Zur Einbringung des Gesetzentwurfs erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Laumann das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen bringt heute den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Föderalismusreform auf dem Gebiet des Heimrechts und dessen Art. 1 – Wohn- und Teilhabegesetz – ein, den Sie heute in erster Lesung debattieren. Wir machen damit einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem zukünftigen innovativen nordrhein-westfälischen Heimrecht. Mein erklärtes Ziel für ein nordrheinwestfälisches Heimrecht ist, die Interessen und Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und damit die Chancen zu nutzen, die sich für das Land aus der Föderalismusreform auf dem Gebiet des Heimrechts ergeben.
Ich habe den Kernauftrag und die Philosophie des neuen Landesgesetzes stets so verstanden. Das Gesetz ist in erster Linie ein Schutzgesetz für die Bewohner in stationären Betreuungseinrichtungen der Behindertenhilfe und der Altenhilfe. Das Leben der Menschen in den Betreuungseinrichtungen soll sich, soweit wie eben möglich, an den Maßstäben eines Lebens wie zu Hause orientieren. Für ältere und behinderte Menschen ist die Betreuungseinrichtung doch der Lebensmittelpunkt. Das Gesetz muss daher gewährleisten, dass die Menschen dort möglichst selbstbestimmt ihren Lebensalltag gestalten und ihre Individualität leben können, und das neue Gesetz muss mit dem Thema Entbürokratisieren ernst machen.
Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der sich konsequent an dieser Philosophie ausrichtet. In dieser Wahlperiode hat es wohl noch kein Gesetzgebungsvorhaben gegeben, das so unterschiedlichen Interessen ausgesetzt war wie das Wohn- und Teilhabegesetz. Denn mit dem Heimrecht werden zahlreiche Probleme und Handlungsfelder aus unterschiedlichen rechtlichen und gesellschaftlichen Bereichen verknüpft, die auf den Alltag der Menschen in Heimen Einfluss nehmen.
Deswegen war es immer mein Ziel, bei der Entwicklung eines eigenen Heimrechts für unser Land alle Betroffenen und Beteiligten mitzunehmen und sie möglichst von dem, was wir tun, zu überzeugen. Das Gesetz sollte von Anfang an auf einem offenen Dialog aller Beteiligten und Betroffenen aufbauen. Schließlich weiß die Landesregierung, dass wir eine große Verantwortung für die Menschen in Heimen, aber auch für die Träger der Einrichtungen übernehmen.
Ich finde, dass wir das gut gemacht haben. Wir haben wirklich mit allen gesprochen, denen das Thema am Herzen liegt. Neben dem Dialog mit den Bürgern und dem Gespräch mit Experten der Verbände habe ich selbstverständlich auch frühzeitig mit allen Fraktionen im Landtag über unsere Vorstellungen für das Heimgesetz gesprochen.
Als weiteres Signal für Offenheit und Diskussionsbereitschaft haben wir nach der Entscheidung der Landesregierung vom 22.04.2008 der Fachöffentlichkeit im Rahmen einer umfassenden Verbändeanhörung den Regierungsentwurf vorgestellt.
Mehr als 26 Stellungnahmen gingen zwischenzeitlich ein, die wir sorgfältig ausgewertet haben. Im Tenor haben die Verbände und Organisationen das vorgestellte Regelwerk begrüßt und anerkannt. Wir haben Lob bekommen, dass wir künftig
ein Heim nicht mehr an baulichen Strukturen festmachen, sondern auf Vertragsverhältnisse abstellen, nach denen sich die Abhängigkeit der Bewohner vom Betreiber bemisst. Damit können wir künftig klarer sagen, ab wann ein Heim ein Heim ist.
Wir unternehmen damit den mutigen Schritt, die bisherige Unschärfe des geltenden Bundesheimrechtes und die in der Praxis entstehende Grauzone zwischen sogenanntem betreuten Wohnen und Heim durch präzise Regelungen aufzulösen.
