Protocol of the Session on June 19, 2013

was wir beobachten und wie wir es beobachten. Herr Dr. Orth, um es klar zu sagen: Jede verfassungsfeindliche Bestrebung, jedes verfassungsfeindliche Phänomen in diesem Land wird auch zukünftig beobachtet. Aber wir legen in diesem Gesetz fest, wo die Schwerpunkte liegen. Schwerpunkte – das sagt das Wort schon an sich – heißt nicht ausschließlich, aber überwiegend.

Überwiegend werden wir nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung von Phänomenen anwenden, die zur Gewalt neigen. Jetzt sagen Sie, dass Ihnen das zu spät ist. Ich formuliere es einmal anders herum: Nachrichtendienstliche Mittel sind aus meiner Sicht ein tiefgreifender Grundrechtseingriff, der nur dann geschehen darf, wenn es dafür tatsächlich Anlässe gibt.

(Zuruf von Dirk Schatz [PIRATEN])

Herr Schatz, zu Ihnen komme ich gleich. Ich weiß zwar, wie Sie Abgeordneter geworden sind, aber bei Ihnen frage ich mich immer, wie Sie mit Ihren Rechtsauffassungen, die Sie gelegentlich vertreten, haben Polizist werden können.

Aber, Herr Dr. Orth, entscheidend ist aus meiner Sicht: Nachrichtendienstliche Mittel wie Observationen, das Gewinnen von menschlichen Quellen oder das technische Abhören von solchen Phänomenen, was man nach Ihrer Auffassung sozusagen schon einmal präventiv betreiben sollte, um später zu erkennen, ob diese möglicherweise gewaltorientiert sind – das ist nicht rechtstaatlich und erst recht nicht liberal. Das ist der falsche Weg.

In diesem Verfassungsschutzgesetz müssen wir die Schwerpunkte dort ansetzen, wo sie gesellschaftspolitisch richtig verortet sind, nämlich bei gewaltbereiten Phänomenen.

Herr Biesenbach, Sie kritisieren, dass wir die mögliche technische Anwendung für die sogenannten Quellen-TKÜ – also chiffrierte Nachrichten im Internet, die Internettelefonie zu überwachen – offengelassen hätten. In der Tat gibt es dafür in diesem Gesetz keine gesetzliche Handhabe, sondern wir haben uns auf das konzentriert, was tatsächlich existiert. Eine verfassungskonforme sogenannte Quellen TKÜ gibt es zurzeit nicht, weil es in Deutschland kein Produkt gibt, das den hohen Hürden des Verfassungsgerichtes entspricht.

Herr Kollege Biesenbach, ich darf an der Stelle meinen Kollegen Friedrich zitieren, der mit dem

BKA federführend ein solches Produkt entwickeln wollte und zugesichert hatte, dass es im Herbst zur Verfügung stünde. Gesagt hat er das im Frühjahr 2011 und die Jahreszahl nicht dabei genannt.

Deutlich wird: Es macht überhaupt keinen Sinn, eine technische Maßnahme als nachrichtendienstliches Mittel in ein Gesetz aufzunehmen, das gar nicht existiert. Oder um es noch deutlicher zu sagen: Schauen Sie in unseren Koalitionsvertrag. Wenn es dieses technische Mittel gibt, werden wir es ins Gesetz nach den Bedingungen hineinformulieren, wie dieses Produkt den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt werden kann.

Um es deutlich in Richtung der Piraten zu sagen: Herr Schatz, Sie glauben, wir würden mit Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ständig krachende Niederlagen vor Gericht erfahren. Falls es Ihnen noch nicht bekannt ist: Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen ist keine Ermittlungsbehörde. Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen hat ausschließlich die Aufgabe, Informationen zu gewinnen, sie auszuwerten und den Ermittlungsbehörden mitzuteilen, wo es Hinweise auf Straftaten gibt. Die Ermittlungsbehörden entscheiden dann in eigener Zuständigkeit, ob sie ein Strafverfahren einleiten oder nicht. Das leistet nicht der Verfassungsschutz, Herr Schatz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man will, dass der Verfassungsschutz gute Arbeit leistet, ist es – wie ich es beschrieben habe – nur eine Seite der Medaille, modern und leistungsfähig zu sein. Die andere Seite der Medaille ist für mich ein ganz entscheidender Punkt: Diese Arbeit muss von außen nachvollziehbar sein. Unsere Bürgerinnen und Bürger sollen wissen, nach welchen Regeln der Verfassungsschutz arbeitet, was er darf und was er nicht darf, was V-Leute sind und nach welchen Maßstäben und Regeln sie zu führen sind. Dieser Schritt hin zu mehr Transparenz, meine Damen und Herren, ist ein Schritt hin zu mehr Akzeptanz in der Bevölkerung.

