wettbewerb um gesunde, junge und gute Beitragszahler entsteht, wie dies im Augenblick der Fall ist. Dies ist eine Entartung des Wettbewerbs, die nicht hingenommen werden kann.

Dies sind Reformen, die angelegt sind. Ich verweise auch auf die Arzneimittelgesetzgebung, die durch die so genannte Aut-Idem-Regelung dazu führen soll, dass es bei den Arzneimitteln mehr Preiswettbewerb geben wird. Dies ist noch im Entstehen, aber ich bin zuversichtlich, dass durch solche Entscheidungen, die in den nächsten Monaten getroffen werden, noch in dieser Wahlperiode des Deutschen Bundestages vieles auf den Weg gebracht werden kann, was sich mittelfristig kostendäm pfend auswirken wird.

Was die Ausgestaltung der Gesundheitsreform 2003 anbelangt, so wissen Sie vermutlich, dass ich mich so wie auch andere innerhalb und außerhalb des Landes an der Debatte beteiligt habe. Es gibt weitgehende Übereinstimmung, aber sicherlich auch noch abzustimmende Elemente, sodass sich die Landesregierung wie üblich im Bundesrat eine Meinung bilden wird, die, wie ich hoffe, eine große Schnittmenge aufweisen wird.

Gibt es Zusatzfragen? – Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rosenbauer.

Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben Ausführungen darüber gemacht, weshalb die Verluste in den Kassen entstanden sind. Sie haben dabei aber nicht erwähnt,

dass die Bundesregierung erhebliche Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe in zweistelliger Millionenhöhe vorgenommen hat. Sehen Sie dies nicht als Grund für das große Problem der Krankenkassen an?

Herr Kollege Dr. Rosenbauer, wenn man die gesetzliche Krankenversicherung sektoral betrachtet, dann haben diese von Ihnen genannten Verschiebungen zwischen den verschiedenen Arten der Sozialversicherung natürlich eine unmittelbare Auswirkung auf die Einnahmenseite der GKV. Das ist richtig. Ich sage Ihnen aber ganz offen, ich bin an dieser Stelle nicht so leidenschaftlich wie andere, weil wir mit 90 % einen sehr hohen Anteil der gesetzlich Versicherten in der Bevölkerung haben, sodass es im Grunde nicht so entscheidend ist, ob Sozialabgaben nun in die eine oder in die andere Kasse fließen.

Ich weiß, dass das aus Sicht einer gesetzlichen Krankenkasse etwas anders aussieht, aber für die Gesam tbelastung der Volkswirtschaft und der Haushalte ist es nicht entscheidend, ob es über die Steuerseite oder über die Beitragsseite erhoben wird. Das möchte ich zum Beispiel zum Thema Mehrwertsteuer bei den Arzneimitteln sagen.

Entscheidender ist, dass wir die Belastung insgesamt senken und Systementscheidungen herbeiführen, die an der Ursache anpacken. Nicht so entscheidend ist, dass wir zwischen den verschiedenen sozialen Kassen hinund herschieben.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rosenbauer.

Sehr geehrter Herr Minister, am 3. Dezember 2001 haben Sie in der „FAZ“ ausgeführt, dass die Schnittmenge sozialliberaler Arbeitsmarktpolitik sehr gering geworden sei. Trifft dies auch für die Gesundheitspolitik zu?

(Mertes, SPD: Natürlich nicht!)

Begründet dies, dass Sie bis jetzt im Bundesrat noch nicht aktiv geworden sind und sich immer erst dann entscheiden, wenn die Entscheidungen im Bundesrat anstehen, ohne vorher Einfluss zu nehmen?

(Mertes, SPD: Solche Vorlagen wünsche ich mir auch!)

Herr Kollege Dr. Rosenbauer, ich bin in der „FAZ“ nach einem Gespräch zitiert worden, in dem es um die Koali

tionsfrage ging. Mir wurde die Frage gestellt, ob das Mainzer Koalitionsmodell nicht so strahlend sei, dass es gewissermaßen alles überstrahle und der Königsweg in allen Ländern und bundesweit sein müsste.

(Mertes, SPD: So haben wir das noch nie gehört! – Schmitt, CDU: Das haben Sie aber verneint!)

