Protocol of the Session on May 4, 2007

Eine nur auf Freiwilligkeit und Einsicht beruhende Kooperationsbereitschaft der jungen Gefangenen kann selbst bei entsprechender Motivationsarbeit häufig nicht erreicht werden. Deshalb dürfen vollzugliche Maßnahmen nicht bloß Angebotscharakter haben, und die Annahme dieser Angebote kann nicht dem Belieben der jungen Gefangenen überlassen bleiben. Dementsprechend sieht mein

Gesetzentwurf eine generelle Verpflichtung der Gefangenen zur Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels vor, das heißt eine Verpflichtung zur Annahme der natürlich immer wieder zu machenden Vollzugsangebote und bei natürlich immer wieder zu weckender und zu fördernder Mitarbeitsbereitschaft.

Drittes Beispiel: Die Regelung des § 8, wonach mit den Gefangenen binnen 48 Stunden nach der Aufnahme ein Gespräch zu führen sein soll, wird den Bedürfnissen der jungen Gefangenen nicht gerecht. Ein Erstgespräch mit den jungen Menschen muss unmittelbar nach dem Eintreffen in der Anstalt geführt werden. Informationen über die aktuelle Lebenssituation, die psychische Verfassung und akute Probleme der Gefangenen braucht die Anstalt sofort nach der Aufnahme, um in dieser Phase hoher Labilität direkt reagieren zu können. Ein Zuwarten bis zu 48 Stunden ist angesichts der dem Vollzug obliegenden Fürsorgepflicht gegenüber den ihm anvertrauten jungen Menschen nicht zu verantworten.

Ich komme zu einem Kernproblem des Justizvollzugs, nämlich zur Drogenproblematik. Der Förderplan, wie er in § 10 des Gesetzentwurfs beschrieben wird, lässt bei den Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge jede Aussage zu einer bestehenden Drogenabhängigkeit vermissen. Ich bin überzeugt, dass wir gerade im Hinblick auf die Gesundheitsrisiken durch legale und illegale Drogen speziell auf die Bedürfnisse dieser Altersgruppe zugeschnittene Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsangebote brauchen, wie sie der Gesetzentwurf meines Hauses vorsieht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch ein Wort zum Wohngruppenvollzug sagen: Der Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieht eine starre Vorgabe für die Wohngruppengröße bis zu acht Personen vor. Diese Zahl ist nach meiner Auffassung rein willkürlich. Zur optimalen Wohngruppengröße gibt es keine empirischen Belege. Fest steht aber, dass der Betreuungsbedarf bei den Gefangenen in Abhängigkeit zu ihren sozialen Defiziten sehr unterschiedlich ist.

Gegen die pauschale Festschreibung einer Wohngruppengröße sprechen die in NordrheinWestfalen gewonnenen langjährigen Erfahrungen. So verfügt zum Beispiel in der ausschließlich auf den Wohngruppenvollzug ausgerichteten Justizvollzugsanstalt Heinsberg eine reguläre Wohngruppe in der Regel über 20 Plätze, was von Vollzugspraktikern als angemessen bezeichnet wird. Für Gefangene mit besonderen Behandlungsbedürfnissen, z. B. Gewalt- und Sexualstraftäter,

sind natürlich kleinere Wohngruppen mit etwa acht bis zehn Plätzen vorzusehen.

Ich spreche einen anderen, aus meiner Sicht sehr wichtigen Aspekt an: Anders als mein Entwurf sieht der hier vorliegende Entwurf nicht ausdrücklich Besuchsmöglichkeiten auch an den Wochenenden vor. Er will offenbar auch nicht gewährleisten, dass die besonders förderungswürdigen Besuchskontakte zwischen Gefangenen und ihren Kindern nicht auf die Regelbesuche angerechnet werden. Von anlassbezogenen Besuchsmöglichkeiten außerhalb des Pauschalkontingents habe ich nichts gefunden.

In allen drei Punkten bleibt der Entwurf hinter meinem Entwurf zurück. Mein Entwurf stuft auch den Besuch, insbesondere denjenigen von Angehörigen, als Behandlungsmaßnahme ein. Über ein Mindestkontingent von vier Stunden im Monat hinaus werden zusätzliche Besuchsmöglichkeiten nach individuellen Erfordernissen ermöglicht.

Ich halte dies unter Behandlungsaspekten für die eindeutig bessere Lösung als die pauschale und undifferenzierte Festlegung eines Besuchskontingents von acht Stunden im Monat. Anmerken möchte ich in diesem Zusammenhang auch, dass der Gesetzgeber den Aspekt der Sicherstellung der erforderlichen personellen und räumlichen Kapazitäten nicht vollständig aus den Augen verlieren darf.

Ein weiteres Beispiel für die Realitätsferne ist die Regelung über die Kleidung: Wer postuliert, dass jugendliche Gefangene grundsätzlich eigene Kleidung tragen dürfen sollen, verkennt die Realität im Bereich der Jugendkultur. Gerade im Jugendstrafvollzug soll nämlich das Tragen von Anstaltskleidung insbesondere dazu beitragen, ein augenfälliges soziales Gefälle zwischen Gefangenen, die sich teure Markenkleidung leisten können, und solchen, die hierzu nicht in der Lage sind, zu vermeiden.

