Für all diese geschilderten Fälle gilt: Es muss erst einmal die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass Familien überhaupt wählen können, sprich es muss genügend Kinderbetreuungsmöglichkeiten geben.
Ohne Zweifel gibt es da einen großen Aufholbedarf, der vor allen Dingen in den alten Bundesländern zu spüren ist. Nordrhein-Westfalen ist ein Musterland in der Aufholjagd. Wir sind mit 2,8 % gestartet, als wir die Regierung übernommen haben. Es ist uns ein hehres Ziel, auf 20 % am Ende dieser Legislaturperiode zu kommen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal einen kleinen Einschub machen. Unabhängig davon, welche Marge wir anstreben, ob 20 oder 30 % – es heißt dann immer noch: Die große Mehrzahl der Kinder wird zu Hause betreut, und in der Regel erledigen die Familien diese Aufgabe gut und mit großer Freude. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit noch einmal deutlich hervorheben. Ich fände es ein durchaus lohnenswertes politisches Ziel, auch über eine Förderung dieser Familien nachzudenken.
Denn ich bin sicher, dass sich auch weiterhin viele Familien dieser Aufgabe mit Engagement stellen werden. Ich selber gehöre auch zu denen, die mit sehr viel Wohlgefallen an diese Familienphase zurückdenken.
Was ich aber bei der Debatte über ein Mehr bei der Kinderbetreuung vermisse, ist die Frage nach dem Wie, nach der Qualität. Unser Antrag soll einen Blick darauf richten. Die frühkindliche Pädagogik und die Erfahrungen von Eltern zeigen: Die wichtigste Aufgabe in den ersten Lebensjahren des Kindes ist der Aufbau von Verbindungsfähigkeit und Vertrauen.
Die moderne Bildungsforschung hat diesen Beitrag unterstützt. Eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung hat nach wissenschaftlichen Erkenntnissen messbar positive Effekte auf den kognitiven und emotionalen Bereich der Kinder. Eine qualitativ gute frühkindliche Betreuung, Erziehung und Bildung rechnet sich also.
Der Referentenentwurf des KiBiz greift an vielen Stellen die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Bedeutung der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung auf. Eine bessere Gestaltung der Übergänge, eine bessere Unterstützung der Familien durch die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren, der Aus
bau der Sprachförderung sowie der Ausbau der qualifizierten Tagespflege, all dies sind wichtige Maßnahmen, die – da bin ich mir ganz sicher – den Kindern in unserem Land zugute kommen werden.
Zusätzlich werden wir in näherer Zukunft auch über die Erzieherinnenausbildung reden müssen. Sie muss verstärkt die besonderen Erfordernisse gerade im Bereich der Betreuung der unter Dreijährigen einbeziehen.
Gestatten Sie mir am Schluss noch eine wichtige Bemerkung: Beim Ausbau der frühkindlichen Erziehung, Bildung und Betreuung sind alle Ebenen und Kräfte des Staates und der Gesellschaft gefordert. Bund, Länder und Kommunen sind gemeinsam gefordert, diese wichtige gesellschaftliche Aufgabe zu schultern. Es kann nicht sein, dass Familienfreundlichkeit zwar von allen gefordert wird, jeder aber meint, der andere sei dafür da, die entsprechenden Finanzen bereitzustellen. Jede Ebene muss ihr Scherflein dazu beitragen, sonst werden wir es nicht schaffen; denn wie heißt es in einem afrikanischen Sprichwort so schön: Es gehört ein ganzes Dorf dazu, ein Kind zu erziehen. – In diesem Sinne: Packen wir es an!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Kastner hat zu Recht darauf hingewiesen, dass auch in der bundespolitischen Diskussion die Frage der verlässlichen Betreuung von Kindern, zumal von unter drei Jahre alten Kindern, an Bedeutung gewonnen hat.
Es hat auch in der Vergangenheit zahlreiche Initiativen gegeben, dieses Thema mit größerem Gewicht auszustatten, aber erst in den vergangenen Monaten ist es tatsächlich über die Wahrnehmungsschwelle gekommen. Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass sich die Bedürfnisse von Kindern, Eltern und Familien noch stärker artikulieren und dass dies auch diejenigen, die in der Vergangenheit vielleicht ganz andere Konzepte von Lebensentwürfen hatten, nun anerkannt haben.
