Protocol of the Session on January 28, 2016

Wenn diese Fragen entschieden sind, dann kann man auf dieser Grundlage klären, inwieweit wir im Rahmen des möglichen nationalen Spielraums unter integrationspolitischen Aspekten tatsächlich sinnvoll eine Verteilung vornehmen können.

(Michael Hübner [SPD]: Das kann man alles machen!)

Aber bitte – das habe ich schon mehrfach gesagt; ich habe gestern und heute hier schon öfter geredet – blenden Sie nicht immer die Hälfte der Wahrheit, die Hälfte der Wirklichkeit aus. Sie schauen nämlich nur auf die andere Hälfte, mit der Sie vielleicht einen Punkt nach vorn machen können. Sehen Sie bitte das ganze Bild.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])

Deswegen lassen Sie uns ganz sachlich, ganz ruhig zunächst diese beiden Punkte klären und auf der Grundlage dann eine sachliche Debatte über diese Frage führen. Die sehe ich derzeit noch nicht.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Danke, Frau Kollegin Düker. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Dr. Stamp.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Düker, weil Sie mich vorhin so angeschaut haben, weise ich darauf hin, dass wir gar nicht Antragsteller sind. Wir haben uns sehr genau angesehen, welche Anträge wir gemeinsam machen und welche nicht.

Ich sage allerdings, dass das Ziel, das Frau Scharrenbach hier vorgetragen hat, auch unser Ziel ist, nämlich dass wir vermeiden wollen, dass wir aufgrund des Zusammenzugs ethnischer Gruppen möglicherweise einer Ghettobildung, wie wir es beispielsweise aus den Vereinigten Staaten kennen, Vorschub leisten.

Wir brauchen Instrumente, ähnlich wie es auch der Vorsitzende der Sozialdemokratie gesagt hat, mit denen wir vermeiden können, dass sich das Ganze gerade in den Kommunen, bei denen das schon jetzt ein Thema ist – beispielsweise das Ruhrgebiet, aber auch große Städte am Rhein – fortsetzt. Ich denke, darüber kann man ganz in Ruhe sprechen, und das möchten wir auch tun.

(Beifall von der FDP)

Der Generalanwalt beim EuGH hat jedoch festgestellt, dass die Sache derzeit unionsrechtswidrig ist. Deshalb bin ich an dieser Stelle der CDU ganz dankbar, dass sie heute nicht direkt über den Antrag abstimmen lassen will, sondern dass dieser Antrag in den Ausschuss überwiesen wird, um dort über weitere Konzeptionen sprechen zu können.

Voraussichtlich wird in nächster Zeit das Urteil des EuGH zu diesem Thema vorliegen. Dann sind wir, was die rechtliche Verlässlichkeit angeht, einen deutlichen Schritt weiter und haben dann auch eine andere Beratungsgrundlage. Wir sollten auf jeden Fall berücksichtigen, dass das, was wir hier beschließen, mit dem Unionsrecht vereinbar sein muss. – So viel zum Thema „Sachlichkeit“ und „inhaltliche Auseinandersetzung“.

Lieber Herr Kollege Hübner, Sie haben eben nicht mehr von „Rechtspopulismus“, sondern nur noch von „Populismus“ gesprochen. Auch das weise ich zurück, aber das ist ein anderer Zungenschlag als das, was Herr Garbrecht vorhin gemacht hat. Wenn wir uns in Europa und hier Deutschland hinsichtlich des Zuzugs in einer Ausnahmesituation befinden, dann ist es doch ganz natürlich, dass sich das auch auf der Tagesordnung eines solchen Parlaments widerspiegelt.