Wir haben Zustimmung bekommen, dass das künftige Wohn- und Teilhabegesetz die Menschen in Betreuungseinrichtungen besser schützt und mit seinen Möglichkeiten dazu beiträgt, ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu verbessern.
Wir haben Anerkennung dafür erhalten, dass wir mit Entbürokratisierung ernst machen und eine neue, überschaubare und schlankere gesetzliche Grundlage vorschlagen.
Die Anhörung der Verbände hat aber ebenso gezeigt, dass die einzelnen Forderungen an das Gesetz auch von handfesten, wirtschaftlichen Interessen der Leistungsanbieter, Kostenträger und Verbände geprägt sind. Ich will in dieser Frage eindeutig den Kurs beibehalten, dass die Einrichtungen für die Betroffenen da sind und die Interessen der Verbände und Trägerverbände sich den Interessen der Betroffenen unterordnen müssen. Die Interessen von Bewohnerinnen und Bewohnern stehen bei diesen Beziehungen schlicht und ergreifend im Vordergrund.
Ich bin zum Beispiel sehr gespannt darauf, wie wir es in diesem Land mit den Mehrbettzimmern in den Behinderteneinrichtungen halten. Seit Jahren wird hier im Landtag und auch bei vielen Wohlfahrtsverbänden von immer höheren Standards gesprochen. Wir haben aber durchaus noch Behinderte in Nordrhein-Westfalen, die sich über Jahrzehnte ein Zimmer mit zwei weiteren Menschen teilen müssen.
In diesem Gesetz sagen wir ganz klar, dass die Mehrbettzimmer nicht mehr sein sollen. Ich habe die Bitte, dass wir in Ruhe darüber nachdenken, wie wir es schaffen – auch da, wo man es nicht will, und auch bei den Behinderten –, schneller zu Einzelzimmern zu kommen und auch die Zweibettzimmer in die Kritik der Standards geraten zu lassen.
Ich weiß, was das alles auslöst. Aber wenn viele von uns schon ein Dreibettzimmer bei neun Tagen Krankenhausaufenthalt für unwürdig empfinden, wie ist es dann erst für einen behinderten Menschen, der 30 oder 40 Jahre in einer Einrichtung lebt? Wenn ich in diesen Einrichtungen sehe, dass die Zimmer so aufgeteilt sind, dass eine Wand mit Bett, Fernseher und Kassettenrekorder dem einen und die andere Wand dem anderen gehört, mir vorstelle, dass diese Menschen nie eine Privatsphäre für sich ganz alleine haben, und dann sehe, welche Standarddiskussionen in diesem Land über viele Fragen stattfinden, aber bislang nicht offen angesprochen wird, dass wir die beschriebene Situation noch tausendfach in Nordrhein-Westfalen haben, kann ich nur sagen: Hier passt einiges nicht mehr zusammen.
Auf diesen Punkt bin ich in der Anhörung sehr gespannt. Wir müssen überlegen, wie wir nicht nur die Mehrbettzimmer, sondern auch die Zweibettzimmer in den Fokus nehmen. Natürlich sollen Menschen auch in Einrichtungen zusammenleben können. Im Vordergrund steht aber, ob sie es wollen oder ob sie es nicht wollen. Ich bin der Meinung, dass wir uns hier erheblich für die Interessen der betreffenden Menschen einsetzen sollten.
Die Philosophie des Gesetzes ist – dazu haben wir jetzt eine einmalige Chance, weil wir ein neues Gesetz schreiben –, die Bedürfnisse der Betroffenen im Heimalltag in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist richtig. Deswegen sollten wir im Gesetzgebungsverfahren, was diese Grundphilosophie angeht, Kurs halten. Wir waren offen für Anregungen, die der Grundrichtung des Gesetzentwurfes Rechnung tragen. Wir lehnen jedoch ab, den Schutzgedanken des Gesetzes und die Rechte der Bewohner zugunsten von irgendwelchen finanziellen und wirtschaftlichen Teilinteressen zu opfern. Ich sage dies ganz deutlich.