Auch die wirksame Kontrolle des Parlamentarischen Kontrollgremiums ist zu erweitern. Dass das Gesetz dem Parlament ermöglicht, Sachverhalte, die nach der jetzigen Gesetzeslage eigentlich nur geheim im PKG beraten werden dürfen, öffentlich zu beraten, ist ein weiterer wichtiger Schritt, Herr Biesenbach. Das Parlament selbst entscheidet darüber, ob es dieses Instrument nutzt oder nicht. Selbstverständlich können Dinge, die man der Öffentlichkeit ohne Verletzung des Geheimschutzes präsentieren kann, im Innenausschuss beraten werden, aber zukünftig eben genauso gut im PKG. Diese Möglichkeit zur Erweiterung der Öffentlichkeitsarbeit ist auch ein Beitrag zu mehr Transparenz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wichtig ist auch, dass dieses Gesetz und der Verfassungsschutz in der Mitte der Gesellschaft akzeptiert werden. Deshalb ist es notwendig, von dieser Mitte der

Gesellschaft Rückendeckung zu erhalten. Wir wollen zeigen, dass dieser Verfassungsschutz die Freiheit, die Demokratie und das Grundgesetz in diesem Lande schützt. Deshalb wollen wir die Mitte der Gesellschaft an unserer Seite haben. Mehr noch: Sie sollte Impulsgeber sein, eine starke Gruppe, mit der wir gemeinsam für diese Demokratie streiten.

Ich habe am Anfang die Frage gestellt: Was können wir gegen Verfassungsfeinde tun, die diese Demokratie abschaffen wollen? Die Antwort lautet: Das können wir nur gemeinsam leisten, Gesellschaft und Sicherheitsbehörden in einem. Das muss ein Team aus Staat und Volk sein, das für die richtige Sache streitet. Meine Damen und Herren, wir müssen dafür sorgen, dass diese Mitte der Gesellschaft Vertrauen in diesen Verfassungsschutz hat. Ich glaube, mit diesem Gesetzentwurf vieles von dem Vertrauen, das verlorengegangen ist, zurückzugewinnen und Vertrauen weiter auszubauen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion spricht noch einmal Herr Kollege Biesenbach.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie nicht anders zu erwarten, musste der Minister den vorgelegten Entwurf natürlich in diesen Tönen loben. Aber, Herr Minister, wenn Sie davon sprechen, dass der Bundesinnenminister 14 Arbeitsgruppen braucht, um nur ein Stückchen weiterzukommen, ist es genau das, was wir wollen: Weiterentwicklung! – Wenn Sie so schnell waren, liegt das doch auch nur daran, dass Sie nichts Neues aufgeschrieben haben. Von daher sollten Sie das an dieser Stelle nicht zu laut betonen.

Damit wir hier aber keine falsche Richtung hineinbekommen, will ich unabhängig davon sagen: Ich für mich spreche den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Verfassungsschutzes wirklich volles Vertrauen aus. Ich selbst habe es noch nicht erlebt, dass ich irgendwo Kritik an der Arbeit hätte. Das schließt aber nicht aus, dass wir hinterfragen, ob heute ein gutes Gesetz verabschiedet werden soll oder nicht.

Herr Kollege Körfges hat eingangs in seinem Statement so großen Wert auf die Sachverständigen in der Anhörung gelegt. Herr Körfges, ich habe mir die Ausführungen eines Sachverständigen herausgesucht, um deutlich zu machen, wo es noch Lücken gibt und Dinge, die wir nicht angesprochen haben. Ich meine Herrn Prof. Dr. Funke von der Freien Universität Berlin – keiner, der im Verdacht steht, uns nahe zu stehen.

Sie wollten mit Ihrem Gesetz eine Reaktion auf die NSU-Mordserie zeigen und den Verfassungsschutz

zu einem gesellschaftlichen Frühwarnsystem weiterentwickeln. Ich zitiere einmal einige Sätze aus dem Gutachten von Prof. Funke, der – ich zitiere – sagt:

Ich halte diesen Gesetzentwurf allerdings nicht für ausreichend, die Fehler bei der NSU-Mordserie substanziell zu reduzieren und das verlorengegangene Vertrauen zurückzugewinnen. Denn wir sind schon jetzt nach den Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses des Bundestages mit Mängeln in Struktur, Mentalität und Personal konfrontiert.