Seien Sie doch froh, dass wir die Probleme in einem vernünftigen Ton und sachlich ansprechen. Denn wenn wir das nicht täten, dann machten es in einer anderen Tonlage – nämlich mit Ressentiments – diejenigen, die wir hier gemeinsam verhindern wol

len. Insofern bin ich sehr skeptisch, ob es eine kluge Strategie ist, hier den demokratischen Mitbewerbern im Zweieinhalbstundenrhythmus – teilweise noch kürzer – Rechtspopulismus vorzuwerfen.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Ich hätte erwartet, Herr Römer, dass Sie sich entschuldigen. Ich sage es auch an die Adresse von Herrn Garbrecht – er ist jetzt nicht anwesend, wenn ich das richtig sehe – und erwarte, dass er das bei mir tut. Ich jedenfalls werde mir in Anbetracht dessen, wie ich mich in meiner politischen Vita verhalten habe, diesen Vorwurf nicht gefallen lassen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stamp. – Für die Piratenfraktion spricht Herr Kollege Sommer.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Scherze mit Nachnamen sind etwas ganz Neues. Das mag ich total gerne. Machen Sie ruhig damit weiter. Das befeuert die inhaltliche Diskussion ungemein.

Es gibt in Deutschland und in NRW schon jetzt diverse Residenzpflichten und Wohnsitzauflagen für Menschen, die sich im Asylverfahren befinden, oder auch für hier geduldete Menschen, die Transferleistungen beziehen. Wir Piraten sehen diese Regelungen im laufenden Asylverfahren sehr kritisch und hinterfragen, ob das überhaupt einen Sinn macht.

Bei geduldeten Menschen, egal womit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten, würden wir das schon jetzt ablehnen, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil es hier ganz viele geduldete Menschen gibt, die diesen Status teilweise seit Jahren haben, manche sogar seit fast einem Jahrzehnt. Seit Jahren möchten wir diesen Menschen die Freiheit nehmen, ihren Wohnsitz frei zu wählen. Damit stempeln wir sie zu Menschen zweiter Klasse. Das möchten wir nicht, und das werden wir auch nie tun.

Auf EU-Recht ist hier bereits eingegangen worden; deshalb wiederhole ich das nicht. Ich möchte aber gerne auf den UN-Zivilpakt von 1966 eingehen, den im Übrigen die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert hat. Ich zitiere:

„Jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen.“

Und das wollen wir einschränken? Wir wollen internationales Recht brechen? Die CDU möchte internationales Recht brechen? Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

Aber mal rein praktisch gesehen: Wir treten als demokratisch legitimierte Politik in eine Bevölkerungs

steuerung ein, wie wir es sonst nur aus Nordkorea oder einem kommunistischen Sowjetunion

Konglomerat kennen? Das wollen wir tatsächlich machen?

Sie fangen mit den Geflüchteten an. Denjenigen, die hierhin geflüchtet sind und einen rechtmäßigen Status haben, sagen Sie, wo sie zu wohnen und zu leben haben. Hören wir dann bei denen auf? Das ist ja nur ein relativ geringer Anteil an der Gesamtbevölkerung. Wenn man das, womit hier angefangen wurde, zu Ende denkt, dann machen wir bald mit ganz normalen SGB-II-Transferleistungsempfängern weiter. Das kann doch nicht wirklich die Denke sein! Der Unterschied besteht einzig und allein in der Herkunft.

Alles andere, was Sie sonst nennen, dass sich beispielsweise die Leute an gleichen Hotspots sammeln, ist auch bei deutschen Transferleistungsempfängern so. Wir haben diese Hotspots in der Ruhrschiene und auch im Rheinland. Dort finden sich auch die gleichen Mechanismen. Der einzige Unterschied ist die Herkunft. Wenn man das aber an der Herkunft festmacht, gibt es dafür ein ganz einfaches Wort, nämlich „Rassismus“.

Das, was Sie hier vorbringen, ist kein Lösungsansatz. Ich bitte wirklich jeden hier im Haus und jeden in einem anderen deutschen Parlament, davon Abstand zu nehmen. Das ist nicht sinnvoll. Das darf auch die Landesregierung in Niedersachsen hören. Ich bitte, in Betracht zu ziehen, diesen Antrag zurückzuziehen. Er ist nicht sinnvoll und wird im Ausschuss auch nicht sinnvoller werden.