Für die fachliche Diskussion über das Wohn- und Teilhabegesetz bleibt uns in der parlamentarischen Beratung nach der Sommerpause auch im Ausschuss genügend Zeit. Es wird gewiss eine spannende Debatte, auf die ich mich freue. Ich möchte gerne den Prozess so begleiten, dass wir – möglichst auch hier im Parlament – die Enden so zusammenbinden, dass wir in Nordrhein-Westfalen ein Heimrecht bekommen, von dem alle wissen, dass es eine große parlamentarische Mehrheit hat und dass allen Einrichtungsträgern klar ist, dass man in dieser Frage die Politik nicht spalten kann. Das ist mein Ziel. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister Laumann. – Für die SPD-Fraktion erhält Herr Abgeordneter Killewald das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heutigen Tag beginnt das eigentliche parlamentarische Verfahren des Entwurfs zum Wohn- und Teilhabegesetz, dem Nachfolgegesetz zum Bundesheimgesetz.
Nach zwei Jahren Vorlauf in Bund und Land ist es nun so weit. Fast genau zwei Jahre ist es her, dass die SPD-Fraktion ihre Eckpunkte dargelegt und damit am Beginn des Prozesses deutlich gemacht hat, wo sie hin will. Die Landesregierung hat ihre Eckpunkte vor gut einem Jahr benannt.
Wir Sozialdemokraten haben in den letzten Jahrzehnten für NRW immer Wert darauf gelegt, dass der pflegebedürftige Mensch bei der Pflege im Mittelpunkt steht. Pflegepolitik gab sich in NRW unter den SPD-geführten Landesregierungen nie damit zufrieden, den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den Ländern oder auf Bundesebene als Maxime des Handelns anzuerkennen. Deshalb war NRW unter der SPD-geführten Landesregierung stets Vorreiter in diesem Politikfeld und weiter als andere Länder. Ob das noch gilt, Herr Minister, werden wir in den nächsten Wochen sehen.
Wir stehen für die Pflege in NRW vor bedeutsamen Monaten: Die Veröffentlichung der Investitionskostenverordnung steht noch an. Die Umsetzung der Reform der Pflegeversicherung mit dem Rechtsanspruch auf Pflegeberatung und der Einrichtung der Pflegestützpunkte auf Bundesebene fordert uns. Auch geht es um das neue Heimgesetz, das wir heute behandeln. Das Landespflegegesetz, das sich in der Evaluationsphase befindet, darf man nicht außer Acht lassen.
Schon jede einzelne Maßnahme ist bedeutend. Aber die Konzentration der Veränderungen ruft zur besonderen Aufmerksamkeit und zum höchsten Einsatzwillen auf.
Die Landesregierung hat den Entwurf zum Wohn- und Teilhabegesetz vorgelegt. Ihre Zielvorstellung – so machten Sie deutlich, Herr Minister – ist die im SGB IX formulierte zentrale Feststellung der Teilhabe und Selbstbestimmtheit der betroffenen Menschen. Diese Zielsetzung, die von der damaligen SPD-geführten Bundesregierung gesetzlich verankert worden ist, tragen wir mit. Man muss anerkennend sagen, dass Ihr Entwurf hier bundesweit den konsequentesten Weg geht.
genmerk darauf legen, dass das Gesetz dieser Zielsetzung entspricht und trotzdem praktikabel bleibt. Zentrale Bedeutung hat die Festlegung des Anwendungsbereichs. Dabei geht es darum, für welche Bereiche das neue Gesetz gilt. Das Beratungsverfahren wird Aufschluss darüber geben, inwieweit wir Veränderungen einarbeiten müssen.