Er schreibt weiter:

Erst wenn die Ursachen – etwa durch eine unabhängige Ermittlung – geklärt sind, können seriöserweise Folgerungen zu einer Ausrichtung der Sicherheitsarchitektur im Lande Nordrhein-Westfalen gezogen und Entsprechendes empfohlen werden. Ohne eine solche Ursachenanalyse des Versagens von Landesbehörden erscheint die Neuausrichtung zufällig, wenn nicht willkürlich.

Dazu hätten Sie etwas sagen sollen!

Er schreibt weiter in seinem Gutachten:

„Es ist vielfach verlangt worden, dass auch das Landesinnenministerium über die nachgeordnete Behörde …hätte eine umfassende Aufarbeitung von sich aus einleiten können. So hätte man erfahren können, was man tatsächlich durch VLeute über die Gefahren des Rechtsterrorismus im letzten Jahrzehnt gewusst hat und woran es lag, dass diese Informationen geheim gehalten wurden oder nicht ausgewertet wurden. Erst wenn darüber Klarheit herrscht, kann man wissen, ob die Mordserie, hier das Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße, tatsächlich hätte womöglich verhindert werden können.“

Jetzt kommen entscheidende Sätze, bei denen Sie gut zuhören sollten:

„Es ist parteiübergreifend im Untersuchungsausschuss als ‚bitter‘ kritisiert worden und wird als Ausdruck der Ignoranz und fehlenden Aufklärungswillens des Innenministeriums von Nordrhein-Westfalen heute interpretiert.“

Das sind Wertungen, die Sachverständige in der Anhörung vorgenommen haben, auf die sie so stolz sind.

„Seriös wäre es,“

so Professor Funke –

„wenn Landesregierung, Landesinnenminister und das Landesamt alles tun, dass unabhängige Ermittler die Fehler des Landesamtes aufklären. Es ist inkonsistent, dies jetzt per Gesetz zu tun, ohne es selbst in der Aufarbeitung tun zu wollen, was der Anlass für die neue Ausrichtung des Verfassungsschutzes angeblich sei.“

Der Gutachter endet in seinem Gutachten mit folgendem Satz:

„… die versuchte Neuausrichtung springt zu kurz, ist zu wenig, ohne Ursachenanalyse zu beliebig und womöglich sogar zu früh, da es an einer transparenten Ursachenanalyse für das Scheitern dieser Institution mangelt.“

(Vorsitz: Vizepräsident Eckhard Uhlenberg)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, Sie sollten daher mit der Landesregierung gemeinsam ein bisschen bescheidener, vielleicht sogar ganz bescheiden feiern.

Herr Kollege Biesenbach, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Römer zulassen?

Ja, aber lassen Sie mich eben diesen Gedanken zu Ende bringen. Dann lasse ich die Frage gerne zu. – Wir mussten zum 30. Juni etwas Neues anbieten. Dr. Orth hat gesagt, es drängte. Drei Jahre waren lang.

Das, was Sie hier machen, ist von mir aus ein Anfang. Lassen Sie uns heute – wenn Sie wollen, durch Ihre Stimmen – dieses Gesetz in Kraft setzen, damit wir überhaupt eine Regelung haben. Aber wir sollten die Diskussion damit nicht beenden. Die Arbeit um den Verfassungsschutz geht weiter, und ich bin sicher, wenn der Bundesinnenminister mit seinen Arbeitsgruppen ein neues Ergebnis vorlegt, werden wir dieses Thema auch hier noch einmal aufgreifen können.

Jetzt höre ich Herrn Römer gern zu.

Bitte schön, Herr Abgeordneter Römer.

Vielen Dank. – Herr Kollege Biesenbach, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen – weil Sie uns gerade aufgefordert haben –, dass wir Ihnen, im Gegensatz zu Ihrer Fraktion, immer gut zuhören und das auch gerade getan haben?

(Heiterkeit von der SPD)

Herr Kollege Römer, ich greife das gerne auf. Vielleicht liegt das daran, dass mir meine Fraktion, wenn wir intern reden, intensiv zuhört. Das geht bei Ihnen leider nicht. Deswegen freue ich mich, dass Sie heute so gut vertreten sind.

(Norbert Römer [SPD]: Sie sind ja auch alle da!)

Vielen Dank, Herr Kollege Biesenbach. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Müller-Witt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf in der vom Ausschuss beschlossenen Form ist den Anforderungen, die an den Verfassungsschutz gestellt werden, angemessen und angesichts der sich rasch wandelnden technischen Herausforderungen zeitgemäß.

Ich finde es schön, dass Sie feststellen, das ist Standard. Ja, das ist Standard. Das wird Standard für die Bundesrepublik als Ganzes und für alle Bundesländer werden. Das ist jetzt schon mehrfach signalisiert worden.