Protocol of the Session on July 12, 2013

Meine Damen und Herren, gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht. Der vorliegende Antrag zur Einführung rechtsverbindlicher Mindeststandards für die Putenhaltung ist dafür ein anschauliches Beispiel. Er ist gut gemeint, schießt aber am Ziel vorbei.

Inhaltlich weist der Antrag einige Schwächen auf. Entweder sind diese auf eine schlechte Recherche zurückzuführen oder aber auf Täuschung. Die dargestellten Zahlen zum stetigen Anstieg des Putenfleischverbrauchs sind sachlich falsch. Sie verschweigen nämlich, dass sowohl der Pro-KopfVerbrauch in Deutschland seit 2010 um 5 % zurückgegangen ist als auch die Anzahl der eingestallten Küken abgenommen hat.

(Zuruf von Norwich Rüße [GRÜNE])

Herr Kollege Rüße, die Anzahl der eingestallten Küken ist im Vergleich zum vergangenen Jahr um 6,8 % zurückgegangen.

(Norwich Rüße [GRÜNE]: Also nix geändert!)

Wir können also festhalten: Der Putensektor wächst nicht mehr, sondern er schrumpft. – Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, das zur Qualität Ihres Antrags!

Trotzdem begrüßen wir eine rechtsverbindliche Regelung der Putenhaltung,

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

aber nur, wenn sie sich an der Realität orientiert und nicht zu Wettbewerbsnachteilen für unsere Produzenten führt.

(Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang unterstützen wir auch Ihre Forderung, sich für die Einführung von Mindeststandards in der EU einzusetzen, ausdrücklich. Eine europaweit einheitliche Regelung wäre für alle Beteiligten das richtige Signal.

Bemerkenswert ist jedoch: Die von Ihnen als unzureichend bezeichneten bundeseinheitlichen Eckpunkte tragen Ihre Handschrift. Genauer gesagt trägt diese im Frühjahr 2013 aktualisierte Vereinbarung die Unterschrift von Herrn Prof. Dr. Jaeger. Er ist der zuständige Mitarbeiter im Landwirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalen. Neben den Vertretern der Länder und des Bundes waren auch zahlreiche Experten aus dem Tierschutz und der Wissenschaft daran beteiligt. Wie kann es dann sein,

dass diese von Ihnen mitgetragene Regelung nach nicht einmal drei Monaten schon wieder als unzureichend bezeichnet wird?

Herr Kollege Wirtz, Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Der Kollege Rüße würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Vielen Dank, Herr Kollege Wirtz. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass, was die Unterschriften unter der Vereinbarung anbelangt, der Vertreter des Tierschutzes seine Unterschrift wieder zurückgezogen hat, weil er sich nicht darüber im Klaren war, was er dort unterschrieben hat? Er dachte, er hätte ein Protokoll unterschrieben.

Herr Kollege Rüße, ich habe die Vereinbarung hier. In meiner Vereinbarung steht unten rechts auf der ersten Seite des Unterschriftenblattes: „Herr Prof. Dr. Friedhelm Jaeger, Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen.“ – Das ist Ihr oberster Tierschützer.

(Beifall von der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir erkennen daran, dass die Halbwertzeiten Ihrer Beschlüsse immer kürzer werden und mittlerweile ernste Sorgen machen. Einen ähnlichen Vorwurf müssen Sie sich beim Thema „Gesetzliche Regelung zum Schnabelkürzen“ gefallen lassen. Hier war es ebenfalls Ihr oberster Tierschutzfachmann im Ministerium, Prof. Dr. Jaeger, der gemeinsam mit den Putenerzeugern eine Studie initiiert hat, um wissenschaftlich belastbare Erkenntnisse zur Umsetzung dieser Forderung zu gewinnen. Diese Studie soll in Kürze in Auftrag gegeben werden. Das zeigt doch ganz deutlich, dass es sich bei Ihrem Antrag nur um einen Schauantrag handelt, meine Damen und Herren. Es wird bereits an Verbesserungen für den Tierschutz gearbeitet.

Herr Kollege Wirtz, Entschuldigung! Ich muss Sie noch einmal unterbrechen. Der Kollege Rüße würde Ihnen gerne eine zweite Frage stellen.

Ja, gerne.

Vielen Dank. – Natürlich ging es nicht um Herrn Prof. Dr. Jaeger, es ging um den Tierschutzvertreter, Herrn Styrie. – Meine Frage jetzt lautet: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh

men, dass es in diesem Staat eine Gewaltenteilung – eine Legislative und eine Exekutive – gibt, dass wir hier Legislative sind und selbstverständlich als Fraktion auch die Möglichkeit haben, eigene Gesetzesvorstöße zu initiieren?

Herr Kollege Rüße, vielen Dank für diese Frage. Mein Demokratieverständnis sagt mir schon seit längerer Zeit, dass ich genau das weiß. Was das in dem Zusammenhang mit Ihrem Antrag zu tun hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Bisher war ich – das zu Ihnen – der Auffassung, dass Sie sich nur mit der Tierhaltung im Winter auskennen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ich darf fortfahren.

Ich habe eben von der Studie gesprochen. Es ist doch ein ganz normaler Vorgang, dass man auf der Grundlage dieser Ergebnisse – wir, aber auch Sie, meine Damen und Herren – verantwortungsvoll über das weitere Vorgehen in dieser Angelegenheit entscheidet. Unklar ist nach wie vor auch, wer in Zukunft die getroffenen Regelungen überprüfen wird. Das geht aus Ihrem Antrag nicht hervor. Notwendig wäre hierfür auch eine vorherige Definition der Kriterien, welche die Grundlage für intensivere Kontrollen bilden.

