Dagegen aber sticht ins Auge, dass es keine institutionelle Sicherung der Grundrechte bei Bürgerfreiheiten in Nordrhein-Westfalen gibt. Der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen ist ein Staatsgerichtshof, der ganz überwiegend mit Klagen der Gemeinden sowie mit Klagen der Abgeordneten und Fraktionen des Landtags befasst ist.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in dieser Wahlperiode hinlänglich mit der Frage der Einführung der Individualverfassungsbe
schwerde befasst. Wir Piraten haben dieses Thema bereits bei der Einsetzung der Verfassungskommission auf die Agenda setzen lassen. Der Kollege Sommer und ich haben in den Beratungen und in der Debatte kein überzeugendes Argument vernehmen können, warum man den Bürgerinnen und Bürgern hier dieses Recht verweigert, sich vor dem Verfassungsgerichtshof gegen mögliche Verletzungen der eigenen Grundrechte zu wehren.
Ich möchte vor allen Dingen noch einmal daran erinnern, dass wir vor Kurzem das 70. Landesjubiläum in Nordrhein-Westfalen gefeiert haben. NordrheinWestfalen ist ein Teilstaat der Bundesrepublik mit eigener Gesetzgebung, eigener Exekutive und eben auch eigener Rechtsprechung. Das Bild eines eigenständigen Teilstaats aber ist leider unvollkommen, wenn Nordrhein-Westfalen über keine vollwertige Verfassungsrechtsprechung verfügt. Daher unterstützt meine Fraktion den vorliegenden Gesetzentwurf der FDP und wird ihm zustimmen.
Sehr schade finde ich – damit komme ich auf meine Eingangsworte zurück –, dass ich jetzt weder von der SPD noch von den Grünen gehört habe, dass man so ganz dagegen sei. Man ist auch nicht ganz dafür. Smartgerechte Politik wäre gewesen, zu sagen: Wir machen einen Änderungsantrag, und wir machen diesen Antrag so, dass wir ganz dafür sein können. Dann hätten wir diese Änderung hier durchbringen können. Leider ist das von Rot-Grün in diesem Fall nicht gewollt.
Ein allerletzter Punkt, auch mit der Drohung einer namentlichen Abstimmung im Raum. Mir ist es schon bei anderen Themen aufgefallen – mit Ausnahme
des Punktes „Wahlalter 16“ –: Wir reden hier über Themen aus der Verfassungskommission, und ich finde es sehr schade, dass das Interesse daran so gering ist, dass diese Themen immer nur mit sehr kurzen Redezeiten abgehandelt werden. Natürlich ist uns allen klar, wie die Abstimmung am Ende ausgeht. Aber wenn man in einer Rede von gefühlt 30 Sekunden Länge mal eben so eine Individualverfassungsbeschwerde vom Tisch wischt, dann ist das dem Thema meiner Meinung nach nicht angemessen. – Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben schon gehört, wie es hier ausgehen wird. Dennoch glaube ich, dass man der Sache gerecht wird, wenn man ein paar Aspekte zur inhaltlichen Fragestellung des Antrags anspricht.
Unsere Landesverfassung enthält eine nicht geringe Anzahl von Landesgrundrechten; ein Blick in die Art. 4 ff. der Landesverfassung reicht. Der besonderen, exponierten Bedeutung dieser Rechte entsprechend, verdienen sie auch in Nordrhein-Westfalen endlich einen dem demokratischen Rechtsstaat entsprechenden Schutz, so wie es auch in elf anderen Bundesländern der Fall ist.
Es ist eine Frage effektiven und auch angemessenen Rechtsschutzes, und damit auch Ausdruck des Justizgewährungsanspruchs nach dem Grundgesetz, dass die Bürgerinnen und Bürger des Landes Nordrhein-Westfalen als Rechtsträger die dritte Gewalt im Staat, nämlich das Verfassungsgericht in NordrheinWestfalen, anrufen können sollten. Allein die Individualverfassungsbeschwerde stellt die Symmetrie zwischen materiellem Recht auf der einen und prozessualem Recht auf der anderen Seite her.