Die Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen hat seit der Landtagswahl – ich glaube, das kann niemand bestreiten – sehr erhebliche Fortschritte bei der quantitativen Entwicklung der Platzzahlen erzielt. Wir hatten die Schlusslichtrolle im bundesweiten Vergleich übernommen: 2,8 % Be
darfsdeckung bei den unter Dreijährigen, noch nicht einmal 11.000 Plätze. Wir haben jetzt 16.000 Plätze für unter Dreijährige durch die unterschiedlichen Maßnahmen, die ergriffen worden sind.
Mit dem KiBiz, das wissen Sie, werden wir die Zahl der Plätze zum 1. August 2008 nochmals verdoppeln – übrigens ausdrücklich nicht zulasten der Qualität, denn wir weiten das Gruppenangebot für Zweijährige im Kindergarten aus, das die Vorgängerregierung eingeführt hatte, aus. Dieses Gruppenmodell hat sich in der Praxis allein im Bereich des Landschaftsverbands Rheinland bereits in 120 Fällen bewährt; es wird nun das Regelangebot in Nordrhein-Westfalen werden.
Auch das Programm „Frühe Förderung von Kindern“ hat, wie hier bekannt ist, einen Schwerpunkt im Bereich der unter Dreijährigen. Es ging darum, Infrastrukturmaßnahmen zu ermöglichen und die qualifizierte Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern für die besonderen Bedürfnisse kleiner Kinder weiter auszubauen.
Es wurde also eine ganze Menge getan, aber es liegt auch noch eine ganze Menge vor uns. Aus diesem Grund begrüßen wir, dass der Bund angekündigt hat, dieses Thema selbst stärker begleiten zu wollen. Das darf allerdings nicht nur mit wohlfeilen Ankündigungen erfolgen, sondern es müssen auch Finanzmittel bereitgestellt werden. Dabei ist es gelinde gesagt eine Enttäuschung, wenn die Bundesfamilienministerin über Wochen, um nicht zu sagen über Monate, vernehmen lässt, wie wichtig dieses Thema ist, und dann, als es darum ging, Butter bei die Fische zu tun und mitzufinanzieren, mit kärglichen dreistelligen Millionen-Euro-Beträgen für Investitionsmaßnahmen kommt.
Die Investitionsmaßnahmen könnten wir in Nordrhein-Westfalen gerade noch selber stemmen, entscheidend ist aber, wie es bei den Betriebskosten aussieht. Das ist der große Block, der nachhaltig von Ländern und Kommunen finanziert werden muss. Dazu wird in Berlin gesagt: Dafür sind die Länder und Kommunen zuständig, damit haben wir nichts mehr zu tun. Wer aber legt das bundesgesetzlich etwa im Tagesbetreuungsausbaugesetz fest? – Das ist der Bund.
Art. 104a Abs. 1 „Konnexitätsprinzip“ besagt, dass die Länder die Kosten tragen müssen, die sich aus ihren Aufgaben ergeben. Dann muss der Bund das Grundgesetz aber auch vollständig berücksichtigen: Die Länder müssen für ihre notwendigen Aufgaben auch die erforderlichen Finanzmittel bereitgestellt bekommen – Art. 106 Abs. 3. Das funktioniert über die Umsatzsteuer.
Deshalb will ich ganz entschieden von NordrheinWestfalen aus sagen: Wenn der Bund dieses Thema als sinnvoll und erforderlich betrachtet, dann brauchen wir kein neues Sonderprogramm, auch keinen neuen Mischfinanzierungstatbestand, sondern eine sachgerechte Neuverteilung der Umsatzsteuer, so wie sie die schwarz-gelbe Bundesregierung Mitte der 1990er-Jahre, Stichwort: föderales Konsolidierungsprogramm, bei der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz vorgenommen hat. Das muss die Große Koalition jetzt auch leisten. Da muss auch Frau von der Leyen ihren wohlfeilen Ankündigungen in der Großen Koalition Taten folgen lassen. Es ist beachtlich, dass sich ausgerechnet der Bundesfinanzminister über Frau von der Leyen beömmelt, dass sie nicht in der Lage ist, ihre Ankündigungen mit Ressourcen zu hinterlegen.