Wie Sie sehen, gibt es noch einige Stellen in Ihrem Antrag, die dringend nachgebessert werden müssen. Wir freuen uns deshalb auf konstruktive Beratungen im Umweltausschuss. Am Ende müssen wir gemeinsam eine Lösung im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher finden. Diese Regelungen müssen dann den Tierschutz noch effektiver machen, aber gleichzeitig – ich sage das ausdrücklich – jeden Wettbewerbsnachteil verhindern. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Wirtz. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich Herrn Kollegen Busen von der FDP das Wort erteile, möchte ich gerne – weil in diesem Haus immer alles seinen Weg in die Medien findet – ergänzend feststellen: Herr Kollege Rüße hat recht. Bei dem Putengeschnetzelten handelt es sich allerdings um das heutige Sondergericht im Landtagsrestaurant. Man kann wählen zwischen afrikanischem Kartoffelcurry mit Banane, Zanderfilet mit Zitrone und jungem Knoblauch sowie Chili vom Rind. – Wenn Sie das Speisenangebot diskutieren möchten, dann bitte demnächst an der richtigen Stelle. – Vielen Dank, Herr Kollege Rüße.

(Beifall)

Herr Kollege Busen von der FDP hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Regierungsfraktionen greift natürlich ein wichtiges Thema auf. In den letzten Jahren hat die konventionelle Putenmast – das wissen wir alle – erheblich zugenommen. In Deutschland werden mittlerweile 11 Millionen Puten gemästet. Die Entwicklung im Stallbau schreitet in starkem Maße voran. Dadurch haben Fragen in Bezug auf das richtige Stallklima, die Belüftung, die Beleuchtung, die Einstreu, das Futter, die Wasserversorgung und die Besatzdichte eine ganz neue Dimension bekommen. Einige Entwicklungen der letzten Jahre hinsichtlich der Besatzdichte und der Zucht sind sicherlich auch mit einem großen Fragezeichen zu versehen.

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Ich möchte aber eines klarstellen: Selbstverständlich gibt es – anders als SPD und Grüne in der Antragsüberschrift suggerieren – bereits rechtsverbindliche Mindeststandards für die Putenhaltung.

(Beifall von der FDP)

Für Landwirte gilt selbstverständlich § 2 des Tierschutzgesetzes und das eherne Leitprinzip, dass sich die Haltungsbedingungen den Tieren anzupassen haben und nicht umgekehrt. Aber – soweit gebe ich Ihnen Recht – das Tierschutzgesetz enthält viele unbestimmte Rechtsbegriffe. Um diese zu konkretisieren, gibt es die Möglichkeit, Mindesthaltungsbedingungen in der Tierschutznutztierhaltungsverordnung festzulegen, zum Beispiel zur Bauweise von Ställen oder zu Fütterungs- und Tränkungseinrichtungen.

Das betrifft vor allem auch die Gabe von Antibiotika. Die Haltungsbedingungen von Puten müssen so ausgestattet werden, dass die antibiotikafreie Mast die Regel, der Einsatz von Antibiotika die Ausnahme wird.

(Beifall von der FDP)

Da Landwirten das Wohl ihrer Tiere mindestens genauso am Herzen liegt wie dem Parlament, halten wir es grundsätzlich für richtig, den Landwirten konkrete Handlungsempfehlungen an die Hand zu geben, die auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, um dem Wohl der Tiere noch besser gerecht zu werden.

(Beifall von der FDP)

Daher halten wir die Einführung einer entsprechenden Verordnung grundsätzlich für einen guten Weg, wenn sie gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für alle schafft. Wichtig ist auch, dass wir uns konsequent für entsprechende Mindeststandards auf europäischer Ebene einsetzen. Deswegen haben wir in unserer Bewertung dieses Antrags auch nicht berücksichtigt, dass sich Minister Remmel zurzeit in einem Kleinkrieg mit den Geflügelhaltern verzettelt und diese Initiative durchaus als Repressionsmaßnahme des Ministers verstanden werden könnte.

(Beifall von der FDP)

Für die FDP ist entscheidend, dass praxistaugliche Regelungen gefunden werden, die sowohl dem Wohl der Tiere dienen, als auch den Bauern nicht die Luft zum Atmen nehmen.

(Beifall von der FDP)

Insoweit kommt es letztlich auf die Detailregelungen an. Beispielsweise gibt es in Niedersachsen einen sehr präzisen Leitfaden zu tierschutzrelevanten Mindestanforderungen für die Putenmast. Solche Einzelfragen sollten wir im Ausschuss näher beraten und diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Busen. – Für die Fraktion der Piraten spricht Frau Kollegin Brand.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuschauer! Nicht erst seit diesem Antrag sollten jedem klar sein, wie dramatisch die Situation in der Putenhaltung ist. Schockierende Medienberichte machen uns immer wieder darauf aufmerksam, welchen Preis wir für ständig wachsenden Fleischkonsum zahlen müssen.

Wenn ich wieder einmal einen dieser Berichte über die Situation bei Wiesenhof-Subunternehmern sehe, wird mir einfach nur schlecht: In der abstrusen Welt der Lebensmittelkonzerne werden Tiere meist nicht mehr als Lebewesen und schützenswert betrachtet, sondern als Fleischmasse auf Beinen – wenn die überzüchteten Puten überhaupt noch laufen können!