Es ist keineswegs so, dass die Menschen im Land angesichts der Landesgrundrechte schutzlos wären: Die Fachgerichte sind selbstverständlich auch verpflichtet, die Landesgrundrechte im Rahmen ihrer jeweiligen fachgerichtlichen Befassung zu beachten und ihre Einhaltung zum Beispiel auch durch Verwaltungsentscheidungen auf den Prüfstand zu stellen.
Abgesehen davon gibt es dennoch kraft der Rezeptionsklauseln in Art. 4 Abs. 1 Landesverfassung die Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich etwaiger Fragen der Verletzung von Grundrechten anzurufen. Trotzdem bleibt die Tatsache bestehen, dass vermittels Art. 4 Abs. 2 ff. in der Landesverfassung ein darüber hinaus gehender landesspezifischer Schutz fehlt, weswegen dieses Vakuum
eben dadurch aufgelöst werden müsste, dass die Individualverfassungsbeschwerde in Nordrhein-Westfalen eingeführt wird.
Hinzu kommt, dass einerseits die Wahrnehmung des Rechtsstaats durch die Bürgerinnen und Bürger in Zeiten der notwendigen Stärkung von Partizipation durch eine erweiterte Rechtsprechung des Landesverfassungsgerichts gestärkt werden könnte. Andererseits erhielte der Landesverfassungsgerichtshof die Möglichkeit, aus dem Schatten des Bundesverfassungsgerichts herauszutreten und seine eigene Verfassungskultur zu stärken.
Nicht zuletzt darf man wohl mit Fug und Recht sagen, dass die Möglichkeit der Bürger, ihre Landesgrundrechte im Wege der Individualverfassungsbeschwerde einzuklagen, insgesamt zu einem für das Gemeinwohl sinn- und identitätsstiftenden Gewinn für den Rechtsstaat und das Rechtsstaatsempfinden der Menschen in Nordrhein-Westfalen führen würde.
Aus diesem Grund werbe ich an dieser Stelle als fraktionsloser Abgeordneter für eine Zustimmung zum Antrag der FDP. Zudem möchte ich noch einmal daran erinnern, dass es auch jetzt noch möglich ist – ohne Paketlösung und ohne Körbe – einfach über den Schatten zu springen und vielleicht doch zuzustimmen. – Danke!
Danke, Herr Kollege Schulz! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Hauptausschuss empfiehlt in Drucksache 16/14681, den Gesetzentwurf Drucksache 16/13113 abzulehnen. Wir kommen deshalb zur Abstimmung über den Gesetzentwurf selbst und nicht über die Beschlussfassung des Ausschusses. Ich darf also fragen, wer dem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zustimmen möchte. – Das sind die Fraktion der FDP, die Piratenfraktion und der fraktionslose Kollege Schulz. – Wer stimmt dagegen? – Das sind SPD und Bündnis 90/Die Grünen. – Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die CDU-Fraktion.
Änderungsantrag der Fraktion der SPD der Fraktion der CDU der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktion der FDP und der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/14787 (Neudruck) Drucksache 16/14682
Ich darf die Debatte eröffnen. Erste Rednerin ist für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Warden – bitte schön!
Vielen Dank! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Knapp drei Jahre – das haben wir jetzt schon öfter diskutiert – haben wir gemeinsam in der Verfassungskommission sehr intensiv und unter Hinzuziehung zahlreicher Sachverständiger über verschiedene Themenbereiche diskutiert und beraten.
Es ging um Themen wie Parlamentarismus und Landesregierung, um Partizipation, Schuldenbremse, um unsere Kommunen und den Verfassungsgerichtshof. Wir waren uns bei unseren Beratungen fraktionsübergreifend einig, dass der Prozess – das hörten wir eben auch schon – ergebnisoffen zu betrachten sei, aber auch alle Punkte – und das war eben so ein bisschen das Problem – in ihrer Abhängigkeit zueinander diskutiert und bewertet werden mussten. Daher ließen wir uns zwar nicht in allen Punkten auf eine Verständigung miteinander ein, haben aber dennoch im Oktober 2016 im Landtag NRW mit deutlicher Mehrheit eine Änderung der Landesverfassung beraten und beschlossen.
Auf der Grundlage des Berichts der Verfassungskommission vom Juli 2016 und eines daran anknüpfenden Gesetzentwurfs von SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit der FDP hat der Landtag im Oktober 2016 mit breiter Mehrheit das Gesetz über die Änderung der Landesverfassung beraten und beschlossen.