Sie haben vorhin gesagt, dass der zentrale Grundgedanke des Gesetzes für Sie im Mittelpunkt steht. Man muss aber auch sagen, dass es Träger gibt, für die der wirtschaftliche Gesichtspunkt nicht im Mittelpunkt steht. Das gilt beispielsweise für die Lebenshilfe, die ganz anders organisiert ist. Im Anhörungsverfahren werden wir mit Sicherheit schauen müssen, ob wir diese bewährte Struktur bewahren und stützen können.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die zentrale Bedeutung der Teilhabe der betroffenen Menschen zwingt uns, das Gesetz nicht isoliert zu sehen. Ich erwähnte eingangs die verschiedenen anstehenden Veränderungen. Wer Teilhabe in den Mittelpunkt stellt, muss die Reform der Pflegeversicherung und das Landespflegegesetz in die eigenen Überlegungen einbeziehen. Gerade das schenkt uns die Möglichkeit, komplex zu denken und große Veränderungen für eine Verbesserung der Situation in der Pflege herbeizuführen.
Aus diesem Grunde hat die SPD-Fraktion vor wenigen Wochen ihre Vorstellungen zu den Pflegestützpunkten vorgestellt. Wir werden die Chance für abgestimmte Maßnahmen von verschiedenen Veränderungsprozessen nicht ungenutzt vorbeiziehen lassen.
Ich erinnere daran, dass Sozialdemokraten bereit waren, in der Enquetekommission „Situation und Zukunft der Pflege in NRW“ gemeinsam mit allen Fraktionen und Experten Anforderungen und Wege für die Pflege in NRW zu denken und zu empfehlen. Das ist außergewöhnlich, was uns die jetzt endende Enquetekommission in einem anderen Fachbereich zeigt.
Weil die SPD aber schon damals die Verantwortung für die Pflege in NRW auf eine breite Basis stellen wollte, wird sie es nun nicht anders sehen und eine breite Mehrheit suchen. In diesem Punkt sind wir uns einig, Herr Minister. Wir werden wahrscheinlich noch einige Punkte in Übereinstimmung bringen müssen. In den nächsten Wochen wird sich zeigen, wer die Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit der Enquetekommission umsetzen will oder wer bisher nur Lippenbekenntnisse abgegeben hat.
Wer meint, dass die SPD in NRW bereit ist, sich für einen gemeinsamen Weg auf einen Minimalkonsens in der Pflege einzulassen, irrt. Der zentrale Leitgedanke, der uns gemeinsam prägt, ist die Teilhabeorientierung. Das muss für die gesamte Pflege gelten. Im stationären Bereich muss das Wohn- und Teilhabegesetz diesen Gedanken umsetzen. Im ambulanten Bereich muss Gleiches gelten.
Deshalb muss das Wohn- und Teilhabegesetz durch die Einführung von Pflegestützpunkten flankiert werden. Wir erwarten, dass das Land, die Kassen und die kommunalen Spitzenverbände eine gemeinsame Rahmenvereinbarung treffen, Herr Minister.
Ich wiederhole: Wir sind nicht bereit, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu akzeptieren, wenn bessere Lösungen für NRW möglich sind.
Wir sind nicht bereit, die einmalige Chance der Konzentration der Veränderungen für die Pflege in NRW ungenutzt vorbeiziehen zu lassen.
Die anstehenden Diskussionen in den nächsten Tagen und Wochen werden wir in diesem Sinne nutzen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon die Enquetekommission zur Pflege in der letzten Legislaturperiode hatte festgestellt, dass das Heimrecht eine Überarbeitung erfahren müsse; darin waren wir uns einig. Ich glaube, beim Grundgedanken zum Teilhabegesetz sind wir uns auch jetzt einig.
Die Feinheiten und die Auslegung des Gesetzes werden zu besprechen sein. Nicht zu besprechen ist aber das grundsätzliche Ziel, den zu pflegenden Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und diesem Ziel ordnungsrechtliche Anforderungen zu unterstellen – nicht umgekehrt. Lebensalltag und Lebensnormalität behinderter und pflegebedürftiger Menschen stehen also im Mittelpunkt dieses Gesetzes.
Um das sicherzustellen, benötigt man eine deutliche Definition, welche Einrichtung als Heim gilt und welche nicht. – Ich bin fast sicher, dass wir