Hinzu kommt ein ganz wichtiger Punkt: Teure modische Kleidungsstücke können – und sind es oft – Auslöser für Bedrohung und Gewaltanwendung sein. Deshalb ist das Tragen von Anstaltskleidung grundsätzlich vorzusehen. Ausnahmen kann der Anstaltsleiter für seine Anstalt genehmigen und organisieren.

Meine Damen und Herren, ein letztes Beispiel für die Schwachstellen des Entwurfs der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Die vorgesehene Regelung zur Unpfändbarkeit des Überbrückungsgeldes ist gut gemeint – wird von mir auch begrüßt –, ist aber aus rechtlichen Gründen leider nicht mög

lich. Sie kann nämlich nicht durch den Landesgesetzgeber getroffen werden.

Pfändungsrecht und damit auch Pfändungsschutz ist Gegenstand der Zivilprozessordnung, also dem Gebiet des gerichtlichen Verfahrens zuzuordnen. Das gerichtliche Verfahren ist aber nach wie vor Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung nach Artikel 74 des Grundgesetzes, von der der Bundesgesetzgeber eben durch die Zivilprozessordnung Gebrauch gemacht hat.

Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bietet in der Gesamtschau keine geeignete Grundlage für die Regelung des Jugendstrafvollzuges in NordrheinWestfalen.

Meine Bitte, meine Anregung lautet: Lassen Sie uns in Kürze gemeinsam den Gesetzentwurf der Landesregierung diskutieren. Lassen Sie sich davon überzeugen, dass er die richtigen Antworten auf die Fragen gibt, denen wir uns in gemeinsamer Verantwortung stellen müssen – in der Verantwortung für die jungen Menschen, um die es geht, und in der Verantwortung für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung in unserem Land.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, meinen, in einzelnen Aspekten bessere Antworten zu kennen, dann lassen Sie uns das bei der Beratung über den Regierungsentwurf diskutieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. Es gibt eine Zwischenfrage von dem Herrn Abgeordneten Sichau. Möchten Sie diese zulassen? – Sie möchten nicht. – Damit kommen wir zum nächsten Redebeitrag. Für die SPDFraktion spricht Frau Ruff-Händelkes.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir sehr schwer, mich für meine Fraktion auf den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zu beschränken. Aber das haben ja auch meine Vorrednerinnen und Vorredner nicht getan. Denn der Gesetzentwurf der Landesregierung ist eigentlich automatisch im Hinterkopf.

Es ist aber sehr wohl verwunderlich, dass er heute nicht auf der Tagesordnung steht. Er ist nicht wie üblicherweise schon einmal auf der Tagesordnung in Verbindung mit dem Gesetzentwurf der Grünen. Da fragt man sich natürlich in Vorbe

reitung auf dieses Plenum heute: Warum ist das so?

Aber wenn man der Presse entnehmen kann, dass die CDU ihren Parteitag am Wochenende in Siegburg durchführt, hoffen wir – leider sind heute nicht so viele Kollegen der CDU aus dem Rechsausschuss da –, dass Sie doch eine Menge mitnehmen und Ihren Kolleginnen und Kollegen vielleicht den einen oder anderen Hinweis – vielleicht auch Ihnen, Frau Ministerin – geben können, wie man im Sinne der Jugendlichen vorankommen kann.

Frau Düker hat eben viele wichtige Punkte angesprochen, z. B. hat sie die Jugendhilfe kurz genannt. Die Jugendhilfe ist ein Faktor, der nicht – jetzt schaue ich auf die rechte Seite – mit zu weich, zu sozial oder zu behutsam assoziiert werden soll, sondern Jugendhilfe hat bei uns einen starken erzieherischen Einfluss. Ich denke, dass das wichtig ist, und zwar vor der Inhaftierung, während der Haftzeit und danach.

Es ist auch richtig, meine Damen und Herren, das im Gesetz, nämlich im Jugendstrafvollzugsgesetz und im KJHG, zu formulieren, damit es zur Pflichtleistung wird. Wir alle wissen: Wenn es bei einer freiwilligen Leistung bleibt, dann sind viele Kommunen in NRW nicht in der Lage, ihre Leistungen dahin gehend zu erbringen oder erbringen zu können.

Jetzt geht mein Augenmerk auf die Kollegen Giebels und Dr. Orth: Ich glaube, Herr Giebels war es, der gesagt hat, man könne das doch alles ein bisschen flexibler machen. Herr Dr. Orth hat gesagt: Wir müssen ja nicht überall mit der Stechuhr ran. Frau Ministerin hat eben gesagt, dass in dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auch viele Einzelheiten stehen, die vielleicht überreguliert sind.

Ich denke, meine Damen und Herren, die Kunst liegt darin, dass das Gesetz verständlich sein muss für die Inhaftierten, aber auch für die Bediensteten. Es muss auch differenziert formuliert sein, damit Willkür – ich denke, da gerade an die Besuchszeit, die eben angesprochen worden ist – ausgeschlossen wird. Diesen Drahtseilakt müssen wir zusammen unternehmen, und das werden wir im Rechtsausschuss sicherlich auch tun.