Gegenstand der Änderung sind zum Beispiel der Wegfall der Ministeranklage in Art. 63 und neue Regelungen über die Zusammensetzung des Verfassungsgerichtshofs in Artikel 76 der Landesverfassung. Aufgrund der beschriebenen Änderungen müssen nun weitere Gesetze angepasst werden wie zum Beispiel das Landeswahlgesetz, das Landesministergesetz oder auch das Gesetz über den Verfassungsgerichtshof.
zur bisherigen Berufungsregelung: Künftig sollen der Präsident, der Vizepräsident, die weiteren Mitglieder und Stellvertreter in geheimer Wahl ohne Aussprache mit Zweidrittelmehrheit für die Dauer von zehn Jahren gewählt werden. Eine Wiederwahl der sieben Mitglieder wird es nicht mehr geben.
Vorbildlich sind dabei die Regelungen über die Verfassungsrichterbestimmung auf Bundesebene und in den meisten Bundesländern. Bisher waren der jeweilige Präsident des Oberverwaltungsgerichts und die beiden lebensältesten Oberlandesgerichtspräsidenten sogenannte geborene Mitglieder, und genau das wird es in Zukunft nicht mehr geben.
Für die Amtszeit der bisherigen Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs gelten selbstverständlich die bisherigen Regeln.
Besonders erfreulich finde ich an dieser Stelle, dass es heute einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen geben wird, worin wir uns darüber verständigen konnten, dass es in Zukunft keine Altersgrenze mehr geben wird. Die generelle Altersgrenze von 68 Jahren werden wir aufheben. Wir werden diesem Antrag folgen, und wir werden dieser Aufhebung der Altersgrenze genauso zustimmen wie auch der künftigen Möglichkeit zur Abgabe von Sondervoten einzelner Richter.
An der Stelle gilt: Wenn man wirklich miteinander redet und diskutiert, kommt man häufig am Ende doch noch zu überraschenden, gemeinsamen Lösungen. Ich persönlich habe mich sehr gefreut, heute im Laufe des Tages immer wieder über den aktuellen Stand des Änderungsantrags informiert zu werden. Ich habe irgendwann gesagt: Ich ändere meine Rede jetzt nicht mehr, sondern es ist ein gemeinsamer Antrag, und das ist auch gut so. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir jetzt behandeln, den wir jetzt zum x-ten Mal behandeln, dient im Grunde der Umsetzung der Vorschläge der Verfassungskommission in die normale Gesetzgebung.
Wir hätten uns normalerweise hier enthalten, weil in den Gesprächen der Obleute in der Verfassungskommission vereinbart worden ist, dass die Altersgrenze für die Richter von 68 Jahren abgeschafft werden sollte. In Wirklichkeit ist sie dann nach dem
Unter diesen Umständen hätte sich die CDUFraktion enthalten. Seitdem wir seit heute Nachmittag den gemeinsamen Änderungsantrag 16/14787 vorliegen haben, wissen wir: Wir haben wir einen Konsens gefunden, und dem stimmen wir natürlich zu.
Wenn ich das, Herr Kollege Marsching, jetzt wieder ziemlich knapp gemacht habe, dann liegt das nicht daran, dass ich es nicht für wichtig hielte – weil Sie vorhin sagten: in 20 Sekunden abgehandelt –, sondern wir haben es im November-Plenum behandelt, wir haben es im Januar-Plenum behandelt, wir haben es im März-Plenum und zweimal im Hauptausschuss behandelt, wir behandeln es heute wieder. An die vielen Sitzungen der Verfassungskommission mag ich gar nicht mehr erinnern.
Wir haben es jetzt wirklich ausführlich hin und her diskutiert. Wir kommen zu einem Ergebnis: Wir stimmen mit allen Fraktionen zu, und dieses Ergebnis ist auch klasse. – Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorredner haben dargestellt, worum es geht: das Ergebnis der Verfassungskommission, die Verfassungsänderung, jetzt in einfachgesetzliche Regelungen zu überführen. Ich muss dem nichts weiter hinzufügen. Wir stimmen natürlich zu. – Vielen Dank.