Ein letzter Gedanke, Herr Präsident: Ich glaube, dass wir auch in Nordrhein-Westfalen neue Spielräume gewinnen, unsere schon ambitionierten Pläne noch weiter fortschreiben zu können. Das will ich hier ausdrücklich für meine Fraktion sagen. Wir halten es für richtig und erforderlich, Eltern Planungssicherheit zu geben, was die Betreuungssituation angeht.
Deshalb bekräftige ich, dass meine Fraktion seit Februar 2005 den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz vom dritten auf den zweiten Geburtstag vorziehen will.
Wir glauben, dass das jetzt mit den notwendigen Mittelzuweisungen aus Berlin möglich ist. Wir werden ohnehin 40 % Plätze für Zweijährige bereithalten können.
Wenn aus Berlin Mittel kommen, ist es realistisch, den Rechtsanspruch für Zweijährige, wie in Rheinland-Pfalz von der damaligen sozial-liberalen Regierung umgesetzt, auch in NordrheinWestfalen Realität werden zu lassen. Das wäre ein echter Fortschritt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Lindner. – Für die Fraktion der SPD spricht jetzt Frau Kollegin Altenkamp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lindner, dass Sie es um 14:30 Uhr an einem Freitagnachmittag noch schaffen, mich zu Tränen zu rühren, dass hätte ich nicht gedacht.
Ich habe mich wirklich gefragt, was dieser Antrag soll. Jetzt komme ich langsam dahinter. Das ist wirklich sehr, sehr interessant.
Ich sage mal ganz offen – Herr Lindner hat es auch schon angesprochen –: Wenn es Ihnen so wichtig ist – dass sage ich insbesondere in Richtung CDU –, in der Betreuungsdiskussion mehr über Qualität zu reden, warum tun Sie es dann nicht?
Was soll das? In all den Wochen, in denen Frau von der Leyen durch die Gazetten geisterte, habe ich von der NRW-CDU und insbesondere von der NRW-CDU-Fraktion nichts Unterstützendes gehört.
Jaja. – Auch die Kommentare zum Krippengipfel seitens der NRW-CDU-Fraktion waren ausgesprochen spärlich.
Warum kommt Herr Lindner heute mit dem Rechtsanspruch für Kinder ab zwei? Warum? Letztlich geht es an dieser Stelle doch darum, dass die FDP das Ergebnis dieses sogenannten Krippengipfels, wo man sich auf 35 % Versorgung verständigt hat, infrage stellt. Denn Sie werden nicht bestreiten wollen, dass ein Rechtsanspruch für Kinder ab zwei mehr ist als eine Betreuungsquote von 35 %.
Vor dem Hintergrund muss ich sagen: Wenn Sie eine Qualitätsdiskussion wollen, dann hätten Sie die längst führen können. Mit diesem Antrag wird Ihnen das aber sicherlich nicht gelingen. Denn auch in NRW funktioniert die Debatte nach dem Schema: Ich rede erst einmal über das Geld und dann über die Qualität. Und das ist das, was wir Ihnen beim Referentenentwurf zum Kinderbildungsgesetz vorwerfen.
An der Stelle muss ich Sie übrigens daran erinnern, dass der KiBiz – das ist der verniedlichende Name, den Sie dafür gefunden haben – ein Kuckucksvogel ist. Es gibt nicht wenige Leute, die
Unter Dreijährige, also Zwei- bis Dreijährige, werden in das System geschoben, und das eben doch, Herr Lindner, unter Abbau der Personal- und Qualitätsstandards gegenüber der heutigen Situation.
Dann kommt in Ihrem Antrag wieder das Hohelied auf die Tagespflege. Allerdings hat der Referentenentwurf mit Qualität letztlich wenig zu tun. Bis zu acht Kinder sollen von einer Tagespflegeperson betreut werden, fünf Kinder gleichzeitig.