Ganz wichtig ist mir Ihr Vorschlag – gegenüber dem Ombudsmann von CDU und FDP – zu einem unabhängigen Beauftragten. Ich habe das so verstanden – ich denke, so ist es auch gemeint –, dass dieser vom Landtag gewählt wird, der an den Landtag einen Bericht erstattet, vom Landtag bezahlt wird und diesem verpflichtet ist.

(Monika Düker [GRÜNE]: Ja!)

Ich denke, dass wäre eine ganz wichtige Sache.

Mir hat aber etwas gefehlt, Frau Düker. Die Ministerin hat gerade auch schon darauf hingewiesen. Wie ist das mit dem Suchtmittelkonsum? Wie ist das mit den Drogen? Wir hoffen sehr, dass diese Problematik von Ihnen nicht ausgeblendet wird. Wir wissen doch, meine Damen und Herren, gerade in Frauenhaftanstalten sind erwachsene, aber auch ganz junge Frauen teilweise mehrfach drogenabhängig. Ich denke dabei an Medikamente, an Alkohohl, an Nikotin. Da müssen wir auch etwas tun. Es wäre sicher gut, wenn diese Aufgabe im Gesetz ihren Platz finden würde.

Zum Thema Schusswaffen: Wir haben uns in Ihrem Antrag ganz besonders darüber gewundert, Frau Düker, warum Sie nicht den Empfehlungen der Vereinten Nationen und der DVJJ folgen, die ein generelles Schusswaffenverbot für Vollzugsbedienstete vorsehen.

(Beifall von Frank Sichau [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das provokante Motto des nächsten Jugendgerichtstages am 15. September dieses Jahres lautet: „Fördern, fordern, fallen lassen“.

Meine Damen und Herren, „fördern“ ja, „fordern“ ja. Das Thema „fallen lassen“ werden wir sicher ganz ausgiebig zum Gesetzentwurf der Regierung diskutieren, auch am Beispiel der Sozial- und Jugendpolitiker der CDU-Fraktion und der FDPFraktion.

Wir stimmen der Überweisung zu. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Wir sind damit am Ende der Beratung in erster Lesung.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes Drucksache 14/4236 an den Rechtsausschuss – federführend –, den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration, den Innenausschuss, den Haushalts- und Finanzausschuss sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Wer ist für diese Überweisung? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt

5 Debatte um den Ausbau der frühkindlichen Betreuung um Qualitätsaspekte erweitern

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 14/4242 – Neudruck

Ich eröffne die Beratung und erteile Frau Kollegin Kastner das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon lange her, dass in Deutschland so intensiv und ausführlich über Familienpolitik und in diesem Fall über Betreuung von Kindern geredet worden ist. Bund und Land suchen nach Wegen, und es wird um die Finanzierung gerungen.

Meine Damen und Herren, das ist auch gut so. Wir Familienpolitiker sind dankbar für diese Entwicklung, plädieren wir doch schon lange dafür, dass Familienpolitik einen Vorrang genießt.

Vielleicht ist es aber auch bezeichnend, dass diese Entwicklung mit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch die CDU im Land und im Bund einhergeht. Gott sei Dank ist die Zeit der Rede vom „Gedöns“ endlich vorbei.

Allerdings nimmt die Diskussion um eine bessere Politik für Familien und Kinder meiner Ansicht nach nicht immer nur einen erfreulichen Verlauf. Ich habe manchmal den Eindruck, dass wir uns dazu verführen lassen –vielleicht habe ich auch Angst davor –, wieder die alten Schlachten von gestern zu schlagen. Wir hetzen angebliche Rabenmütter gegen die Heimchen am Herd und lassen uns von Begriffen wie „Gebärmaschinen“ torpedieren. So kann es nicht sein, so darf es nicht sein. Das stärkt weder Familien, noch bringt es irgendwo einen Mann oder eine junge Frau dazu, überhaupt über Kinder nachzudenken, geschweige denn, welche in die Welt zu setzen.

Wir müssen uns der Realität in unserer Gesellschaft stellen und eine Politik betreiben, die sich am Wohl der Kinder orientiert, die Familien stärkt und unterstützt. Familien wollen ihr Leben eigenverantwortlich in die Hand nehmen und gestalten. Dabei wollen sie die Entscheidungsmöglichkeit haben, ob sie als Eltern beide berufstätig sind oder ob ein Partner ganz oder zeitweise auf eine Erwerbstätigkeit verzichten will. Ferner gibt es nicht wenige Familien, die aus wirtschaftlichen Gründen auf eine Erwerbstätigkeit der Frauen nicht verzichten können. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Berufen, gerade bei Frau

en, die ein längeres Ausscheiden nicht möglich machen.

Für all diese geschilderten Fälle gilt: Es muss erst einmal die Voraussetzung dafür geschaffen werden, dass Familien überhaupt wählen können, sprich es muss genügend Kinderbetreuungsmöglichkeiten geben.