Auf diese Frage habe ich gesagt, dass ich für Realismus bin. Dies bedeutet, es gibt Schnittmengen mit den Sozialliberalen, die nicht gering sind. Diese liegen aber nicht schwerpunktmäßig auf dem Feld der Sozialpolitik. Es gibt Schnittmengen mit der rotgrünen Koalition, die vielleicht in dem einen oder anderen Punkt mehr auf dem Feld der Sozialpolitik liegen. Man muss einfach abwägen. In diesem Fall bin ich für das komplizierte Wort der Äquidistanz, also des gleichen Abstandes zu möglichen Koalitionspartnern.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Marz.

Herr Minister, Sie haben ausgeführt, wo nach Ihrer Auffassung die Gründe für die schlechte Situation der Krankenkassen liegen. Nachvollziehbar ist es, dass durch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt die Einnahmensituation vieler Kassen so ist, wie sie sich derzeit darstellt. Wie erklären Sie sich die Entwicklung bei den Arzneimittelkosten?

Sie spielen auf die Entscheidung zu Beginn des Jahres an, das Arzneimittelbudget aufzuheben. Diese Entscheidung ist umstritten, aber sie ist gleichwohl eine Entscheidung, die verständlich ist; denn der Kollektivregress, der sozusagen theoretisch gedroht hat, dass also dann, wenn die Arzneimittelbudgets überschritten worden wären, bei den Ärzten kollektiv gekürzt worden wäre, wäre de facto nie angewandt worden. Das wissen alle Beteiligten.

Es ist trotzdem umstritten, ob man dieses Instrument aus der Hand geben soll, bevor man ein neues Instrument hat. Das ist ohne jeden Zweifel umstritten. Aber an diesem Beispiel zeigt sich, wie labil das Geschehen ist, wie labil auch das Verhalten der Beteiligten ist. In dem Augenblick, in dem ein so theoretisches Strafinstrument weggenommen wird, brechen alle Dämme. Das zeigt, dass wir neue Elemente der Steuerung im Gesundheitswesen brauchen, weil die derzeitigen nicht mehr greifen. Das ist auch der Grund dafür, dass ich mich an dieser Debatte im Hinblick auf das Jahr 2002 bzw. 2003 intensiv beteilige.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Altherr.

Herr Staatsminister, wie ist die Haltung der Landesregierung zu der entscheidenden Frage der Wahlleistung oder der Regelleistung? Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die Meinung des Herrn Wirtschaftsministers ganz anders als Ihre ist, die bekannt ist. Der Wirtschaftsminister ist, wie die FDP bundesweit generell, für die Einführung von Wahl- und Regelleistungen im Bereich des Gesundheitswesen. Wie ist die Meinung der Landesregierung insgesamt hierzu?

Herr Kollege Dr. Altherr, der Blick in die Koalitionsvereinbarung zeigt, dass sich die Koalitionspartner einig sind, dass der Leistungskatalog überprüft werden muss und dieser überprüfte Leistungskatalog, also das, was notwendig ist, dann auf dem bisherigen Weg der gesetzlichen Krankenversicherung allen zugute kommen muss. Das ist ein klarer Standpunkt.

Wenn es darüber hinaus Leistungen gibt, die dem Markt überlassen bleiben, dann bin ich auch für alles Mögliche. Das darf aber nicht für die medizinisch notwendigen Maßnahmen gelten. Diese müssen weiterhin in der gesetzlichen Krankenversicherung garantiert bleiben.

(Beifall bei SPD und FDP)

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Altherr.

Herr Minister, ich möchte das Problem nicht weiter ausdiskutieren. Ich weiß genau, wo die Problematik liegt, nämlich im Festlegen des Regelkatalogs.

Meine andere Frage zielt auf etwas anderes ab. Es war mit ein wahlentscheidendes Versprechen der jetzigen Regierungskoalition auf Bundesebene, dass man im Wahlkampf gesagt hat, man werde die Zuzahlung abschaffen. Nun höre ich verwundert in der Vorweihnachtszeit, dass die Frau Gesundheitsministerin vor dem Problem der Nichtmehrfinanzierbarkeit der GKV nun auch wieder höhere Zuzahlungen ins Auge fasst. Wie beurteilen Sie das? Wie ist Ihre Meinung hierzu?

Herr Kollege Dr. Altherr, es wäre sehr ergiebig, wenn sich die Union einmal intern zwischen CDU und CSU einig würde, ob sie Zuzahlungen oder Grund- und Wahlleistungen möchte. Das geht wild durcheinander. Ich kann Ihnen das belegen.

(Zurufe von der CDU)