Wir werden ihn sehr kritisch beleuchten. Im Ausschuss werde ich gerne alles noch einmal wiederholen. Ich hinterlege Ihnen das dort auch mit noch mehr Fakten. Das, was Sie hier vorhaben, ist der Einstieg in eine Bevölkerungsregulierung, die wir sonst nur aus diktatorischen Systemen kennen. Das können wir als Demokraten nicht wollen, und das ist auch nicht unsere Aufgabe als demokratisches Parlament. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Danke, Herr Sommer. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Grundsätzlich ist erst einmal zu begrüßen, wenn sich der Bund Gedanken darüber macht, wie man unsere Kommunen entlasten kann und wie man Flüchtlinge besser integrieren kann. Das ist grundsätzlich erst mal gut. Das kommt ja auch nicht immer vor.

Dass wir in diesem Zusammenhang jetzt über Wohnsitzauflagen reden, müssen wir den Men

schen sehr genau, sehr gut und sehr plausibel erklären, weil wir sonst noch mehr Beiträge hören wie den von Herrn Sommer gerade in einer emotionalisierten Debatte, der sagt, dass es dabei um Bevölkerungsregulierung ginge.

Deshalb müssen wir genau erklären, warum wir überhaupt über Wohnsitzauflagen nachdenken. Die ungleiche Verteilung von Soziallasten oder Kosten im Allgemeinen oder im Besonderen taugt als Argument dafür überhaupt nicht. Über dieses Kriterium brauchen wir nicht zu diskutieren.

(Zuruf von Torsten Sommer [PIRATEN])

Frau Düker hat zu Recht das Bundesverwaltungsgericht zitiert hat, das 2008 klar und deutlich gesagt hat, dass solche Gründe – damals ging es um anerkannte Flüchtlinge – nicht herangezogen werden können. Denn Wohnsitzauflagen dürfen nur und ausschließlich aus migrations- und integrationspolitischen Gründen angewandt werden. Was genau darunter zu verstehen ist, wie das zu definieren ist, das muss der Bund darstellen. An dieser Diskussion werden wir uns beteiligen; da werden wir uns einbringen.

Mit Wohnsitzauflagen – um das noch einmal festzustellen – wird nicht die persönliche Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Aber es darf auch nicht aus dem Blick geraten, dass das für die Betroffenen schon eine belastende Maßnahme ist. Außerdem ist wäre, wenn es denn eine solche Anordnung gäbe, immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

Darüber hinaus werden wir in die Diskussion beim Bund auch das Argument einbringen, dass die Ausländerbehörden in den Kommunen bereits jetzt mit der Wahrnehmung der unterschiedlichsten Aufgaben stark belastet sind, und dass eine weitere Aufgabe, nämlich die Kontrolle und Administration der Wohnsitzauflage, einen weiteren erheblichen Aufwand bedeuten würde. Auch das werden wir kritisch in die Diskussion mit einbringen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die CDU-Fraktion hat sich noch einmal Frau Kollegin Scharrenbach zu Wort gemeldet. Sie hat auch noch etwas Redezeit zur Verfügung. Bitte, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hübner, das ist so eine Sache mit den Antworten, die man findet, sei es auf Anträge oder auch in Debattenlagen. Ich bin es offen gesagt leid, dass Sie uns, wenn wir uns mit Problemen der Kommunen beschäftigen, permanent – permanent! – Populismus vorwerfen, Rechtspopulismus oder irgendetwas anderes.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sie sind in Ihrer Rede nicht einmal auf das Problem als solches eingegangen. Wir reden hier nicht über Unterbringungsprobleme, sondern wir reden über mittel- bis langfristige Integrationsprobleme, die Sie erzeugen, wenn wir die Verteilung von anerkannten Asylsuchenden in Nordrhein-Westfalen nicht in den Griff bekommen. Sie werden die Ehrenamtlichen weiter belasten, Sie werden die Erzieher weiter belasten, Sie werden die Lehrer weiter belasten. Es gibt eine Ungleichverteilung auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Das kriegen Sie nicht in den Griff.

Wenn Sie nicht bereit sind, diese Probleme anzuerkennen, diese Probleme überhaupt als Probleme zu verstehen, dann laufen wir hier in eine viel schwierigere Situation hinein, als wir sie heute noch haben. Sie haben hier in Ihrer Rede nicht einen Lösungsvorschlag vorgelegt.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Das gilt übrigens genauso für den Kollegen Sommer. Mein lieber Torsten, wir werden das ja noch weiter diskutieren.